„Glockengeläut und Dankgottesdienste“ – das war die Reaktion in zahlreichen Kirchen Schleswig-Holsteins, als Adolf Hitler am 30. Januar 1933 an die Macht gelangte. Die übergroße Mehrheit der evangelisch-lutherischen Kirche – zu der mehr als 90 Prozent der Schleswig-Holsteiner gehörten – hieß den Nationalsozialismus willkommen. Angesichts des gebrochenen Verhältnisses der Kirche zur Weimarer Republik überraschte das nicht. Immerhin hatte die Weimarer Verfassung die seit der Reformation gültige Verbindung von Staat und Kirche in der Person des Landesherrn beendet. Durch die Novemberrevolution (Matrosenaufstand) und die folgende Demokratie sah die Kirche vorrangig die lutherische Obrigkeit als weitgehend zerstört an. Bereits Mitte der 1920er Jahre begrüßte die schleswig-holsteinische Landeskirche offen den völkischen Antisemitismus. Nach 1933 wurden die wenigen Christen jüdischer Herkunft zunehmend ausgegrenzt.
Die Deutschkirche als „Vordenker“
Der Bund für deutsche Kirche (Deutschkirche) wurde bereits 1921 gegründet. Zu seinen wichtigsten Vordenkern zählte der Flensburger Hauptpastor Friedrich Andersen. Nach „deutschkirchlicher“ Ansicht war das Christentum eine „arische“ Religion, entstanden im Kampf gegen das Judentum. Gemessen an ihrer geringen Anhängerschaft, gewann die Gruppe großen Einfluss, da die Deutschkirchler keine Trennung von der Kirche anstrebten, sondern innerhalb der Kirche für ihre „völkische Reformierung“ eintraten. Ihre Mitglieder sahen darin die Vollendung des völkischen Staates. Sie forderte, das „jüdische“ Alte Testament abzuschaffen und das Ausscheiden aller „jüdischen Elemente“ aus dem Christentum sowie die „Wiederherstellung“ des deutschen Heilandbildes und die Aufnahme der deutschen Märchen und Sagen als „deutsche Form der Offenbarung“.
Die Kirche schaltet sich gleich
Die erste Hälfte des Jahres 1933 wurde auch in der evangelischen Kirche in Schleswig-Holstein als eine Zeit des Aufbruchs empfunden. Der Terror gegen die Linke und die antisemitische Hetze wurden überwiegend begrüßt. Bei den Kirchenvorstandswahlen im Juli 1933 bekam die von der NSDAP initiierte „Glaubensbewegung Deutsche Christen“ (DC) eine überwältigende Mehrheit. Die braunen NS-Uniformen prägten schon das Bild der Landessynode in Rendsburg am 12. September 1933. Die Synodalen beschlossen unter anderem, den sogenannten „Arierparagraphen“ des Berufsbeamtengesetzes zu übernehmen und die beiden Bischöfe für Schleswig und Holstein durch einen Landesbischof zu ersetzen. Erster Landesbischof der evangelisch-lutherischen Kirche der preußischen Provinz Schleswig-Holstein wurde der Kieler Pastor Adalbert Paulsen (*1889-1974†). In der Folgezeit wurden zahlreiche Pröpste ihres Amtes enthoben und durch DC-Pastoren ersetzt.
Deutsche Christen
Die Gründung der Glaubensbewegung der Deutschen Christen, DC, wurde 1932 durch die nationalsozialistische Partei veranlaßt. Die Deutschen Christen sollten die Ziele der Partei innerhalb der evangelischen Kirche durchsetzen. Die DC vertraten eine „von Gott befohlene völkische Sendung“. Unterstützt von der NSDAP, entwickelten sich die DC innerhalb weniger Monate zur führenden Kraft des deutschen Protestantismus. Kirchenpolitisch traten ihre Mitglieder dafür ein, eine nach dem Führerprinzip aufgebaute evangelische Reichskirche zu schaffen. Auf der Nationalsynode in Wittenberg im September 1933 wurde mit Ludwig Müller (*1883-1945†) ein Deutscher Christ zum Reichsbischof gewählt. Die Auflösung der DC begann jedoch bereits Ende 1933, da ihr innerer Gegensatz zwischen Radikalen und Gemäßigten nicht mehr zu überbrücken war.
Widerstand regt sich
Nur eine Minderheit der Theologen empfand das, was sich in der Kirche veränderte, als zunehmend bekenntniswidrig. Sie folgte im Oktober 1933 mit der Gründung der „Not- und Arbeitsgemeinschaft schleswig- holsteinischer Pastoren“ dem Aufruf des Berliner Pfarrers Martin Niemöller (*1892-1984†). Die Notgemeinschaft wurde zur Vorläuferin der Bekennenden Kirche (BK). Diese innerkirchliche Opposition erhielt schnell starken Zulauf. Auslöser war die Rede des Berliner Gauobmanns der Deutschen Christen, Reinhold Krause (*1893-1980†), auf einer Kundgebung der „Deutschen Christen“ (DC) am 13.11.1933 in Berlin. Krause verwarf nicht nur das gesamte Alte Testament, sondern forderte auch „einen grundsätzlichen Verzicht auf die ganze Sündenbocks- und Minderwertigkeitstheologie des Rabbiners Paulus“. Auch nachdem der Reichsleiter der DC, Joachim Hossenfelder, durch den als gemäßigt geltenden Vizepräsidenten des schleswig-holsteinischen Landeskirchenamtes Dr. Christian Kinder ersetzt worden war, konnte der Niedergang der DC als Massenbewegung nicht mehr aufgehalten werden. Die Mehrheit suchte nun den Ausgleich mit der gemäßigten schleswig-holsteinischen Bekennenden Kirche.Der scheiterte 1937 endgültig. Eine Minderheit dagegen radikalisierte sich. Die Pastoren Johann Leopold Peperkorn (*1890-1964†)und Ernst Szymanowski verzichteten schließlich endgültig auf den Talar: Peperkorn wurde NSDAP-Kreisleiter von Süd-Tondern, Szymanowski wurde SS-Sturmbannführer und war als Chef eines Einsatzkommandos direkt am Holocaust beteiligt.
Bekennende Kirche
Die Bekennende Kirche, BK, ging aus dem Pfarrernotbund (Notbund) hervor, der 1933 von dem Pastor Martin Niemöller und anderen gegründet worden war. Die Bekennende Kirche gewann schnell an Bedeutung und wurde der wichtigste Gegenpart aller anderen hier aufgeführten Gruppierungen. Sie wandte sich dagegen, dass die Kirche durch den nationalsozialistischen Staat vereinnahmt wurde, da dieser das Bekenntnis verletze. Doch lehnte die Mehrheit der Bekennenden Kirche den Nationalsozialismus nicht als solchen ab, sondern kämpfte lediglich für die Eigenständigkeit der Kirche. Grundlage des Bekenntnisses war die Bibel, zu der unverzichtbar das Alte Testament gehörte.
Judenverfolgung mit höchsten Segen
Landesbischof Paulsen unterstützte zusammen mit dem Landeskirchenamtspräsidenten Kinder die Verfolgung der jüdischen Minderheit. Beide traten 1939 dem „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ in Eisenach als Mitarbeiter bei. Von hier kamen die weiteren Stichworte zur Radikalisierung der Kirche bis zum Ausschluss der „nichtarischen“ Christen aus der evangelischen Kirche, den Kinder am 10.2.1942 für die Landeskirche verfügte. Dies geschah in Kenntnis und auch als Reaktion auf die Deportationen der deutschen Juden, die im Herbst 1941 begonnen hatte und von der auch evangelische Christen jüdischer Herkunft betroffen waren. Einer der Deportierten war Dr. Arthur Goldschmidt aus Reinbek in Stormarn. Er gründete in Theresienstadt im Sommer 1942 eine evangelische Gemeinde.
Nationalkirche
Die Nationalkirchliche Bewegung (Nationalkirche) entstand durch den Zerfall der Glaubensbewegung der Deutschen Christen. Sie wurde auch als Thüringer DC bezeichnet und hieß ab 1938 Nationalkirchliche Einigung. Sie vertrat ein „völkisches Christentum“ und gründete 1939 das Eisenacher „Institut zur Erforschung und Bekämpfung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“. Nach Ansicht der Nationalkirchler galt es, die Reformation Luthers durch die vollständige Beseitigung aller „Judaismen“ in der Bibel zu vollenden. Eine Hochburg der Nationalkirche war die Lübecker Landeskirche.
Zaghafte Kritik
Von Seiten der Bekennenden Kirche kam zwar Kritik unter anderem an der Deutschkirche und der Politik des Eisenacher Institutes, die BK beschränkte sich jedoch auf (zweifelhafte) Versuche, dem Antisemitismus beziehungsweise vor allem dem „Neuheidentum“ die Spitze zu nehmen. Während des Zweiten Weltkriegs wurden die Auseinandersetzungen hintangestellt, vorrangig, weil die Anhänger der Bekennenden Kirche sich zu einem Burgfrieden verpflichtet sahen. Der von den Nationalsozialisten sogenannte „Kreuzzug gegen den Bolschewismus“, der 1941 begann, wurde zusätzlich von der Kirche unterstützt. Den drei Pastoren, die aufgrund ihrer jüdischen Herkunft oder „Versippung“ 1935, 1939 und 1944 von der Landeskirche entlassen wurden, half die Bekennende Kirche nicht. Ihnen half ausgerechnet der Hamburger Landesbischof Franz Tügel, ein bekennender Antisemit und „Alter Kämpfer“.
Seine lutherische Prägung veranlasste ihn, seinen Amtsbrüdern zu helfen. Am bekanntesten ist der Fall des Wandsbeker Pastors Bernhard Bothmann, der sich schon früh wieder von der Bekennenden Kirche abgewandt hatte. 1939 wurde er aus dem Dienst entfernt, weil er sich nicht von seiner Ehefrau Emmy, einer evangelischen Christin jüdischer Herkunft, scheiden ließ. Tügel übernahm Bothmann, mit dem er zusammen zur Schule gegangen war, daraufhin in den Dienst der Hamburgischen Landeskirche. Erst 1942 musste er das Arbeitsverhältnis beenden, da der Stormarner Propst Gustav Dührkop Pastor Bothmann fortgesetzt bei der Gestapo denunzierte.
Die „Deutschgläubigen“
Bei den Deutschgläubigen handelt es sich um eine Vielzahl von verschiedenen Gruppen und Organisationen, die außerhalb der Kirche standen und das Christentum als „jüdische Fremdreligion“ bekämpften. Gemeinsam war ihnen Rassismus und eine völkisch-mystische Überhöhung des Germanen- und Deutschtums. Im Juli 1933 schlossen sich verschiedene deutschgläubige Organisationen in Eisenach zur „Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Glaubensbewegung“ zusammen. Sie forderte, als „dritte Konfession“ anerkannt zu werden. Zum ersten Vorsitzenden wurde der Tübinger Religionswissenschaftler und Indologe Prof. Jacob Wilhelm Hauer (*1881-1962†) gewählt. Seit 1935 verschärften die Deutschgläubigen ihre Agitation gegen die Kirche und das Christentum insgesamt. Interne Querelen und Streit mit dem NS-Regime ließen die Gruppe der Deutschgläubigen jedoch zersplittern. Die Arbeitsgemeinschaft benannte sich 1938 in Kampfring Deutscher Glaube um.
Die Sonderfälle Lübeck …
Einen Sonderfall stellt die evangelisch-lutherische Landeskirche von Lübeck dar. In der Hansestadt vollzog die Kirche 1933 eine Verfassungsänderung, durch die sie den direkten staatlichen Zugriff in ihre Angelegenheiten ermöglichte. Dies führte zu einem sehr harten „Kirchenkampf“, der zu einer ungewöhnlichen Personalpolitik führte: zwischen 1933 und 1939 wurden 16 Geistliche neu eingestellt, das war mehr als die Hälfte der Lübecker Pastorenschaft. Eine Pfarrstelle bekam nur, wer der NSDAP nahestand und Mitglied der Deutschen Christen war. Nachdem 1933 Kritiker kurzerhand aus der Kirche entlassen wurden, trennten sich die im Amt verbliebenen Pastoren, die zur Bekennenden Kirche hielten, 1936/37 von der Landeskirche. Die verbleibende landeskirchliche Mehrheit radikalisierte sich weiter. Das zeigte sich insbesondere dadurch, dass die staatliche Verfolgungspolitik von diesem Kreis heftig befürwortet wurde. Einzig der einstige Nationalsozialist und Deutschkirchler Karl-Friedrich Stellbrink scherte aus. Seine regimekritischen Äußerungen führten dazu, dass 1943 an ihm und drei katholischen Geistlichen ein Exempel statuiert wurde. In einem Schauprozess wurden die vier zum Tode verurteilt und hingerichtet. Seine Kirche hatte ihn vorher schnell des Amtes enthoben.
… und Eutin
Die Eutiner Landeskirche blieb von dem innerkirchlichen Streit weitgehend unberührt. Der 1930 von der „Evangelisch-lutherischen Kirche des Landesteiles Lübeck im Freistaat Oldenburg“ zum Landespropst gewählte Wilhelm Kieckbusch sympathisierte bereits vor 1933 mit dem Nationalsozialismus. Sein eher gemäßigter Kurs sicherte ihm seine Position über das Kriegsende hinaus, ohne dass nach dem Weltkrieg an ihm Kritik geübt wurde. Berühmt wurde er nach 1945, weil er führende Vertreter der Nationalkirche einstellte, die keine andere Landeskirche mehr beschäftigen wollte. Kieckbusch amtierte bis 1976.
Stephan Linck (TdM 0303/ 0222*)
- Hinweis: Im Beitrag Pastoren im „Dritten Reich“ sind die Einzelschicksale der Pastoren während der NS-Zeit beleuchtet und alle 729 unter pastorenverzeichnis.de recherhierbar
- Hinweis: Zur Geschichte der Juden in Schleswig-Holstein siehe Juden.
Literatur: Annette Göhres, Stephan Linck, Joachim Liß-Walther (Hrsg.), „Als Jesus ‚arisch‘ wurde. Kirche, Christen, Juden in Nordelbien 1933-1945„, 2003, Bremen, Edition Temmen, ISBN 3-86108-903-3; Klauspeter Reumann, Der Kirchenkampf in Schleswig-Holstein 1933 bis 1945, in: Kirche zwischen Selbstbehauptung und Fremdbestimmung (Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte Band 6.1), S. 111-473, Neumünster, 1998, Wachholtz-Verlag; Klauspeter Reumann (Hrsg.), Kirche und Nationalsozialismus: Beiträge zur Geschichte des Kirchenkampfes in den evangelischen Landeskirchen Schleswig-Holsteins, darin über Lübeck und Eutin die Beiträge von Lawrence D. Stokes, Die Eutiner Landeskirche zwischen Novemberrevolution und Nationalsozialismus und Wolf-Dieter Hauschild, Kirche in Lübeck zwischen Anpassung und Widerstand, Neumünster, 1988, Wachholtz-Verlag.
https://pastorenverzeichnis.de/person/bernhard-konrad-bothmann/
Bildquellen: Alle Bilder sind dem Buch „Als Jesus ‚arisch‘ wurde“ entnommen. Vignette: Kirchengemeinde Wandsbek; Friedrich Andersen: Stadtarchiv Flensburg; Synode/Tügel: Archiv NEK; Szymanowski: Bundesarchiv Berlin.