Mit seinen 95 Thesen gegen den Ablasshandel vom 31.10.1517 löste Martin Luther (*1483-1546†)die Reformation aus. Sie erfaßte schnell weite Teile Deutschlands. Am 9.3.1542 wurde sie auch in den Herzogtümern durch die Annahme der von Johannes Bugenhagen (1485 – 1558) erarbeiteten lutherischen Kirchenordnung auf einem Landtag in Rendsburg vollendet. Luthers Schriften veränderten die „alte Welt“. Sie führten vor allem unter Priestern und Mönchen zu einem Bruch mit dem alten Glauben, änderten die Grundlagen ihrer Existenz und führten auch im Volk zu einer neuen geistigen und geistlichen Orientierung. Der Prozess der Reformation im Norden verlief nicht gradlinig und auch nicht ohne Spannungen. Im Ergebnis vollzog er sich, ausgehend von den Städten, jedoch ruhiger als im Süddeutschen und spaltete die Christen im Land nicht.
Der Beginn in Husum
Im Norden setzte sich die Reformation von Husum aus durch. Wahrscheinlich Anfang der 1520er Jahre wurde dort erstmals lutherisch gepredigt. Allerdings war die Kirche dafür zunächst nicht geöffnet, sondern die neue Lehre wurde unter freiem Himmel und im Hause des Husumer Bürgers Matthias Knutzen verbreitet. 1527 war die Reformation in Husum vollendet. Die Geistlichkeit hatte die Kirche für die lutherische predigt zu öffnen, ferner musste sie einem Vertrag mit der Bürgerschaft zustimmen, der die Katholische Messe untersagte und als Ordnung des Gottesdienstes Luthers Deutscher Messe (1526) vorschrieb. Die Vorgänge in Husum sind verbunden mit Hermann Tast (*1490 – 1551†), der als Vikar an der Marienkirche der lutherischen Lehre begegnete. Sicher war Tast derjenige, der die neue Lehre letztendlich durchgesetze, wie er auch nach 1527 in beiden Herzogtümern eine wichtige Rolle gespielt hat. In kritischer Würdigung der historischen Quellen muss allerdings die Frage gestellt werden, ob Tast auch derjenige war, der als erster evangelisch gepredigt hat (Albert Panten). Mit ihm oder wahrscheinlich vor ihm hat Theodoricus Pistorius die neue Lehre verbreitet. So bemerkt der Chronist Peter Sax: „Magister Theodoricus Pistorius … hat als erster angefangen, die priesterliche Tyrannei bloßzustellen …“. Weitere Hinweise untermauern, dass es Pistorius war, der sich bei König Friedrich und dessen Sohn Christian dafür verwendete, dass Tast – obwohl dieser zauderte – als Prediger an der Husumer Kirche amtieren durfte. Die Rolle des Pistorius, der zehn bis 15 Jahre jünger als Tast gewesen sein dürfte, wird in späteren Quellen wohl deshalb nicht mehr gewürdigt, weil er bereits 1529 am „englischen Schweiß“ verstorben war.
Evangelische Predigt in Holstein
In Holstein traten erste, von Luther beeinflusste Prediger wohl 1523 in den Elbmarschen, Wilster und Krempe, auf. Das mag mit der Nähe Stades zu tun haben, dessen Prämonstratenserkloster sich früh der Reformation geöffnet hatte. Ferner wird von Wanderpredigern berichtet, die – über Hamburg hinaus – seit 1522 in Stormarn und Lübeck sowie im Herzogtum Lauenburg evangelisch predigten. Für Itzehoe wird die erste evangelische Predigt auf das Jahr 1525 datiert. Als Reformator Flensburgs gilt Gerhard Slewart (*vor 1492-1570†), Pfarrherr an St. Nikolai, der 1526 evangelisch zu predigen begann. Wie Tast übernahm auch er kirchenleitende Aufgaben und war bis zu seinem Tod Superintendent in Flensburg.
Für Schleswig, Sitz des Bischofs, wurden auf Ersuchen eines Teils der Bürgerschaft 1525 der Wittenberger Theologe Marquart Schuldorp und nach dessen Tod 1529 der Westfale Reinholt Westerholt (*1493-1554†) als evangelische Prediger berufen. 1540 zum Propst auf Gottorf ernannt, hatte Westerholt dieses Amt jedoch nur zwei Jahre inne, bis zur Einsetzung des ersten evangelisch-lutherischen Bischofs im Herzogtum Schleswig, Tilemann von Hussen.
Von einem “Sieg der Reformation” kann allerdings vor 1533 nicht gesprochen werden. Nach dem politischen Scheitern und der Vertreibung seines Neffen Christian II. herrschte Friedrich I. (*1471/1490Herzog/1523König-1533†) als dänischer König und Herzog über beide Landesteile. Er war zwar gewillt, auf Beschwerden der Stände gegen den Missbrauch geistlicher Macht einzugehen, doch reagierte er so, dass es nicht zum Konflikt mit der römischen Kirche kam. Im Gegensatz zum Zögern des Königs war es dem Adel (der Ritterschaft) frühzeitig klar, dass er davon profitieren würde, wenn die Kirche auf ihren seelsorgerischen Auftrag beschränkt würde. Insbesondere auf dem Landtag von 1526 wurden die Prälaten (der hohe Klerus) deshalb unter Druck gesetzt. Das führte dazu, dass der Klerus enteignet und die Besitz- und Machtverhältnisse im Lande völlig neu geordnet wurden. Zum ersten Mal musste nun auch die Kirche Steuern, die “Bede” zahlen. Der Landesherr bekam nun mehr Einnahmen, er und die Ritterschaft bekamen zusätzlich ehemaliges Kirchenland.
Gegner von außen
Die Reformation verlief nicht als gradliniger Prozess. Das zeigte sich am eindrücklichsten in Dithmarschen. Das Selbstbewußtsein der Bauernrepublik hatte durch den Sieg in der Schlacht bei Hemmingstedt 1500 erheblichen Aufwind erfahren. Kirchlich wurde in den Folgejahren der Konflikt mit dem Hamburger Dompropsten aufgenommen, dem Dithmarschen, das nominell zum Erzbistum Bremen gehörte, unterstellt war. Die Konsequenz war, dass sich spätestens 1523 die beiden bedeutenden Kirchen in Meldorf und Wesselburen der evangelischen Predigt öffneten. Die Situation war allerdings wenig gefestigt. Das zeigt das Martyrium des Heinrich von Zütphen (geboren um 1488). Wie Luther Augustinermönch, begegnete er diesem 1520 in Wittenberg und schloss sich der Reformation an. Über Bremen kam Zütphen, einer Bitte Meldorfer Bürger folgend, im November 1524 nach Meldorf, um als evangelischer Prediger zu wirken. Doch kaum zwei Wochen später legte sich das Netz einer Verschwörung des Hamburger Domkapitels und der Dominikanermönche aus Meldorf und Lunden um ihn. Durch aufgebrachte Bauern aus Hemmingstedt wurde Zütphen nach Heide verschleppt, dort erschlagen und verbrannt.
Gegner von innen
Einer Gefahr anderer Art sah sich die lutherische Reformation von innen her ausgesetzt. Es handelte sich um das Auftreten von Predigern, oft Laien, die einen wesentlichen Punkt der Wittenberger Theologen nicht mitvollzogen: Sie folgten nicht der später als „Zweireichelehre“ systematisierten Annahme Luthers, dass der Christ in seinem geistlichen Tun Gott, in seinem weltlichen Handeln jedoch der Obrigkeit verantwortlich ist. Diese Lehre stand im Gegensatz zu jenen Anhängern der Reformation, die von evangelischer Predigt einen Bruch mit bisherigen politischen Verhältnissen erwarteten: Die Wirklichkeit der Welt sollte unmittelbar zur Wirklichkeit des Reiches Gottes werden. Ihre Vertreter hingen sozialrevolutionären oder mystischen Gedanken an. Unter den zahlreichen Vertretern gab es auch solche, die den Ausbruch eines „tausendjähriges Friedensreich“ auf Erden als Vorstufe zum „Gottesreich“ (Chiliasten) erwarteten. Die Wittenberger Reformatoren bezeichneten sie als „Schwärmer“. Sie alle wurden von den Wittenberger Reformatoren pauschal als „Schwärmer“ bezeichnet. Nicht alle waren von Anfang an als solche zu erkennen. So ging etwa der Kürschner und Laienprediger Melchior Hofman (geboren um 1500) aus Schwäbisch Hall zunächst mit Billigung Luthers in den Norden. Sein Auftreten in Lübeck und 1527 in Kiel führte zu Unruhen unter den Bürgern. Die Stellung Hofmans in Kiel wurde unhaltbar, als Luther sich gegen ihn an den Herzog wandte. Kernpunkt des Streits waren das Schriftverständnis und die Abendmahlsauffassung, worin sich Hofman deutlich von der lutherischen Lehre absetzte. Dafür hatte er sich im April 1529 zu verantworten. Wie wichtig das als “Flensburger Disputation” bezeichnete Verhör Hofmans von seinen Gegnern genommen wurde, zeigte nicht nur die Anwesenheit aller führenden Theologen des Landes, sondern auch des Reformators Johannes Bugenhagen (*1485-1558†), den Luther von Wittenberg nach Flensburg entsandt hatte. Die Gegensätze erwiesen sich als unüberbrückbar, am 11. April 1529 wurde das Urteil verkündet, Hofman hatte das Land zu verlassen. Er starb 1543 in einem Straßburger Kerker.
Die Herrschaft und die Reformation
Offenbar hat der altgläubige Klerus in den ländlichen und städtischen Gemeinden und Klöstern wenig Widerstand gegen die Reformation geleistet. Die lutherische Kirche war keine neue, sondern eine erneuerte Kirche. So blieb die Gestalt des Gottesdienstes über die Reformationszeit hinaus weitgehend unangetastet, wurden die Sakramente Taufe und Abendmahl gespendet und die Absolution erteilt. Friedrich, Herzog des Gottorfer und Segeberger Anteils, seit 1523 als Friedrich I. König von Dänemark, schlug einen Mittelweg ein, indem er zwar zuließ, daß die lutherische Lehre verbreitet wurde, doch den Bruch mit der katholischen Kirche vermied. Sein Sohn Christian III. (*1503/1534-1559†), trieb dagegen von Anfang an die Reformation mit hoher Energie voran. Er hatte Luther 1521 auf dem Reichstag zu Worms erlebt und sich von dessen Person und Sache überzeugen lassen. Als Christian 1524 die Herrschaft im Haderslebener Anteil des Herzogtums Schleswig übernahm, war das Gebiet noch katholisch. Um so energischer waren seine Maßnahmen, um die Verhältnisse zu ändern. Die Folge war zunächst erhebliche Unordnung. Das änderte sich erst, als Christian 1526 die beiden evangelischen Theologen Johannes Wendt (um 1495-1541) und Eberhard Widensee (um 1486-1547) berief. Widensee wurde es übertragen, die Kirche als Superintendent zu leiten. Entscheidend wurde 1528 die Einberufung sämtlicher Pfarrherren nach Hadersleben. Sie wurden examiniert und auf eine neue, lutherische Kirchenordnung, die „Haderslebener Artikel“, verpflichtet. Damit war die erste Kirchenordnung im Bereich der Herzogtümer erlassen und die erste „Landeskirche“ im Königreich Dänemark errichtet.
Kein evangelischer König
König Friedrich I. starb im April 1533. Im Juni 1533 huldigten die Stände beider Herzogtümer Christian als ihrem Herzog. Bis zu seiner Wahl als dänischer König sollten allerdings noch drei Jahre vergehen. Grund war der Widerstand des dänischen Adels, der seine Macht ausbauen, und der der höchsten geistlichen Würdenträger, der Prälaten, die die Reformation zurückzudrängen wollten. Die Situation änderte sich 1534, als Lübeck Krieg gegen Dänemark begann. 1536 siegte Christian in der sogenannten „Grafenfehde“ und hatte nunmehr freie Hand. Er ließ die katholischen Bischöfe in Dänemark verhaften. Der Adel stimmte bereitwillig der neuen Ordnung der kirchlichen und politischen Verhältnisse zu. Mit ihr war die Reformation in Dänemark durchgesetzt. Eine Kirchenordnung, die noch von Johannes Bugenhagen zu erarbeiten war, wurde 1539 angenommen. Bugenhagen war es auch, der am 12. August 1537 in Kopenhagen den Herzog zum dänischen König Christian III. gekrönt hatte.
Die Reformation setzt sich durch
Zwar befand sich nun in den Herzogtümern das alte Kirchenregiment in Auflösung, aber während in den Städten die Reformation endgültig Fuß gefasst hatte, waren viele Landgemeinden noch kaum berührt. Insbesondere die kirchlichen Grundbesitzer hatten kein Interesse, etwas zu ändern. Diözesanbischof im Bistum Schleswig, also höchster Prälat im Lande, ehemaliger Kanzler und Berater des Königs und Herzogs auf Gottorf, war Bischof Gottschalk von Ahlefeldt (geboren 1475). Er leistete bis zu seinem Tod im Januar 1541 Widerstand gegen die Reformation. Doch tat er es so, dass es nicht zu gewalttätigen Konflikten kam und dem Land eine Spaltung erspart blieb. Mit dem Ableben Bischof Gottschalks hatte die „altgläubige“ Partei ihren führenden Kopf verloren. Christian III. stand damit der Weg offen, die Reformation in den Herzogtümern zu vollenden. Schon davor hatte er die dänische Kirchenordnung von 1539, die „Ordinatio“, in den Herzogtümern anwenden lassen und die noch bestehenden katholischen Klöster aufgehoben. Allerdings gelang es ihm nicht, die dänische Kirchenordnung auch gegenüber den Ständen in den Herzogtümern durchzusetzen. Wiederum musste er Bugenhagen zu Hilfe rufen. Der legte Anfang März 1542 den Text einer Kirchenordnung vor, die den Erfordernissen des Landes Rechnung trug. Die schleswig-holsteinische Kirchenordnung fußt auf der dänischen „Ordinatio“. Doch sie wurde nicht nur übersetzt, sondern auch überarbeitet und ergänzt. Deutlich unterstreicht die Kirchenordnung den Anspruch, nicht als „Neuerung“, sondern als Besinnung auf die Anordnungen Gottes für seine Kirche auf Erden verstanden zu werden. Im Mittelpunkt des Gottesdienstes stellt sie die Predigt, in der – wie im Unterricht – Luthers kleiner Katechismus eingeschärft werden sollte. Insgesamt reichen die Bestimmungen sehr weit und greifen teilweise tief – beispielsweise ins Bildungswesen – ein. Die Kirchenordnung spiegelt jedoch einen Geist der Mäßigung, der mit den begrenzten Möglichkeiten der Menschen rechnet und auch die schwachen und verletzten Gewissen nicht ausschließt. Am 9. März 1542 wurde die „Christlyke Kercken Ordeninge, de yn den Fürstendömen, Schleszwig Holsten etc. schal geholden werden“ auf dem Landtag zu Rendsburg „einträchtiglich“ angenommen. Damit war die evangelisch-lutherische Landeskirche für die Herzogtümer errichtet, die ihre Gestalt – in veränderter Form – bis 1918 bewahrte. Die Kirchenordnung selbst blieb bis 1867 in Geltung. Nur in den noch „altgäubigen“ Territorien Holstein-Pinneberg und Sachsen-Lauenburg setzte sich die Reformation nach 1542 durch. Pinneberg übernahm erst 1561 die mecklenburgische Kirchenordnung, Lauenburg 1585 die schleswig-holsteinische.
Wolf Werner Rausch (TdM 1002/0903/0721)
Hinweis: Parallel mit der Reformation begann in den Herzogtümern auch die Hexenverfolgung, die bis Anfang des 18. Jahrhunderts andauerte.
Literatur: Ernst Feddersen, Kirchengeschichte Schleswig-Holsteins, Bd. 2, 1517-1521. Kiel 1938 (Schriften des Vereins für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte. Nr. 19 der größeren Druckwerke.); Reformation. Unter Mitarbeit von Walter Göbell, Erich Hoffmann, Wolf-Dieter Hauschild u.a. Neumünster 1982 (Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte, hrsg. vom Verein für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte. Bd. 3.); Johannes Schilling “Schleswig-Holstein”. In: Theologische Realenzyklopädie. In Gemeinschaft mit H. Balz u.a. hrsg. v. G. Müller. Bd. 30. Berlin 1999, S. 201-214. (Artikel in:) Schleswig-Holsteinisches Biographisches Lexikon, Bd. 1-. Neumünster 1970-.Seegrün, Wolfgang: Schleswig-Holstein. In: Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500-1650. Bd. 2, Der Nordosten. Münster 1990, S. 140-164; Albert Panten, Wer war Husums Reformator?, S. 130 – 136, in: Festschrift „Harmen Tast: 1490 bis 1990“, Husum, 1991, Beiträge zur Husumer Stadtgeschichte, Herausgegeben von der Gesellschaft für Husumer Stadtgeschichte.
Bildquellen: Vignette: Illustration aus der niederdeutschen Magdeburger Bibel von 1545 zum Johannes Evangelium; Kelch: Landesamt für Denkmalpflege; Tast: Gemälde aus der Hermann-Tast-Schule, Husum, Repro: Günter Klatt; Züpthen: Archiv Otto Vollert; Hofman: Acta Archaeologica I., Baun-Hogenberg, „civitates orbis terrarum“; Christian III: Det Nationalhistoriske Musset på Frederiksborg; Magdeburger Bibel 1545; Bugenhagen: Marburger Bildindex