Zwischen den Weltkriegen

Kieler Notgeld von 1923, gestern noch ein halbe, heute umgestempelt auf eine Million Mark. Am Ende waren es Milliarden und Billionen.
Kieler Notgeld von 1923, gestern noch ein halbe, heute umgestempelt auf eine Million Mark. Am Ende waren es Milliarden und Billionen.

Der Erste Weltkrieg endete mit dem Zusammenbruch der Fronten. Die Soldaten kehrten geschlagen in eine wirtschaftlich ruinierte aber äußerlich intakte Heimat zurück. Die 1920er Jahre waren in einem bis dahin unbekannten Maß politisiert. Deutschnationale gegen Sozialisten, Bauern gegen den Staat, Arm gegen Reich – der politische Kampf beherrschte die Straßen der Städte, erreichte besonders in Schleswig-Holstein das flache Land und radikalisierte sich dort. Erst mit dem Ende der Inflation 1923 durch die neue Rentenmark schien das öffentliche Leben sich zu beruhigen. Mit etwas Verzug begann ein später als „goldene Jahre“ verklärtes Zwischenhoch vor der Weltwirtschaftskrise. Die in der preußischen Provinz Schleswig-Holstein prägenden Bereiche Landwirtschaft und Handwerk kamen jedoch auch nach 1925 nicht wieder in Schwung und auch nicht zur Ruhe.

 Zurück zur zivilen Industrie

Die preußische Provinz Schleswig-Holstein blieb auch in der Zwischenkriegszeit vor allem von der Landwirtschaft geprägt. Nach dem Ersten Weltkrieg hatten die Bauern finanzielle Probleme. Weil Geld für Investitionen fehlte, blieb es auf den Höfen meist beim Alten. Der Döschdamper schnaufte weiter, während in Amerika längst der Siegeszug der Traktoren begonnen hatte. Als Folge konnten die heimischen Agrarprodukte in den ersten Nachkriegsjahren nicht mit den günstigeren Importen konkurrieren. Auf dem Land schrumpften ehemals großen Landgüter auf kleine Ein-Mann-Höfe zusammen, die sich oft nur noch selbst versorgen konnten. Außerdem wirkte sich die Inflation aus: Zwar konnten viele Bauern ihre Schulden nun schneller tilgen, doch verloren ebenso viele ihre Ersparnisse. Am Ende stand dann oft die Zwangsversteigerung. Die Industrie musste nach dem Krieg wieder auf Friedensproduktion umstellen. Vor allem den Werften in den Küstenstädten kamen der Wiederaufbau der Handelsmarine und der Maschinenbau zugute. Der Gewinn und der Verdienst wurden bis zur Einführung der „Rentenmark“ 1923 jedoch von der galoppierenden Inflation aufgefressen. Trotz der strukturellen Probleme wurden die Bauern deshalb beneidet. Sie konnten sich in Zeiten in denen ein Brot heute eine Million und morgen eine Milliarde kostete zumindest selbst versorgen. Der Umschwung kam zeitlich verzögert. Erst zwei Jahre nach der Währungsreform 1923 konsolidierten sich die Industrie und der Dienstleistungssektor langsam, während nun Handwerk und Landwirtschaft stagnierten.

Arbeitskampf und Grenzkampf

„Deutschland über alles“ auf dem Bahnhof im nordfriesischen Langenhorn werden Abstimmungsberechtigte zur Wahl erwartet
„Deutschland über alles“ auf dem Bahnhof im nordfriesischen Langenhorn werden Abstimmungsberechtigte zur Wahl erwartet

Die politischen Umwälzungen, die mit dem Matrosenaufstand in Kiel ihren Anfang genommen hatten, und die allgemeine Not ließen die Sozialdemokraten erstarken. Selbst während der wirtschaftlich ruhigeren Phasen kämpften die Arbeiter um die Sicherung ihrer Stellen. Streiks oder Aussperrungen waren jederzeit möglich. Dazu kamen ungewöhnlich harte Winter. Im Norden Schleswigs mussten die Menschen nach der Abstimmung von 1920 die Gebietsverluste hinnehmen und die Spannungen zwischen den Nationalitäten wuchsen. Dänisch als öffentlich gesprochene Minderheitensprache war verpönt und Flensburg verlor sein weites Hinterland. Die „Goldenen Zwanziger“ dauerten in Schleswig- Holstein nur wenige Jahre und selbst in den großen Städten profitierten nicht alle Bürger vom Aufschwung.

Das Erbe des Matrosenaufstandes

Trauerumzug für Opfer des Kapp-Putschs in Kiel vor dem Gewerkschaftshaus in der Legienstraße 1920
Trauerumzug für Opfer des Kapp-Putschs in Kiel vor dem Gewerkschaftshaus in der Legienstraße 1920

Parteien und Gewerkschaften bestimmten die gesellschaftliche Entwicklung der Nachkriegsjahre. Die Weimarer Republik spaltete die Bevölkerung und der Kapp-Putsch 1920 zeigte das antistaatliche Potenzial auch in Schleswig-Holstein. Viele Politiker der Provinz und Regierungsstellen verhielten sich mit den Putschisten solidarisch und wurden nach deren Scheitern angeklagt. Die zahlreichen Kriegsrückkehrer konnten nur schwer von der demontierten und umgestellten Industrie aufgenommen werden. Die Bevölkerung wuchs dazu noch weiter. Der Mangel an Wohnungen wurde besonders in den Städten zu einem zentralen Problem. Auf dem Land schürte die wirtschaftliche Misere den Unmut der Bauern. Vor allem die wohlhabenden Landwirte an der Westküste wurden politisch aktiv. Mit den wiederholten Agrarkrisen und ausländischer Konkurrenz fürchteten viele um ihre Existenz. Diese Sorgen sollten später zum Grundstein der Landvolkbewegung anwachsen, die zum Ende der 1920er Jahre mit Anschlägen auf den Staat ihren Höhepunkt erreichte: Vorboten des hohen Rückhalts für die NSDAP in Schleswig-Holstein.

Familie: Tradition und Moderne

Gutbürgerliches Wohnen 1922 – Blick ins Arbeitszimmer von Admiral a.D. Gustav Schmidt
Gutbürgerliches Wohnen 1922 – Blick ins Arbeitszimmer von Admiral a.D. Gustav Schmidt

Obwohl die Frauen während des Krieges für die Rüstung gearbeitet hatten und auf vielen Höfen den Bauern ersetzen mussten, verteilten sich die Rollen danach wieder schnell nach dem tradierten Muster: Während der Mann den Unterhalt verdiente, hatte sich die Frau um Kinder und Haushalt zu kümmern. Nicht nur konservative Bürger versuchten dieses Bild über die meiste Zeit der krisenerschütterten Zwischenkriegsjahre zu erhalten. Offiziell erreichte die Frauenbewegung zwar Fortschritte, jedoch sah es in der Praxis anders aus. Gerade in den häufigen Phasen mit hoher Arbeitslosigkeit fanden Männer so leichter eine Stelle als Frauen. Für die Kinder galt der Abschluss einer höheren Schule als zunehmend erstrebenswert. Die alten preußischen Volksschulen wurden reformiert und Mädchen und Jungen konnten nun in vielen Regionen erstmals dieselbe Schule besuchen. In den wenigen Haushalten, die es sich leisten konnten, erleichterten nun neue Geräte wie das elektrische Bügeleisen oder der Waschautomat das Leben.

Strom – die neue Kraft

Fußball live – Dabeisein als Faszination des neuen Mediums Radio
Fußball live – Dabeisein als Faszination des neuen Mediums Radio

1925 wurden bereits 13 Städte und 425 Landgemeinden in Schleswig-Holstein zentral mit Strom versorgt. Die Elektrifizierung sorgte vor allem für Helligkeit und ersetzte in den Städten das rußende Gaslicht und auf dem Land die plackende Petroleumlampe. Während die neuen Elektrogeräte im Haushalt noch kaum ins Gewicht fielen, verlangten vor allem Gewerbe und Landwirtschaft nun nach immer mehr elektrischer Energie. Da der Leitungsbau zu den weit im Land verstreuten Höfen zu teuer war kam es zu einem ersten Boom der Windenergie. Viele Höfe mit einer Nutzfläche von mehr als 50 Hektar versorgten sich mit sogenannten „Texasrädern“ selbst. Allein im heutigen Nordfriesland drehten sich rund 500 dieser Anlagen. Gebaut wurden sie meist von der Firma Köster in Heide oder Claussen in Kappeln.

„Hier ist die NORAG“

Am 2. Mai 1924 startete im Norden der Rundfunk. Aus Hamburg meldete sich über die Mittelwelle die Nordische Rundfunk AG, die NORAG. Das Radio als erstes elektronisches Medium veränderte das Leben der Menschen. Es brachte die Welt ins Dorf. Das neue Medium beeinflusste auch das Wirtschaften. Durch die Wetterberichte konnten zum Beispiel Landwirte ihre Ernte noch einbringen bevor Regen oder Sturm kamen. Das Radio war das Medium der neuen Zeit und stand bald in jedem Haus. Trotzdem waren die 1920er Jahre eine Blütezeit für die Presse. Neben den lokalen und überregionalen Zeitungen entstand eine reiche Partei- und Gewerkschaftspresse. 1926 erschienen in 63 Orten in der Provinz 80 Titel.

Die neue Mobilität

Autounfall 1929 in Kiel: ein Wagen wird aus dem Hafen geborgen
Ein eigenartiges Autounglück in Kiel !
Autounfall 1929 in Kiel: ein Wagen wird aus dem Hafen geborgen

Langsam verbreiteten sich Autos auch in Deutschlands Norden. So folgte 1925 eine kleine Welle an staatlichen Bauaufträgen: Das Straßennetz wurde stark erweitert. Für die Bürger gewann vor allem der Omnibus an Bedeutung, auch kam nun Güterverkehr auf die Straße. Der zunehmende Pendlerverkehr sorgte nach den defizitären Kriegsjahren für eine kurze Erholungsphase im Schienenverkehr. Kreis- und Kleinbahnen verbanden ländlich gelegene Ortschaften und 1927 wurde der Hindenburgdamm nach Sylt feierlich eröffnet. Die Bedeutsamkeit des Schiffverkehrs war aber weiterhin ungebrochen.

Die Landvolkbewegung

Unter dem Namen „Landvolkbewegung“ formierte sich in den 1920er Jahren vor allem der ländliche Widerstand in Schleswig-Holstein. Ihre stärksten und wohlhabendsten Unterstützer stammten aus Dithmarschen und waren Bauern oder Großgrundbesitzer. Gerade letztere erhielten ihre politische Motivation aus dem Eindruck, das Land würde von der Politik schlechter behandelt als die Städte. Die Agrarpolitik der sozialdemokratischen Regierung zielte auf eine Verkleinerung von Großgrundbesitz. Die verstärkt antistaatliche Haltung führte zu Steuerboykotten und landesweiten Kundgebungen. Das Ausmaß und die Schärfe der Proteste waren so stark, dass sie über Schleswig-Holstein hinaus wirkten. Während die landwirtschaftlichen Erträge ausblieben und viele Bauern verarmten, radikalisierte sich die Bewegung bis hin zu Aufständen und Bombenanschlägen. In der führungslosen Phase der darauf folgenden Strafprozesse offenbarte sich das Wählerpotenzial für die politisch noch schwache, aber gut organisierte NSDAP. Erfolgreich gelang es ihr, die Sympathien der Bewegung zu gewinnen und mit der im landwirtschaftlichen Sektor populären „Blut-und-Boden-Ideologie“ für sich einzunehmen.

Die Flagge der Landvolkbewegung
Die Flagge der Landvolkbewegung

Marcel Heruth (1015/0921)

Literatur: Danker, Uwe/Paul, Gebhard/Wulf, Peter (Hgg.): Geschichtsumschlungen. Sozial- und kulturgeschichtliches Lesebuch Schleswig-Holstein 1848-1948. Bonn 1996;Hansen, Astrid/Schulze, Heiko: Stadtbilder Schleswig-Holstein: Theodor Möller. Fotografien 1900 – 1950. Neumünster 2013;Lubowitz, Frank/Krieger, Martin/Frandsen, Steen Bo (Hgg.): 1200 Jahre deutsch – dänische Grenze. Aspekte einer Nachbarschaft. Neumünster 2012; Pateau, Rainer: Konfrontation oder Kooperation. Arbeiterbewegung und bürgerliche Gesellschaft im ländlichen Schleswig-Holstein und in der Industriestadt Kiel zwischen 1900 und 1925. Neumünster 1988 (Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Schleswig- Holsteins 14); Rheinheimer, Martin (Hg.): Grenzen in der Geschichte Schleswig-Holsteins und Dänemarks. Neumünster 2006 (Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Schleswig-Holsteins 24); Stoltenberg, Gerhard: Politische Strömungen im schleswig-holsteinischen Landvolk 1918-1933. Ein Beitrag zur politischen Meinungsbildung in der Weimarer Republik. Bonn 1962.

Bildquellen: Notgeld / Kümmel: Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek; Beerdigung: Stadtarchiv Kiel, 1.3 – Postkartensammlung; Abstimmung: Kreisarchiv Nordfrieslandland; Zimmer: Stadtarchiv Kiel, 2.5 – Bildnachlass Wilhelm Schäfer; Sport: Archiv Studio Flensburg des NDR; Autounfall: Bundesarchiv, 102-08935; Flagge: commons.wikimedia.org