Bis heute wird die Rolle der Pastoren in der evangelischen Kirche im Nationalsozialismus kontrovers diskutiert. Sie werden einmal im Widerstand verortet und dann als Mittäter. In Überblickswerken zum „Dritten Reich“ wurden die Kirchen vor allem im Widerstandskapitel behandelt. Insbesondere der sogenannte „Kirchenkampf“ der „Bekennenden Kirche“ (BK) gegen den innerkirchlichen Kontrahenten, die NS-programmatischen „Deutschen Christen“ (DC) respektive die noch radikaleren Anhänger des „Bundes für Deutsche Kirche“ (Deutschkirche), wurde als Widerstand gegen den Nationalsozialismus ausgelegt. In Schleswig-Holstein gehörte beinahe die Hälfte der 1933 bis 1945 wirkenden Pastoren (zumindest zeitweise) der Bekennenden Kirche an, jeweils ungefähr ein Viertel waren DCler oder blieben kirchenpolitisch neutral. Deutschkirchler fielen von ihrer Anzahl her im Norden kaum ins Gewicht. Für die Schleswig-Holsteinische Landeskirche liegt nun bundesweit die erste differenzierte, Kirchengeschichtsschreibung und NS-Forschung zusammenführende Studie zur gesamten Pastorenschaft der NS-Zeit vor. Wie stellten sich die 729 Geistlichen zum Nationalsozialismus?
Evangelisch-Lutherische Landeskirche
Während der NS-Zeit existierten auf dem Territorium der Provinz Schleswig-Holstein die evangelischen Landeskirchen Schleswig-Holstein, Lübeck und Eutin. Erstere war die weitaus größte. Mit dem Groß-Hamburg-Gesetz 1937 wurden Altona, Blankenese und Wandsbek zwar politisch Teil von Hamburg, kirchlich blieben sie jedoch bei der Schleswig-Holsteinischen Landeskirche. Diese zählte in der NS-Zeit 362 Gemeinden (z. T. mit mehreren Pfarrstellen oder Kirchen), die in 21 Propsteien, der Landessuperintendentur Lauenburg und sowie dem Nordschleswigschen Verbund zusammengefasst waren. Während der NS-Zeit wirkten 729 Pastoren in der Landeskirche (Ordination vor Mai 1945). Sie versorgten ungefähr 1,5 Millionen evangelisch-lutherische Christen, was mehr als 90 Prozent der Bevölkerung entsprach.
Mehr als „Anpassung“ an die Nazis
Die schleswig-holsteinischen Pastoren der NS-Zeit bildeten eine sehr heterogene Gruppe. Sie deckten ein breites Spektrum von aktiver Zusammenarbeit mit den neuen Machthabern über innerkirchliche Selbstbehauptung bis hin zu Formen des Widerstands ab. Allerdings dominierte die Kollaboration eindeutig: Über 80 Prozent der Geistlichkeit lebte und agierte im Konsens mit dem Nationalsozialismus. Die Mitarbeit am nationalsozialistischen Gesellschaftsprojekt setzte schon vor 1933 ein. Diese manifestierte sich für Pastoren in drei Bereichen: der Politik, der Kirchenpolitik und dem Pfarramt.
Politische NS-Kollaboration
Etliche der schleswig-holsteinischen Pastoren wurden Mitglied in NS-Vereinigungen. Über ein Fünftel traten der NSDAP bei, viele schon vor 1933. Ein ebenso großer Anteil war Mitglied in der SA. Überschaubar blieben dagegen Mitgliedschaften in der SS. Als deren Bedeutung infolge des vermeintlichen „Röhm-Putsches“ Mitte 1934 gestiegen war, wurden Theologen bereits nicht mehr aufgenommen. Auch in die NSDAP und SA wurde den Geistlichen die Aufnahme schon früh verwehrt. Die NSDAP verhängte schon im Mai 1933 einen allgemeinen Aufnahmestopp. Der wurde 1937 gelockert und 1939 aufgehoben. Das galt jedoch nicht für Geistliche, die nicht in die Partei durften, vermeintlich um sie nicht in Gewissensnöte zu bringen. Viele evangelische Pastoren engagierten sich aktiv in und für die NSDAP, SA, SS und in weiteren NS-Vereinigungen.
Pastoren bekleideten Ämter und Funktionen, betätigten sich etwa als NSDAP-Blockleiter, Zellenleiter, Ortsgruppenleiter, Kreisleiter, als Geschäftsführer, Referent oder Gauredner, als weltanschaulicher Schulungsleiter der NSDAP oder SA, als SA-Rottenführer, Scharführer, Truppführer und anderes mehr.
Ernst Szymanowski (Biberstein) (*1899-1986†)
trat der NSDAP 1926 bei. 1933 wurde er Propst von Segeberg, 1936 SS-Mitglied, später Chef eines Einsatzkommandos der Einsatzgruppe C in Rostow. Als solcher zeichnete er verantwortlich für die Ermordung mehrerer tausend Menschen.
Johann Peperkorn (*1890-1967†)
wurde 1928 Mitglied und Redner der NSDAP. Bis 1933 versorgte er die Kirchengemeinde Viöl. 1935 avancierte er zum hauptamtlichen NSDAP-Kreisleiter von Südtondern.
Gerhard Springmann (*1910-1941†)
konstatierte 1935: „Mit freudiger Begeisterung habe ich mit Arbeitern und Handwerkern zusammen in der SA gestanden – ich gehöre ihr seit dem 1. IV. 1931 an, und habe in ihren Reihen manch harten Kampf auf der Straße und in Versammlungen ausfechten dürfen, wobei es oft ohne Blutvergießen nicht ausging.“ Springmann „fiel“ als Soldat der Wehrmacht 1941 im Osten.
Kirchenpolitische NS-Kollaboration
Innerhalb der Kirche fungierten die „Deutschen Christen“, die selbsternannte „SA Jesu Christi“, als Parallelbewegung zur NSDAP. Wenigstens 240 schleswig-holsteinische Pastoren schlossen sich den DC an. Viele traten bereits Ende 1933/34 wieder aus. Sie reagierten damit auf die Kundgebung im Berliner Sportpalast vom 13. November 1933. Der Berliner „Gauobmann“ Studienassessor Reinhold Krause (*1893-1980†) forderte vor 20.000 Menschen die „Befreiung vom Alten Testament mit seiner jüdischen Lohnmoral..“. Das war für viele Pastoren zu viel. Sie traten bei den DC aus, blieben aber deren Ideologie verhaftet. Einer von Ihnen war der Schleswig-Holsteinische Landesbischof Adalbert Paulsen (*1889-1974†), der 1933 auf einer DC-Veranstaltung ausführte: „Gott hat aus der deutschen Erde das geniale deutsche Volk geschaffen, und darum muß die Kirche ihm mit ganzem Herzen und Gemüt treu sein. Die Stimme des Blutes redet vernehmlich, und die Kirche hat auf sie zu achten. […] Die Kirche muß die Geschichte des deutschen Volkes als eine Kundgebung Gottes werten. So ist auch Hitler ein Geschenk der Gnade Gottes! Die Kirche soll in der Weltenwende die Spuren und Absichten Gottes sehen. Die ,Deutschen Christen‘ […] verehren darum nicht nur das Blut, sondern auch die Geschichte des deutschen Volkes und den deutschen Staat.“
Kreuz verbindet sich mit Hakenkreuz
Auch im Pfarramt kollaborierten Theologen mit dem Nationalsozialismus – darunter Mitglieder der „Bekennenden Kirche“. Pastoren stellten auf der Grundlage ihrer Kirchenbücher „Arierscheine“ aus, ohne die „Nichtarier“ nicht hätten identifiziert werden können. Sie setzten Gottesdienste zu NS-Feier- und Gedenktagen wie dem 9. November als Tag des Hitlerputsches 1923 oder dem 30. Januar als „Tag der Machtübernahme“ an, hielten Feldgottesdienste für die Partei und ihre Verbände, hissten die Hakenkreuzfahne oder weihten sie. Insbesondere im Rahmen der Verkündigung, in Predigt und Konfirmandenunterricht, verbanden diese Theologen Kreuz und Hakenkreuz aufs Engste miteinander. Adolf Hitler und der Nationalsozialismus wurden gepriesen und heilsgeschichtlich legitimiert.
Konfirmandenstunde von Werner Gieseking (*1908-1979†)
„Im Alten Testament treten uns Männer mit grossem Glauben entgegen. […] Aus unserem Volke ist es ein Martin Luther, und in unseren Tagen ein Adolf Hitler […]. Er trägt sein schlichtes Braunhemd ohne alle Abzeichen, lehnt Titel, Orden und hohe Ehren ab, lebt als Reichskanzler schlicht und einfach und liest in Ruhestunden auch das Neue Testament unseres Herrn Jesus Christus […]. Auch auf ihn passen die Worte des Herren in unserer Geschichte: ,Dein Glaube ist gross, dir geschehe, wie du willst!‘“
Überdies propagierten zahlreiche Theologen NS-Ideologie. Das NS-Rassenkonzept stieß auf ebenso breite Akzeptanz wie die Idee der „Volksgemeinschaft“. Pastoren predigten Judenhass, althergebrachte Motive wie den Vorwurf des Jesusmordes und moderne antisemitische Formen bis hin zur Legitimierung der staatlichen Rassengesetzgebung.
Schrift „Die Kirche und der Jude“ von Wilhelm Halfmann (*1896-1964†)
Bekennende Kirche, 1936: „Wir schicken die Bemerkung voraus: Die Kirche hat nicht die Aufgabe, in die Judengesetzgebung des Dritten Reiches einzugreifen. Vielmehr werden wir von der Kirche her aus der bald zweitausendjährigen Erfahrung mit den Juden sagen müssen: der Staat hat recht. Er macht einen Versuch zum Schutze des deutschen Volkes wie er von hundert Vorgängern in der ganzen Christenheit gemacht worden ist, und zwar mit der Billigung der christlichen Kirche. Man braucht nur Luthers Schriften zur Judenfrage zu lesen, um zu finden, daß das, was heute geschieht, ein mildes Verfahren gegenüber dem ist, was Luther und viele andere gute Christen für nötig gehalten haben.“
Vereinzelter Widerstand
Dem mitunter sehr weitreichenden NS-Engagement stand in der Regel allenfalls moderates oppositionelles Verhalten gegenüber. Es erschöpfte sich in überwiegend interessengebundener Kritik an der Kirchenpolitik des Staates oder an der Haltung einzelner NS-Größen. Nicht wenige Pastoren übten solche punktuelle Resistenz, ohne den Nationalsozialismus zu verwerfen. Keine fünf Prozent gingen in ihrem Protest weiter. Militärischen oder politischen auf einen Umsturz des Regimes abzielenden Widerstand gab es unter den schleswig-holsteinischen Geistlichen nicht.
Friedrich Slotty (*1877-1953†)
leistete aktiv Widerstand. Zunächst Protegé der NS-Bewegung, wandte er sich 1934 vom Nationalsozialismus ab. Er verweigerte die Anwendung des Hitlergrußes oder das Leisten des Eides auf Adolf Hitler. In Predigt und Konfirmandenunterricht sprach sich Slotty offen gegen Antisemitismus aus und attackierte die HJ, Hermann Göring und Adolf Hitler.
Predigt von Heinz Jonas (*1909-1946†), 1937
„Es ist ja sinnlos und widerspricht der Wahrheit, wenn man so tut, als ob die Kirche heute in Ruhe und Frieden ihre Aufgabe erfüllt, von niemandem gestört oder gehindert. Mit den Methoden der Verleumdung und politischen Verdächtigungen sucht man in unsern Tagen die Kirche anzugreifen. Man sagt: ihr seid staatsfeindlich und reaktionär, ihr geht mit dem Bolschewismus Hand in Hand, ihr seid international und judenfreundlich, ihr hetzt das Ausland gegen uns, ihr zerreißt mit euren Konfessionen die Volksgemeinschaft. Aber es bleibt nicht nur bei solchen Verleumdungen und Verdächtigungen, sondern man geht auch aktiv gegen die Kirche vor. Man erläßt Aufenthalts- und Redeverbote; und es sind manche Fälle bekannt, in denen Pastoren mit Hausarrest und Schutzhaft und Gefängnis bestraft worden sind. Und es gehört nicht viel Scharfblick dazu, um zu erkennen, daß der Kampf gegen die Kirche in den kommenden Jahren noch stark anwachsen wird. […] Wir mögen vielleicht auch durch manche bittere Stunden hindurchgehen müssen; denn die Zukunft unserer Kirche sieht recht dunkel aus. Es wird uns der Haß und die Verachtung der Menschen nicht erspart werden. Aber daran sollen wir dann denken: Christus kennt unsere Not und unser Leiden; er kennt auch die Nöte, die unsere Kirche in den letzten Jahren durchgemacht hat, in Treue zu ihm.“
Solch weiterreichende Resistenz war nur innerhalb der BK zu finden, blieb jedoch auch dort die unliebsame Ausnahme. Volkmar Herntrich (*1908-1958†) , Mitglied des Leitungsgremiums der BK, stellte frühzeitig unmissverständlich klar: „Man wirft uns immer wieder vor, daß unser Zusammenschluß letzten Endes doch nur ein Ausfluß politischer Reaktion sei. Wir möchten demgegenüber mit Nachdruck betonen: Sollte irgendjemand sich unserer Gemeinschaft angeschlossen haben in der Hoffnung, hier eine Zuflucht oder eine Betätigungsstätte politischer Reaktion gegen die Staatsführung zu finden, so befindet er sich in einem gründlichen Irrtum. In unserem Bund hat nur der einen Platz, der mit beiden Füßen auf dem Boden des nationalsozialistischen Staates steht.“
Selbstbehauptung: Der „Kirchenkampf“
Gegen die NS-Selbsttransformation der Kirchen und der christlichen Lehre, wie sie von den Deutschen Christen (DC) vorangetrieben wurde, wandten sich die Pastoren der „Bekennenden Kirche“. Sie verwarfen dabei nicht den Nationalsozialismus selbst – im Gegenteil: NS-Kollaboration und Selbstbehauptung gingen vielfach Hand in Hand. „Wir wollen dem neuen Staat mit ganzer Treue dienen, aber die Kirche muß Kirche bleiben“, lautete das Motto. In einem zweiten Konfliktfeld des „Kirchenkampfes“ sahen sich die Pastoren lagerübergreifend vereint: der Auseinandersetzung mit existenzgefährdenden völkischen-religiösen Strömungen wie dem Tannenbergbund oder der Deutschen Glaubensbewegung sowie der Abwehr staatlicher Einflussnahmen. Für die BK gehörten beide „Fronten“ zusammen. Ihr Ziel war die Wahrung der kirchlichen, organisatorischen sowie theologischen Autonomie. Hiermit wurde dem ansonsten weithin befürworteten weltanschaulichen NS-Totalitätsanspruch für den Raum der Kirche Einhalt geboten. „Führerprinzip“ und „Arierparagraph“ wurde für die Kirche abgelehnt, ansonsten aber bejaht.
Harald Torp (*1892 – 1972†)
war einer der Unterzeichner des Misstrauensvotums gegen Landesbischof Adalbert Paulsen. 1937 predigte er: „Eine politische Kirche ist keine Kirche im biblischem Sinn mehr. Kirche muß Kirche bleiben, wenn sie für unser Volk ein Quell der Erhebung und inneren Kraft bleiben soll, wie seit einem Jahrtausend…“
Pastoren als Opfer?
Vor allem zwischen 1935 und 1939 gerieten viele Geistliche in Konflikt mit Staat und Partei, weil der NS-Staat zunehmend den Einfluss der evangelischen Kirche auf das öffentliche Leben zurückdrängen wollte. Einige, auch NS-konforme Pastoren, waren von Gestapo-Verhören betroffen. Allerdings wurden nur wenige Opfer ihrer Landeskirche oder des NS-Staates. Diese Pastoren verloren ihre kirchlichen Ämter, wurden aus Schleswig-Holstein ausgewiesen oder gerichtlich verurteilt: zumeist zu Geld-, nur selten auch zu kurzen Haftstrafen. Nur ein einziger schleswig-holsteinischer Pastor, Ewald Dittmann (*1877-1945 †), wurde in einem KZ-ähnlichen Lager interniert, wo er 1945 starb. Moderate Maßnahmen wie folgenlose Gestapo-Verhöre, mit Freispruch oder durch Einstellung endende Gerichtsverfahren oder disziplinarische Verweise durch das Landeskirchenamt machen die Geistlichen nicht zu Opfern. Opfer des NS-Regimes waren Juden, Zeugen Jehovas, Sinti und Roma, politisch Andersdenkende, Homosexuelle und andere Gruppen, die mit Vertreibung, wirtschaftlichem Ruin, KZ-Internierung, Misshandlung, Folter und Menschenversuchen bis hin zum systematisch-industriellen Mord überzogen wurden. Die Geistlichkeit gehörte nicht dazu. Die Kirche konnte sich zu jedem Zeitpunkt der NS-Herrschaft ein beträchtliches Maß an staatlicher Unabhängigkeit bewahren. Sie diente als Schutzraum, der den Pastoren beträchtliche Handlungsmöglichkeiten eröffnete – ein Privileg, das jedoch nur wenige nutzten.
Fritz Leiser (*1894-1968†)
galt nach den Nürnberger Rassengesetzen als „Halbjude“. 1944 wurde er unter Fortzahlung des Gehalts vorzeitig in den Ruhesstand versetzt. Aufnahme fand er in der Hamburgischen Landeskirche. Leiser war kein NS-Gegner. 1933 veröffentlichte er ein Gedicht auf Adolf Hitler.
Friedrich Heß (*1900-1984†)
war kein Anhänger der NS-Bewegung. Er kam ab 1933 mit verschiedenen NS-Instanzen in Konflikt. 1934 wurde der Pastor in eine andere Gemeinde zwangsversetzt. Anzeigen und Verhöre folgten, 1935 dann kurzzeitige „Schutzhaft“. 1936 wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet – Freispruch. 1937 behielt man seinen Reisepass ein. Es folgte eine Verurteilung wegen Beamtenbeleidigung „zu 300 RM Geldstrafe“ bzw. „4 Wochen Gefängnis“. Sein Pastorenamt verlor Heß nicht.
12 Jahre NS-Herrschaft
Die Pastorenschaft hatte die Weimarer Republik zutiefst abgelehnt. Dementsprechend euphorisch wurde das Jahr 1933 gefeiert. Der Konsens mit dem Nationalsozialismus erreichte seinen Höhepunkt in den Jahren 1933/34. Von 1935 an wurde vereinzelte Kritik lauter, ebenso wie kirchenfeindliche Tendenzen im NS-Staat zunahmen. Innerhalb des NS-Herrschaftsgefüges konkurrierten stets verschiedene Stellen und Akteure miteinander, so dass es weder eine stringente noch eine einheitliche Kirchenpolitik gab. Dies führte nur bei sehr wenigen Pastoren zu gravierenden Positionsänderungen: Der Konsens überwog weiterhin. Von 1939 an leistete der Großteil der Geistlichen Kriegsdienst. An der „Heimatfront“ verbliebene Pastoren begleiteten den Krieg propagandistisch und stilisierten ihn zum aufgezwungenen Verteidigungskrieg, gerechten Überlebenskampf oder heiligen Gotteskrieg. Sie forderten von der Kanzel, sich freiwillig zum Kriegsdienst zu melden, riefen auf durchzuhalten und hielten spezielle Dank- und Bittgottesdienste, Kriegsandachten, Kriegsgebetstunden und Gefallenenehrungen ab. Trotz großer Unterschiede kollaborierte die Mehrheit mit dem NS-Regime. Die Pastorenschaft wurde vor der „Machtergreifung“ primär als NS-herrschaftsbereitende, anschließend NS-herrschaftskonsolidierende und dann langjährige NS-herrschaftstragende Säule greifbar – viel stärker denn als Störfaktor, der auf wenige Leuchtturmpastoren beschränkt blieb.
Dr. Helge-Fabien Hertz (0322*)
Die Biographien aller 729 evangelischen Pastoren in SH während der Zeit des Nationalsozialismus sind unter https://pastorenverzeichnis.de digital recherchierbar
Siehe auch: Evangelische Kirche in der NS-Zeit
Quellen/Literatur (Auswahl): Landeskirchliches Archiv der Nordkirche, Personalakten; Landesarchiv Schleswig-Holstein, Entnazifizierungsakten; Bundesarchiv Berlin, NSDAP-Mitgliederkarteien; Helge-Fabien Hertz: Evangelische Kirchen im Nationalsozialismus. Kollektivbiografische Untersuchung der schleswig-holsteinischen Pastorenschaft. Berlin/Boston 2022, 3 Bde.; ders.: Pastorenverzeichnis Schleswig-Holstein (2022). URL: https://pastorenverzeichnis.de; ders.: Die „Bekennende Kirche“ in Schleswig-Holstein: „[…] wir wollen dem neuen Staat mit ganzer Treue dienen, aber die Kirche muss Kirche bleiben“. In: Rainer Hering/Tim Lorentzen (Hrsg.): Kirchengeschichte kontrovers. Neuere Debatten zur Bekennenden Kirche in Schleswig-Holstein. Husum 2022 [im Druck]; Stephan Linck: Neue Anfänge? Der Umgang der Evangelischen Kirche mit der NS-Vergangenheit und ihr Verhältnis zum Judentum. Die Landeskirchen in Nordelbien. Band 1: 1945-1965. 2. Aufl. Kiel 2014; Klauspeter Reumann: Der Kirchenkampf in Schleswig-Holstein 1933-1945. In: Verein für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte (Hrsg.): Kirche zwischen Selbstbehauptung und Fremdbestimmung. Bd. 6/1. Neumünster 1998, S. 111-443.
Abbildungen: Ernst Szymanowski: US Army photographers on behalf of the OCCWC, Public domain, via Wikimedia Commons; Johann Peperkorn: Kirchengemeinde Viöl; Gerhard Springmann: Kirchengemeinde Neukirchen bei Niebüll; Kirchensiegel Paulsen: Landeskirchliches Archiv der Nordkirche; Weihe Hakenkreuzfahne: Flensburger Kreis- und Stadtarchiv; Friedrich Slotty: Stephan Slotty; Harald Tore: Kirchengemeinde Glücksburg; Friedrich Heß: Kirchengemeinde Wewelsfleth