Das Ende der deutschen U-Boot-Flotte 1945
Norgaardholz ist ein kleines, beschauliches Dorf an der Geltinger Bucht. 1940 war dort mit dem Bau einer Ausweichanlage der Torpedoversuchsanstalt Eckernförde mit einer etwa 100 m langen Anlegebrücke begonnen worden. Sie machte das Dorf im Mai 1945 für wenige Tage zum „Stützpunkt“ der Kriegsmarine und Norgaardholz zu einem Ort der Geschichte. Vor allem war es die „Operation Regenbogen“, bei der am 5. Mai 1945 in der Geltinger Bucht, einem der größten Sammelplätze in der Ost- und Nordsee, etwa 50 U-Boote von ihren Besatzungen versenkt wurden.
Fluchtpunkt Geltinger Bucht
Schleswig-Holstein und dort vor allem Flensburg waren am Ende des Zweiten Weltkrieges im Norden zum letzten Fluchtpunkt geworden (Rattenlinie Nord). Das galt besonders für die Kriegsmarine. In der Geltinger Bucht am Eingang zur Flensburger Förde wimmelte es Anfang Mai 1945 nur so von Kriegsschiffen: die Zerstörer „Z5 – Paul Jacobi“ und „Z 43“ sowie etliche Schnellboote mit den Begleitschiffen „Carl Peters“, „Buéa“, „Tanga“ und „Hermann von Wissmann“ und der Frachter „Rheinfels“. Auch lagen dort eine Halbflottille Torpedo-Fangboote, mehrere Minensucher, Verkehrsboote und umgebaute „Kriegs-Fischkutter“ sowie weit draußen der Verwundeten-Transporter „Walter Rau“ vor Anker. Hinzu kamen vom 10. Mai an die „Kurlandflottillen“ mit über 20 Schnellbooten und dem Schnellboot-Begleitschiff „Tsingtau“, die an der Evakuierung von Tausenden von Wehrmachtssoldaten vor allem der 14. Panzer-Division aus dem „Kurland-Kessel“ beteiligt waren. Seit dem 3. Mai waren über 50 U-Boote in der Geltinger Bucht angekommen, darunter sowohl ältere VII C-Kampfboote wie auch neueste und größere Elektroboote des Typs XXI mit jeweils über 50 Mann Besatzung.
Befehl – Gegenbefehl – Befehl?
Am 30. April 1945 beging Adolf Hitler (*1889-1945†) Selbstmord. Sein Nachfolger, Großadmiral Karl Dönitz (*1891-1980†) befahl an diesem Tag, alle Kriegsschiffe und U-Boote zu versenken, um sie nicht in die Hände des Feindes fallen zu lassen. Dieser unter dem Codewort „Operation Regenbogen“ bekannt gewordene Befehl berief sich auf die von Hitler eingedenk der „Schande von 1918“ ausgegebene Direktive, dass „kein Soldat der Wehrmacht (…) jemals vor dem Feind kapitulieren“ dürfe. Am 4. Mai – einem Tag vor der Teilkapitulation im Norden – widerrief Dönitz seinen Befehl und ordnete an, dass alle Schiffe gemäß den Kapitulationsbedingungen unzerstört zu übergeben seien. Dennoch wurden in den frühen Morgenstunden des 5. Mai das Kennwort „Operation Regenbogen“ durch den Äther gefunkt und die versiegelten roten Kuverts an Bord der U-Boote aus den Panzerschränken geholt.
Die Selbstversenkung der U-Boote
Niemand weiß heute, wer den Spruch abgab, und unbekannt ist, wie er zu den Kommandanten gelangte, denn es durfte damals nicht mehr verschlüsselt gesendet werden. In der Schulchronik von Norgaardholz heißt es: „Mittlerweile machten sich die einlaufenden U-Boote für die Versenkung fertig. Die Mannschaften räumten die U-Boote nach Möglichkeit aus, besonders in der Nacht vom 4. auf den 5. Mai. Viel Ruhe gab es für uns nicht; denn überall wimmelte es von Matrosen. Das erste U-Boot ging 4.10 Uhr in die Tiefe. Mir wurde ganz wehmütig ums Herz, als ich sah, wie die Boote sich noch einmal aufbäumten, die Spitze hoch in die Luft streckten und dann in die Tiefe glitten. Von der Besatzung eines U-Bootes sind zwei Mann mit in die Tiefe gegangen, die Versenkung ging zu schnell. Von einem anderen Boot weigerte sich ein Maat, das Boot zu verlassen. Er hatte alles verloren … und erwartete nichts mehr vom Leben. Als das Boot in die Tiefe ging, grüßte er noch einmal vom Turm aus seine Kameraden mit der wehenden Fahne in der Hand.“
Zum Beispiel U 999
Auch Oberleutnant zur See Wolfgang Heibges, damals 22-jähriger Kommandant auf „U 999“, war mit seinem Boot in die Geltinger Bucht beordert worden: „Die letzte Fahrt begann für U 999 am 28. April 1945 in Hamburg. Ich erhielt den Befehl, sofort in die Geltinger Bucht zu laufen und dort auf die Auslösung des mitgegebenen Befehls ,Regenbogen‘ zu warten, der die von der Seekriegsleitung beabsichtigten Schiffsversenkungen vorsah. (…) Der ganze nächste Tag (4. Mai) war mit dem Anlandbringen von großen Teilen der beweglichen Bordausrüstung und der eigenen Habseligkeiten ausgefüllt. Hin und wieder jagten englische Flugzeuge über die Schiffsansammlung, kümmerten sich aber nicht um die Aktivitäten der U-Boot-Besatzungen. (…) Die Stunden verrannen, ohne dass das Stichwort ,Regenbogen‘ ausgelöst wurde. Stattdessen erreichte uns ein Gegenbefehl der Seekriegsleitung, der Schiffsversenkungen verbot. Ich war ratlos und nunmehr total verunsichert. War dieser Gegenbefehl tatsächlich in Dönitz’ Sinne? Was könnten die Gründe für diesen Gegenbefehl sein? Die ungeklärte Lage entspannte sich auch nicht dadurch, dass in der Nacht vom 4. zum 5. Mai die Teilkapitulation im Westen bekanntgegeben wurde, die am 5. Mai 8 Uhr in Kraft treten sollte. Nach den Kapitulationsbedingungen waren alle Kampfhandlungen mit diesem Zeitpunkt einzustellen, Waffenvernichtungen und Schiffsversenkungen oder -beschädigungen waren verboten. Immer noch beschäftigte uns die Frage: Sollen wir, dürfen wir oder müssen wir gar unser Boot versenken oder nicht?“ Diese Zweifel hatten sich schnell erledigt, als in den frühen Morgenstunden des 5. Mai um 4:10 Uhr das erste U-Boot in die Tiefe ging. Noch vor Inkraftreten des Waffenstillstandes um 8 Uhr waren alle Boote von der Oberfläche der Geltinger Bucht verschwunden. Oberleutnant zur See Heibges bekam allerdings wenig später einen gehörigen „Rüffel“, weil er sein Boot „U 999“ als letztes Boot angeblich erst kurz nach 8 Uhr versenkt und er damit gegen die Bestimmungen der Teilkapitulation vom 4./5. Mai 1945 verstoßen habe.
Heuboden statt Stahlkoje
Die U-Boot-Besatzungen erhielten ihre Quartiere auf den Bauernhöfen der umliegenden Dörfer. Walter Schöppe, damals auf „U 3015 Eisbär“ eingeschiffter Oberleutnant zur See einer Propagandakompanie, berichtete: „In der Nacht schlafen alle auf einem Heuboden, eingekuschelt in Stroh, den Schlaf der Gerechten! Endlich ist dieser mörderische Krieg zu Ende! Bei Sonnenaufgang hören die Männer im Halbschlaf Detonationen. Es ist der 5. Mai 1945, 4 Uhr 55 Minuten. Die Boote in der Geltinger Bucht werden zerrissen und versinken.“ Das meiste Material und der Proviant waren vorher mit Schlauchbooten an Land gebracht worden, wo die Bauern mit ihren Pferdefuhrwerken schon warteten. „In den Waschküchen der Bauernhöfe wurde in den großen Kesseln der Eintopf gekocht, bei dem man vor lauter Fleisch keine Suppe mehr sah. In der guten Stube lagerten die besseren Sachen: Kaffee, Schokolade und Rauchwaren – es war wie Weihnachten!“ Aus den blau-weiß-karierten Bettbezügen der Soldaten wurden die so genannten „Dönitz-Kleider“ genäht, und der Diesel der U-Boote trieb in der Ernte des Jahres 1945 die Trecker an. Für die Besatzungen der U-Boote kam bald der Abschied von den Quartiergebern. Auf der einzigen fertig gestellten Planke der Brücke gingen sie im Gänsemarsch zum Schwimmponton und von dort auf die Schnellboote, die sie nach Flensburg in die Internierung bringen sollten.
Ein Ende mit Schrecken
Der Auszug der U-Boot-Fahrer verlief den Quellen nach weitgehend friedlich. Das Ende des Zweiten Weltkrieges verlief an der Geltinger Bucht jedoch nicht ohne Spannungen und Grausamkeiten. Da war einmal eine Division Kurlandkämpfer, die am 10. Mai von den Schnellbooten mit großen Vorräten an Land gesetzt worden war und dann in Saus und Braus lebte, während vor allem die zahlreichen Flüchtlinge in ihren Notquartieren Hunger litten. An den Strand trieben schon Anfang Mai ausgemergelte Leichen. Es wird angenommen, dass es sich um tote KZ-Häftlinge handelte, die mit der „Rheinfels“ als Geiseln der SS-Oberen nach Flensburg gebracht werden sollten. An Land bekamen die Menschen auch nichts von den Geltinger Todesurteilen mit. Drei Besatzungsangehörige wurden auf „Z 5 – Paul Jacobi“ hingerichtet, weil sie nach dem Befehl, dass „Regenbogen“ ausfalle, den Kreiselkompass außer Betrieb gesetzt hatten, um ein erneutes Auslaufen zu verhindern. Auf der „Buéa“ wurden am 10. Mai drei Matrosen erschossen. Als wäre nichts geschehen traten am nächsten Tag – drei Tage nach der Kapitulation – die Besatzungen der noch in der Geltinger Bucht liegenden Schnellboote zum letzten Mal in „1.Garnitur blau“ zur Flaggenparade an. Der Führer der Schnellboote, Kommodore Rudolf Petersen, hielt ein Ansprache, dann wurden die Flaggen niedergeholt: Die S-Boot-Waffe war außer Dienst gestellt.
Die Boote werden gehoben
Über 50 U-Boote wurden am Morgen des 5. Mai in der Geltinger Bucht versenkt – über die genaue Anzahl gibt es unterschiedliche Angaben, ebenso über die Positionen der Boote in der Geltinger Bucht. Zu den bekanntesten Booten zählt „U 2540“, das zwischen dem bei „Kalkgrund“ stationierten Feuerschiff „Flensburg“ und der Birk versenkt worden war. Im Juni 1957 wurde es gehoben und 1960 als „Wilhelm Bauer“ von der Bundesmarine wieder in Dienst gestellt. Heute ist es als Museumsboot im Deutschen Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven zu besichtigen. 1948 begann die Hebungsaktion, die bis 1952/53 dauerte. Die kleineren U-Boote nahm der Schwimmkran wie Spielzeug an den Haken und setzte sie im Flensburger Freihafen an Land. Die größeren U-Boote, der Zerstörer vor Habernis und die Versorgungsschiffe mussten mehrfach gesprengt werden, um die Teile heben zu können. Weniger spektakulär verlief die Bergung kleinerer Überwasserschiffe, die ebenfalls in der Geltinger Bucht versenkt worden waren, darunter ein kleineres Torpedofangboot, das die „Wilhelm Gustloff“ auf ihrer letzten Fahrt am 31. Januar 1945 begleitet hatte. Ferner war das Wrack der „Krückau“, das aus dem Hamburger Hafen geborgen worden war, im Jahre 1950 in der Geltinger Bucht versenkt worden, um – belastet mit Sand und Schlick – bei der Bergung der „Carl Peters“ als Anker für das Hebeschiff zu dienen.
Nachspiel mit der „Carl Peters“
An dieses vor Steinberghaff liegende ehemalige Schnellboot-Begleitschiff hat man sich hier besonders lange erinnert. Die „CP“ war am 14. Mai 1945 auf eine Luftmine gelaufen und binnen weniger Minuten gekentert. In der Folgezeit wurde das Schiff von der Bevölkerung regelrecht „ausgeplündert“. Viele Jahre ging es im Sommer mit Booten und im Winter per Lastwagen über das Eis der zugefrorenen Bucht zur „Carl Peters“, es wurden mit Schweißbrennern Löcher in den Rumpf geschnitten und das ganze Schiff wurde über Wasser ausgeräumt, hauptsächlich sanitäre Einrichtungen und Bekleidung. Zur Freude der Arbeiter wurde an Bord auch eine Flasche „Steinhäger“ entdeckt, die dort schon mindestens fünf Jahre gelegen haben musste. Sie soll ausgezeichnet geschmeckt haben. Erst im Oktober 1950 konnte das Schiff unter großem Aufwand geborgen werden. Diese Aktion dauerte fünf Monate und bildete damals den Hauptgesprächsstoff der Bevölkerung an der Geltinger Bucht. Bei schönem Wetter sahen Tausende von Spaziergängern den schwierigen Arbeiten zu. Das Wrack wurde Anfang November 1950 nach Kiel-Wik geschleppt, um den Weg zu gehen, den schon so viele Schiffe und Boote vor ihm gegangen waren: Vom Stolz der deutschen Kriegsmarine zum hochofenfertigen Schrott nach England!
Bernhard Asmussen (1221*)
Literatur und Quellen: Bernhard Asmussen u. a.: Regenbogen über der Geltinger Bucht – Erinnerungen an das Kriegsende 1945, Sonderband 4 zur Chronik des Kirchspiels Steinberg, Husum 1995, 1999; Bernhard Asmussen: Untergang in der Geltinger Bucht – Sonderband 16 zur Chronik des Kirchspiels Steinberg, Breklum 2015; Bernhard Asmussen: Regenbogen über der Geltinger Bucht. Die Selbstversenkung der deutschen U-Boote im Mai 1945, in: Gerhard Paul und Broder Schwensen (Hg.): Mai’45 – Kriegsende in Flensburg, Flensburg 2015, Gesellschaft für Flensburger Stadtgeschichte, ISBN 978-3-925856-75-4, S. 88-95; Schifffahrtsmuseum Flensburg: Schleswig-Holstein Maritim – Unterwasserwelt – Wracks vor unseren Küsten, Ausstellung vom 10.09.-03.12.2006; Gerd Vaagt: Die ersten Maitage 1945 in Flensburg und das Ende des Krieges, in: Schleswig-Holstein 5/95.
Bildquellen: Fotos: Walter Schöppe; bis auf Hebung U-Boot: Erich Reinholz; Dokumente Befehl und Gegenbefehl: Derek Wallers