Der Große Nordische Krieg in Schleswig-Holstein
Der Dritte oder „Große Nordische Krieg“ (Nordische Kriege) dauerte von 1700 bis 1721. Mit ihm endete die beherrschende Position Schwedens im Ostseeraum und es begann der Aufstiegs Russlands zur Großmacht. Das Kriegsgeschehen im Norden lief zeitlich und in der Sache phasenweise parallel zum ersten „Weltkrieg der Neuzeit“, zum Spanischen Erbfolgekrieg (1701 bis 1714). Dem dänischen König Friedrich IV. (*1671/1699 – 1730 †) und seinen politischen Ratgebernging es in dem Krieg vor allem darum, die „Gottorfer Frage“ zu lösen. Seit 1644 waren die Schleswig-Holstein-Gottorfer Herzöge immer wieder Koalitionen mit Schweden eingegangen. Ziel Dänemarks war es, die in königliche, herzogliche und gemeinsam verwaltete zersplitterten Teile der Herzogtümer Schleswig und Holstein zu einen. Am Ende des Krieges war der dänische König wieder alleiniger Herr über Schleswig. Den Gottorfern blieb nur noch Streubesitz im holsteinischen Teil. Das Ende des nordischen Krieges bedeutete damit den Beginn der Zeit des dänischen Gesamtstaats, der 1773 mit dem Verzicht auch auf ihre holsteinischen Territorien durch die Gottorfer vollendet war. Der Große Nordische Krieg war damit sowohl für den Ostseeraum als auch für Dänemark ein historischer Wendepunkt.
Vorgeschichte: die „Gottorfer Frage“ entsteht
Durch die Landesteilungen von 1544 und 1581 war die politische Landkarte der Herzogtümer bunt geworden. Der dänische König als Herzog von schleswig und Holstein und die Gottorfer Herzöge hatten Schleswig und Holstein Amt für Amt geteilt und verwalteten zudem auch noch Anteile gemeinsam. Trotzdem gelang es den Gottorfern, ein funktionierendes und wohlhabendes Territorium zu schaffen. Bedroht wurde es durch die kriegerischen Ambitionen Christian IV. (*1577/1596-1648†). Als dessen Politik mit dem Sundzoll Ende 1643 zum Angriff durch Schweden (Schwedisch-Dänischer Krieg) führte, versuchten die Gottorfer, ihre Territorien durch Neutralität vor dem Krieg zu schützen. Das gelang nur bedingt. Das Schwedische Königshaus wurde durch die Heiratspolitik der Gottorfer zu Verwandten und Schweden damit zu deren Schutzmacht im 17.Jahrhundert. Zunächst mit Erfolg. Nach dem Dänisch-Schwedischen Krieg (1655-1660) erreichten die Gottorfer sogar ihre Souveränität, waren also nicht mehr dem dänischen König als Lehnsherrn verpflichtet. Trotzdem versuchten die beiden Linien des Hauses Oldenburg in den Herzogtümern, ihr Miteinander friedlich zu organisieren.
Christian V. contra Gottorf
Das änderte sich, als Christian V. (*1646/1670-1699†) König wurde. Er drängte darauf, die nun so genannte „Gottorfer Frage“ zu lösen. Die Gelegenheit schien 1675 gekommen. In der Schlacht von Fehrbellin wurde Schweden als Verbündeter Frankreichs vernichtend geschlagen. Christian nutzte die Schwäche der Schutzmacht umgehend: Er setzte Herzog Christian Albrecht (1641*/1659-1694†) fest, zwang ihn im „Rendsburger Rezeß“, die eigene Souveränität aufzugeben, sein Heer aufzulösen und die Festung Tönning zu schleifen. Als der Herzog mit den ihm zusätzlich auferlegten Zahlungen nicht nachkam, rückte der König 1676 in dessen Territorien ein. Christian Albrecht floh nach Hamburg. Drei Jahre später erst konnte er zurückkehren. Der Krieg zwischen Frankreich und dem (Römischen) Reich war vorbei, die alten Rechte wurden wiederhergestellt. Anfang der 1680er Jahre kehrten sich die Verhältnisse um: Schweden stand nun gegen Frankreich, Dänemark an dessen Seite. 1682 nutzte Christian V. diese Gelegenheit, zog die schleswigschen Besitzungen der Gottorfer erneut ein und besetzte die holsteinischen. Der Herzog Christian Albrecht musste erneut fliehen. Der folgende Versuch König Christians, seinen Einfluss auf Hamburg auszudehnen, rief ein antidänische Allianz auf den Plan. Christian musste aufgeben, Hamburg in Ruhe lassen und wurde zudem gezwungen, 1689 die alten Rechte der Gottorfer wieder herzustellen.
Der spanische Erbfolgekrieg
1700 starb der spanische König Karl II. (1665-1700) kinderlos. Damit war diese Linie der Habsburger erloschen. Die Habsburger und das französische Königshaus Anjou meldeten Ansprüche an. Es ging um viel: neben Spanien selbst gehörten zum spanischen Reich große Teile Italiens, die spanischen Niederlande und große Teile Mittel- und Südamerikas. Das rief zusätzlich zu den europäischen Festlandsmächten die Seemächte England und die Niederlande auf den Plan. Nach wechselvollem Kriegsverlauf endete der Erbfolgekrieg 1713 mit einer neugeordneten Welt: Spaniens Thron ging an Philipp V., also an das französische Haus Anjou, die italienischen Besitzungen fielen an Österreich, das 1704 eroberte Gibraltar ging endgültig in englischen Besitz über, die südamerikanischen Kolonien blieben zwar spanisch, das Monopol auf den lukrativen Sklavenhandel fiel jedoch an Großbritannien. Die Engländer avancierten zum Herrn auf den Ozeanen und zum Schiedsrichter in Europa.
Der Nordische Krieg beginnt …
Seit 1699 regierte Friedrich IV. (*1671/1699-1730†) Dänemark. wie schon sein Vater wollte die „Gottorfer Frage“ lösen. Die Lage schien günstig: Der Kaiser und die Franzosen waren im Süden beschäftigt, Schweden vermeintlich schwach. König Karl XII. (*1882/1697-1718†) wurde mit seinen erst 18 Jahren nicht zugetraut, die schwedischen Interessen rund um die Ostsee zu schützen. Dänemark stellte sich an die Seite von Russland und Sachsen-Polen, denen es darum ging, den schwedischen Einfluss auf die Festlandsküste von Vorpommern bis nach Finnland zu beenden. Das Startsignal für Friedrich war der Einfall sächsisch-polnischer Truppen in Livland März 1700. Er ließ daraufhin die Gottorfer Anteile der Herzogtümer besetzen. Doch die Schweden und das mit ihnen verbündete Kurhannover marschierten darauf von Seeland und von Süden kommend in Dänemark und die Herzogtümer ein. England und die Niederlande schickten Schiffe, um Kopenhagen von See anzugreifen. Eine Chance, die Karl XII. gerne genutzt hätte. Doch seine Alliierten waren im Osten gebunden. So kam es am 18. August 1700 zum Frieden von Traventhal, in dem Friedrich IV. einlenken musste. Die Rechte Schleswig-Holstein-Gottorfs von 1689 wurden erneut bestätigt. Zudem wurde das Bündnis- und Befestigungsrecht ausdrücklich fixiert. Damit war – staatsrechtlich gesehen – das höchste Maß an Souveränität des Herzogtums erreicht.
… macht Pause
Das Kriegsgeschehen verlagerte sich nach 1700 wieder ins Baltikum. Die Truppen des vermeintlich schwachen Karl XII. besiegten noch im gleichen Jahr die Armee des Zaren, zogen weiter gegen Polen und Sachsen. Erst als er 1709 einen Winterfeldzug gegen Rußland wagte, verließ den jungen schwedischen König der Erfolg. An der Seite des schwedischen Königs war der Gottorfer Herzog Friedrich IV. (1671*/1694-1702†) in den Krieg gezogen. Er hatte Ehrgeiz und wollte seine Macht steigern. Um am schwedischen Feldzug teilnehmen zu können, wollte er sogar sein Herzogtum verpachten. Doch es kam nicht so weit. Friedrich IV. fiel im Juli 1702 in Polen während der Schlacht von Klissow. Sein Sohn Karl-Friedrich war erst zwei Jahre alt. Friedrichs Witwe Hedwig Sophie und sein Bruder Christian August (*1673-1726†), der spätere Lübecker Fürstbischof (Fürstbistum Lübeck), übernahmen die Vormundschaft. Doch nicht sie, sondern die geheimen Räte Magnus Wedderkop (*1637-1721†) aus Husum sowie der aus Hessen stammende Baron Heinrich von Schlitz, genannt Görtz (*1637-1719†), bestimmten die Politik. Das bedeutete: sie stritten darum. Wedderkop setzte aussenpolitisch auf Schweden, im Herzogtum auf striktes Sparen. Goertz dagegen, zunächst zuständig für Finanzen, erschloss ständig neue Steuerquellen, um den teuren Hof zu finanzieren. Auch setzte er auf die Neutralität Gottorfs. Der innere Machkampf wurde nach dem Tod von Hedwig-Sophie 1708 zugunsten von Goertz entschieden.
…. und kehrt zurück
1712 griffen die Schweden erneut an. Das Heer unter Magnus Graf Stenbock (*1664-1714†) landete auf Rügen, es stieß nach Mecklenburg vor und schlug im Dezember bei Gadebusch das dänische Aufgebot. Verfolgt von Truppen der wiederbelebten Allianz Russlands mit Sachsen-Polen, fielen die Schweden Anfang 1713 in die Herzogtümer ein. Das holsteinische Altona wurde niedergebrannt, als es die geforderte Brandschatzung nicht zahlen konnte, danach zogen die Schweden die Westküste hoch und verschanzten sich schließlich in der wiederaufgebauten gottorfischen Festung Tönning. Weil die Gottorfer den Schweden die Tore der Feste geöffnet hatten, war in den Augen des dänischen Königs eindeutig die Neutralität des Herzogtums gebrochen. Friedrich IV. ließ darauf im Frühjahr sämtliche Gottorfer Gebiete besetzen. Im Mai ergaben sich die Schweden den russischen und sächsischen Truppen. Die fremden Truppen verließen daraufhin das Land.
Görtz’ Doppelspiel fliegt auf
Die dänischen Truppen blieben rund um Tönning, das weiterhin von den Gottorfern gehalten wurde. Erst Februar 1714 waren die letzten Vorräte verbraucht, die Festung musste kapitulieren. Für die Gottorfer mehr als eine militärische Niederlage. Sie verspielten damit auch ihr Ansehen. Den Siegern fiel nämlich der gesamte Schriftverkehr in die Hände. Damit konnte das Ränkespiel Goertz’ entlarvt werden: die Gottorfer hatten einerseits mit Dänemark einen Neutralitätsvertrag geschlossen, gleichzeitig eng mit Stenbock zusammengearbeitet. König Friedrich ließ die Dokumente umgehend drucken und in Umlauf setzen, um an den europäischen Höfen gegen eine Wiederherstellung des Herzogtums Gottorf Stimmung zu machen.
Frieden in zwei Raten
Nach den Friedensschlüssen am Ende des Spanischen Erbfolgekrieges 1713/14 wurde die dänische Position weiter gestärkt. Brandenburg-Preußen und Hannover schlossen sich nun einer Koalition gegen Schweden an. Hannover erhielt das 1712 von Dänemark eroberte Stift Bremen (zuvor seit 1648 schwedischer Besitz) und garantierte im Gegenzug den Besitz von Schleswig. Erst nach dem Tod Karls XII. 1718 kam es durch zweiseitige Verträge – in einer Art zweiten Rate – zum endgültigen Frieden. Der Prozess zog sich bis 1721 hin. Entscheidend für Dänemark und die Herzogtümer wurde der Frieden von Frederiksborg vom 3. Juli 1720, den Engländer und Franzosen vermittelten. Dänemark wurde zwar für seine Verluste entschädigt, musste jedoch Wismar und das von ihm besetzte westliche Vorpommern den Schweden zurückgeben. Auch erhielt es die bereits 1658 verloren gegangenen Gebiete östlich des Öresunds nicht zurück. Doch Schweden wurde nach 68 Jahren wieder verpflichtet, Sundzoll zu zahlen und musste garantieren, sich nie wieder auf Seiten der Gottorfer zu engagieren. Dänemark erhielt den Besitz der herzoglichen Anteile in Schleswig und Holstein garantiert. Dagegen intervenierte der Deutsche Kaiser. Als Lehnsherr über Holstein setzte er durch, dass die Gottorfer zumindest ihre holsteinischen Anteile behalten durften. Kiel wurde damit zur neuen Residenz des Duodezfürstentums, von Schleswig-Holstein Gottorf blieb nur Holstein-Gottorf übrig.
Gewinner und Verlierer
Mit dem Großen Nordischen Krieg begann Russlands Aufstieg zur Großmacht. Auch Brandenburg-Preußen wurde nun nicht nur für die Ostseeregion bedeutend. Damit ging der Einfluss der drei bisher dominierenden Ostseemächte Schweden, Dänemark und Polen weiter zurück. König Friedrich IV. ließ sich am 22. August 1721 in den ehemals gottorfischen Anteilen Schleswigs huldigen. Strittig ist in der Geschichtsschreibung, ob er damit das Herzogtum Schleswig zum Teil des dänischen Königreiches machte oder nicht: fraglich bleibt, ob die vom König verkündete Absicht schon als deren Vollzug gewertet werden muss. Inzwischen neigt man in der Diskussion dazu, die Huldigung als offiziellen Abschluss der mit der Besetzung 1713 schon vollzogenen Übernahme der Macht im Herzogtum Schleswig zu interpretieren.
PS: in Sache Goertz und Wedderkop
Die Kapitulation Tönnings 1714 war für Magnus Wedderkop ein freudiges Ereignis. 1709 hatte Goertz ihn zurück auf Gottorfer Gebiet gelockt und ihn in Tönning festsetzen lassen. Dort sollte er, im Fall einer Kapitulation, auf jeden Fall getötet werden. Doch Goertz’ Befehl wurde nicht ausgeführt, Wedderkop kam frei und wurde 1719 vom inzwischen mündigen Gottorfer Herzog rehabilitiert und entschädigt. Sein Rivale Goertz ging unterdessen nach Schweden, um dort für eine Wiederherstellung der alten Gottorfer Rechte zu werben. Er gewann das Vertrauen Karls XII. und stieg zu dessen Berater auf. Wie schon in seiner Gottorfer Zeit versuchte er auch in Schweden durch eine rücksichtslose Steuer- und Münzpolitik, den Krieg seines neuen Herrn zu finanzieren. Als Karl XII. 1718 fiel, war auch das Ende von Goertz gekommen. Der in Schweden verhasste Baron wurde verhaftet, zahlreicher vermeintlicher oder tatsächlicher Vergehen angeklagt und März 1719 enthauptet.
-ju-(TdM 0804/0904/ 0721)
Quellen: Ulrich Lange (Hrsg.),Geschichte Schleswig-Holsteins – Von den Anfängen bis zur Gegenwart (SHG), 2. verbesserte und erweiterte Ausgabe, Neumünster 2003, Wachholtz Verlag, ISBN 3-529-02440-6; Jörg Rathjen in Jann Markus Witt und Heiko Vosgerau (Hrsg.), Schleswig-Holstein von den Ursprüngen bis zur Gegenwart – Eine Landesgeschichte, Hamburg, 2002, Convent-Verlag, ISBN 3-934613-39-X;Klaus-Joachim Lorenzen-Schmidt und Ortwin Pelc (Herausgeber), Schleswig-Holstein Lexikon, 2. erweiterte und verbesserte Auflage, 2006, Neumünster, Wachholtz-Verlag, ISBN 13: 9-783529-02441-2
Bildquellen: Vignette/König Friedrich IV: Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum, Gottorf; Karten 1660/1713: Erwin Raeth; Herzog Friedrich IV/Tönning/Huldigung: Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek (SHLB), Kiel; Frakturstreit: Schleswig-Holsteinisches Landesarchiv, Schleswig (LAS)