Die Pest wütet
Nach der Phase des Landesausbaus und vieler Stadtgründungen vor allem im östlichen Holstein erreichte 1350 die Pest das heutige Schleswig-Holstein. Sie veränderte das Land. Wohnten 1340 noch etwa 400.000 Menschen im Norden waren es nach der Pestwelle nur noch rund 220.000. Die Pest konnte sich leicht ausbreiten, weil die Wohnverhältnisse eng und die Hygiene schlecht waren. Missernten verschärften die Situation zusätzlich. Als Folge verödete das Land. Viele Menschen gingen in die Städte, die ebenfalls viele Einwohner verloren hatten. Als Sündenböcke wurden die Juden ausgemacht, weil sie angeblich Brunnen vergiftet hätten.
Wüstungen entstehen
Teilweise leerte die Pest ganze Dörfer, da die Bewohner starben oder in die Städte zogen. Das brach liegende Land wurde zu Wüstungen und ging schließlich in den Besitz der Adligen über. Damit war ein Grundstein für die später folgende Gutsherrschaft gelegt. Weil nun erhebliche Flächen für den Anbau fehlten, setzte eine Agrarkrise ein. Der Preis für landwirtschaftliche Produkte und für Boden sank, was sich auf die Menschen unterschiedlich auswirkte. Für die adligen und kirchlichen Grundherren bedeutete es Einbußen, Kleinbauern konnten hingegen Nutzen daraus ziehen und für ihre Arbeitskraft mehr Geld verlangen.
Die Natur spielt verrückt
Die Lage verschlimmerte sich zusätzlich durch die vom 14. bis ins 16. Jahrhundert herrschende sogenannte „Kleine Eiszeit“. Am 16. Januar 1362 traf zudem die Marcellusflut – auch genannt „de grote mandranck“ oder „Große Manndräncke“- weite Teile der Nordseeküste. Viele Menschen ertranken während dieser Sturmflut und vor allem in den nordfriesischen Utlanden brach die Nordsee auf breiter Front ein. Zwischen Sylt und Eiderstedt „verinselte“ diese Flut die bisher nur durch schmale Wattrinnen gegliederte und zum Teil mit Busch bestandene Landschaft. Die erste Manndränke war die Geburtsstunde des Wattenmeeres in Nordfriesland. Sie soll auch für den Untergang der sagenhaften Stadt Rungholt auf der alten Insel Strand verantwortlich sein.
Mobilität für wenige
Wie weit ein Mensch herumkam, hing 1350 vor allem von seiner Herkunft ab. Während die meisten ihr Leben lang ihren Heimatort und dessen Umfeld kaum verließen, zogen andere durch die Welt. Dazu gehörten Adlige, Kaufleute, Studenten, Mönche und Pilger. Neben schlechten Straßen machten Straßen- und Seeräuber das Reisen gefährlich. Durch Schleswig-Holstein führten zwei wichtige Routen: Von Dänemark im Norden nach Süden zur Elbe lief der Heer- oder Ochsenweg. Dieses Wegesystem bot Anschluss an die europäischen Handelswege. In Ost-West-Richtung verlief zum Beispiel die Traveroute und verband Hamburg mit Lübeck. Große Warenlieferungen wurden auf dem Wasserweg befördert. Die vor allem im östlichen Holstein im 13. Jahrhundert entstandenen Städte liegen alle ziemlich genau 30 Kilometer auseinander. Das galt zur damaligen Zeit als die Strecke, die ein Mensch an einem Tag zwischen der Öffnung und Schließung der Stadttore zu Fuß bewältigen konnte.
Täglich Brei
Das Essen der meisten Menschen war nicht sehr abwechslungsreich. Es gab zwei Mahlzeiten am Tag: eine warme zum Mittag und am Abend die Reste. Als Getränk diente vor allem Dünnbier. Durch den Gärprozess beim Brauen wurde das Wasser keimfrei und dadurch unbedenklich genießbar. Zusätzlich ernährte Bier durch seinen Kaloriengehalt. Um Vorräte für den Winter lagerungsfähig zu machen, wurden sie getrocknet, gedörrt, geräuchert oder eingesalzen. Als Hauptnahrungsmittel diente Brei aus gekochtem Getreideschrot. Brot gab es selten, ebenso das teure Fleisch, das nur beim Adel öfter auf den Tisch kam. In armen Haushalten wurde meistens nur das Fleisch von alten Nutztieren gegessen. Es war zäh und musste lange gekocht werden. Freitag und an Fastentagen musste Fisch gegessen werden. Die warmen Mahlzeiten waren meist Eintöpfe, denn in den meisten Häusern war auf der meist offenen Feuerstelle nur Platz für einen Topf. Gegessen wurde schließlich zusammen aus einer gemeinsamen Schüssel; die Reste bekamen die Schweine.
Alle unter einem Dach
Die Menschen lebten sowohl auf dem Land als auch in der Stadt eng mit den Tieren zusammen unter einem Dach. Sie wohnten meist in kleinen Fachwerk- oder Holzhäusern von geringer Höhe, auf dem Dorf in Fachwerkkaten und Häusern aus Lehm. Die Feuerstelle bildete den zentralen Punkt und spendete Licht und Wärme. Trotzdem konnte im Winter nur schlecht geheizt werden. Eine Privatsphäre im heutigen Sinne gab es nicht, die Menschen lebten eng zusammen. Sie teilten sich nicht nur die Alkoven, auch viele Toiletten waren als Doppelsitzer gebaut.
Holz, Salz und Heringe
Der Bedarf an Holz war gerade nördlich der Eider groß. Das machte den Handel damit bedeutend. Große Mengen gingen in die waldlose Marsch und die Utlande. Das Holz wurde dort in großen Mengen für den Bau von Häusern, Brücken und Sielschleusen für die Entwässerung der Marschen benötigt. Viel Laubholz wurde außerdem in Meilern zu Holzkohle verhüttet. Die wurde auch beim Brennen der nun immer häufiger verwendeten Backsteine eingesetzt. Holzkohle wurde auch als Zusatzbrennstoff genutzt, um in Nordfriesland aus seewassergetränktem Torf das (wegen der Asche bittere) „Friesensalz“ zu gewinnen. Da es einen hohen Bedarf an Fisch als Fastennahrung gab, wurde der Import von in Schonen eingesalzenen Heringen ein wichtiger Erwerbszweig. Die meisten Hafenstädte nahmen daran Teil. Besonders für Lübeck wurde der Heringshandel zum wesentlichen Faktor für den Aufstieg zum „Königin der Hanse“. Für den Warentransport waren die Seewege wichtig, sodass der Beruf des Schiffers zu hohem Ansehen gelangte.
Der holsteinische Adel erobert den Norden
Im 14. Jahrhundert expandierten die Schauenburger vor allem unter Gerhard III. (1293*/ 1304-1340†) und Johann III. (1294*/1312-1359†) in Richtung Norden und übernahmen Schleswig sowie eine Zeit lang auch ganz Dänemark. Dabei entstanden ihnen hohe Kosten. Sie verkauften und verpfändeten deshalb Herrschafts- und Vogteirechte in Schleswig an den holsteinischen Adel. Im Zeitraum 1340 bis 1375 befanden sich rund 60 Adlige aus Holstein in Schleswig vor allem in den Diensten des schleswigschen Herzogs. Die eine Hälfte war bereits im 13. Jahrhundert eingewandert die andere folgte nach dem Tod Gerhards III. im Jahre 1340. Die Adligen von Schleswig und Holstein verbanden sich immer mehr, weshalb sie nun auch Schleswig und Holstein als ihre einheitliche Interessensphäre ansahen. Es entwickelte sich die Schleswig-Holsteinische Ritterschaft. Des Weiteren gingen auch holsteinische Siedler nach Schleswig, um das Land zu nutzen.
Niederdeutsch auf dem Vormarsch
Die Sprachlandschaft in Schleswig-Holstein war vielfältig. Die Menschen sprachen je nach ihrer Herkunft Jütisch, Friesisch und Niederdeutsch, wobei Niederdeutsch sich immer weiter ausbreitete und das zuvor im Osten gesprochene Slawisch verdrängte.
Die Pest und die Judenverfolgung ohne Juden
Um sich das Auftreten der Pest zu erklären, erstellte der Arzt Gentile da Foligno aus Umbrien die Theorie, dass sich in der Luft „giftige Erddämpfe“ befänden. Sie seien aufgrund einer bestimmten Stellung von Mars, Jupiter und Saturn aus Meer und Land gekommen. Die Dämpfe würden dann durch Einatmen in eine „Giftmasse“ verwandelt, die auch an andere Menschen weitergetragen werden könne. Eine weitere Theorie beschäftigte sich mit den „Körpersäften“. Demnach sei zu viel feucht-warmes Blut im Körper vorhanden. Daneben wurde die Pest auch als eine Strafe Gottes gesehen, sodass religiöse Bewegungen wie die Geißler entstanden, die sich durch Selbstkasteiungen für ihre Sünden bestraften.
Weit verbreitet war auch die Ansicht, die Pest sei durch die Juden verbreitet worden. Darauf setzte eine Judenverfolgung ein. Dies auch im Norden, obwohl dort in den meisten Städten überhaupt keine Juden lebten. Dazu gehörte auch Lübeck. Dort wurden zwei Christen verurteilt, weil sie angeblich im Auftrag von Juden die Pest in die Stadt gebracht hätten. Die Lübecker gingen noch weiter. Sie sandten einen Brief an den Herzog von Braunschweig-Lüneburg, in dem sie ihn dazu aufriefen, die Juden in seinem Herrschaftsbereich zu töten. Sie argumentierten, solange diese unter seinem Schutz stünden, werde die Pest nicht verschwinden. Das Vorgehen der Lübecker blieb im Norden jedoch eine Ausnahme. Wegen der vielen Toten wurden unter anderem in Lübeck und Kiel vor den Toren der Stadt neue Friedhöfe angelegt. Dies geschah zum einen aus Platzmangel zum anderen auch aus hygienischen Gründen.
Mareike Böhmer (1015)
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Bildquellen: Totentanz: St. Annen Museum Lübeck; Karte / Kiepenmann: Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek