Der Aufstieg der NSDAP begann in der preußischen Provinz Schleswig-Holstein früher und mit den mit höchsten Wahlerfolgen im Reich. Die regionale nationalsozialistische Bewegung griff auf völkische Vorläufer zurück. Ihre Ansichten speisten sich aus Antisemitismus, Nationalismus und Rassismus, aus der Ablehnung von Republik und Demokratie sowie aus Ängsten vor der Moderne. Auf der anderen Seite wurden nationale Stärke und Deutschtum, Führung und Ordnung, bäuerliche Scholle und Volksgemeinschaft propagiert, die in den agrarisch geprägten Landesteilen früh zu rückwärtsgewandten Idealisierungen führen.
Frühstart in Schleswig-Holstein
Der Aufstieg der NSDAP in Schleswig-Holstein ist vor allem Hinrich Lohse (*1896-1964†) verbunden. Bereits seit 1923 war er ein Gefolgsmann von Adolf Hitler (*1889-1945†). Nachdem die NSDAP 1925 als Partei wieder erlaubt war, entstand der Gau Schleswig-Holstein. Hinrich Lohse wurde Gauleiter und baute eine erfolgreiche Regionalorganisation der NSDAP auf, die bald als „Mustergau“ galt. Frühe Verankerung erreichte die NSDAP in verängstigten Mittelschichten, bei Bauern, in Handwerk und Handel, geographisch in Dithmarschen und in den Geestkreisen Rendsburg und Steinburg. 1928 erzielte die NSDAP in der Provinz 4,1 Prozent, in Dithmarschen 18 Prozent der Wählerstimmen. Sie verstärkte den Parteiaufbau und die Landagitation, beerbte die „Landvolkbewegung“ und lag fortan bei Wahlen deutlich über dem Reichsdurchschnitt: 1930: 27 Prozent (auf Reichsebene 18,3 Prozent), Sommer 1932: 51,1 Prozent, (auf Reichsebene 37,3 Prozent).
Gleichschaltung und Terror
Schon 1932 begann die sogenannte Gleichschaltung in der preußischen Provinz Schleswig-Holstein. Auslöser war dabei der Altonarer Blutsonntag vom 17.7.1932, der zum Anlass genommen wurde, die preußische SPD-Regierung abzusetzen. Schon drei Tage später wurde der Oberpräsident der Provinz entlassen und durch seinen national-konservativen Stellvertreter ersetzt. Bereits die Machtübernahme durch den Nationalsozialismus war von Terror gekennzeichnet: KPD, SPD sowie Gewerkschaften wurden verboten und verfolgt; in „wilden Konzentrationslagern“ quälten SA-Leute politische Gegner. Namhafte Funktionäre wurden ermordet. Radikalisierender Verfolgung ausgesetzt waren die Zeugen Jehovas und vor allem die mit etwa 3.000 Angehörigen kleine jüdische Bevölkerung. In der Reichspogromnacht am 9. 11. 1938 brannten die Synagogen in der ganzen Provinz; Juden wurden verschleppt. Schließlich folgten Deportation und Ermordung jener, die nicht emigrierten. Verwaltung, Polizei und Justiz gingen generell gegen Minderheiten und Andersdenkende vor; über 3.000 Hauptverfahren eröffnete allein das Sondergericht. „Asoziale“ und Patienten der Psychiatrie wurden entwürdigt und ermordet.
Zwangsarbeit und KZ
Während des Zweiten Weltkrieges setzte man etwa 200.000 Verschleppte und Kriegsgefangene in Landwirtschaft, Industrie und Mittelstand als Zwangsarbeitende ein. Schließlich errichtete der NS-Staat in Kiel, Schleswig, Kaltenkirchen und Ladelund Konzentrationslager, in denen jeweils mehrere hundert Insassen gewaltsam starben. Der organisierte Widerstand der Arbeiterbewegung wurde in den ersten Herrschaftsjahren des Nationalsozialisten gebrochen, weiterer Widerstand ist jedoch dokumentiert. 1943 verurteilte der Volksgerichtshof einen protestantischen und drei katholische Geistliche aus Lübeck zum Tode. Gauleiter und Oberpräsident Lohse wurde 1941 auch Reichskommissar im aus den besetzten baltischen Staaten sowie Weißrussland gebildeten Reichskommissariat Ostland. Zusammen mit zahlreichen Partei- und Verwaltungsangehörigen aus dem Heimatgau ist er dort in den Holocaust verstrickt gewesen. Die Kehrseite der Gewalt wurde von der etablierten, mehrheitlich getragenen nationalsozialistischen Volksgemeinschaft repräsentiert: Nach Selbstgleichschaltung von Gesellschaft, Verbänden und Institutionen fanden in Bildungswesen, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft „harmonische“ Erfahrungen von Aufstieg und Gemeinsamkeit statt, die, insbesondere bei jugendlichen, prägende Wirkung hinterließen. Erst in der Endphase des Zweiten Weltkrieges setzte die Erosion der starken Zustimmung zum Regime ein. In einer letzten Phase von Willkür, Gewalt und Fluchtbewegung endete die Herrschaft des Nationalsozialismus im Mai 1945, während die Reichsregierung Dönitz in Flensburg-Mürwik ihrer „Tätigkeit“ nachging. Zur Bilanz der NS-Zeit gehören neben der in vielerlei Hinsicht zerstörten Heimat auch Hypotheken wie der Bevölkerungsanstieg durch Flüchtlinge, das Nachwirken in missglückter Entnazifizierung und NS-Skandalen (Heyde-Sawade-Affäre).
Uwe Danker (0802/0721)
Quelle: Uwe Danker in „Schleswig-Holstein Lexikon“, herausgegeben von Klaus-Joachim Lorenzen-Schmidt und Ortwin Pelc, Neumünster, 2000, Wachholtz Verlag, ISBN 3-529-02441-4