Am 19. November 1928 verhindern 200 aufgebrachte Bauern in Beidenfleth (Kreis Steinburg) die Pfändung von zwei Ochsen

Das „Landvolk“ war eine politisch-soziale Bewegung der bäuerlichen und mittelständisch gewerblichen Bevölkerungsschichten Schleswig-Holsteins in den Jahren 1928 bis 1931, die zunächst mit Demonstrationen und dann auch mit Gewalttaten auf ihre wirtschaftliche und soziale Notlage aufmerksam zu machen suchten.

Die Landwirtschaft in Not

Bis zum Ende des Jahres 1927 hatte die schleswig-holsteinische Landwirtschaft ein erträgliches Einkommen gehabt. Doch es gab bestimmte, nicht kurzfristig zu beseitigende Strukturschwächen. Während des 1. Weltkrieges waren sämtliche Neuinvestitionen in den Betrieben unterblieben; man hatte vielmehr aus der Substanz gelebt. Die Inflation des Jahres 1923 hatte letzte mögliche Rücklagen vernichtet, und Neuinvestitionen in den Betrieben waren unterblieben. Neues Eigenkapital, das die jährlichen Unterschiede bei den Einnahmen hätte ausgleichen können, war noch nicht gebildet worden. Zudem war der Zollschutz für agrarische Produkte nach Ansicht der Bauern völlig unzureichend. Billige landwirtschaftliche Produkte aus dem Ausland drängten auf den Markt, während die Steuern und Abgaben auf der gleichen Höhe blieben. Die Landwirtschaft in Schleswig-Holstein fühlte sich von einem angemessenen Platz innerhalb der Gesamtwirtschaft hinausgedrängt, vom Staat allein gelassen und unter diesen Umständen auf sich selbst gestellt. 

… erfindet ihren Protest

Der Appell an die Parteien und das Wirken der bäuerlichen Verbände schienen der Landbevölkerung keine Möglichkeit der Einflussnahme auf die Politik mehr zu bieten. So bildeten sich im Bauerntum spontane, organisatorisch nicht fassbare Bewegungen, die durch ihre Zahl und ihre radikale Entschlossenheit die geforderte Beachtung zu erzwingen versuchten. Die erste Demonstrationswelle dieser Art begann Anfang Januar 1928, als der Büsumer Hofbesitzer Otto Johannsen zu Protestversammlungen der Landwirtschaft und des Mittelstandes in den Kreisstädten aufrief. An diesen ersten Versammlungen nahmen insgesamt etwa 140.000 Menschen teil. Hier begann die eigentliche Bewegung des „Landvolks“ mit ganz neuen Ausdrucks- und Protestformen jenseits der politischen Parteien und der berufsständischen Verbände. 

Landvolk-Kundgebung am 28. Januar 1928 auf dem Marktplatz in Heide

Mit Härte gegen Bauernprotest

Die Politik versuchte zunächst, dieser Bewegung zu widerstehen und sie auf Dauer ins Leere laufen zu lassen. Steuern und Abgaben wurden unvermindert erhoben und teils unnachsichtig auch durch polizeiliches Vorgehen eingetrieben. Die Landwirte antworteten darauf mit einem Steuerboykott, Zusammenrottungen und kollektivem, teils gewalttätigen Widerstand. Die von der Politik erhoffte Entspannung trat nicht ein. Mit dem Fortgang der Krise, die sich seit Oktober 1929 zu einer allgemeinen Wirtschaftskrise ausweitete, radikalisierte sich die Bewegung. Im Frühjahr 1929 fanden vor allem an der Westküste und in der Mitte des Landes an zahlreichen Orten sogenannte „Nothilfe“-Versammlungen statt, auf denen gefordert wurde, die staatlichen Institutionen zu umgehen und eine eigene Selbstverwaltung zu errichten. Führer dieser Bewegung waren die von der Westküste stammenden Landwirte Wilhelm Hamkens (*1896-1955†) aus Kotzenbüll auf Eiderstedt  und Claus Heim (*1884-1968†) aus St. Annen in Dithmarschen.

Die Landvolkflagge nimmt Anleihen an der Symbolik der Bauernkriege. Sie wurde wahrscheinlich von Peter Petersen, einem Mitglied des sogenannten „Landbundes“ entworfen.

Bauern, Bonzen, Bomben

Vor allem unter Claus Heim kam es unter dem Eindruck der andauernden Krise zu einer weiteren Radikalisierung. Auf Finanz- und Landratsämter wurden Sprengstoffattentate verübt. Zwar waren dies Einzelaktionen, aber sie zeigten, welches Ausmaß an Radikalität inzwischen erreicht war. In Itzehoe erschien eine eigene Zeitung „Das Landvolk“, die das Sprachrohr der Bewegung war und an der die Brüder von Salomon als Redakteure mitarbeiteten. Es kennzeichnete den ideologischen Zusammenhalt dieser Bewegung, dass auf den Versammlungen gar eine eigene Fahne mitgeführt wurde: Ein schwarzes Fahnentuch mit einem weißen Pflug und einem roten Schwert, befestigt an einer gerade geschmiedeten Sense – ein später Hinweis auf die Bundschuhbewegung der Bauernkriege im 16. Jahrhundert. Der Kampf um diese Flagge eskalierte bei einer Demonstration am 1. August 1929 in Neumünster. Literarisch wurde er von Hans Fallada (*1883-1947†) in dem Roman „Bauern, Bonzen, Bomben“ verarbeitet.

Das Landvolk
Das Landvolk – ein Kampfblatt aus Itzehoe

Vom Landvolk in die NSDAP

Der Höhepunkt dieser Bewegung war im Jahre 1931 überschritten. Die Bauern erkannten, dass mit einem direkten Anrennen und sogar gewalttätigen Aktionen gegen den Staat nichts zu erreichen war. Eine neue Kraft im politischen Raum begann ihren Aufstieg, auf die die Bauern zukünftig setzten: Die NSDAP.

Prof. Dr. Peter Wulf (0122*)

Literatur: Gerhard Paul/Uwe Danker/Peter Wulf (Hrsg.): Geschichtsumschlungen, Bonn 1996. Darin der Aufsatz: “Die Not hat uns zusammengeschmiedet, S. 192-199.

Bildnachweise: Landvolkflagge: gemeinfrei; Protest in Beidenfleth, aus: „Die Not hat uns zusammengeschmiedet“ s.o.; Demonstration in Heide: Museum für Dithmarscher Vorgeschichte und Heider Heimatmuseum; Titel „Landvolk“ aus den Beständen der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek (SHLB)