Ein Rotor der Firma Köster Heide. Das Bild entstand anläßlich der Aufstellung im Schleswig-Holsteinischen Freilichtmuseum Molfsee
Ein Rotor der Firma Köster Heide. Das Bild entstand anläßlich der Aufstellung im Schleswig-Holsteinischen Freilichtmuseum Molfsee

Seit Anfang der 1990er Jahre erlebt Schleswig-Holstein seinen zweiten Boom der Windenergie. Der erste fiel in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Er dauerte, bis die Schleswag Ende der 1920er Jahre begann, auch das flache Land zentral mit Elektrizität zu versorgen. Im Zuge der nach den 1850er Jahren beginnenden Mechanisierung war der Bedarf an Energie auf den Bauernhöfen stetig gewachsen. Für Höfe in windreichen Gebieten mit mehr als 50 Hektar rechnete sich deshalb die Windenergie. Beides traf besonders an der Westküste zu. Allein in Nordfriesland drehten sich so an die 500 „Texasräder“. Sie waren 1854 zum Pumpen von Wasser in den USA entwickelt und 1903 erstmals in Dänemark genutzt worden, um Strom zu erzeugen. Die ersten Windräder wurden aus den Vereinigten Staaten importiert. Bald boten jedoch auch die Firmen Köster in Heide, Claussen in Kappeln und andere die Generatoren an. Bis zu 12 Meter im Durchmesser waren die Windräder mit ihren bis zu 32 charakteristischen, „Luken“ genannten Flügeln. Vor der Inflation kostete eine Anlage bis zu 25.000 Reichsmark. Zum Häckseln und Dreschen trieb das Windrad direkt eine Transmission. Eine großer Rotor erreichte dabei schon bei schwacher Brise (drei Beaufort, 5,5 m/s) eine Leistung von sieben Pferdestärken. Obwohl die Generatoren bis zu fünf Kilowattstunden leisteten und die Energie zum Teil in Batterien gespeichert werden konnte, blieb das Manko der Anlagen ihre windabhängige Unstetigkeit. In den 1950er Jahren verschwanden so die letzten Texasräder aus der Landschaft. Das ganze Gemeinden durch Wind versorgt wurden, blieb die Ausnahme. Bekannt ist das Beispiel Högel. Die Gemeinde bei Bredstedt verweigerte den Anschluss an das öffentliche Netz, weil das 1923 erbaute Windrad reichte, die 300 Brennstellen im Dorf an 240 Tagen im Jahr zum Leuchten zu bringen.

Der zweite Windboom

 Der Bürgerwindpark bei Sprakebüll in Nordfriesland entstand 1998. Er kostete 16 Millionen Mark. Davon entfielen 1,7 Millionen Mark auf die notwendigen 12 Kilometer Kabeltrassen sowie den Neubau eines Umspannwerkes, um die 3.000 Megawattstunden jährlich produzierter Leistung in das Netz leiten zu können
Der Bürgerwindpark bei Sprakebüll in Nordfriesland entstand 1998. Er kostete 16 Millionen Mark. Davon entfielen 1,7 Millionen Mark auf die notwendigen 12 Kilometer Kabeltrassen sowie den Neubau eines Umspannwerkes, um die 3.000 Megawattstunden jährlich produzierter Leistung in das Netz leiten zu können

Ausgelöst durch die Ölkrise, fanden seit Ende der 1970er Jahre die „alternativen Energien“ wieder starkes öffentliches Interesse. Zum Symbol für den Aufbruch wurde die GroWiAn abgekürzte Großwindanlage. Sie wurde 1983 in Dithmarschen im Kaiser-Wilhelm-Koog errichtet. Schon 1988 wurde der Testbetrieb der bis dahin mit einem Megawatt Leistung größten Windenergieanlage der Welt wieder eingestellt. Doch inzwischen waren kleinere Anlagen marktreif. Auch mit dem politischen Wunsch, umweltverträgliche Alternativen zur Kernenergie zu fördern, setzte der SPD-Energieminister Günther Jansen auf den Wind. Der Durchbruch gelang schließlich 1991 mit dem Energieeinspeisegesetz des Bundes. Es legte fest, daß alternativ erzeugter Strom zum Haushaltstarif abzüglich einer Leitungspauschale von den Energieversorgungsunternehmen aufzukaufen sei. Für die Energiemüller lohnten damit die Investitionen. Der Boom begann. Von 1990 bis 2000 verzehnfachte sich die Zahl der Windgeneratoren auf gut 2.000. Die Produktion stieg im selben Zeitraum sogar von 29 auf 2.140 Gigawatt. Das 1992 formulierte Ziel des Landes, 2010 ein Fünftel des Eigenbedarfes aus dem Wind zu gewinnen, wurde bereits September 2001 erreicht. Der rasante Zuwachs stellt die regionalen Versorger  vor erhebliche Probleme. Erstmals mussten Leitungen geschaffen werden, um Strom vom flachen Land zurück in die Städte zu leiten. Gravierender waren jedoch die Folgen des Einspeisegesetzes, das die Mehrkosten gegenüber konventionell erzeugten Strom zunächst allein auf das regionale Unternehmen abwälzte. Mit dem Ausbau der Windenergie war deshalb absehbar, wann die Windkraft über den Strompreis allein von den Verbrauchern in der Region finanziert werden musste. 1996 wurde deshalb der Anteil der Regionalversorger „gedeckelt“, seit 2.000 werden die Mehrkosten auf die Energieversorger im gesamten Bundesgebiet umgelegt. Gerade entlang der Küste folgten der Euphorie bald Proteste. In vielen Gemeinden fürchtete man nicht ohne Grund einen Wildwuchs der Kraftwerke am Stiel. Die Landkreise beschränkten darauf die Windenergie auf ein Prozent der Landesfläche. Damit schien die Gefahr der sogenannten „Verspargelung“ der Landschaftsbildes gebannt. Inzwischen ist die Diskussion erneut entflammt. Ausgelöst wurde sie durch den Generationswechsel der Windgeneratoren. In diesem – „repowering“ genannten – Prozess werden Großrotoren mit über einem Megawatt Leistung und Höhen um die 100 Meter die bisherigen Anlagen ersetzen. Inzwischen will die Landesregierung bis 2010 die Hälfte des Stromverbrauchs aus Windenergie gewinnen. Dafür sind Windparks im Nord- und Ostsee geplant. Auch diese Offshore-Anlagen sind umstritten. Zur Zeit wird etwa an der Vogelwarte Helgoland untersucht, wie sich solche Parks im Meer auf Fauna und Flora über und unter Wasser auswirken.

Windkraft bleibt „additive“ Energie

Inzwischen erzeugen Windkraftanlagen im Lande in der Summe mehr Energie als das Kernkraftwerk Brokdorf. Trotzdem können sie kein konventionelles Kraftwerk ersetzen, weil sie nur Strom produzieren, wenn der Wind weht. Das zentrale technische Problem bleibt, das Strom praktisch nicht gespeichert werden kann. Um die Netze stabil zu halten, kann deshalb nicht auf die ständig verfügbare Energie herkömmlicher Kraftwerke verzichtet werden. Weht der Wind, muß deren Leistung heruntergfahren werden, zusätzliche entstehen Verluste beim Regeln der Netze. Damit verteuert Windenergie in der Summe die Stromproduktion. Und: der weitere Ausbau der Windenergie in Schleswig-Holstein ist nur möglich, weil die Kernkraftwerke Brunsbüttel, Brokdorf und Krümmel die Stabilität im Netz garantieren. Entgegen dem politischen Ziel ist die Energie aus Wind noch nicht „alternativ“, weil sie kein thermisches Kraftwerk überflüssig macht. Sie bleibt solange „additiv“, bis wirtschaftlich vertretbare Wege gefunden worden sind, elektrische Energie zu speichern.

ju/Nikolaus Schmidt (0503)

Hinweise: Der erste Boom der Windenergie in Schleswig-Holstein wartet noch auf seine systematische historische Aufarbeitung. Weitere Informationen unter www.landesregierung.schleswig-holstein.de

Quellen: Werner Junge, Früher lieferte der Wind den Strom, in Nordfriesland-Chronik 1977/78, Husum; Ministerium für Finanzen und Energie des Landes Schleswig-Holstein, Energiebericht Schleswig-Holstein 1999, 1999. Kiel; Ministerium für Finanzen und Energie des Landes Schleswig-Holstein, Energiebilanz Schleswig-Holstein 2000, 2002, Kiel; Karl-Heinrich Buhse in Ulrich Lange (Hrsg.), Geschichte Schleswig-Holsteins – Von den Anfängen bis zur Gegenwart (SHG), 2. Auflage, Neumünster 2003, Wachholtz Verlag

Bildquellen: Vignette/Texasrad: WEDOpress; Windpark: Landwirtschaftskammer: Schleswig-Holstein