Gyula Trebitsch – Ein verfolgter Jude macht Filmgeschichte
Als Gyula Trebitsch am 12. Dezember 2005 im Alter von 91 Jahren starb, titelte die Tageszeitung „DIE WELT“: „Hamburg trauert um Gyula Trebitsch“. Der Wahlhamburger habe nicht nur Film- und Fernsehgeschichte geschrieben, sondern auch die Medienstadt Hamburg nach dem Zweiten Weltkrieg aus den Trümmern wieder mit errichtet. Die Zeitung verbeugte sich mit diesem Nachruf vor einem ungarischen Juden, den seit seiner Jugend nichts so begeisterte wie das Filmemachen und der nach der Hölle der NS-Judenverfolgung zu einer treibenden Kraft des Wiederaufbaus der Filmindustrie in der Bundesrepublik wurde.
Frühstart als Filmproduzent
Die Produzentenkarriere des am 3. November 1914 geborenen Sohnes ungarischer Juden aus Budapest begann am 1. Juli 1932 in seiner Heimatstadt bei der Ufa-Filmgesellschaft. Trebitsch startete als Platzanweiser und Filmvorführer, sammelte als Aufnahmeleiter und Theaterchef Erfahrungen. 1936 produzierte er 22-jährig als Mitinhaber der ungarischen „Objekt-Film“ seinen ersten Spielfilm „Ich vertraue Dir meine Frau an“ (Rád bízom a feleségem). Weitere neun Produktionen folgten. 1938 machte einer seiner Filme in den USA Schlagzeilen. Erstmals wurde in der New York-Times der Produzent Gyula Trebitsch namentlich erwähnt.
Minen räumen und KZ
Dann der Krieg: Nach der ungarischen Kriegserklärung an die Sowjetunion musste Trebitsch 1942 mit dem jüdischen Arbeitsdienst als Zwangsarbeiter auf den sowjetischen Kriegsschauplatz. Er wurde gezwungen, Minen zu räumen und zu schanzen. Seine nächste Station waren die Kupferminen von Bor in Jugoslawien. Von dort ging es in das Konzentrationslager Sachsenhausen. Trebitsch überlebte es wie auch die Lager Barth bei Stralsund und Wöbbelin bei Ludwigslust. Am 2. Mai 1945 wurde er dort bis auf die Knochen abgemagert von Angehörigen der 82. US-Luftlandedivision befreit. „Ich habe nur durch Zufall überlebt, ich hatte mich schon zum Sterben hingelegt,“ berichtete der ehemalige KZ-Häftling später von den Stunden unmittelbar vor der Befreiung.
Erholung in Itzehoe
Dann wurde Trebitsch so etwas wie ein Schleswig-Holsteiner auf Zeit. Britische Sanitätssoldaten verlegten den gerade befreiten und geschundenen Gyula Trebitsch nach einer Zwischenstation im Krankenhaus Ludwigslust in das schleswig-holsteinische Itzehoe. Nur ein Wort stand auf der Krankenhauseinweisung: „Schwäche“. „Ich musste im Krankenhaus erst einmal wieder lernen, mit Messer und Gabel zu essen. Im KZ und den Zeiten davor gab es immer nur einen einfachen Schaber für die unzureichenden Mahlzeiten.“ Auch das Gehen habe er neu einüben müssen. Zu schwach sei der Körper gewesen, erinnerte sich Trebitsch. Trotzdem wurde er in Itzehoe sofort ehrenamtlich aktiv. Er wurde Vorsitzender der Jüdischen Gemeinschaft von Itzehoe. In den ersten Jahren lebten laut dem Heidelberger Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland 44 Jüdinnen und Juden in Itzehoe. Trebitsch und zehn weitere Juden befanden sich bis zum 20. November 1945 im Krankenhaus. Der Neu-Itzehoer war obendrein als Delegierter für den Kongress der befreiten Juden in der britischen Zone gelistet. Sozial und kulturell engagierte sich Trebitsch von 1947 an in der anfangs noch überparteilichen Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN). Diese war beispielweise in Hamburg, aber auch anderswo aus den regionalen Komitees für ehemalige politische Gefangene hervorgegangen. „Wir besorgten die erforderlichen Papiere. Das war teilweise sehr langwierig und ich half bei der sozialen Betreuung, es fehlte an Kleidung und Wohnraum“, erinnerte sich Trebitsch. Ganz besonders wichtig sei dies für die Personen gewesen, die ja nicht unbedingt in Deutschland bleiben wollten. Ferner galt es, Kontakte zu Verwandten herzustellen.
Ein Mahnmal für die NS-Opfer
Bis heute erinnert das von Trebitsch initiierte erste Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus in Nordeuropa an diesen ganz besonderen Itzehoer Bürger. Es wurde am 8. September 1946 unter großer Anteilnahme der Bevölkerung eingeweiht und in die Obhut der Stadt Itzehoe übergeben. Diese Gedenkstätte lag dem ehemaligen KZ-Häftling mit der Nr. 12331 bis zum Ende seiner Tage am Herzen. Als es drohte, in Vergessenheit zu geraten und der Verfall begann, setzte sich Trebitsch in den 1990er Jahren energisch für eine Rücksetzung „seines“ Mahnmals an seinen alten Platz in der Innenstadt und dessen Sanierung ein. (In den 1950er Jahren hatte die Stadt Itzehoe das Mahnmal in einen abseits gelegenen Stadtpark unter eine Baumgruppe versteckt umgesetzt). Vor Schülerinnen und Schülern berichtete er im Kreis Steinburg immer wieder von seiner KZ-Haft und von dem Mahnmal und was es für ihn und seine ehemaligen Mitgefangenen bedeutete.
Gyula Trebitsch, ein Filmemacher
In Deutschland sei er nach dem Krieg nur geblieben, „weil ich mich in eine Hamburger Frau verliebt habe“, gestand Trebitsch in einem Interview. Bei den Dreharbeiten zu seinem ersten Nachkriegsfilm „Arche Nora“ lernte er die Kostümbildnerin Erna Sanders kennen und lieben. Gyula Trebitsch wurde personifizierte Filmgeschichte. Der gebürtige Ungar produzierte über 100 Spiel- und Dokumentarfilme. Darunter preisgekrönte wie „Des Teufels General“, „Der Hauptmann von Köpenick“ oder „Das Herz von St. Pauli“. Ende der 1950er Jahre, als die Filmwirtschaft in die Krise geriet, wurde Trebitsch zu einem Pionier der Zusammenarbeit von privater und öffentlich-rechtlicher Produktion. Er gründete die „Studio Hamburg Atelier-Betriebsgesellschaft“ mit, an der sich die privatwirtschaftliche Werbetochter des NDR beteiligte. Als Vorsitzender der Geschäftsführung von Studio Hamburg wurde Trebitsch Chef der größten privatwirtschaftlich organisierten Medienfabrik Europas. 1961 beauftragte der Norddeutsche Rundfunk – eine Premiere für Deutschland – einen privaten Produzenten mit einem Fernsehspiel: Gyula Trebitsch mit „Lysistrata“, das Romy Schneider international bekannt machte. Der unter der Regie von Fritz Kortner entstandene Film machte den Anfang einer langen Reihe von Fernsehspielen, Serien und Dokumentationen.
Rückwärts verstehen – vorwärts leben
„Die Geschichte des Lebens kann man nur rückwärts verstehen, leben muss man aber vorwärts,“ sagte der „kreative Kaufmann“ gern, wenn er in seinem Büro auf dem Gelände des Studios Hamburg besucht wurde. Hier saß die Film- und Fernsehlegende bis zum Schluss – umgeben von dem Original-Mobiliar des Jahres 1948 – an seinem Schreibtisch. Trebitsch achtete peinlich genau darauf, dass alles so blieb wie damals, als er seine einmalige Nachkriegskarriere startete. 1980 beendete Gyula Trebitsch seine erfolgreiche Tätigkeit bei Studio Hamburg und baute mit 66 Jahren eine neue Film- und Fernsehproduktions-Gruppe auf. Als „Trebitsch Produktion“ entstanden für das Fernsehen Zeitbilder wie „Die Geschwister Oppermann“ (Goldene Kamera 1983) und „Die Bertinis“, aber auch Populäres wie „Diese Drombuschs“ und „Mit Leib und Seele“. 1994 stieg die zu Bertelsmann gehörende Ufa-Film- und Fernseh-GmbH Hamburg, in die Produktionsunternehmen der Trebitsch-Gruppe ein, deren Generalbevollmächtigter Trebitsch bis Juni 1994 blieb. Der mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Produzent über sein Erfolgsrezept: „Ich habe immer alle Geschäfte nach ökonomischen, kaufmännisch vernünftigen Gesetzen betrieben, nicht nach Showbusiness-Methoden.“ Stets war ihm dabei klar: „Filme kann man nicht allein produzieren, dazu braucht man immer ein Team.“ Weil er lieber nach vorne schaute, setzte sich Gyula Trebitsch für eine frühe Medienerziehung in den Schulen ein. Universitäten sollten Medienpädagogen ausbilden. „Wenn das nicht geschieht, werden wir in 15 Jahren kein Publikum mehr für literarisch bedeutende, künstlerisch wertvolle und gesellschaftskritische Produktionen haben“, fürchtete der erfolgreiche Produzent bereits in den 1990er Jahren.
Viele Freunde
Ein herzliches Verhältnis verband Trebitsch nicht zur mit Helmut Schmidt, sondern ganz besonders mit dem ehemaligen SPD-Chef Björn Engholm, dem er anlässlich seines Rücktritts 1993 telegrafierte: „Deine Ämter kannst Du zwar alle zurückgeben, Deine Freunde aber nicht.“ Die Hamburger CDU hat Trebitsch, dem Sozialdemokraten, den Hamburger Bürgerpreis verliehen.“Nur wer das Leben liebt, kann liebend leben,“ sagte Gyula Trebitsch. Am Ende eines langen Lebens gelte mehr denn je: „Wer die Geschichte vergisst, verliert sein Gesicht!“ Heute erinnern das Mahnmal sowie eine Hinweistafel an den berühmten einstigen Itzehoer Mitbürger. DER SPIEGEL würdigte Trebitsch anlässlich seines Ablebens : „Vom verfolgen Juden zum Inbegriff deutscher TV-Kultur.“
Michael Legband (0422*)
Quellen: Das Mahnmal – erbaut, verdrängt, wieder entdeckt, Verlag Peter Gerbers 1994, ISBN 13 978-3980074599; Michael Legband: Das Mahnmal – 75 Jahre gegen das Vergessen, Verlag Ludwig, Kiel 2022, ISBN-13: 9783869354125; Kirsten Baumann, Jonas Kuhn (Hrsg.): Gerettet, aber nicht befreit – Überlebende der Shoah in Schleswig-Holstein, Ausstellungskatalog Jüdisches Museum Rendsburg, Schleswig 2020, ISBN 9783947386109
Bildquelle: Alle Fotos Archiv Legband/ Das Mahnmal – 75 Jahre gegen das Vergessen