In vielen Gegenden Schleswig-Holstein gab es noch im 19. Jahrhundert zum Frühstück, zum Mittag und am Abend Bier. Dünnbier war vielerorts das einzige preiswerte Lebensmittel, das unbedenklich getrunken werden konnte. Trinkwasser aus der Leitung gibt es erst seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Den Anfang machten Großstädte wie Altona (1859), Lübeck (1867) und Kiel (1880/89). Die kleineren Städte folgten bis zum Ersten Weltkrieg. Das dünnbesiedelte, „platte“ Land, die Inseln und die Halligen erhielten ihre Wasserleitung erst in den 1950er und 1960er Jahren. Im Landesteil Schleswig und in Dithmarschen wurde die zentrale Wasserversorgung vor allem im Rahmen des Programms Nord flächendeckend realisiert. Im Hügelland und auf der Geest war es bis dahin meist möglich, qualitativ gutes Grundwasser aus Brunnen zu gewinnen. In den Marschen der Westküste dagegen gaben die „Soot“ genannten Brunnen meist nur brackiges (also versalzenes) Wasser her. Deshalb wurde für Haushalt und Vieh Regenwasser gesammelt. Zum Zubereiten von Speisen musste es häufig abgekocht werden.
Wasser aus dem Hahn nach 700 Jahren
Der Grund warum es nach den Städtegründungen im 12. und 13. Jahrhundert fast 700 Jahre dauerte, bis moderne Netze Trinkwasser verteilten, ist die drangvolle Enge, die im 19.Jahrhundert in den Städten entstand. Zum allgemeinen Wachstum der Bevölkerung kam der wirtschaftliche Umbruch. Die Mechanisierung der Landwirtschaft setzte Arbeitskräfte frei, die nun in den Städte mit ihren neuen Arbeitsplätzen ihr Auskommen suchen mussten. Noch 1871 lebten nur knapp ein Drittel der Bevölkerung Schleswig-Holsteins in der Stadt, 1910 schon fast die Hälfte. Einzelne Städte wie Kiel oder Wandsbek explodierten förmlich: Wandsbek wuchs zwischen 1835 und 1910 auf das Zwölffache, Kiel auf das Achtzehnfache. So wurden die Versorgung der städtischen Bevölkerung mit sauberem Trinkwasser und die Beseitigung von neuem Müll, altem Mist und Abwasser zu einer Frage des Überlebens in der Stadt. Zentrale Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung dienten, wie z.B. auch der 1887 eröffnete kommunale Schlachthof in Kiel, der Seuchenprophylaxe und beugten gesundheitlichen Katastrophen vor: Typhus, Ruhr und Cholera. Um die Wende vom 19. zum 20.Jahrhundert war „Hygiene“ ein zentrales Thema der städtischen Kommunalpolitik.
Wasser für das flache Land
Erst in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg begann man auch die Dörfer und das flache Land zentral mit Wasser zu versorgen. Es war eine Frage der Kosten. Genügen in der Stadt pro Haushalt wenige Meter Rohr, um einen Haushalt zu versorgen, vervielfachen sich die Längen auf dem Land. Doch Ereignisse wie die Überflutung Schleswig-Holsteins mit Flüchtlingen 1945/46, der Dürresommer 1959 oder die Hamburgflut (Sturmflut) von 1962 zeigten, dass es keine Alternative dazu gab, zentrale Versorgungssysteme auch in der Fläche aufzubauen. Sie zu schaffen wurde zu einem Hauptanliegen der Regionalentwicklung. Sie entstand als Politikfeld durch die neue Bundesrepublik, die das Ideal „gleicher“ Lebensverhältnisse in Stadt und Land als Ziel in ihr Grundgesetz aufgenommen hatte. Folge war, dass selbst in den strukturschwachen Regionen des Landesteiles Schleswig sowie der wenig besiedelten Westküste WC und Badezimmer, sauberes Wasser aus der Leitung für Mensch und Vieh und nicht zuletzt für die Waschmaschine und die Autowäsche am Wochenende zum normalen Standard werden konnten. Der Anschluss auch abgelegener Häuser an zentrale Wassernetze wurde auch dadurch möglich, das es neue, preiswerte Materialien gab wie etwa Kunststoffrohre von der Rolle, die mit verhältnismäßig geringem Aufwand verlegt werden konnten.
Vom Mangel zur Verschwendung
Die Reserven an trinkbarem Grundwasser sind endlich. Große Teile Deutschlands müssen heute schon aufwendig Flußwasser klären. Schleswig-Holstein gehört zu den wenigen Gebieten auf der Erde, wo jährlich noch mehr Grundwasser neu entsteht, als verbraucht wird. Das Ende dieses Reichtums ist jedoch absehbar. Zwischen 1955 und 1970 verdreifachte sich die von den öffentlichen Wasserversorgern geförderte Grundwassermenge im Lande von rund 50 Millionen Kubikmeter auf 150 Millionen pro Jahr. Sie nahm bis 1997 noch einmal um 50 Prozent zu. Erst danach wurde der steile Anstieg des Verbrauchs gebremst. Mit dem gestiegenen Umweltbewusstsein zieht zunehmend energie- und wassersparende Technik in Haushalte und Betriebe ein. Das hat dazu geführt, dass der persönliche Wasserverbrauch bei uns von 1991 bis 2019 von 144 auf 125 pro Kopf und Tag gesunken ist. Das Bundesumweltamt berechnet inzwischen auch den „Wasserfußabdruck“ für jeden Bundesbürger. Da wird dann der persönliche Verbrauch mit allen Mengen addiert, die für die Produktion nicht nur von Lebensmitteln und Kleidung bei uns und den Exportländern anfallen. So berechnet liegt der Tagesverbrauch bei 3.900 Liter. Die Ressource Wasser wird auch im feuchten Norden immer knapper. Der Sparzwang steigt inzwischen auch, weil auch durch den Grundwasserschutz die Klärverfahren für Abwässer immer aufwendiger und damit teuerer werden.
Ulrich Lange -ulla- (TdM0401/0521)
Quellen: „Geschichte Schleswig-Holsteins – Von den Anfängen bis zur Gegenwart„, Herausgeber Ulrich Lange, 719 Seiten, Leinen gebunden, erschienen im Wachholtz Verlag, Neumünster, 1996, ISBN 3-529-0440-6; U.Lange in „Dünger und Dynamit“, herausgegeben von M.Jakubowski-Tiessen, K.J.Lorenzen-Schmidt, 1999, Neumünster; „Frisches Wasser“ Katalog zur Ausstellung „kulturgeschichtliche Aspekte der häuslichen Wasserversorgung in Schleswig-Holstein seit dem Mittelalter“, Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum 1987 ; Homepage Bundesumweltamt, Wörlitzer Platz 1, 06844 Dessau-Roßlau, 2021
Bildquellen: „Frisches Wasser“: Plakat zur Ausstellung SH Landesmuseum 1987; Illustration: Stadtarchiv Kiel; Graphik: aus Gausebeck, 1950, entnommen aus dem Katalog zu „Frisches Wasser“