In Schleswig-Holstein spiegelt sich ein wesentlicher Grundzug der deutschen Pressegeschichte: Selbst nachdem Berlin 1871 Hauptstadt geworden war, blieb es bei einer vor allem dezentralen Struktur der Presselandschaft. Anders als in Frankreich und Großbritannien bildete sich keine dominierende „Hauptstadtpresse“ heraus. 1926 erschienen in 2.006 Orten in Deutschland 3.241 Titel. Auch nördlich der Elbe gab es kein Zentrum mit großer Strahlkraft, mit dem sich alle Schleswig-Holsteiner identifizieren konnten. So entwickelte sich hier ebenfalls eine dezentrale, regionale, ja lokale Zeitungslandschaft. Die Vielzahl war jedoch nicht gleichbedeutend mit Vielfalt. Die – soweit sie bestand – wurde spätestens 1933 mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten beendet.
Die ersten Zeitungen …
Im Jahre 1605 erschien in Straßburg die erste Zeitung der Welt mit dem umständlichen Titel: ‚Relation aller fürnemmen und gedenckwürdigen Historien’. 1616 bereits folgte ein Blatt in Hamburg. Von der Hansestadt aus sprang der „Funke“ über. Wohl 1630 kam in Wandsbek die erste Zeitung auf – damals noch – schleswig-holsteinischem Boden heraus. Altona kann für eine Zeit lang sogar als Mittelpunkt des schleswig-holsteinischen Pressewesens angesehen werden. Vor allem zwei Zeitungen wurden nicht allein in den Herzogtümern beachtet, sondern wirkten auch in anderen Teilen des dänischen Gesamtstaats: der ‚Altonaer Mercur’ und der ‚Reichspostreuter’. Einige Jahrzehnte später erhielten auch Schiffbek (1721), Glückstadt (1740) und die Hansestadt Lübeck (1751) Zeitungen, Kiel folgte 1778. In den größeren Städten des Herzogtums Schleswig, so in Hadersleben, Flensburg und Schleswig, erschienen seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eigene Blätter. Das Zeitalter der Aufklärung beflügelte die Verbreitung gedruckter Nachrichten.
… erobern das flache Land
Von etwa 1800 an gab es auch in kleineren Orten Zeitungen. So ließ am 27. Juni 1799 die Friedrichstädter Druckerei Bade & Fischer einige Seiten im damals für Zeitungen üblichen Gesangbuch-Format erscheinen und gab ihnen den Titel ‚Unterhaltung für Friedrichstadt und die angränzende Gegend‘. Das Blättchen enthielt einige im Plauderton geschriebene Aufsätze, heute als weitschweifig empfundene Erzählungen und so genannte „Intelligenznachrichten“. Das waren amtliche und private Bekanntmachungen. Das neue Medium bot nun auch Autoren aus der Region die Chance, ihre ersten Texte gedruckt zu sehen. Der junge Friedrich Hebbel (*1813-1863†) veröffentlichte im Nachfolgeblatt, dem ‚Dithmarscher und Eiderstedter Boten’, seine ersten Poesien, Theodor Storm (*1817-1888†) als Primaner sein erstes Prosastück, weitere frühe Arbeiten dann im ‚Gemeinnützigen Wochenblatt für Husum und die umliegende Gegend’.
Die „Intelligenzblätter“ …
Im Unterschied zu Altona handelte es sich hier aber nicht um politische Zeitungen, sondern zumeist um „Intelligenzblätter“, die sich aus der Politik heraushielten und vorwiegend Bekanntmachungen und Anzeigen druckten, zum Beispiel über Gerichtssachen, Getreidepreise oder Todesfälle, und vor allem Lesestoff bieten sollten. Heinrich August Meyler, Buchdrucker in Husum und Herausgeber des Wochenblatts, versicherte in jeder Neujahrsausgabe, „angenehme Unterhaltung“ sei der einzige Zweck des Blattes; Beiträge würden gern aufgenommen, sofern sie nicht beleidigenden oder politischen Inhalts seien. Ein königliches Privileg erhielten die Zeitungsgründer in der Regel nur gegen die Versicherung, sich in politischer Enthaltsamkeit zu üben. Aber auch ein „politisches Blatt“ wie der ‚Altonaer Merkur’ legte größten Wert auf die „Maxime der Unparteylichkeit“.
… werden politisch
Seit den 1830er und in den 1840er Jahren, als auch in den Herzogtümern sich liberale und nationale Gedanken immer mehr verbreiteten, nahmen sich die Zeitungen zunehmend politischer Themen an. Sie entwickelten sich zu Trägern der öffentlichen Meinung und öffneten ihre Spalten auch kritischen Stimmen. Der wachsende Einfluss zeigte sich vielerorts rein äußerlich durch nun größere Formate. Fast alle wichtigeren Orte Schleswig-Holsteins verfügten mittlerweile über Presseorgane. Erst durch sie wurde die Teilhabe breiterer Schichten an der Politik möglich. Sie lieferten Informationen und schufen ein Forum für die Diskussion öffentlicher Angelegenheiten.
Der Staat als Zensor
Hinderlich dabei wirkte indes die Pressezensur, die je nach politischer Lage mal moderat, mal streng ausgeübt wurde. Zuerst aufgehoben wurde sie 1770 durch den in Kopenhagen zur Macht gelangten Minister Johann Friedrich Struensee (*1737-1772†), der aber bald gestürzt wurde. Die Karlsbader Beschlüsse von 1819 brachten für Holstein und dann auch für Schleswig eine verschärfte Zensur. Ausgeübt wurde sie von der örtlichen Polizei im Zusammenwirken mit der jeweiligen Oberbehörde. Sie fanden manch Beanstandenswertes und verhängten gelegentlich Geldstrafen. Doch von einer despotisch ausgeübten Zensur kann keineswegs die Rede sein. Im Unterschied zu Staaten des Deutschen Bundes oder Dänemark wanderte damals kein einziger Redakteur oder Verfasser ins Gefängnis. Auch Berufsverbote wurden nicht ausgesprochen. Seit 1846 der „offene Brief“ zur Thronfolgefrage veröffentlicht wurde, spitzte sich die politische Diskussion zu, und die Zensurpraxis wurde schärfer.
Freie Presse als Intermezzo
Erst das Revolutionsjahr 1848 brachte die Pressefreiheit. In kürzester Zeit entstanden 19 neue Zeitungen, in Rendsburg vor allem die ‚Schleswig-Holsteinische Zeitung’, in der ein später berühmter Mann namens Theodor Mommsen (*1817-1903†) beißende Kritik an den herrschenden Verhältnissen übte, und ‚Das Volk’, die für kurze Zeit der aus Nordfriesland stammende Revolutionär Harro Harring (*1798-1870†) prägte. Mit dem Scheitern der Revolution 1851 kehrte die Zensur zurück. Mehrere Blätter wurden verboten.
Überörtliche Regionalblätter
Wo in Schleswig-Holstein entstanden Blätter, die über ihren Druckort hinaus bedeutend wurden? Sie entwickelten sich vor allem an den Brennpunkten des politischen Geschehens. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gilt dies insbesondere für Itzehoe, seit 1835 Sitz der holsteinischen Ständeversammlung. Das von Peter Samuel Schönfeldt herausgegebene ‚Itzehoer Wochenblatt’ war mehrere Jahre lang das meistgelesene und meinungsbildende Blatt im Lande. Aber auch in Schleswig als Tagungsort der schleswigschen Ständeversammlung erschien eine beachtete Zeitung. In Rendsburg nahm im Revolutionsjahr 1848 die Provisorische Regierung (Erhebung) ihren Sitz. Noch viel später, als Itzehoe und Rendsburg überregional längst unbedeutend waren, formulierten die dortigen Presseorgane ihren landesweiten Anspruch. Schleswig behielt seine politische Bedeutung auch nach dem Übergang zu Preußen, weil hier der Regierungspräsident ansässig wurde. In Kiel, wichtig auch als Sitz der Landesuniversität (Christian-Albrechts-Universität), etablierte sich der Oberpräsident. Zu den wichtigsten Zeitungsstädten Schleswig-Holsteins zählte bereits früh Flensburg, größte Stadt des alten Herzogtums Schleswig; hier machte sich der deutsch-dänische Gegensatz in besonderer Weise geltend und bestimmte zeitweise auch die Publizistik.
Die Gründerzeit
Die Jahrzehnte nach dem deutsch-dänischen Krieg 1864 (2. Schleswigscher Krieg), der Annexion Schleswig-Holsteins in Preußen 1867 und der Gründung des Deutschen Reichs 1871 folgte auch eine „Gründerzeit“ der Zeitungen. Ausgelöst und ermöglicht wurde sie durch den wirtschaftlichen Aufschwung, den technischen Fortschritt, den Ausbau der Bildungseinrichtungen und das wachsende Informationsbedürfnis der Bevölkerung. In Schleswig-Holstein erhielten jetzt auch viele kleine und kleinste Orte „ihre“ Zeitung. Und in nicht wenigen Kleinstädten entstanden sogar Konkurrenzorgane. Die politische Zentralisierung nach 1871 wirkte sich also nicht auf die dezentrale Struktur im Pressewesen aus. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg erreichte die Zahl der Presseerzeugnisse auch in Schleswig-Holstein ihren Höhepunkt.
Vielzahl – aber kaum Vielfalt
Die Vielzahl der Zeitungen war jedoch nicht gleichbedeutend mit einer Vielfalt des publizistischen Angebots und der Meinungen. Man war „national“ und kaisertreu, übte nur selten grundsätzliche Kritik. Mancher „Schriftleiter“ begnügte sich damit, für den politischen Teil aus größeren Zeitungen Artikel auszuschneiden und ins eigene Blatt zu heben. Der Lokalteil bestand häufig aus Meldungen von geringem oder geringstem Belang. Dennoch erfüllten die örtlichen Zeitungen mit ihren Nachrichten und nicht zuletzt mit ihren Anzeigen eine wichtige Aufgabe als Vermittler von Informationen.
Manche Zeitungen waren eindeutig einer politischen oder weltanschaulichen Richtung zuzuordnen. Dies gilt insbesondere für die sozialdemokratischen Blätter. 1877 wurde in Kiel die ‚Schleswig-Holsteinische Volks-Zeitung’ gegründet, die aber schon nach kurzer Zeit aus wirtschaftlichen Gründen und als Folge der „Sozialistengesetze“ ihr Erscheinen für mehrere Jahre einstellen musste. Sie erschien erst wieder von 1893 an. Die dänische Bewegung gründete Zeitungen an verschiedenen Orten. Als wichtigste und dauerhafte entstand 1869 ‚Flensborg Avis’. Christliche Inhalte vermittelte seit 1874 für einige Jahre die vom Begründer der Breklumer Missionsgesellschaft, Christian Jensen (1839-1900), herausgegebene ‚Neue Zeitung’.
Trügerische „Pressefreiheit“
Das Reichspressegesetz von 1874 gewährleistete für ganz Deutschland die Pressefreiheit. Die Wirklichkeit sah aber oftmals anders aus. Vor allem sozialdemokratische Redakteure mussten immer wieder Gefängnisstrafen verbüßen. Der Redakteur von ‚Flensborg Avis’, Peter Simonsen, brachte es auf insgesamt 33 Monate. Obrigkeitstreue Zeitungen hingegen konnten auf Unterstützung durch die Regierung hoffen. Reichskanzler Otto von Bismarck (*1815-1898†) setzte dafür auch in Schleswig-Holstein Geldmittel aus seinem „Reptilienfonds“ ein. Erst die Weimarer Republik brachte 1919 weitgehend Presse- und Meinungsfreiheit. Doch weiterhin suchte der Staat auf die Presseentwicklung Einfluss zu gewinnen, und vor allem in Krisenzeiten kam es zu Zeitungsverboten.
Viele kleine Zeitungen
Im Jahre 1926 erschienen in der preußischen Provinz Schleswig-Holstein an 63 Verlagsorten etwa 80 Zeitungen. Die Gesamtauflage lag bei rund 375.000 Exemplaren; die durchschnittliche Auflage einer Zeitung kann mit rund 4.500 beziffert werden. Auf rund vier Einwohner in Schleswig-Holstein entfiel damit ein Zeitungsstück, womit die Provinz im Deutschen Reich immerhin an achter Stelle lag. Die „Zeitungsdichte“ war damit für ein ländlich strukturiertes Gebiet recht hoch. Es kam hinzu, dass in der Provinz natürlich auch überregional verbreitete und – besonders im Umland der Hansestadt – Hamburger Zeitungen gelesen wurden. Die kleine Provinzpresse prägte die schleswig-holsteinische Zeitungslandschaft. Zwei Drittel aller Blätter kamen über eine Auflage von 3.000 Exemplaren nicht hinaus; fast die Hälfte davon produzierte sogar nur Miniaturauflagen von weniger als 1.000 Stück. Von 14 Zeitungen wurden zwischen 3.000 und 7.000 Exemplaren gedruckt, sieben Blätter erschienen mit 7.000 bis 10.000 Stück. Auf mehr gedruckte Exemplare brachten es nur sieben Zeitungen. Deren Erscheinungsbild glich sich langsam dem aus der Gegenwart gewohnten an. Die bis dahin ungegliederten, hintereinander fortlaufend in Spalten gedruckten Berichte wurden nun „umbrochen“. Über ein-, zwei- oder dreispaltige Artikel setzten Redakteure Überschriften. Es entwickelte sich das, was wir heute „Layout“ nennen.
Die Großen unter den Kleinen
Die größte Zeitung in der Provinz waren die ‚Kieler Neuesten Nachrichten’ mit einer Auflage von vielleicht 65.000 Exemplaren. Sie firmierten als „unabhängig national“ und wurden von den Regierungsbehörden als der reaktionären „Deutschnationalen Volkspartei“ nahe stehend eingestuft. Nicht ohne zu übertreiben warb sie für sich als die „seit Jahrzehnten beliebteste und verbreiteste Zeitung in der Provinz Schleswig-Holstein“. Den Ehrgeiz, die führende Zeitung in Schleswig-Holstein, das eigentliche „Landesblatt“ zu sein, entwickelten jedoch noch andere, vor allem das „national“, „rechts“ eingestufte ‚Rendsburger Tageblatt’, das diesen Anspruch mit seinem Haupttitel „Schleswig-Holsteinische Landeszeitung“ unübersehbar deutlich machte. Stolz wies es darauf hin, mit etwa 24.000 Exemplaren die zweitgrößte Tageszeitung in Schleswig-Holstein zu sein – ein Anspruch, der ihm bald vom ‚Nordischen Kurier’ in Itzehoe, eingeordnet als der liberalen „Deutschen Demokratischen Partei“ (DDP) zuneigend, streitig gemacht wurde. Über etwa genauso viele Leser verfügte die in Kiel erscheinende sozialdemokratische ‚Schleswig-Holsteinische Volks-Zeitung’, die sich als das „führende politische Blatt der Provinz Schleswig-Holstein“ präsentierte.
Auch deutlich kleinere Zeitungen schmückten sich mit angeblich landesweiter Bedeutung, so die zunächst als liberal firmierende ‚Kieler Zeitung’ („Landeszeitung für Schleswig-Holstein“) mit einer Auflage von 1926 noch etwa 15.000, oder die ‚Itzehoer Nachrichten’ („Landesblatt Schleswig-Holsteins“), damals der rechtsliberalen Deutschen Volkspartei (DVP) nahe stehend und 8.000 Exemplare Auflage angebend. Selbst die sich als nationalliberal bezeichnenden ‚Schleswiger Nachrichten’ mit nur rund 6.000 Exemplaren hefteten sich das Etikett „Landesblatt für die deutsche Nordmark“ an. Die rechts stehenden ‚Flensburger Nachrichten’ mit einer Auflage von immerhin 17.000 begnügten sich mit der Selbstbezeichnung „führendes Organ in Flensburg und im gesamten Schleswigschen“.
Trotz solcher Bemühungen konnte sich aber keine Zeitung als wirkliches Landesblatt für Schleswig-Holstein durchsetzen. Außerhalb ihrer Kerngebiete verfügten sie letztlich nur über vereinzelte Leser – am meisten noch die ‚Kieler Neuesten Nachrichten’, während die ‚Schleswig-Holsteinische Volks-Zeitung’ außerhalb der organisierten Sozialdemokratie nur wenig Anhang fand.
Wenige Meinungen in vielen Blättern
Von der publizistischen Vielfalt her waren Flensburg und Kiel die „Zeitungsstädte“ der Provinz Schleswig-Holstein, während die Blüte des Altonaer Pressewesens im Schatten Hamburgs längst vergangen war. Kamen in Kiel drei Zeitungen heraus, so waren es in Flensburg sogar fünf, darunter die sozialdemokratische ‚Flensburger Volks-Zeitung’ und die beiden Blätter der dänischen Minderheit: ‚Flensborg Avis’ warb in dänischer, ‚Der Schleswiger’ in deutscher Sprache für prodänische Ziele. In den letzten Jahren der Weimarer Republik rückte auch Itzehoe in den Blickpunkt. Neben zwei bürgerlichen Blättern kamen hier seit 1929 die ‚Schleswig-Holsteinische Tageszeitung’ der NSDAP und die Zeitung ‚Das Landvolk’ der Landvolkbewegung heraus. Auch in der Hansestadt Lübeck gaben die Nationalsozialisten ein Kampfblatt heraus, den ‚Lübecker Beobachter’, außerdem erschienen hier der bürgerliche ‚Lübecker Generalanzeiger’ und der sozialdemokratische ‚Lübecker Volksbote’.
Auch in neun weiteren, zum Teil sehr kleinen Orten der Provinz gab es 1926 zwei oder sogar drei Zeitungen. Hatten die Blätter ihre Interessen nicht voneinander abgegrenzt, so konnte es zu harten Konkurrenzkämpfen um Abonnenten und, seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmend wichtig, um Anzeigenkunden kommen. Gerne schmückten die Klein- und Kleinstverleger ihre Zeitungen daher mit Werbesprüchen wie „die verbreitetste Zeitung am Orte“ oder „Haus bei Haus gelesen“, was nicht immer der Wirklichkeit entsprechen musste. In seinem Roman „Bauern, Bonzen und Bomben“ hat Hans Fallada (*1893-1947†) dieses Motiv aufgenommen; er war 1929 selbst als Annoncenwerber und Lokalreporter beim ‚General-Anzeiger’ in Neumünster tätig gewesen.
Vor allem kleine und kleinste Zeitungen, von denen viele als Wochenblätter entstanden waren, wurden 1926 vielfach nur zweimal (neun von 80) oder dreimal (18 Zeitungen) in der Woche herausgegeben. Zwei Blätter kamen an vier Tagen heraus. Sechsmal wöchentlich erschienen 50 Presseerzeugnisse, die ‚Kieler Zeitung’ als einzige sogar zunächst noch mit zwei Ausgaben täglich.
Die Presse schaltet sich gleich
Kann nun die Vielzahl der Zeitungen in Schleswig-Holstein während der Weimarer Republik mit publizistischer Vielfalt gleichgesetzt werden? Diese Frage ist bisher nur selten detailliert untersucht worden. Aber alles spricht dafür, dass sie verneint werden muss. Die meisten Zeitungen firmierten zwar als „unabhängig“, „bürgerlich“ oder „national“. In aller Regel standen sie aber der Weimarer Republik kritisch gegenüber und unterstützten mehr oder weniger offen die Rechtsparteien. Und immer weiter nach rechts ging der Kurs. Bereits im September 1931 gelangte der Schleswiger Regierungspräsident Waldemar Abegg (*1873-1961†) zu der Beurteilung, dass keine bürgerliche Zeitung in Schleswig-Holstein klar gegen den Nationalsozialismus Stellung bezog. Manche Redaktion hatte sich bereits selbst „gleichgeschaltet“, bevor 1933 die Presse in die Zwangsjacke gesteckt wurde.
Konzentration im „Dritten Reich“
Während der NS-Diktatur ging die Zahl der Zeitungen in Schleswig-Holstein deutlich zurück. In nationalsozialistischer Sicht spiegelte sich in der Vielzahl die „Aufspaltung des deutschen Volkes in unzählige Weltanschauungs- und Parteigruppen bis an die Grenze des Wahnsinns“ – eine Einschätzung, die keineswegs den Tatsachen entsprach. Im Zeichen der Gleichschaltung und Vereinheitlichung mussten nicht wenige Verleger ihre Zeitungen zwangsweise verkaufen, einige gingen unmittelbar in den Besitz der NSDAP über. Die sozialdemokratischen Blätter wurden 1933 verboten. Aus „kriegswirtschaftlichen Gründen“ hörten im Zweiten Weltkrieg zahlreiche weitere Zeitungen zu bestehen auf. So mussten auf Geheiß der Reichspressekammer im Mai 1941 in ganz Deutschland 550 Blätter ihr Erscheinen einstellen. Weitere Stilllegungswellen folgten nach der Kapitulation in Stalingrad 1943 und dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944. Im Dritten Reich waren alle Zeitungen strikten Direktiven unterworfen. Die dänische Zeitung ‚Flensborg Avis’ konnte als einziges Blatt in Deutschland eigenständig berichten, war indes auch Einschränkungen und Pressionen ausgesetzt.
Neuanfang nach 1945
Auf Anordnung der britischen Besatzungsmacht stellten im Mai 1945 so gut wie alle Zeitungen ihr Erscheinen ein. Zunächst kamen nur Nachrichtenblätter in der Regie der Militärregierung heraus. Von 1946 an vergaben die Engländer Lizenzen für Zeitungen. Damit begann ein neues Kapitel in der Pressegeschichte Schleswig-Holsteins.
Prof. Dr. Thomas Steensen (TdM 0605/0721)
Tipp: Der Prozess des Wechsels von der Fraktur- zur Antiquaschrift ist im Stichwort Schriftenstreit ausführlich dargestellt
Literaturangaben: Rudolf Bülck, Geschichte des Zeitungswesens in Schleswig-Holstein, in: Zeitungsverlag, 29. Jg., Nr. 19 vom 12. Mai 1928, S. 135-140; Rudolf Bülck, Das schleswig-holsteinische Zeitungswesen von den Anfängen bis zum Jahre 1789, Flensburg 1928; Bärbel Cöppicus-Wex, Die dänisch-deutsche Presse 1749-1848. Presselandschaft zwischen Ancien Régime und Revolution, Bielefeld 2001; Uwe Danker, Die Jahrhundert-Story, Bd. 3, Flensburg 1999 (zur Zeitungsgeschichte S. 228-247); Mario Göhring, Von Zeitungsverboten, Gleichschaltung und dem Kampf um die Leserschaft, Methoden der Nazifierung der Presse zwischen 1930 und 1934 am Beispiel ausgewählter Zeitungen aus Kiel, Lübeck und Flensburg, Kiel 1994; Jette D. Søllinge, Niels Thomsen, De danske aviser 1634-1989, 3 Bde, Odense 1988-1991; Thomas Steensen, „In Land und Stadt das Heimatblatt“, Zur Zeitungslandschaft in Schleswig-Holstein – insbesondere Nordfriesland – während der Weimarer Republik, in: Mare Balticum. Festschrift zum 65. Geburtstag von Erich Hoffmann, Sigmaringen 1992 (Kieler Historische Studien, 36), S. 391-412; Thomas Steensen, Zeitungen, in: Heimatforschung in Schleswig-Holstein. Handbuch für Chronisten, Regionalforscher und Historiker, Husum 2001, S. 34-36; Henning Unverhau, Pressefreiheit, Pressefrechheit und Zensur in Schleswig-Holstein in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: ZSHG 121 (1996), S. 45-78; Auskünfte des Archivs der Hansestadt Lübeck (Kerstin Letz).
Die größte Sammlung schleswig-holsteinischer Zeitungen besitzt die Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek in Kiel.
Bildquellen: Titel und Vignette aus den Beständen der Schleswig-Holsteinischen Landesbilbliothek in Kiel (SHLB)