Thusnelda Kühl am Anfang ihrer Karriere 1903

Die Dichterin der Marschen

Sie zählte zu den wenigen Frauen um 1900, die als freie Schriftstellerinnen arbeiteten: die Eiderstedterin Thusnelda Kühl (*1872-1935†). Sie schrieb 14 Romane, zahlreiche Erzählungen, politische und biografische Texte. Auch wenn sie heute kaum mehr gelesen wird, gilt sie als Chronistin ihrer Landschaft, als vielschichtige Analytikerin ihrer Umgebung – und als eine der bedeutendsten Autorinnen Nordfrieslands. 

Heimat der Kindheit und Ankerpunkt in der geliebten Marsch: das Pfarrhaus von Oldenswort um 1900

„Ouvertüre zum Leben“

Thusnelda Kühl wurde 1872 als Tochter des liberalen Pastors Carsten Kühl und seiner Frau Wilhelmine, geborene von Oldenburg, in Kollmar Kreis Steinburg geboren. Im Herbst 1876 zog die Familie nach Oldenswort auf Eiderstedt, wo Thusnelda Kühl einen Großteil ihrer Kindheit im dortigen Pfarrhaus verbrachte. Sie besuchte die Dorfschule und genoss das Privileg, als Pastorentochter von einer privaten Erzieherin unterrichtet zu werden. Ihre Jugend und Ausbildungszeit beschreibt sie als „Ouvertüre zum Leben“ – als ein Mosaik aus vielen Stationen, geprägt von zahlreichen Ortswechseln. Nach dem Besuch eines Pensionats in Lübeck und der Mädchenschule in Flensburg besuchte sie ein Lehrerinnenseminar im dänischen Augustenburg und übernahm eine erste Anstellung an der höheren Töchterschule in Flensburg. Nach ihrer zweiten Prüfung in Schleswig führte ihr Weg sie als Lehrerin nach Quern in Angeln, Lauterberg im Harz, Friedrichstadt – und kehrte schließlich 1896 in ihre Heimat Oldenswort zurück. Dort findet sie ihre Erfüllung, inmitten der „weiten, ruhevollen, immergrünen Marsch.“ 

Der Durchbruch

Um 1900 begann Thusnelda Kühl zu schreiben. Sie veröffentlichte erste Erzählungen und Romane und entschied sich, ihren Beruf als Lehrerin aufzugeben und arbeitete von 1903 an als freie Schriftstellerin – ein gewagter Schritt für schreibende Frauen ihrer Epoche. Es erschien rasch ihr erster Roman „Am grauen Strand, am grauen Meer“, kurz darauf folgte „Rüm Hart – Klar Kimming“. 1904 gelang ihr der Durchbruch mit dem Roman „Der Lehnsmann von Brösum“. Es folgten zahlreiche weitere belletristische Werke, die Thusnelda Kühl zu einer gern gelesenen Autorin ihrer Zeit machten. Auch als sie 1905 den Schuldirektor Julius Petersen heiratete, mit ihm nach Nortorf zog und Mutter zweier Kinder wurde, veröffentlichte sie weiter unter ihrem Mädchennamen.

Als „Dichterin der Marschen“ wurde Thusnelda Kühl über den Norden hinaus bekannt

Alltagssorgen der „lütten Lüd“

Thusnelda Kühl überwandt rasch das Genre des Heimatromans. Ihre Werke wurden vielschichtiger, kritischer. Sie interessierten die Unterschiede und Gegensätze zwischen Stadt und Land, Männern und Frauen, Kunst und Religion. Oft war es der wirtschaftliche und soziale Umbruch auf dem Land – den Einzug der Moderne – den sie zum Leitgedanken ihrer Erzählungen macht. Thusnelda Kühl beobachtete genau. Sie setzte sich mit dem Wandel in der Landwirtschaft auseinander, beschrieb den harten Alltag der Bauern und den Protest der „lüttjen Lüd“ in Zeiten der Industrialisierung. Auch das Aufbegehren von Frauen gegen die fest verankerten Rollenmuster war Thema von Thusnelda Kühl. Inspiriert durch Theodor Storm und Wilhelm Raabe, gewannen ihre Werke auch rasch an erzählerischer Vielschichtigkeit. Ihre Biografie über den nordfriesischen Revolutionär Harro Harring (1906) kombiniert auf innovative Weise wissenschaftliche und literarische Elemente, darüber hinaus schrieb sie einige politische Texte.

Thusnelda Kühl wenige Jahre vor ihrem frühen Tod

Autorin ohne Allüren

Viel Aufhebens machte sie nie um ihre Schriftstellerei: So wussten ihre Kinder lange Zeit gar nichts von ihrer literarischen Tätigkeit. 1935 starb Thusnelda Kühl mit 62 Jahren an den Folgen einer Operation in Rendsburg. Auch wenn Thusnelda Kühl heute kaum mehr gelesen wird, ist sie im Gedächtnis Nordfrieslands fest verankert. Kernthema ihrer Arbeit blieben zeitlebens die Marschlanden – „meine friesische Heimat, ihre stolze, ruhevolle Schönheit, ihr herber, hochmütiger, tüchtiger Menschenschlag“. 

Dr. Maike Manske (0323)

Dieses Porträt war Teil einer Serie, die im Vorfeld des 4.“Tages der Schleswig-Holsteinischen Geschichte“ am 2. September 2023 in Reinbek entstanden ist. Wie der Tag ist auch der Tagungsband „(UN)SICHTBAR – Frauen in der Geschichte Schleswig-Holsteins“ überschrieben

Quellen: Arno Bammé: Thusnelda Kühl – Die Dichterin der Marschen, München/Wien 1992; Manuela Junghölter: Thusnelda Kühl (1872–1935), Westküstenchronistin. In: Dies.: Starke Frauen aus Schleswig-Holstein, Gudensberg-Gleichen 2020, S. 33–35; Thusnelda-Kühl-Gesellschaft e.V. Oldenswort (https://web.archive.org/web/20131207180211/http://thusnelda-kuehl.de/ego.htm )

Bildnachweise: Porträts gemeinfrei; Pfarrhaus: Eiderstedter Heimatbund