Mehrsprachigkeit war lange Zeit normal. Sie war es vor allem dort, wo Sprachgebiete aneinander stießen, wie etwa im Herzogtum Schleswig. Dort gab es eine Übergangszone zwischen dem (vor allem) Niederdeutschen und dem Dänischen. Wer Deutsch und wer Dänisch sprach und wann man den dänischen Dialekt Sønderjysk benutzte, regelte vor allem das familiäre Umfeld, der Beruf oder soziale Herkunft. Erst in der Zeit der Aufklärung begann die Sprache auch eine politische Rolle zu spielen. Das hatte mit einem grundlegenden Wandel der Gesellschaft zu tun. Die Agrarreformen (Verkoppelung), der immer weiter reichende Handelsaustausch und die durch Zeitungen das letzte Dorf erreichende Kommunikation veränderten das Leben nachhaltig. Die bis dahin haltende Klammer der Feldgemeinschaft, des Dorfes und auch der Stadt brach auf. Der Staat, die Nation als eine neue ordnunggebende Kraft wurde angestrebt. Er definierte sich vor allem auch als Sprachgemeinschaft. Dadurch entstanden in den Mischzonen Sprachmehr- und -minderheiten. Das nördliche Schleswig mit seiner überwiegend dänisch sprechenden Bevölkerung, jedoch einer kleinen bäuerlichen sowie einer städtischen Kaufmanns- und Handwerkerschicht mit Deutsch als Kultursprache, entwickelte sich vor diesem Hintergrund im 19. Jahrhundert zu einem Konfliktgebiet. Das Neben- und Miteinander von deutschen und dänischen Sprachen in Nordschleswig wurde zu einem Gegeneinander von Deutsch und Dänisch. Erst mit der 1920 per Volksabstimmung (Abstimmungsgebiet) festgelegten deutsch-dänischen Grenze, wurde der Konflikt teilweise gelöst – nicht ohne neue Minderheitenprobleme aufzuwerfen. Sie konnten erst nach den Bonn-Kopenhagener Erklärungen 1955 abgebaut werden.
Der Konflikt beginnt im Vormärz
Nach dem Ende der Napoleonischen Kriege begann in ganz Europa die Zeit des „nationalen Erwachens“. Sie erfasste auch den dänischen Gesamtstaat und die Herzogtümer Schleswig und Holstein. Professoren der Christian-Albrechts-Universität in Kiel fanden in den Privilegien der Schleswig-Holsteinischen Ritterschaft (Privileg von Ripen) Argumente für die dauerhafte und untrennbare Gemeinsamkeit der Herzogtümer Schleswig und Holstein. 1830 formulierte Uwe Jens Lornsen (*1793-1838†) in einer Flugschrift diese Gemeinsamkeit in dem er „Schleswigholstein“ konsequent zusammenschrieb. Das Streben, das Doppelherzogtum aus dem Verband des dänischen Gesamtstaates herauszulösen, wurde von deutscher Seite immer stärker. Im Gegenstrom organisierte sich auch eine dänische Bewegung. Ihr Ziel war ein dänischer Nationalstaat, der das Herzogtum Schleswig einschloß und die Eider zum Grenzfluss machen sollte. Diese Idee fand vor allem im nördlichen Teil des Herzogtums ( also in Nordschleswig) Anklang. Ausgetragen wurde der neue, nationale Gegensatz in der Ständeversammlung in Schleswig. Die Bevölkerung erfuhr davon trotz der Pressezensur durch die Ständezeitung. Verbreitet wurden die nationalen Ideen vor allem auch durch Volks- und Sängerfeste. 1843 gab es auf Skamlingsbanke südlich von Kolding das erste dänische Fest. Im Jahr darauf folgte das große schleswig-holsteinische Sängerfest in Schleswig (Schleswig-Holstein-Lied). Zu diesem Fest reisten auch schleswig-holsteinisch gesinnte Teilnehmer aus Nordschleswig an.
Zwei Schleswigsche Kriege
Der Gegensatz eskalierte im europäischen Revolutionsjahr 1848 und führte zu der sogenannten Schleswig-Holsteinischen Erhebung. Aus Sicht der dänischen Seite war es ein Aufruhr – also „Oprør“. Er endete nach drei Jahren. Durch den „Treårskrig“ änderte sich an den Verhältnissen nichts. Den Großmächten ging es darum, zu verhindern, dass sich die Machtverhältnisse verschoben. Sie setzten durch, dass der noch weitgehend absolut verfasste Gesamtstaat restauriert wurde (Absolutismus). Allerdings musste Dänemark zusagen, am rechtlichen Status der beiden Herzogtümer nichts zu ändern. Insbesondere sollte Schleswig nicht in den dänischen Nationalstaat einbezogen werden, wie es die nationalliberale Bewegung in Dänemark forderte. 1863 jedoch konnten die Nationalliberalen genau dieses durchsetzen. König Christian IX. (*1818/1863–1906†) unterschrieb im November eine gemeinsame Verfassung für Dänemark und das Herzogtum Schleswig, dessen Verbindung zu Holstein dadurch gelöst wurden. Damit verstieß Dänemark gegen die Auflagen der Großmächte von 1851/52, die von Preußen und Österreich garantiert wurden. Sie forderten Dänemark auf, die dänisch-schleswigsche Verfassung zurückzunehmen. Als das nicht geschah, erklärten sie 1864 den Krieg. Im zweiten Schleswigschen Krieg erwiesen sich die Dänen nach nur wenigen Monaten als unterlegen. Im Wiener Frieden mussten die Herzogtümer Schleswig und Holstein sowie Lauenburg, das erst 1815 zu Dänemark gekommen war, an Preußen und Österreich abtreten.
Provinz Preußens
Die gemeinsame Herrschaft der beiden deutschen Mächte über die Herzogtümer Schleswig und Holstein war kurz. Preußen und Österreich standen im Konflikt um die Vorherrschaft im Deutschen Bund. 1866 führte dieser zum Krieg. Er endete mit dem Sieg Preußens über die Österreicher bei Königgrätz. Darauf annektierte es die drei Herzogtümer und gliederte sie als „Provinz Schleswig-Holstein“ und „Herzogtum Lauenburg“ in Preußen ein. Die althergebrachte und buntscheckige überlieferte Verwaltungsstruktur wurde nach der Annexion durch einheitliches preußisches Provinz- und Kommunalrecht ersetzt. Allerdings blieb der dänischgesinnten Bevölkerung in Nordschleswig zunächst die Hoffnung, den nördlichen Teil des ehemaligen Herzogtums durch einen freien Wahlentscheid für einen Anschluss mit Dänemark verbinden zu können. So hatte es zumindest eine Klausel im Artikel V des Prager Friedens mit den Österreichern vom 26. August 1866 vorgesehen.
Nordschleswig wird „germanisiert“
Die Wahlen in der neuen preußischen Provinz belegten es: die Mehrheit in Nordschleswig war dänisch eingestellt. Die Preußen wollten das ändern. Sie setzten auf einen langfristigen Prozess, um über staatliche Schul- und Sprachpolitik einen preußisch-deutschen Patriotismus zu fördern. 1871 wurde deshalb in den Schulen Nordschleswigs vom 3. Schuljahr an ein sechsstündiger Deutschunterricht eingeführt. Nachdem am 13. April 1878 die Klausel im Artikel V durch einen Vertrag zwischen Preußen und Österreich aufgehoben wird, wurde der Deutschunterricht an den nordschleswigschen Schulen erheblich erweitert. Zehn Jahre später erfolgte der Übergang zur rein deutschen Unterrichtssprache. Ausnahme blieben die vier Wochenstunden Religion. Doch damit ist der letzte Schritt zur „Verdeutschung“ des Schulunterrichts vollzogen. Im selben Jahr schlossen die Behörden die letzte dänische Privatschule. Diese „Germanisierung“ wollte der dänische Teil der Bevölkerung nicht hinnehmen und begann, sich dagegen zu organisieren. Der Anfang machte 1880 die Gründung des „Vereins zur Bewahrung der dänischen Sprache in Nordschleswig“. Im Jahre 1888 folgte der Wählerverein für Nordschleswig und 1892 der südjütische Schulverein. Diesen dänischen Initiativen zum Erhalt der dänischen Sprache und eines Nationalgefühls stellte sich von 1890 an „Der Deutsche Verein für das nördliche Schleswig” energisch entgegen. Sein Ziel war es, den deutschen Einfluss zu stärken. Um ein das Gemeinschaftsgefühl zu betonen, wurde seit 1894 ein jährliches Volksfest auf dem Knivsberg gefeiert. Dort wurde1895 der Grundstein für einen Bismarckturm mit einer Statue des Reichsgründers gelegt (Einweihung 1901). Das Monument sollte den Anspruch des Deutschen Reiches auf Nordschleswig dokumentieren. Die Feste auf dem Knivsberg waren das Gegenstück zu den bereits seit 1843 organisierten dänischen Treffen auf Skamlingsbanken.
Die „Köllerpolitik“
In eine neue Phase trat die die preußische Zwangspolitik mit dem Amtsantritt des neuen Oberpräsidenten Ernst Matthias von Köller (*1841-1921†) 1897. Nur vier Amtsjahre reichten ihm, um die dann sogenannte „Köllerpolitik“ zu einem stehenden Begriff nicht nur im Norden zu machen. Zur „Köllerpolitik“ gehörte es unter anderem, gezielt sowohl zugewanderte Dienstboten aus Dänemark als auch Einheimische mit dänischem Pass, sogenannte „Optanten“, auszuweisen. Diese Politik diente dazu, vermeintlich dänisch Gesinnte zu disziplinieren und sie davon abzuhalten, für Dänemark zu „agitieren“. Bis 1899 wurden 373 Personen ausgewiesen. Politik Köllers war es auch, Vortrags-, Landwirtschafts- und Geselligkeitsvereine der dänischsprachigen Bevölkerung zu „politischen Vereinen“ zu erklären und zu verbieten. Die deutschen Vereine – allen voran der „Deutsche Verein“ – wurden dagegen aus öffentlichen Mittel großzügig gefördert.
… spaltet und scheitert
Köllers Politik entrüstete nicht nur die dänische Mehrheit. Sowohl gemäßigte deutsche Nordschleswiger als auch zum Beispiel Sozialdemokraten im Deutschen Reichstag verurteilten diese Politik scharf. Begeistert unterstützen dagegen die Rechtsparteien und der „Deutsche Verein“ die „Köllerpolitik“. Der Widerstand wuchs jedoch, denn es zeigte sich, dass diese „Politik der harten Hand“ wenig Erfolg beschieden war. Die Resultate standen in keinem Verhältnis zum Einsatz. Die dänischen Stimmen gingen bei den Wahlen nur geringfügig zurück. 1901 verließ von Köller die Provinz. Unter seinem Nachfolger von Freiherr Adolf Wilhelm Kurt von Wilmowsky (*1850-1941†) wurden über 1.200 Dänischgesinnte, die sich zwischen 1864-1870 für kürzere oder längere Zeit in Dänemark aufgehalten hatten, kurzerhand zu dänischen Staatsbürgern. Durch diese “Optantenmacherei” verloren die Betroffenen ihr Wahlrecht und waren zur politischen Passivität verdammt. Auch sie konnten jetzt ausgewiesen werden.
Ein kurzes Zwischenhoch
Erst ein preußisch-dänischer Vertrag ordnete Anfang 1907 die Frage der “staatenlosen” Kinder früherer Optanten. Dänemark erkannte die 1864 im Wiener Frieden gezogene Grenze an. Dieses Tauwetter war jedoch nur von kurzer Dauer. Allerdings regte sich auch Widerspruch. Gemeinsam mit anderen Pastoren und gemäßigten Nordschleswigern wandte sich Pastor Johannes Schmidt-Wodder (*1869-1959†) gegen den deutschen Zwangskurs und den „Deutschen Verein“. Er gründete den „Verein für deutsche Friedensarbeit in der Nordmark”. Der Verein strebte eine nationale deutsche Kulturarbeit jenseits der staatlichen Unterdrückung der dänischen Nationalität an. Er wollte zu einem friedlichen kulturellen Wettstreit zwischen Deutsch und Dänisch beitragen, da man das Heimatrecht beider Bevölkerungsteile in Schleswig anerkannte. Sein Einfluss blieb jedoch gering.
Der Erste Weltkrieg als Wende
Vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges hatte sich ein scharfer Gegensatz von dänischen und deutschen Nordschleswigern verfestigt. Fast 50 Jahre preußischer Zwangspolitik hatten kaum etwas geändert: Die dänische Bevölkerung bekannte sich national weiter zu Dänemark. Als der Krieg begann, wurden führende dänischgesinnte Nordschleswiger verhaftet und einen Monat lang interniert; dänischgesinnte Soldaten aus Nordschleswig mussten meist gegen ihre innere Überzeugung in den Krieg ziehen. Als sich im Frühherbst 1918 die deutsche Niederlage abzeichnete, ermutigte das die dänischen Politiker in Nordschleswig und Kopenhagen. Ihre Hoffnung schöpften sie aus dem 14-Punkte-Plan des amerikanischen Präsidenten Thomas Woodrow Wilson (*1856-1924†), in dem unter anderem auch das „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ betont wurde. Für Nord- und Mittelschleswig bedeutete das auch die Möglichkeit, eine neue Grenze durch eine Volksabstimmung festzulegen. Im Versailler Friedensvertrag wurden die Modalitäten dieser Abstimmung festgelegt. Nordschleswig wurde zur Zone I. Dort wurde en bloc abgestimmt. Das bedeutete, die Mehrheit im gesamten Gebiet entschied über die künftige Staatszugehörigkeit.
Nordschleswig wird dänisch
Obwohl die Deutschen in Nordschleswig wussten, dass sie in der Minderheit waren, stimmten sie für einen Verbleib in Deutschland. Sie hofften auf eine weitere Abstimmung und wollten dafür ein Signal setzen. Bei außerordentlich starker Wahlbeteiligung stimmten am 10. Februar 1920 in Nordschleswig 75 Prozent für Dänemark und 25 Prozent für das Deutsche Reich. Starke deutsche Mehrheiten gab es in den Städten Tondern (76 Prozent), Sonderburg (55 Prozent) und Apenrade (54 Prozent). Die Versuche der deutschen Regierung, die so festgelegte Grenze nachträglich zu korrigieren, um etwa gleich große nationale Minderheiten auf beiden Seiten der Linie zu erreichen, scheiterten. In der südlich anschließenden Zweiten Zone war eine gemeindeweise Abstimmung vorgesehen, bei der sich am 14. März 1920 allerdings der deutlich überwiegende Teil der Bevölkerung für den Verbleib bei Deutschland entschied (siehe Abstimmungsgebiet). Am 15. Juni 1920 wurde Nordschleswig an Dänemark übergeben. Der deutschgesinnte Teil der Bevölkerung begann danach, sich unter der Führung von Pastor Johannes Schmidt-Wodder zu organisieren. Deutsche Sprache und Kultur sollten gepflegt werden, um die Verbundenheit zu betonen. Die Rückkehr Nordschleswigs nach Deutschland war Ziel und Vision. Erst nach dem Zeiten Weltkrieg gab die deutsche Volksgruppe ihren Wunsch auf, ins Mutterland zurückzukehren, erkannte die Grenze an und erklärte ihre Loyalität gegenüber dem dänischen Staat.
Jürgen Festersen (TdM 0406/0116/0721)
Literatur: Henrik Becker Christensen, Det tyske mindretal i Nordslesvig, Apenrade 1990; Gottlieb Japsen, Den fejlslagne germanisiering, Apenrade 1983; Landeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Minderheiten im deutsch-dänischen Grenzbereich, Kiel 1993
Bildquellen: Vignette/Skamlingsbanke: Werner Junge; Sprachkarte: Ingwer E. Momsen / Eckart Dege / Ulrich Lange, Historischer Atlas Schleswig-Holstein – 1867 bis 1945, Herausgeber Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte, 2001, Neumünster, erschienen bei Wachholtz, ISBN 3-529-02446-5; Brand Sonderburg/Gericht: Museet på Sønderborg Slot; Plakat: Knivsberggesellschaft Apenrade; Köller: aus Olaf Klose (Hrsg.), Geschichte Schleswig-Holsteins – Provinz im Königreich Preußen, Achter Band, erste Lieferung, Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte, 1966, Neumünster, verlegt bei Wachholtz, Portrait Schmidt-Wodder: aus Nordschleswig, Landschaft, Menschen, Kultur, herausgegeben vom Bund Deutscher Nordschleswiger, Husum, 1995, erschienen bei Husum Druck- und Verlagsgesellschaft