Neumünster ist die jüngste der heute insgesamt vier kreisfreien Städte Schleswig-Holsteins. Im Unterschied zu Lübeck, Flensburg und Kiel begann die Stadtgeschichte erst mit der im Norden spät einsetzenden Industrialisierung. Anders als in den drei Hafenstädten wurden Fabriken – vor allem die der Tuch- und Lederindustrie – prägend für den Ort, der erst am 6. April 1870 das Stadtrecht erhielt. Wie auch Wandsbek stieg Neumünster schon 1901 zur kreisfreien Stadt auf. Die Industriesilhouette über dem Holsteiner Nesselblatt und dem Schwan im Stadtwappen weist seit 1930 auf diese Sonderentwicklung hin.
Am Anfang war ein Kloster
Die Anfänge des Ortes hängen eng mit der Christianisierung und der planmäßigen Besiedlung Ostholsteins zusammen. Nach dem Bericht des Chronisten Helmold von Bosau (*um1120-nach1177†) wurde der Priester Vicelin (*um 1090-1154†) 1127 mit der Gründung eines Augustiner-Chorherrenstiftes im damaligen Wippendorf betraut, dessen Bezeichnung “novum monasterium” wenig später auch auf den Ort überging. Der inselartige, von der Schwale umflossene Siedlungskern mit dem im 13.Jahrhundert aufgestauten Mühlenteich und dem an seinem Südrand gelegenen Kloster entwickelte sich auch weiter, nachdem 1332 das Stift nach Bordesholm verlegt worden war. Schon im 14. Jahrhundert scheint es unmittelbar östlich davon den heutigen Großflecken gegeben zu haben, gebildet an einer Stelle, an der Fernwege aus allen Richtungen zusammentrafen. Im 15. Jahrhundert bildeten beide, durch einen Damm über die Schwaleniederung miteinander verbundenen Ortsteile bereits eine Einheit. Dazu kam nordwestlich des Großfleckens mit der Gründung eines Augustinerinnenstiftes 1498 die sogenannte Klosterinsel. Die stadtähnliche Struktur mit Marktgerechtigkeit und Handwerkerämtern hob Neumünster von den üblichen Kirchspieldörfern ab. Wohl seit dem 17. Jahrhundert galt daher für die Siedlung der Status des Fleckens, der eine Zwischenstufe zwischen Dorf und Stadt bezeichnete.
Flecken der Fuhrleute
Die besondere Situation des Verkehrsknotenpunktes, an dem die Trasse des Ochsenweges die Wege nach Ost und West kreuzte, ließ neben dem hier seit alters her ansässigen bäuerlichen Bevölkerungsteil als besondere Gruppe die der Fuhrleute entstehen. So stellte das Frachtfuhrwesen schon im 16. Jahrhundert neben dem Ackerbau die wichtigste Einkommensquelle dar. Mit Beginn des 17.Jahrhunderts kam in Neumünster das Tuchmacherhandwerk auf. Verarbeitet wurde die Wolle der landesherrlichen Schäfereien in der Umgebung. Die Tuchmacherei wurde zur Keimzelle der späteren Industrialisierung Neumünsters. Im 18. Jahrhundert war das Fleckengebiet in vier Quartiere aufgeteilt. Zum Kleinflecken mit dem ehemaligen Kloster gehörten das Erweiterungsgebiet Schleusberg und Ehndorfer Straße, dem Großflecken waren Lütjenstraße und Fürsthof zugeordnet, das südliche Quartier umfasste Haart, Boostedter und Wittorfer Straße, während im Norden Am Teich, Wasbeker Straße und der Kuhberg mit Christian- und Kieler Straße lagen.
Vom Flecken zur Industriestadt
Mehrfach wurde der Flecken von Großbränden heimgesucht. Nach 1800 kam es zu bedeutsamen Veränderungen. 1811 brach man die alte, im südlichen Teil des Kleinfleckens stehende Stiftskirche ab und ersetzte sie wenig später durch den klassizistischen, vom Oberbaudirektor des dänischen Gesamtstaates Christian Friedrich Hansen (*1756-1845†) entworfenen Bau der heutigen Vicelinkirche. Damals entstanden die ersten Tuchfabriken, ihnen folgten Baumwollwebereien, Papierfabriken sowie Gerbereien und mit deren Zunahme schließlich die Metallindustrie. 1824 lief in der Textilfabrik Renck die erste Dampfmaschine in den Herzogtümern. Neumünster wurde zum Industrieort, dessen Silhouette im fortgeschrittenen 19. Jahrhundert die Schornsteine der zumeist direkt an der Schwale angesiedelten Fabriken bestimmten. Zu den verkehrstechnischen Neuerungen gehörten der Bau der Kiel-Altonaer Chaussee 1830 – 32, der 1844 die Inbetriebnahme des Bahnhofsder ersten Eisenbahn zwischen Altona und Kiel folgte. Ihr schlossen sich bald weitere Strecken ins westliche, südliche und östliche Holstein an. Die 1861 eingerichtete Eisenbahn-Reparatur-Werkstatt unterstrich die Stellung des Ortes als Eisenbahnknotenpunkt. 1870 wurde der Flecken zur Stadt erhoben. Für das Stadtbild zog dies den Wandel vom bisher mehr dörflichen geprägten Ort zum städtischen Großraum mit Vorstadtbereichen nach sich. 1872 wurde die Stadt Garnison, und es entstanden neue militärische Anlagen. Infolge dieser rasanten Entwicklung war die Einwohnerzahl von 2.588 Personen im Jahr der ersten allgemeinen Volkszählung 1803 auf über 25.000 im Jahre 1901, als Neumünster kreisfreie Stadt wurde, gestiegen.
Aufbau einer neuen Stadt
Erster Weltkrieg und Wirtschaftsflaute unterbrachen das stetige Wachstum der jungen Stadt. Doch die Wiederaufrüstung in der Zeit nach 1933 verhalfen Tuch- und Lederindustrie zu neuem Aufschwung. Im Umland wurden 1938 Dörfern eingemeindet, die das Stadtgebiet vergrößerten. Neumünster zählte danach über 51.600 Bewohner. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges war die Stadt mehreren schweren Bombenangriffen ausgesetzt. 1945 lag etwa ein Drittel der Stadt, insbesondere deren Mitte, in Trümmern, und viele Industriebetriebe existierten nicht mehr. Während des Wiederaufbaus wurde die Innenstadt weitgehend neu gestaltet. Nach der Eingemeindung weiterer Flächen entstanden in den Randgebieten moderne Stadtteile, darunter die Böcklersiedlung und die Gartenstadt. Der wirtschaftliche Wandel führte seit den 1960er Jahren zum allmählichen Niedergang der traditionellen Industrien, an deren Stelle heute neue Gewerbe- und Dienstleistungszentren getreten sind. Gegenwärtig leben in Neumünster knapp 80.000 Einwohner (Stand 2020)
Lutz Wilde (0703/0721)
Hinweis: Der Abriß über die Geschichte Neumünsters fußt auf die Recherchen von Dr. Lutz Wilde vom Landesamt für Denkmalpflege für den Band Neumünster der Serie „Kulturdenkmale in Schleswig-Holstein“. www.denkmal.schleswig-holstein.de
Bildquellen: WappenLAS; Lederindustrie: Stadtarchiv Neumünster; Cf.Köster: Archiv Klaus-Joachim Lorenzen-Schmidt