SPD-Wahlplakat zu den Reichstagswahlen 1919 das die Frauen bewusst in den Vordergrund stellte

Am 12. November 1918 erhielten Frauen ab dem Alter von 20 Jahren erstmals in Deutschland das gleiche, geheime, direkte und allgemeine Wahlrecht. 1919 waren reichsweit 54 Prozent aller Wahlberechtigten weiblich und 46 Prozent männlich, sodass die Frauen die übergroße Mehrheit bei der ersten demokratischen Wahl im Deutschen Reich stellten. Zwischen 1919 und 1933 konnten in der preußischen Provinz Schleswig-Holstein, Wahlkreise13 und 14, insgesamt drei Frauen ein Reichstagsmandat, drei weitere ein Mandat im Preußischen Landtag und sechs Frauen einen Sitz im Provinziallandtag erringen. Die meisten davon gehörten den beiden Arbeiterparteien an, davon fünf der SPD, zwei der KPD. Es folgten zwei Mandate für die DDP sowie je eines für die DNVP, die DVP sowie dem Volkswohl, einer Mieterrechtspartei aus Kiel, die dort für den Provinziallandtag angetreten war. 

Frauen in der Minderheit

Mit zwölf Mandaten in drei Parlamenten waren die Frauen angesichts der Gesamtanzahl der Abgeordneten schon eine relative kleine Anzahl. Zählt man die Legislaturperioden zusammen, sieht das Bild noch düsterer aus: Mit Ausnahme der aus Altona stammenden Louise Schröder (1881-1957†), die von 1919 bis 1933 für die SPD im Reichstag saß, sowie der Kieler SPD-Politikerin Thomasine, genannt Toni, Jensen (*1891-1970†), die sechs Legislaturperioden Schleswig-Holstein im preußischen Landtag vertrat, besaß ansonsten nur noch Jane Voigt (*1875-1961†) aus Süderlügum für die DVP von 1921 bis 1928 länger als eine Wahlperiode ein Mandat. Alle anderen zehn Frauen blieben nur maximal für eine Wahlperiode Abgeordnete. Der Anteil an der Gesamtmandatszahl im Reichs- respektive preußischen Landtag betrug für Schleswig-Holstein je 5,8 Prozent und im Deutschen Reich 6,4 Prozent beziehungsweise in Preußen 6,2 Prozent (8,2 Prozent ohne die NSDAP und die ebenfalls frauenlosen Splitterparteien). 

Die SPD-Politikerin Louise Schröder aus Altona war die große Ausnahme: sie saß von 1919 bis 1933 im Reichstag, 1947 bis 1948 war kommissarische Oberbürgermeisterin von Berlin, danach noch im Bundestag. Sie verstarb 1957. Vier Jahre danach wurde ihr diese Briefmarke gewidmet.

Sonderfall Provinziallandtag

Für den Provinziallandtag ist dies schwieriger zu quantifizieren, da im Laufe der Wahlperioden regelmäßig Abgeordnete ausschieden und in den jeweiligen Kreisgebieten, wo sie gewählt worden waren, Nachrückende entsandt wurden. Angesichts von nur zwei Sitzungen im Jahr lässt sich so nur schwer verifizieren, wie viele verschiedene Abgeordneten im Provinziallandtag formal ein Mandat innehatten. Die Gesamtmandatszahl betrug von 1925 bis 1933 insgesamt 183, so dass die sechs Frauen mit 3,3 Prozent noch deutlich schlechter als in Reichs- und Landtag vertreten waren. 

Kaum Politikerinnen vor Ort

Auf Ebene der Kreistage und der Gemeinden dürfte die Anzahl der Frauen noch geringer ausgefallen sein, wobei es dafür nicht einmal annähernd valides Zahlenmaterial gibt. Die Auswertung von Zeitungen für die Gemeindewahlen am 2. März 1919 ergab für 57 Gemeinden bei denen 147 Wahlvorschläge gemacht und 915 Sitze vergeben wurden, dass nur auf 24 Listen überhaupt Frauen nachzuweisen waren. Am Ende gingen nur 37 Sitze in Gemeindevertretungen an Frauen. Festzustellen ist: Je kleiner die Gemeinde, desto wahrscheinlicher war es, dass überhaupt keine Frauen kandidierten oder aufgestellt wurden. Lediglich in den größeren Gemeinden mit mindestens 10.000 Einwohner*innen und den Stadtkreisen kamen die Parteien nicht darum herum, auch Frauen so zu berücksichtigen, dass sie den einen oder anderen Sitz in den Stadtverordnetenversammlungen erhielten.

Frauenrechte sind kein Thema

Das Wahlergebnis zur Nationalversammlung 1919 und zur Landesversammlung hatte zur Folge, dass Frauen von den Parteien nur noch als eine von vielen Zielgruppen für die Wahlwerbung betrachtet wurden. Das führte faktisch dazu, dass Fragen der Geschlechtergerechtigkeit und der Repräsentanz in den Parlamenten in den Hintergrund traten. Wie viele Frauen im Norden auf den Wahllisten gestanden haben, ist noch offen, doch auf den wenigen aussichtsreichen Plätzen – in Schleswig-Holstein konnten maximal die ersten beiden, bei der erfolgreichsten Partei die ersten vier Plätze zu einem Mandat führen – bildeten die Frauen die Ausnahme. Die Gründe, warum die Parteien Frauen aufstellten und an welcher Stelle der Liste diese antreten durften, waren banal und instrumentalistisch. Im Kern ging es nach der Einführung des Frauenwahlrechts 1919 darum, auch Frauen als Wählerinnen für die eigenen Politik zu gewinnen. Frauen stellten die Mehrheit unter den Wahlberechtigen und deshalb konnte keine Partei es sich erlauben, diese nicht anzusprechen. Doch sollte es sich zeigen, dass weder die von Männern dominierten Parteiapparate und -vorstände noch die Wahlergebnisse selbst einen positiven Einfluss auf die Vertretung von Frauen in der Politik bewirkten. Zudem war der Einfluss der Frauen auf die Parteiprogramme, die Politik in den Parlamenten und den (zumeist frauenlosen) Regierungen geschlechterspezifischen Rollenzuschreibungen unterworfen. Faktisch waren die Themen zwischen Mann und Frau klar aufgeteilt: die Männer waren für die „harten“, die Frauen für die „weichen“ Themen zuständig, also vor allem für soziale und wohlfahrtsstaatliche Fragen. 

Frauen aus Schleswig-Holstein im Reichstag, dem preußischen Landtag und im Provinziallangtag

Im Reichstag: Dr. Marie Baum, Hamburg (DDP), 19.1.1919, 1. Wahlperiode (Wp.); Dr. Emilie Kiep-Altenloh, Altona (DDP), ab 9.5.1930 (5. Wp., Nachrückerin für Thedor Tantzen); Louise Schroeder, Altona (SPD), ab 19.1.1919 (1.-9.Wp).

Im preußischen Landtag: Anna Moosegaard, Hadersleben (SPD), 26.1.1919 (Mandat nicht angenommen, Nachrücker: Johannes Clausen, Tönning); Thomasine Jensen, Kiel (SPD), ab 20.2.1921 (2.-6. Wp.); Theodore Sophie Mehlis, Ahrensburg (DNVP), 6.12.1924 (3. Wp); Jane Voigt, Flensburg (DVP), ab 20.2.1921 (2.-3. Wp., 4. Wp. auf Landeswahlvorschlag Nr. 4). 

Im Provinziallandtag: Alma Wartenberg, Altona (SPD), 29.11.1925 bis zu ihrem Tod am 25.8.1928 (3. Wp.); Anna Stoffers, Bad Oldesloe (SPD), ab August 1926 (Nachrückerin für August Staller; 4. Wp.); Elise Augustat, Lägerdorf (KPD), 17.11.1929 (4. Wp); Magda von Hollen, Altona (SPD), 17.11.1929 (4. Wp); Katharina Petersen, Kiel (Volkswohl), 17.11.1929 (4. Wp.); Ella Reincke, Flensburg (KPD), 12.03.1933 (5. Wp).

Da einige der oben genannten Frauen später in anderen Wahlkreisen oder auf anderen Listen ihrer Parteien antraten, waren sie zum Teil länger als hier angegeben Mitglieder der jeweiligen Parlamente.

Forschungslücken

Es gibt eine Vielzahl von Lücken in der Forschung, die noch zu bearbeiten sind. Angesichts des bisherigen Forschungsstands dürfte sich dabei vermutlich ein Satz bewahrheiten, den die Historikerin Kirsten Heinsohn bezogen auf das Selbstverständnis der konservativen Männer formuliert hat. Diese verstanden und verstehen „das Politische als den Herrschaftsraum des Mannes“, und das dürfte vermutlich auch bei den anderen Parteien ähnlich gewesen sein.

Frank Omland (0923)*

Literatur: Frank Omland: Frauen in den Parlamenten der Weimarer Republik. Ein Aspekt der vernachlässigten Geschlechterfragestellungen in der schleswig-holsteinischen Regionalgeschichtsforschung. In: Mitteilungen des AK Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Nr. 133 (August 2023), S. 62-68; Hedwig Richter / Kerstin Wolff (Hg.): Frauenwahlrecht. Demokratisierung der Demokratie in Deutschland und Europa. Hamburg 2018;Kirsten Heinsohn, Konservative Parteien in Deutschland 1912-1933. Demokratisierung und Partizipation in geschlechterhistorischer Perspektive. Düsseldorf 2010.

Bilder: SPD-Plakat von 1919 „Frauen – gleiche Rechte, gleiche Pflichten – Deutsches Historisches Museum Berlin, Inventar NR: P 61/ 1477; Briefmarke Deutsche Bundespost; Grafik: Frank Omland