Herzöge von Schleswig-Holstein-Gottorf
Die Rivalität von königlicher und herzoglicher Macht in den Herzogtümern Schleswig und Holstein prägte die Landesgeschichte in der gesamten Frühen Neuzeit. Sie hatte ihre Wurzeln in den Landesteilungen des Hauses Oldenburg, das seit 1448 Dänemark und seit dem Privileg von Ripen 1460 auch die beiden Herzogtümer regierte. Die entscheidende Teilung erfolgte 1544. Für die Herzöge von Schleswig-Holstein-Gottorf begann eine Phase des Aufstiegs, die Wohlstand für die Bewohner des aus vielen Einzelgebieten zusammengewürfelten Staats brachte und die Residenz Gottorf vor den Toren Schleswigs zu einem kulturellen Zentrum in Nordeuropa machte. Mit dem Eintreten des dänischen Königs Christian IV. (*1577/1588-1648†)in den Dreißigjährigen Krieg endete diese Zeit. Der kleine Staat versuchte sich durch Allianzen erst mit Schweden, dann mit Rußland davor zu schützen, von den Kriegen vor allem um die Vorherrschaft im Ostseeraum aufgerieben zu werden. In ganz Europa wurde über die „Gottorfer Frage“ gestritten. Gelöst war sie erst mit dem Ende der Gottorfer 1773, als die ihnen verbliebenen Territorien im dänischen Gesamtstaat aufgingen.
Getrennt herrschen, gemeinsam regieren
Mit Christian I. (*1426/1448-1481†) wählten die Dänen 1448 den ersten Oldenburger zu ihrem König. Nach dem Tod des letzten Schauenburger Herzogs machten ihn die Stände 1460 auch zum Herzog von Schleswig und Grafen von Holstein. Um die Interessen der Ritterschaft in beiden Landesteilen abzusichern, garantierte Christian I. mit einer „Handfeste“, dem Privileg von Ripen , dafür eine einheitliche Landesherrschaft . Christians Sohn Johann (dänisch: Hans, *1455/1481-1513†) brach diese Zusage schon 1490. Er entschädigte seinen jüngeren Bruder Friedrich (*1471/1523 -1533†) mit Teilen Schleswigs und des inzwischen zum Herzogtum aufgestiegenen Holstein. Zum ersten Mal war Gottorf damit Sitz eines Landesherrn. Es wurde sogar vorübergehend faktisch zur königlichen Residenz, als Johanns einziger Sohn Christian II. (1481-1559) im Jahre 1523 gestürzt wurde und sein Onkel als Friedrich I. den Thron der Könige von Dänemark bestieg. Damit war die Ausgangslage wieder hergestellt. Zum zweiten Mal teilte Friedrichs ältester Sohn König Christian III. (*1503/1534-1559†) die Herzogtümer 1544 mit zweien seiner jüngeren Halbbrüder: Johann (Hans) dem Älteren (*1521-1580†), der Hadersleben zu seiner Residenz machte, und Adolf (*1526-1586†), der dafür Gottorf wählte. Herzog Adolf erwies sich als der tatkräftigste der drei Landesherren. Nur aus Sorge um ihren Beuteanteil zogen der eben erst König gewordene Friedrich II. (*1534/1559-1588) und Johann d. Ä. 1559 mit ihm auf sein Drängen gegen Dithmarschen. In der „Letzten Fehde“ wurde die reiche „Bauernrepublik“ unterworfen und geteilt. Als Johann d. Ä. 1580 unverheiratet gestorben war, wurde sein Anteil an den Herzogtümern zwischen Friedrich II. und Adolf erneut aufgeteilt.
Die Brüder teilten die Herzogtümer 1544 und 1581 nach der Steuerkraft der einzelnen Ämter auf und achteten auch darauf, dass sich ihr Besitz gleichmäßig auf Schleswig und Holstein verteilte. So wurde die politische Landkarte ein bunter Flickenteppich. Neben dem königlichen und den herzoglichen Anteilen gab es dazu Güterdistrikte im Osten sowie Adelige Klöster, die gemeinschaftlich regiert wurden. König und Herzöge wechselten sich im Jahresrhythmus in der Führung der Gemeinschaftlichen Regierung ab. Das und die Schleswig und Holstein verklammernde Besitzstruktur führten dazu, daß die Ritterschaft die Teilung akzeptierte und auch Johann d. Ä. und Adolf als Landesherren anerkannten. Das galt jedoch nicht für den später von König Friedrich II. aus seinem Anteil abgefundenen Herzog Johann (Hans) den Jüngeren von Schleswig-Holstein-Sonderburg. Er war der erste Abgeteilte Herr.
Die Herzöge von Gottorf nahmen keine weiteren Teilungen ihres Besitzes mehr vor. Sie versorgten die jüngeren Söhne standesgemäß dadurch, dass sie diese seit 1586 zu Fürstbischöfen von Lübeck (Fürstbistum Lübeck)wählen ließen. Auf Herzog Adolf folgten nach seinem Tod 1586 zunächst für jeweils nur sehr kurze Zeit seine beiden ältesten Söhne Friedrich II. (*1568-1587†) und Philipp (*1570-1590†) und dann sein dritter Sohn Johann Adolf (*1575/1590-1616†). In dessen Regierungszeit und die von Johann Adolfs Sohn Friedrich III (*1616-1659†) fiel der Aufstiegs Gottorfs zu einem der kulturellen Zentren in Nordeuropa.
Kleiner Staat ganz groß
Die Wirtschaftskraft des Gottorfer Staates beruhte vor allem auf den Marschen an der Westküste. Das zeigte sich vor allem im 16. Jahrhundert, als in den Herzogtümern, im Unterschied zum übrigen Europa, neunzig Jahre lang (1536-1626) Frieden herrschte und gleichzeitig die Preise für Agrarprodukte gewaltig stiegen. Daher war es nicht verwunderlich, dass die Herzöge Adolf und Johann Adolf trotz mancher gegenteiliger Verordnungen die aus den Niederlanden einwandernden Mennoniten nicht ernsthaft daran hinderten, sich vor allem im östlichen Eiderstedt niederzulassen, denn sie brachten neue Methoden vor allem für die Produktion von Käse mit. Ebenso förderten die beiden Herzöge den Deichbau auf Eiderstedt und legten in Tönning einen Hafen an. Die Steuereinnahmen machten Herzog Adolf so wohlhabend, dass er sich den Neubau der vier Schlösser Husum, Tönning, Kiel und Reinbek und den Umbau der Residenz Gottorf leisten konnte. Nur er und sein Sohn Johann Adolf konnten aus dem vollen schöpfen, ihre Nachfolger nicht mehr.
Friedrich III. versuchte nach seinem Regierungsantritt 1616 den Anschluß an den sich entwickelnden Überseehandel zu finden. Diesem Zweck diente die Gründung von Friedrichstadt (1621) nach dem Vorbild der königlichen Neugründung Glückstadt (1616). Wirtschaftspolitische Gründe hatte auch die große Gesandtschaft, die der Herzog 1633-1639 nach Russland und Persien reisen ließ. Ihr Ziel war es, Anschluss an den Handel mit Seide und anderen Luxusgütern zu finden. Dafür wurde ein Handelsweg gesucht, der nicht um Afrika herum, sondern über die Wolga, durch das Baltikum und über die Ostsee führen und Kiel und Friedrichstadt zu attraktiven Stapelplätzen machen sollte. Beide Projekte schlugen fehl. Von den hochfliegenden Plänen blieben einerseits nur Friedrichstadt als Kleinstadt mit unverkennbar niederländischem Gepräge und mit rechtlich gesicherter religiöser Toleranz (was im Zeitalter der Religionskriege nicht wenig war) und andererseits nur die ”Moscowitische und Persianische Reisebeschreibung”, die der Gesandtschaftssekretär und spätere Gottorfer Hofgelehrte Adam Olearius veröffentlichte und die internationale Verbreitung fand (was damals nur sehr wenigen deutschen Büchern gelang).
Die kulturelle Blütezeit
Trotz ihres zerstückelten Staatsgebietes bemühten sich die Herzöge darum, ein (früh)modernes Staatswesen zu entwickeln, in dem der politische Einfluß der Ritterschaft durch den Landesherrn und seine Beamten, vor allem Juristen bürgerlicher Herkunft, immer mehr zurückgedrängt wurde. Am erfolgreichsten waren sie jedoch als Förderer von Künsten und Wissenschaften. Das zeigten an erster Stelle die Schlossbauten, dazu die Gottorfer Gartenanlagen, die die bedeutendsten in Nordeuropa waren. Hinzu kamen die Sammlungen, die auf Gottorf zusammengetragen wurden: die reichhaltige Bibliothek (heute größtenteils in Kopenhagen), die „Kunstkammer“ mit ihren künstlerischen, kunsthandwerklichen und natürlichen Objekten (heute ebenfalls großenteils in Kopenhagen), zwei seinerzeit berühmte astronomische Weltmodelle: die „Sphaera Copernicana“ (heute in Frederiksborg) und der „Gottorfer Globus“ (heute in St. Petersburg und inzwischen als Rekonstruktion wieder im Gottorfer Barockgarten), die Noten der Hofkapelle (heute teilweise in Berlin) sowie die Werke des Hofmalers Jürgen Ovens (um *1623-1678†) und des Hofgelehrten Adam Olearius (*1599-1671†). Die nachhaltigste Leistung ist die Gründung einer eigenen Universität in Kiel, die schon von Friedrich III. betrieben, jedoch erst 1665 von Christian Albrecht verwirklicht wurde.
Spielball der Machtpolitik
Die Regierungszeit Friedrichs III. war der glanzvolle Höhepunkt der Geschichte der Gottorfer, aber in ihr begann mit dem Eingreifen König Christians IV. in den Dreißigjährigen Krieg auch der Abstieg. Da das zerstückelte Territorium Gottorfs militärisch nicht zu schützen waren, versuchte sich Friedrich mit dem deutschen Kaiser als Lehnsherren von Holstein zu arrangieren. Das verschonte zwar die gottorfischen Lande kaum vor Übergriffen von Wallensteins Söldnerheer, entzweite jedoch die Gottorfer und Christian IV. Dieser Konflikt mit dem dänischen Königshaus verschärfte sich über den Dreißigjährigen Krieg hinaus immer mehr bis zum Ende des Großen Nordischen Krieges 1721, weil Dänemark und Schweden um die Vorherrschaft im Ostseeraum rangen. Der Gottorfer Staat wurde damit zwangsläufig zum Spielball der Großmächte und sein Territorium zum Schlachtfeld.
Unter dem Schutz Schwedens
Als 1643 der von Christian provozierte Schwedisch-Dänische Krieg ausbrach, kam Friedrich III. nicht seiner Beistandpflicht für Christian nach. Er setzte auf Neutralität. Auch wenn die „gottorfischen Lande“ trotzdem stark in Mitleidenschaft gezogen wurden, begann der Herzog, sich weiter an Schweden anzunähern. Das fand Ausdruck in der 1654 geschlossenen Ehe der Prinzessin Hedwig Eleonora (*1636-1715†) mit König Karl X. Gustav (*1622/1654-1660†). Diese Politik wurde vor allem vom Kanzler Johann Adolf Kielmann von Kielmanseck (*1612-1676†) betrieben. Er wurde während der letzten fünfzehn Jahre der Regierungszeit Friedrichs III. immer einflußreicher und unter dessen Sohn Christian Albrecht (*1641-1694†) allmächtig. Weil Schweden und Dänemark sich in wechselnden Koalitionen an den Kriegen zwischen Frankreich, England und den Niederlanden beteiligten, führte diese Politik dazu, dass die Herzogtümer mehrfach zum Kriegsschauplatz wurden. Besonders litten sie dabei im auch „Polackenkrieg“ genannten Dänisch-Schwedische Krieg 1659/60. Schleswig-Holstein-Gottorf wurde so schwach, das König Christian V. von 1675 bis 1679 und von 1684 bis 1689 den herzoglichen Anteil an Schleswig besetzen ließ. Herzog Christian Albrecht lebte während jener Jahre im Exil in Hamburg.
Die Gottorfer banden sich jedoch noch enger an Schweden. Christian Albrechts ältester Sohn, Herzog Friedrich IV. (*1671-1702†), heiratete mit Hedwig-Sophie eine Schwester König Karls XII. (*1682/1697-1718†). An der Seite seines Schwagers zog er in den Großen Nordischen Krieg, in dem er 1702 fiel. Nach seinem Tod wurde sein jüngerer Bruder, Fürstbischof Christian August (*1673-1726†), „Administrator“ des Gottorfer Staates für seinen minderjährigen Neffen Herzog Carl Friedrich (*1700-1739†). Er ließ seinem Ratgeber, dem Baron von Görtz, weitgehend freie Hand und deckte dessen Politik, im Krieg unter dem Anschein der Neutralität tatsächlich Schweden zu unterstützen. Damit war das Herzogtum faktisch nur noch ein Satellit Schwedens. Die Gottorfer Herzöge kostete diese Politik ihren Anteil am Herzogtum Schleswig: 1713 wurde dieser von dänischen Truppen besetzt und nach dem Ende des Großen Nordischen Krieges 1721 in den königlichen Anteil eingegliedert. So kam Schloss Gottorf in den Besitz der Könige von Dänemark. Regierungssitz des Duodezfürstentums, das den Gottorfern in Holstein blieb, wurde das Kieler Schloss. Damit hätte ihre politische Rolle eigentlich ausgespielt sein müssen, aber da die Gottorfer in der neuen Großmacht Russland sogleich einen Ersatz für Schweden fanden, blieben sie noch mehrere Jahrzehnte lang ein Faktor, der das politische Gleichgewicht in Nordeuropa gefährdete.
Gottorfs letzter Versuch: die russische Karte
Gottorfer Herrschaftsbereiche in Holstein um 1770. Blau: die zum herzoglichen („großfürstlichen“) Anteil gehörenden Ämter; gelb: das Fürstbistum Lübeck, das seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts in der jüngeren Linie des Gottorfer Fürstenhauses faktisch erblich geworden war. Wenn Sie diesen Plan in ganzer Größe sehen wollen, genügt ein Mausklick auf den Plan.
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts öffnete sich Russland unter Zar Peter dem Großen nach Westen und beeinflusste seitdem die Politik der anderen europäischen Mächte. Hier suchte und fand Herzog Carl Friedrich nun Ersatz für die Schutzmacht Schweden und Hilfe in seinem Bemühen, seinen Anteil am Herzogtum Schleswig zurückzugewinnen. Er heiratete Peters älteste Tochter Anna Petrowna (*1708-1728†). Nachdem deren unverheiratet gebliebene jüngere Schwester Elisabeth Petrowna (*1709/1741-1761†) im Jahre 1741 den russischen Thron bestiegen hatte, ernannte sie Herzog Carl Peter Ulrich (*1728-1762†), das einzige Kind aus der Ehe Carl Friedrichs mit ihrer Schwester, zum Thronfolger. Damit ging die regierende Linie des Hauses Schleswig-Holstein-Gottorf im Zarenhaus der Romanows auf. Großfürst Carl Peter Ulrich bestieg dann 1762 als Zar Peter III. den Thron, wurde aber schon nach einem halben Jahr gestürzt und ermordet. Danach übernahm seine Witwe Katharina (*1729/1762-1796†), deren Mutter eine Tochter des Fürstbischofs Christian August war, für ihren minderjährigen Sohn Paul (*1754-1801†) die Regentschaft über den großfürstlichen Anteil am Herzogtum Holstein, während sie sich in Rußland zur Zarin krönen ließ.
Während Peter III. als Thronfolger und in der kurzen Zeit seiner Regierung das Ziel verfolgt hatte, den Gottorfer Anteil am Herzogtum Schleswig mit militärischer Macht zurückzugewinnen, konnte unter der Regentschaft Katharinas II. ein friedlicher Ausgleich gefunden werden: in einem Vertrag, der auf Schloss Zarskoje Selo (heute: Puschkin) bei St. Petersburg abgeschlossen wurde, verzichtete Großfürst Paul 1773 zugunsten des Königs von Dänemark auf den großfürstlichen Anteil am Herzogtum Holstein und erhielt dafür die Grafschaften Oldenburg und Delmenhorst, die er sogleich an die jüngere Linie des Hauses Schleswig-Holstein-Gottorf, die Nachkommen von Fürstbischof Christian August, abtrat; zugleich verpflichteten sich beide Monarchen, sich beim Kaiser für die Erhöhung der beiden Grafschaften zum Herzogtum Oldenburg zu verwenden – womit sie 1774 Erfolg hatten. Mit dem Tauschvertrag von Zarskoje Selo verschwand der Staat der Herzöge von Gottorf für immer von der politischen Landkarte. Erst damit war die „Ruhe des Nordens“ gesichert und der dänische Gesamtstaat entstand.
Dieter Lohmeier (0103/0404 / 0721/ 0823)
Literatur: Dieter Lohmeier, Kleiner Staat ganz groß, 1997, Heide, Boyens & Co, ISBN 3-8042-0793-6: Die Gottorfer auf dem Weg zum Zarenthron. Russisch-gottorfische Verbindungen im 18. Jahrhundert, Ausstellungskstalog Schleswig: Landesarchiv 1997, ISBN 3-931292-54-1; Gottorf im Glanz des Barock, Kunst und Kultur am Schleswiger Hof 1544 – 1713, Ausstellungskatalog, hrsg. von Heinz Spielmann und Jan Drees, 4. Bände, 1997, Schleswig, besonders: Band 1: Die Herzöge und ihre Sammlungen; Band 2: Die Gotorfer Kunstkammer; Band 4: Felix Lühning, der Gottorfer Globus und das Globushaus im ‚Newen Werck‘
Bildquellen: Vignette: Ausschnitt Titel „Kleiner Staat ganz groß“ siehe Quellen, Foto:Pump; Stammbaum: Nationalhistorisches Museum Fredriksborg; Herzog Adolf: Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloß Gottorf; Schleswig-Holstein 1622: Erwin Raeth; Plan Friedrichstadt: Stadtarchiv Friedrichstadt; Aloe: Königliche Bibliothek Kopenhagen; Globius: Notionalhistorisches Museum Frederiksborg; Friedrich III.: Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloß Gottorf; Christian Albrecht: Königliche Bibliothek Kopenhagen; Karte 1770: Erwin Raeth.