Mit Beschluss der Landesregierung vom 24.2.1953 wurde in Schleswig-Holstein das „Programm Nord“ aufgelegt. Sein Ziel war es, das wirtschaftliche Süd-Nord-Gefälle innerhalb des neuen Bundeslandes aufzuheben. Dazu kam bei Ministerpräsident Friedrich-Wilhelm Lübke (CDU) (*1887-1954†) auch ein landespolitisches Motiv. Es galt, etwas gegen den verbreiteten Unmut im äußerst strukturschwachen nördlichen Landesteil zu tun. Angesichts der allgemeinen Not, die durch den hohen Anteil der Flüchtlinge verstärkt wurde, hatte dort die Dänische Bewegung gewaltigen Zulauf erhalten. Viele hofften, die Krise sei zu überwinden, wenn der Landesteil Schleswig sich Dänemark anschlösse. Auch dem sollte das Programm Nord entgegenwirken.
Ein Land im desolaten Zustand
Die Ausgangslage war denkbar schlecht: Die Betriebe waren für eine moderne Landwirtschaft zu klein, Weiden und Äcker einer Familie verteilten sich oft weit über die Feldmark, und die Hofstellen lagen eingeengt in den Dörfern. Die waren nur unzureichend durch ein weitmaschiges Netz befestigter Straßen verbunden. Aus der Marsch und anderen Niederungsgebieten floss das Wasser schlecht ab. Auf der Geest waren große Flächen ungeschützt der Erosion ausgesetzt, weil weite Gebiete schon seit dem Mittelalter entwaldet waren. Jeder stärkere Sturm transportierte Tonnen von Sand über das Land. Das Programm Nord hatte als Ziel, alle diese Probleme umfassend zu lösen, die „Kultur“ des Landesteiles Schleswig wieder herzustellen. Ansatz für alle Maßnahmen war die Flurbereinigung. Neu dabei war unabhängig von den Gemeindegrenzen zu planen. Die Landkreise wurden deshalb neben dem Bund Partner des Landes. Das Programm Nord startete in den Kreisen Südtondern und Flensburg-Land. Es wurde in seiner über 25-jährigen Laufzeit ausgeweitet auf die damaligen Kreise Husum, Eiderstedt, Schleswig, Norder- und Süderdithmarschen sowie Teile der Kreise Steinburg und Rendsburg.
Eine Landschaft ändert ihr Gesicht
Das Programm Nord hat das Bild der Landschaft im Norden Schleswig-Holsteins verändert. Am augenfälligsten ist das auf der Geest. Knapp 10.000 Kilometer Windschutzhecken (Knicks) wurden entlang der neugeschnittenen, größeren Flurstücke gepflanzt, dazwischen rund 4.500 Hektar Wald angelegt. Die Feldmark wurde durch Wirtschaftswege erschlossen, die Entwässerung (Vorflut) geregelt und Höfe aus der Enge der Dörfer herausgenommen, um sie mitten auf eigenem Land neu aufzubauen. Die Zahl der Betriebe sank, ihre Größe wuchs. Auf der Geest erreichten bald fast die Hälfte der Höfe eine Größe von mehr als 30 Hektar. Mit den verbesserten Verhältnissen war eine Basis gelegt, die es erlaubte, profitable Grünlandwirtschaft (Milchwirtschaft) zu betreiben. Damit das gelingen konnte wurden im Grünlandinstitut in Bredstedt neue Grassaaten entwickelt, praxisgerechte Dünge- und Fruchtfolgen erprobt und das neue Wissen den Praktikern vermittelt.
Drei Kööge als Etappen
Das Programm Nord entwickelte sich dabei stetig weiter. Es gelang, immer komplexere Projekte zu realisieren. Beispiel dafür ist die Nutzung drei neuer Köge aus der Programmzeit: 1954 wurde der Friedrich-Wilhelm-Lübke-Koog eingeweiht. Er wurde traditionell auf seiner ganzen Fläche parzelliert und besiedelt. Die Hälfte der 42 Hofstellen erhielten Flüchtlinge. Zehn Stellen wurden genutzt, um Ausgleich für die Flurbereinigung im Hinterland zu ermöglichen. Die gab es auch im sechs Jahre später fertiggestellten Hauke-Haien-Koog. Doch inzwischen dachte man großflächiger. Zehn Aussiedlerhöfe entstanden dort für Landwirte aus der Treeneniederung. Mit ihrem Umzug in die junge Marsch wurde an der Treene Raum für Überflutungsflächen gewonnen. Der neue Koog wurde auch nur noch zum Teil landwirtschaftlich genutzt. Geteilt durch einen Binnendeich, entstanden seeseitig große Speicherflächen. Sie nehmen die Wassermassen auf, die über den Bongsieler Kanal bis aus der Gegend vor den Toren Flensburgs nach Westen in das Wattenmeer drängen. Was in Nordfriesland begonnen wurde, perfektionierte schließlich die 1979 vollendete Eindeichung der Meldorfer Bucht. Hier wurden zusätzlich noch Sport- und Freizeitangebote geschaffen und wurde – wie heute kritisiert wird – ein Erprobungsgebiet der Bundeswehr eingerichtet.
Saubere Fluren, sauberes Wasser
Mit dem Programm Nord gelang die größte zusammenhängende Flurbereinigung in Deutschland. Sie umfasste mehr als 470.000 Hektar und damit über 65 Prozent des gesamten Fördergebietes. Mehr als 9.000 Kilometer Wege wurden gebaut. Darunter – wohl einmalig – die 33 Kilometer lange Landstraße über die Geest von Bredstedt nach Wanderup auf der Strecke der alten Kleinbahn aus Mitteln des Landwirtschaftsministeriums. Basis für den Erfolg des Programms waren nach Ansicht der Verantwortlichen neben dem Windschutz vor allem die gelungenen wasserwirtschaftlichen Maßnahmen. Da fast der gesamte Landesteil Schleswig nach Westen in die Nordsee entwässert, stand früher nicht nur die Marsch vom Herbst bis in das Frühjahr immer wieder unter Wasser – war „blank“. Auch ein anderes Wasserproblem wurde mit Beginn des Programms in Angriff genommen: außerhalb der größeren Orte gab es nur vereinzelt eine Versorgung mit hygienisch einwandfreiem Trinkwasser. Geeignete Vorkommen an Grundwasser fehlen vor allem in den Marschen. So wurden 18 Wasserbeschaffungsverbände (WBV) gegründet. In zwanzig Jahren gelang es, mehr als eine halbe Millionen Menschen in 476 Gemeinden und damit 85 Prozent der Haushalte an das zentrale Wassernetz anzuschließen. Spektakulärer Abschluss war in den 1970er Jahre der Anschluss der Insel Pellworm und der Halligen Hooge, Oland, Nordmarsch-Langeneß sowie Gröde. Zehn Jahre nach dem Beginn des Programms begann der Ausbau der Kanalisation. Mehr als die Hälfte der Gemeinden konnten an 82 zentrale Abwasseranlagen angeschlossen werden. Von Anfang der 1970er an Jahre entwickelte sich das Programm auch zum Förderinstrument für Gewerbe und Tourismus. Angesichts des inzwischen eingetretenen Wandels schrieb es damit den Ansatz fort, die Wirtschaftskraft des gesamten Raumes zu stärken.
Ein Programm entschläft sanft
Wann das Programm Nord startete, lässt sich mit dem 24.2.1953 auf den Tag genau bestimmen. Wann es endete, muss offenbleiben. Nach dem 1952 begonnenen Emslandprogramm war es das zweite Projekt der jungen Bundesrepublik, um einen strukturschwachen Raum ganzheitlich zu fördern. Die Mittel kamen überwiegend vom Bund. Seit 1965 engagierte sich auch die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), vor allem im Wegebau. Mit dem Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe Agrarstrukturverbesserung und Küstenschutz von Bund und Ländern wurde ab 1969 ein fester Schlüssel für die sogenannten „GA-Mittel“ eingeführt. Als Zäsur lässt sich das 25jährige Jubiläum des Programm Nord 1978 annehmen. Bis dahin waren pro Jahr zwischen acht und über 70 Millionen Mark geflossen, insgesamt mehr als 1,6 Milliarden Mark. Dem Landesteil Schleswig gelang es dadurch, erheblich aufzuholen. Die Produktion der Landwirtschaft konnte um ein Vielfaches gesteigert werden. Die „Kultur“ der Landschaft wurde wiederhergestellt. Die Höfe wuchsen auf Größen, mit denen sich damals gut wirtschaften ließ. Wasser und Strom kamen zu den Menschen, die Natur wurde vor Abwässern bewahrt. Über Jahre lagen die Wachstumsraten im Norden höher als im übrigen Land.
Abschied auf Raten und Kritik
Das Programm Nord steht als Synonym für die Geschichte eines Aufschwungs. Deshalb fiel es der Politik schwer, auf dieses Markenzeichen zu verzichten. Erst 1995 wurde die schon lange arbeitslose Programm Nord GmbH aufgelöst. Sie wird seitdem in einem lockeren Rat fortgeführt. Es darf angezweifelt werden, ob das Programm das Ziel erreicht hat, die Lebensverhältnisse auf ein Niveau anzuheben, das mit dem im Bund vergleichbar ist. Aber mit dem Programm Nord begann ein Prozess , der das Leben der Menschen veränderte. Er leitete eine „Urbanisierung“ des flachen Landes und eine Infrastrukturrevolution ein. Wir fahren heute im Programm Nord Gebiet durch eine neue Landschaft. Und mehr, denn alle Bereiche des Lebens wurden neu organisiert. Die neue Infrastruktur, gab den Menschen neue Chancen als Pendler. Damit wurde die Entkopplung von Wohnen und Arbeit eingeleitet. Die Flurbereinigung nahm der Landschaft viel von ihrer Kleinteiligkeit. Beim Windschutz auf der Geest stellt sich nach einigen Stürmen die Frage, ob es klug war, vor allem Nadelhölzer zu pflanzen. Vieles was durch das Programm Nord „in Kultur“ gebracht wurde, wird heute für den Naturschutz reklamiert. Der nun auf geförderte Tourismus entwickelt sich so stark, das er auch schon zum Problem wird. Der rasante Aufbau von Energie aus Wind- und Biomasse verändert die Landschaft, gefährdet die Landschaft und bringt Streit in viele Dörfer. Das ändert nichts daran, das in der Marsch und auf der Geest das Programm Nord von den Menschen bis heute als ein positiver Wendepunkt für den Norden gesehen wird.
Werner Junge (0602 /0721)
Quellen: Arndt von Reinersdorff (Red.), 25 Jahre Programm Nord, Rendsburg, Programm Nord GmbH, 1979; Claus Bielfeldt, Ferdinand Hansen, Mittel und Wege universeller Landentwicklung im Programm Nord, Sonderdruck aus Berichte über die Landwirtschaft, Band 44, S. 201 ff, 1966, Verlag Paul Parey, Hamburg; Ministerium für Ländliche Räume, Kiel; Brar Roeloffs, Mielkendorf; Werner Junge „Programm Nord – Wende nördlich des Bindestrichs“ in „Schleswig-Holstein“ Thema III, Wendepunkte in der Schleswig-Holsteinischen Geschichte, S. 66-71, 2018, Bosau, ISBN 978-3-946609-01-8
Bildquellen: Vignette aus Muus, Luftbildatlas Schleswig-Holstein, Wachholtz-Verlag; Dansk Centralbibliotek for Sydslesvig, Flensburg; alle weiteren Bilder sind dem Buch „25 Jahre Programm Nord“ (s.o.) entnommen und stammen – soweit erkennbar – aus dem Archiv des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten des Landes SH, sowie von Ämtern des Landes, respektive der am Programm Nord beteiligten Landkreise.