Schon vor 2.000 Jahren berichtete der römische Chronist Plinius nach einer Reise in den Norden von einem eigenartigen Volksstamm, der auf „Hügeln“ am Meer lebte. Er meinte damit die zum Schutz vor Hochwasser und Sturmfluten von den Bewohnern der Marsch aufgeworfenen Wohn-, Schutz und Zufluchtsstätten. In Dithmarschen nennt man sie „Wurten“, in Nordfriesland „Warften“ außerhalb Schleswig-Holsteins Terpen, Wierden (Niedersachsen) sowie in Dänemark „Vaerfter“. An der Westküste entstanden die ersten um etwa 50 nach Christi Geburt. Im ersten Jahrtausend wurden die Wurten und Warften nur langsam mit Mist und Klei erhöht. Teilweise entstanden große, mehrere Höfe umfassende Dorfwurten. Seit dem 11./12. Jahrhundert wurde nur noch mit Klei – also dem tonigen Marschboden – erhöht, weil aufgrund der höher auflaufenden Sturmfluten die Wurten und Warften schnell erhöht werden mussten. Die letzten Warften entstanden im 19. Jahrhundert auf den nordfriesischen Halligen.
Wurten als historisches Tagebuch
Die teilweise sehr großen Wurten mit ihren Mistaufträgen, abdeckenden Kleilagen und Siedlungsschichten haben ein einmaliges kulturelles Erbe hinterlassen. Oft sind die bis 2000 Jahre alten Bauernhäuser durch die konservierenden Mistschichten sehr gut erhalten. Diese Mistschichten bilden wertvolle Archive der historischen Umweltforschung sowie der Geschichte der Wirtschaft und der Ernährung. Jede botanische Einzelprobe liefert Tausende bestimmbarer Pflanzenreste der Salzwiesenvegetation als auch der angebauten Kulturpflanzenarten. Die Rekonstruktion der Vegetation gibt ferner Hinweise darauf, wie weit eine Siedlung von der Küste entfernt lag. Zudem geben die Analysen Aufschluss über die Gefährdung sowie die Möglichkeiten der landwirtschaftlichen Nutzung. Während die Wurten und Warften durch den Deichbau an der Küste ihre Bedeutung verloren, blieben sie auf den weitgehend unbedeichten Halligen im nordfriesischen Wattenmeer der effektivste Schutz.
Dirk Meier/ju (0702/0721)
Quellen: Dirk Meier, Landschaftsentwicklung und Siedlungsgeschichte des Eiderstedter und Dithmarscher Küstengebietes als Teilregionen des Nordseeküstenraumes, in Universitätsforschungen zur Prähistorischen Archäologie, 2001 Bonn, ; Harry Kunz in, Schleswig-Holstein Lexikon, Neumünster, 2000, Wachholtz Verlag, ISBN 3-529-02441-4
Bildquellen: Kirchwarft: Ortwin Pelc; Schnitt durch eine alte Wurt: Dirk Meier