Das Mahnmal am neuen alten Platz in Itzehoe

Erbaut, verdrängt, wiederentdeckt

Das erste Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus in Nordeuropa steht in der Steinburger Kreisstadt Itzehoe. Unter großer öffentlicher Anteilnahme wurde es am 8. September 1946 eingeweiht und in die Obhut der Stadt Itzehoe übergeben. Sein Entstehen hat es der Initiative eines ungarischen Juden zu verdanken, seine Form einem Stararchitekten, der auch für die Nationalsozialisten gearbeitet hat, seinen Erhalt einer Koalition von Bürgern gegen das Vergessen.

Gyula Trebitsch als treibende Kraft

Die Idee und die Kraft zur Umsetzung dazu hatte der verfolgte ungarische Jude und später legendäre Film- und Fernsehproduzent Gyula Trebitsch (*1914-2005†). Trebitsch war am 2. Mai 1945 von Soldaten der 82. US-Luftlandedivision im Konzentrationslager Wöbbelin bei Ludwigslust befreit worden. Nur durch Zufall hatte er die Strapazen jahrlanger Haft und Zwangsarbeit überlebt. Nach einem ersten Aufenthalt im Krankenhaus Ludwigslust verlegten ihn britische Sanitätssoldaten in das Krankenhaus Itzehoe. Zusammen mit zehn weiteren befreiten Juden sollte er wieder zu Kräften zu kommen. Trebitsch gründete die Jüdische Gemeinschaft Itzehoe, wurde ihr Vorsitzender und gehörte dem Komitee für politische Gefangene an. Die Engländer übertrugen Trebitsch zwei Itzehoer Kinos, die dieser einige Jahre führte, bevor er nach Hamburg zog. Dort setzte er seine von den Nazis in Ungarn unterbrochene Karriere als Filmproduzent fort. Zusammen mit anderen legte der Produzent unter anderem von „Des Teufels General“, der Initiator von „Studio Hamburg“ als einer der bald größten Film- und Fernsehproduktionsstätten in Europa, so mit den Grundstein für den Aufbau der Medienstadt Hamburg.

Gyula Trebitsch

Fritz Höger – ein Architekt mit Vergangenheit

Schon früh kam Trebitsch der Gedankte, mit einem Mahnmal in Itzehoe an die Opfer des Nationalsozialismus zu erinnern. Gleichzeitig wollte er optimistisch in die Zukunft blicken, damit sich etwas Derartiges nie wiederhole. Nachdem Trebitsch in Hamburg das Chilehaus von Johann Friedrich „Fritz“ Höger (*1877-1949†) gesehen hatte, besuchte er den Großarchitekten und Backsteinexpressionisten. Der „Wagner der Architektur“, wie ihn später die taz mit Blick auf seine Großarchitektur nannte, wohnte unweit von Itzehoe in Bekenreihe. Höger machte Trebitsch sofort darauf aufmerksam, dass er in den Anfangsjahren Nationalsozialist gewesen sei und große Hoffnungen in Hitler gesetzt hatte. Er wäre gerne dessen Bauminister geworden. Nach einigen Diskussionen erklärte sich Höger bereit und legte einen Entwurf vor, der zusammen mit den anderen Verfolgten in Itzehoe diskutiert und für gut befunden wurde. Höger schlug eine Backsteinstele mit vier radialen Tafeln mit acht Inschriften, gefangen in einem schmiedeeisernen Käfig vor. Ein verfolgter Jude und ein den Nationalsozialisten verbundener Baumeister (allerdings mit Brüchen zum System) schufen so eine beindruckende Gedenkanlage. Über die meint die Kunsthistorikerin Dr. Claudia Quiring, es sei 1946 an der Zeit gewesen, still zu Gedenken und zu Reflektieren. „So schuf Höger ein kleines, aber doch ausdruckstarkes Denkmal für die Opfer des NS-Regimes, das er selbst zeitweise mitgetragen hatte“. Entstanden – so Quiring – sei eine gut lesbare symbolhafte Architektur, die mit einfachen Mitteln gestaltet wurde und von ihr in das Werkverzeichnis von Höger eingebracht wurde.

Die Fotomontage von 1946 spiegelt den Trubel um das neue Mahnmal

Gefeiert und vergessen

Die ersten Jahre nach dem Krieg gab es am Mahnmal große Gedenkveranstaltungen. 1947 legte so Ministerpräsident Hermann Lüdemann (*1880-1959†) einen Kranz zu Ehren der Opfer nieder. Schon im Verlauf der 1950er Jahren nahm jedoch das öffentliche Interesse ab. 1957 gar wurde es abgerissen und in einem abseits gelegenen Stadtpark „versteckt“. Es passte nicht mehr in die Zeit und wurde kollektiv verdrängt. Das Mahnmal wurde in Itzehoe ins Abseits gestellt. Der DGB hatte vorgeschlagen, es im Park gut sichtbar zu platzieren. Dies wurde abgelehnt. Das Mahnmal wurde einer Baumgruppe zugeordnet und somit seiner symbolhaften Ausstrahlung beraubt. 

Wende nach 1989

Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) bei der Wiedereinweihung des Mahnmals in Itzehoe 1995

Dieses „Verstecken“ wird erst 1989 Thema, als der Initiator Gyula Trebitsch erstmals wieder an „seinem“ Denkmal das Wort ergreift. Trebitsch zeigte sich enttäuscht und entsetzt. Jedoch dauerte es noch sechs Jahre, bis das Mahnmal dann wieder näher an die Stadt an seinen ursprünglichen Standort umzog. Das war durch eine massive Ansprache von Trebitsch, Regierungsmitgliedern, Künstlern, Parlamentariern und Journalisten erreicht worden. Ministerpräsidentin Heide Simonis weihte das Mahnmal 1995 an neuer-alter Stelle wieder. Sie freute sich darüber, dass Itzehoe seine Geschichte „repariert“ hatte. „Das Mahnmal – erbaut, verdrängt, wiederentdeckt“ war Titel eines Dokumentarfilmes von Peter K. Hertling 1996. In diesem Jahr erlebte der Initiator Gyula Trebitsch eine Feierstunde anlässlich der 50. Wiederkehr der Einweihung. Er legte ergriffen einen Kranz zu Ehren der Opfer nieder. „Vergessen wir nicht die, die heute nicht hier sein können,“ erinnerte der KZ-Überlebende an die vielen Opfer des Nazi-Regimes. 2017 wurde das Bauwerk grundsaniert und im Jubiläumsjahr 2021 stellte der Heimatbund Kreis Steinburg eine repräsentative Hinweistafel mit der Geschichte des Mahnmals auf. 

Mahner am Mahnmal

Seit seiner Einweihung haben zahlreiche Politiker an dem Mahnmal gesprochen so die auch Ministerpräsidenten Hermann Lüdemann, Heide Simonis und Daniel Günther. Auch Schauspieler wie Christian Quadflieg waren da und Schriftsteller Günter Kunert (*1929-2019†) hielt dort eine vielbeachtete Rede. Seit 1972 legt der DGB stets vor der Maikundgebung einen Kranz an dem Mahnmal nieder. An gleicher Stelle erinnern seit 1983 Jung- und Altsozialisten Ende Januar an die Opfer der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Seit 1997 gilt das Mahnmal als eine zentrale Gedenkstätte. Seit 2017 kümmert sich die „Arbeitsgemeinschaft Mahnen“ um das Denkmal. Unterstützt wird diese Gedenkarbeit durch die Innenstadt Gemeinde der Evangelisch- Lutherischen Kirche ebenso wie durch das in Itzehoe beheimatete Sophie-Scholl-Gymnasium. Am 8. September 2021, dem 75. Jahrestages der Einweihung des Mahnmals sprachen so auch Schülerinnen und Schüler an dem Mahnmal. Die Kinder des Initiators, Katharina und Markus Trebitsch waren in die Störstadt gekommen, um in Gedenken an ihren Vater einige Worte zu sagen. Die Feierstunde machte deutlich, dass ein einst umstrittenes und fast vergessenes Bauwerk wieder in der Mitte der Gesellschaft steht. 

Michael Legband (1021)

Quellen: Michael Legband, Zweimal Unrecht: 1941, 1957; Julius Legband – ein Itzehoer Maurermeister im Widerstand. Westholsteinische Verlagsanstalt Boyens & Co., Heide 1992, ISBN 3-8042-0598-4; Michael Legband, Das Mahnmal: erbaut, verdrängt, wiederentdeckt. Gerbers Verlag, Itzehoe 1994, ISBN 3-9800745-9-5; Gerettet aber nicht befreit. Überlebende der Shoa in Schleswig-Holstein. Jüdisches Museum Landesmuseen SH, 2020; Michael Legband, Ein Mahnmal in Itzehoe. In: DenkMal! Zeitschrift für Denkmalpflege in Schleswig-Holstein. Jahrgang 27, 2020, ISBN 978-3-8042-0925-1;Fritz Höger (1877 – 1949). Moderne Monumente‘, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg, Höger, Fritz / Turtenwald, Claudia (Hrsg.)ISBN 10: 3935549563 / ISBN 13: 9783935549561 Verlag: Dölling und Galitz Verlag, 2003

Bildnachweise: Vignette/Farbbilder: Michael Legband; Gyula Trebitsch/Heide Simonis: Sönke Dwenger; Fotomontage: Archiv Legband

Die Inschriften auf den vier Platten des Itzehoer Mahnmals lauten:

DEN OPFERN
DES NATIONAL
SOZIALISMUS

LEWER DUAD
ÜS SLAAW

Wo das Recht ist, da
wohnen von selber
schon Freie. Und im
mer, wo Freie sind
Waltet das Recht
Ferdinand Freiligrath

Der Mensch ist frei
geschaffen, ist frei
Und wär er in
Ketten geboren
Schiller

Nur der verdient
sich Freiheit und das
Leben, der täglich
sie erobern muß
Goethe

Und Freie seid ihr
nicht geworden
Wenn ihr das Recht
nicht festgestellt
Ludwig Uhland

Es binden Sklaven
fesseln nur die Hände
der Sinn, er macht den
Freien und den Knecht
Grillparzer

Echte Propheten haben
manchmal falsche
Propheten haben immer
fanatische Anhänger
Marie von Ebner-Eschenbach