Fünf-Prozent-Klausel
Fünf-Prozent-Klausel

Die Zersplitterung der Parteienlandschaft wird als einer der Gründe für das Scheitern der Weimarer Republik angesehen. Als Lehre daraus wurde bei der Gründung der Bundesrepublik zwar das den Volkswillen gut abbildende Verhältniswahlrecht der ersten Republik übernommen, jedoch mit der „Fünf-Prozent-Klausel“ oder „-Hürde“ der Zersplitterung entgegengewirkt. Das neue Bundesland Schleswig-Holstein übernahm diese Regelung. Als die CDU 1950 in Kiel die Regierung übernahm, setzte Ministerpräsident Friedrich-Wilhelm Lübke (*1887-1954†) im folgenden Jahr im Landtag eine 7,5-Prozent-Klausel durch. Es war der Versuch, die von ihren deutschen Gegnern so genannte „Neudänische Bewegung“ (Dänische Minderheit) zu unterdrücken. Durch die große Not, die auch im von Flüchtlingen überfüllten Landesteil Schleswig herrschte, hatte die politisch seit 1948 im Südschleswigschen Wählerverband (SSW) organisierte dänische Minderheit großen Zulauf. Bedrohlich erschien der CDU besonders deren Ziel, den Norden des Landes wieder an Dänemark anzuschließen. Obwohl Kopenhagen immer wieder betont hatte, die 1920 im Abstimmungsgebiet festgelegte Grenze habe Bestand, versuchte die Regierung Lübke, den SSW aus dem Landtag auszugrenzen.

Bonn greift ein

Der SSW klagte dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht und gewann 1952. So galt bei der Landtagswahl am 12. September 1954 wieder eine Fünf-Prozent-Klausel. Der SSW scheiterte jedoch mit 3,5 Prozent (42.242 Stimmen). Neuer CDU-Ministerpräsident wurde am 11. Oktober 1954 Kai Uwe von Hassel (*1913 –1997†). Im Vorfeld des Beitritts der Bundesrepublik zur NATO lag die Initiative nicht länger in Kiel. Bundeskanzler Konrad Adenauer (1876 – 1967) hatte von dänischer Seite klare Signale erhalten, dass gewünscht wurde, die Minderheitenprobleme nördlich und südlich der Grenze zu lösen. Der Streit wurde am 29. März 1955 durch die Bonn-Kopenhagener-Erklärungen beigelegt. Nicht in diesen jeweils nur für das eigene Land betreffenden Erklärungen wurde die Wahlrechtsfrage geregelt. Adenauer stellte in Aussicht, der für Wahlrechtsfragen zuständige Landtag werde die Fünf-Prozent-Hürde für den SSW aufheben. Entsprechende Absprachen waren schon getroffen. Zwei Tage nachdem in Bonn die Erklärungen unterschrieben waren, diskutierte der Landtag am 31. März 1955 in erster Lesung das Landeswahlgesetz. Am 23. Mai schließlich wurde das Gesetz geändert und der SSW damit von der Fünf-Prozent-Klausel befreit. Er muss seitdem nur noch die Stimmenzahl erringen, die für ein Landtagsmandat notwendig ist. Das entspricht de facto einer Fünf-Prozent-Klausel für den dünn besiedelten Landesteil Schleswig. Das Land übernahm damit im übrigen eine Regelung, die schon seit 1953 – und bis heute – für den Bundestag gilt.

Der Sonderstatus hat Bestand …

Mit der Landtagswahl vom 27.Febraur 2000 wurde das bisherige Einstimmenwahlrecht in Schleswig-Holstein vor allem auf Betreiben von Bündnis90/Die Grünen, unterstützt von der FDP, durch ein Zweistimmenwahlrecht abgelöst. Obwohl der SSW nur nördlich einer Linie von Eider und Nord-Ostseekanal Kandidaten aufstellt, ist er seitdem systembedingt nun über seine Landesliste auch in Holstein wählbar. Wahlkampf betrieb der SSW in Holstein nicht. Die Wählbarkeit der SSW-Liste in Holstein stieß jedoch auf den Protest der CDU. Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse und gutachterlichen Stellungnahmen (Januar 2001), die die Sonderregelung des SSW auch im neuen Zweistimmensystem für rechtens hielten, war nicht zu erwarten, dass die seit 1955 geltende Ausnahme für die Vertreter der dänischen Minderheit in Frage gestellt wurde. Dies vor allem als das vom Oberverwaltungsgericht Schleswig zu Klärung angerufene Bundesverfassungsgericht kurz vor der Landtagswahl am 20. Februar 2005 das damals in Schleswig-Holstein geltende Wahlrecht bestätigte.

… und wird angezweifelt

Die Befreiung des SSW als Vertreter der dänischen Minderheit und der Friesischen Volksgruppe wurde nach der Landtagswahl vom 6. Mai 2012 erneut Thema. Mit 4,6 Prozent der Wählerstimmen zog der SSW mit drei Abgeordneten in den Landtag ein. Zusammen mit den zehn Abgeordneten von Bündnis90/Die Grünen (13,2%)  und den 22 der SPD (30,4%) reichte das für den Sozialdemokraten Torsten Albig als Ministerpräsidenten für eine Einstimmenmehrheit im Schleswig-Holsteinischen Landtag. Die knappe Mehrheit und die erstmalige Beteiligung des SSW führte zu Kritik an der „Dänen-Ampel„. Die Junge Union als Nachwuchsorganisation der CDU klagte schließlich vor dem erst 2008 eingerichteten Landesverfassungsgericht in Schleswig. Am 13. September 2013 entschied das Gericht, die Ausnahme für die Partei der dänischen Minderheit von der Fünf-Prozent-Regel sei rechtens. Rechtens sei danach auch, dass weiter Mandate an den Wählerverband gingen, auch wenn die fünf Prozent nicht erreicht seien (siehe zu dem Gesamtkomplex auch Bonn-Kopenhagener-Erklärungen).

Klausel fällt für Kommunalwahlen

Bevor es für Schleswig-Holstein ein Landesverfassungsgericht gab, kippte der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichtes am 13. Februar 2008 die Fünf-Prozent-Klausel für die Kommunalwahlen im Norden.  Antragsteller war der Landesverband von Bündnis90/Die Grünen. Deren Fraktion hatte im Landtag vergeblich gefordert, die Einschränkung für die Gemeindewahlen abzuschaffen. Die Richterinnen und Richter in Karlsruhe argumentierten, dass im Unterschied zu den Bundes- und Landtagen die Kommunalvertretungen keine gesetzgeberischen Aufgaben hätten. Damit – so folgerten sie – seien anders als bei Gesetzgebern klare Mehrheiten zur Sicherung der Regierungsfähigkeit entbehrlich. Dies ergebe sich auch dadurch, dass die mit der Kommunalreform 1995 eingeführte Direktwahl von Bürgermeistern und Landräten, diese unabhängig von den Mehrheitsverhältnissen in den Kreis-, Stadt und Gemeindevertretungen mache. Das Ende für die Fünf-Prozent-Klausel im kommunalen Bereich hat Bestand, auch wenn CDU, SPD und der SSW am 17. September 2009 gegen den Protest der Grünen die Direktwahl der Landräte aufhob. Grund dafür war die extrem niedrige Wahlbeteiligung. 2006 gaben etwa in den Kreisen Nordfriesland und Schleswig-Flensburg bei den Landratswahlen nur noch je gut 23 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Die Direktwahl gilt in Schleswig-Holstein jedoch weiterhin für die vier kreisfreien Städte Kiel, Lübeck, Neumünster und Flensburg.

-ju- (0201/0305/0721/0422/0822*)

Quellen: Lars Henningsen (Hrsg.), SSW – Danksindet politik i Sydslesvig 1945 – 1998, 1998, Flensborg, 1998, Nr. 38, Studieafdelingen ved Dansk Centralbibliotek for Sydslesvik, ISBN 87-89178-29-7; Ulrich Lange (Hrsg.), Geschichte Schleswig-Holsteins. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, 2. verbesserte und erweiterte Ausgabe, Neumünster 2003, Wachholtz Verlag, ISBN 3-529-02440-6; Protokolle des Schleswig-Holsteinischen Landtages, S. 619-625, 15.Sitzung 31.März 1955 und S. 666-668, 16. Sitzung, 23. Mai 1955; Pressemitteilung des Landesverfassungsgerichtes Schleswig-Holstein vom 13.09.2013; Pressemitteilung Nr. 16/2008 vom 13.02.2008 des Bundesverfassungsgerichtes

Bildquelle: Dansk Centralbibliotek Flensborg: Die Vignette zeigt einen Ausschnitt aus einer Karikatur in den Kieler Nachrichten vom Januar 1955