Ende August 1935 machte ein neuer Koog in Dithmarschen im gleichgeschalteten deutschen Blätterwald Schlagzeilen. Der „Adolf-Hitler-Koog“ war vollendet. Die 1.333 Hektar Neuland waren mehr als ein Stück Marsch, das dem Meer abgerungen worden war. Mit dem Koog war ein Vorzeigeprojekt der nationalsozialistischen Machthaber vollendet. Es sollte national und international belegen, wie sich das Ziel, neuen „Lebensraum“ zu schaffen, friedlich erreichen ließ. Um das zu unterstreichen, machte „der Führer“ eine Ausnahme. Er ließ das Siedlungsprojekt seinen Namen tragen.
„Deichreif“ war die Bucht nördlich des „Kaiser-Wilhelm-Kooges“ (1872-73) und westlich des „Friedrichskooges“ (1853-54) schon lange. Doch fehlte es in den 1920er Jahren an Geld, um die fertigen Pläne für die Bedeichung der Dieksander Bucht zu realisieren. Die Nationalsozialisten erkannten das Projekt vor allem als Chance für die Propaganda. Ideologie bestimmte deshalb den Bau mehr als Ingenieurskunst. Um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, wurde weitgehend auf den Einsatz seit langem üblicher Großgeräte verzichtet. Die 400.000 Tagwerke Arbeit für den 9,3 Kilometer langen Deich sowie die notwendigen Entwässerungsarbeiten im und vor dem neuen Koog wurden weitgehend in Handarbeit mit dem Kleispaten geleistet. 70 Prozent der vier Millionen Reichsmark Landgewinnungskosten entfielen so auf Handarbeit. Bis zu 1.700 Menschen waren eingesetzt. Darunter viele Arbeitslose aus Hamburg und Kiel. Der Beschäftigungseffekt für die Region blieb daher gering.
Bei der Vergabe der 63 Bauern- und 29 sonstigen Siedlungsstellen wurden dagegen nur Dithmarscher berücksichtigt. Der Kreisbauernvorsteher und der Reichsnährstand trafen die Auswahl. Gesucht wurde „Menschenmaterial aus altem germanischen Bauerntum“. Bevorzugt wurden nachgeborene Söhne – die das neue Erbhofgesetz benachteiligte – sowie Parteigenossen mit „niedriger Mitgliedsnummer“ (also solche, die früh in die NSDAP eingetreten waren). 91 der 92 Siedler waren so in der NSDAP. Für die Ausnahme sorgte Kreisbauernführer Hans Beeck. Er wies an, die Siedlerstelle zu vergeben obwohl der Bewerber nicht Parteimitglied war. Er begründete das damit, daß es sich um einen Teilnehmer des Ersten Weltkrieges handelte, der mit dem EK I ausgezeichnet worden war und sechs Kinder hatte.
Der Start für die Neusiedler war jedoch nicht leicht. 1933 begonnen, war der Deich 1934 vollendet. Das dahinter liegende Land war noch wüst. Die Siedler zogen in Hütten und Baracken, um die erste Saat (Hafer) einzubringen und selbst beim Bau der Hofstellen Hand anzulegen. Ziel war es, Gemeinschaftsgefühl zu schaffen. Was jedoch gemeinsam entstehen sollte, war strikt vorgegeben. Geplant waren pfannengedeckte „Friesisch-Dithmarscher Höfe“, Wirtschaftsgebäude, die mehr von der Ideologie als von den Erfordernissen der Landwirtschaft bestimmt waren. Proteste Einzelner, die etwa auf die in allem modernere und praktischere Bebauung des 1926 geschaffenen Sönke-Nissen-Koog in Nordfriesland verwiesen (siehe Heimatschutzarchitektur) wurden abgeschmettert. Der neue Koog musste in allem ein Musterkoog nach den Vorgaben der NSDAP sein.
Als Adolf Hitler am 29. August 1935 den neuen Koog einweihte, legte er auch den Grundstein zur „Neulandhalle“. Statt einer Kirche wurde ganz im Sinne der Partei ein Versammlungsraum für den Koog und eine Erholungsstätte für die Gliederungen der NSDAP gebaut. Bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges war der Adolf-Hitler-Koog eine Art Wallfahrtsort. Bis zu 40 Omnibusse und Autos brachten täglich Besucher in den Koog. Die Propagandafahrten hatten für die Koogbewohner einen durchaus positiven Nebeneffekt. Schon von Beginn an hatte der Koog eine zentrale Wasserversorgung erhalten, Strom folgte bald. Durch den enormen Busverkehr wurden jedoch die Lehmwege fast unpassierbar. Nach Klagen über die stets zerfahrenen Wirtschaftswege, wurden die Straßen im Adolf-Hitler-Koog als erste in einem Koog an der Westküste asphaltiert. Der Bau wurde in erheblichem Umfang vom Reichspropagandaministerium mitfinanziert.
Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges endete der Trubel im Adolf-Hitler-Koog. Nach Kriegsende erinnerte man sich des alten Namens. Aus dem Adolf-Hitler-Koog wurde der Dieksander Koog. Er ist heute Teil der Gemeinde Friedrichskoog.
Werner Junge (TdM 0201/0621)
Bildquelle: Horst Schübeler, Landwirtschaft in Schleswig-Holstein, Bilddokumente zur Agrargeschichte, Band III, Köge des 20. Jahrhunderts, 1999, Nr 55 der Schriftenreihe des Norddeutschen Genossenschaftsverbandes e.V., ISBN 3-00-004821-9