Eiszeitland im Norden
Marsch, Geest und Hügelland bilden den harmonischen landschaftlichen Dreiklang Schleswig-Holsteins. Der schmale Streifen der fruchtbaren Marschen entlang der Nordsee und der Elbe, die karge Geest, rund gewölbt im Westen, flach und moorig in der Mitte und dann das gewellt mit Seen durchsprenkelte östliche Hügelland gliedern das Land. Erdhistorisch betrachtet, ist das „Land zwischen den Meeren“ nichts anderes als die geologische Schutthalde Skandinaviens. Der Wall zwischen Nord- und Ostsee ist (fast) reines Eiszeitland. Und es ist Neuland. Zumindest bezogen auf das Erdalter. Als Tag mit 24 Stunden berechnet, beginnt die Geschichte vor fünf Sekunden, also etwa vor 200.000 Jahren.
Die Schutthalde Skandinaviens
Damals erreichten die Enden der Saaleeiszeit das Gebiet der heutigen Westküste. Aus Skandinavien hatte der Eispanzer Steine, Sand und Ton mitgebracht. Das alles blieb liegen, als das Eis nach 75.000 Jahren abgeschmolzen war. Von der Form her dürfte es auch an der Westküste damals ähnlich ausgesehen haben wie heute im Hügelland der Ostküste. Zwergbirken, Polarweiden, Moose und andere, arktisch- bis subarktische Vegetation breitete sich aus. Sie bot Rentieren, Mammuts und dem wollhaarigen Nashorn ein Auskommen und damit auch Jagdbeute für die ersten Menschen. Vor 25.000 Jahren schob sich erneut bis zu 600 Meter hohes Eis von Osten her über das Land. Es war ein Ausläufer der Weichseleiszeit. Das Eis stoppte jedoch früher. Die Eisgrenze bildete eine Linie von Flensburg über Neumünster, ein Stück zur Ostsee eingebeult, bis östlich von Hamburg. Um zu verstehen, was danach passierte, ist es wichtig zu wissen, dass Gletscher keinen Rückwärtsgang haben. Das Eis hat sich aus Schleswig-Holstein also nicht „zurückgezogen“, wie oft zu lesen ist, sondern es ist einfach abgetaut. Der Prozess begann vor allem unter dem Eis und in den Spalten. Das Schmelzwasser suchte sich unter zum Teil hohem Druck seinen Weg nach Westen. Steine und Sand wurden ausgewaschen und mitgeschleppt. Sie bildeten in der Mitte des Landes leicht geneigte Sander. Im Westen stießen und durchstießen die Wassermassen bei Arlau, Eider und Stör das alte Hügelland. Mit dem Wasser spülte auch der leichte und fruchtbare Ton weg ins Meer, der dort während der ersten, der Saaleeiszeit, angelagert worden war. Da es immer noch kalt war, war die Folge für die Moränen im Westen des Landes, die nicht unter dem Eis lagen, einschneidend. Nur im Sommer taute deren obere Bodenschicht auf. Feucht und ohne schützende Pflanzendecke floss der fruchtbare Boden ab. Aus einer fruchtbaren, hügeligen Landschaft wurden flache, sandige „Rücken“. Die „hohe Geest“ war entstanden. Der Name stammt von friesischen Wort für unfruchtbar „güst“.
Land ist zu 85 Prozent „fertig“
Gut 85 Prozent des heutigen Schleswig-Holstein war nach dem Ende der Weichseleiszeit „fertig“. Sie teilten sich in die Hohe und Flache (Sander-) Geest und das östliche Hügelland. Das Land entwickelte sich nun vor allem an der Westküste. In den Kälteperioden der Eiszeiten war die Nordsee mehr ein See, etwa dort, wo heute die Doggerbank liegt. Erst mit den Eisschmelzen stieg der Wasserstand langsam, aber kontinuierlich. Er erreichte fast die heutige Höhe. Als erstes bildeten sich Steilküsten. Noch heute gut zu sehen am „Klev“ („Kliff“) bei St. Michaelisdonn in Dithmarschen. Wo sich Steilküsten bilden, kann sich das abgetragene Material auch in Nehrungen ablagern. Das ist am deutlichsten bei Lunden, nördlich von Heide. Noch heute weisen Dünenreste entlang der Bundestraße 5 und der gute Ausblick auf die Marsch auf diesen Strandwall hin.
Die Nordsee „schenkt“ die Marsch
Die fruchtbare Marsch ist ein Geschenk der Nordsee. Vor etwa 4.000 Jahren, als die Ostküste Schleswig-Holsteins weitgehend schon ihre heutige Gestalt hatte, begannen die Gezeiten der steigenden Nordsee im Westen, Schlick vor der Geestkante abzusetzen. Die Sedimente wuchsen zur Marsch auf. Da das Land sehr fruchtbar war, wurden die Marschen besiedelt. Um sich vor den Hochwassern zu schützen, bauten die ersten Marschbewohner ihre Häuser auf Erdhügeln, den „Warften„. Vor etwa 1.000 Jahren begann der Deichbau. Während südlich der Eider in Dithmarschen unterm Strich kontinuierlich Land dazugewonnen wurde, eroberte nördlich der Eider in den Uthlanden Nordfriesland die Nordsee große, ehemals „landfeste“ Gebiete zurück. Noch um 1.000 nach Christi Geburt, als die Friesen das Land besiedelten, zog sich eine Nehrung von Sylt bis St. Peter-Ording. Dahinter lagen um die alten Geestkerne von Sylt, Föhr und Amrum Marschen und Moore (siehe auch Uthlande). Doch das Wasser stieg weiter, und die Friesen verloren bei der ersten Mandränke 1362 und der zweiten 1634 große Teile der von ihnen besiedelten Gebiete. Zurück blieben mit den Marschinseln Pellworm und Nordstrand nur kleine Reste der alten Großinsel Strand sowie die Halligen. Das Ende der Insel Strand galt lange auch als eine Folge von Raubbau. Großflächig waren Moore abgetorft worden, um das in ihnen angelagerte und durch Verbrennen dann bittere Meersalz zu gewinnen. Neuere Untersuchungen (siehe Marschen) haben gezeigt, dass weniger der Torfabbau, sondern vor allem das Ausspülen alter Wasserläufe als Hauptursache für die Rückkehr der Nordsee in das heutige nordfriesische Wattenmeer ausschlaggebend gewesen sein muss. Die Geschichte der bäuerliche Landnahme in der Marsch endete 1926 mit dem Sönke-Nissen-Koog westlich von Bredstedt. Seitdem ist Küstenschutz reine Staatsaufgabe.
Inseln auch Eiszeitland
Vom Eiszeitland sind an der Westküste nur Sylt, Amrum und ein Teil von Föhr geblieben sowie die lange einzige unbedeichte Stelle der Westküste. Bei Schobüll, zwischen Husum und dem Damm zur Insel Nordstrand, reichte die hohe Geest bis vor ein paar Jahren noch bis an das Wattenvorland. Während die Sander im Westen der Jungmoränen sich wie ein durchgehender Gürtel von Dänemark bis Hamburg hinziehen, sind von der Altmoränen der hohen Geest nur Inseln erhalten. Der Grund ist der Wasserabfluss zum Ende der Saaleeiszeit. Er zerschnitt die hohe Geest mit Urstromtälern. Am besten ist das noch im Verlauf der Eider zu erkennen. Der Schmelzwasserstrom der Eiszeit bestimmt noch heute den Wasserfluss im Lande. Die Eider entspringt an der Ostseeküste bei Kiel und fließt in die Nordsee. Regen, der wenige Kilometer westlich von Flensburg fällt, gelangt über den Hallighafen Schlüttsiel in die Nordsee (Entwässerung).
Fenster in die Voreiszeit
Ein rundes Dutzend sogenannter geologische Fenster öffnen in Schleswig-Holstein den Blick in die Voreiszeit. Am bekanntesten ist Helgoland. Salz hat den erdmittelalterlichen Buntsandstein an die Oberfläche gepresst. In der gleichen Zeit kam auch in Lägerdorf bei Itzehoe Kreide an die Oberfläche, die heute industriell als Rohstoff für die Produktion von Portlandcement abgebaut wird. Die „ältesten“ Fenster tun sich bei Elmshorm und in Bad Segeberg auf. Rotliegendes steigt bei Lieth 3.500 Meter aus dem Erdaltertum auf. Über 100 Jahre wurde der erdhistorische Schatz abgebaut und zu Ziegeln gebrannt. Mörtel wurde dagegen lange Zeit in Segeberg gewonnen. Der „Kalkberg“ (Kalkbergstadion) steigt über 2.000 Meter aus dem Untergrund auf. Er wurde von 110 auf 91 Meter abgebaut. Heute hat er die Form eines hohlen Zahnes. Jeden Sommer wird die Naturbühne für die Karl-May-Festspiele genutzt. Ganzjährig können die Höhlen besichtigt werden. Tropfsteine gibt es dort allerdings nicht. Der „Kalkberg“ ist nämlich ein Gipsberg. Als schwefelsaures Anhydrit (CaSO4) an die Oberfläche kam, nahm es Wasser auf und quoll zu Gips (CaSO4+2H2O). So besteht der Berg heute nicht aus kohlensaurem Kalk (CaCO3), sondern aus schwefelsaurem Gips. Noch immer drückt das Salz in den Bodenschichten. Jedes Jahr steigt der Berg um einem Millimeter weiter aus dem Erdinneren nach oben.
Werner Junge (0902/0122*)
Quelle: Kurt-Dietmar Schmidtke, Die Entstehung Schleswig-Holsteins, Wachholtz-Verlag, Neumünster 1995, ISBN 3 529 05316 3; Dirk Meier, Forschungs- und Technologiezentrum der CAU, Büsum, Küstenarchäologie
Bildquellen: Henning Höppner (Graphiken); Segeberger Gipsberg – Archiv Hans-Peter Sparr