1835 fuhr die erste Eisenbahn in Deutschland von Nürnberg nach Fürth. Neun Jahre später begann die Zeit des Schienenverkehrs in den Herzogtümern mit der Strecke von Altona nach Kiel. Parallel zum Aufbau des noch für lange Zeit privatwirtschaftlich betriebenen öffentlichen Netzes entstanden die so genannten „Spezialbahnen“. Zuerst wurden sie von Fabriken und Bergwerken betrieben. Aufgrund der besonderen Gegebenheiten, unter denen sie entstanden, wurden unterschiedliche Spurweiten genutzt. Die reichten von 450 bis zu 1200 Millimeter und waren damit schmaler als die 1435 Millimeter der (englischen) Normalspur. Sie wurden deshalb als Schmalspur- oder Kleinbahnen bezeichnet und in einfachster Bauart errichtet. Erst nachdem die Herzogtümer Schleswig und Holstein durch die Annexion 1867 zu einer Provinz Preußens geworden waren, begann hier in den 1880er Jahren der Bau von Kleinbahnen. Sie dienten vorrangig dazu, die Region, das „platte Land“ zu erschließen, um Landwirtschaft, Handel und Handwerk zu fördern. Ziel war es, die Orte so preiswert wie möglich zu verbinden. Das war wichtiger als eine schnelle Beförderung und 15 bis 30 Kilometer pro Stunde eher normal als die Ausnahme.
Kleinbahnen auf großer Spur
Das gesamte Kleinbahnnetz Schleswig-Holsteins wuchs auf eine Länge von 1271 Kilometern an. Kleinbahn bedeutete dabei nicht überall Schmalspur. Auf der Meterspur wurden nur knapp die Hälfte des Netzes gefahren. Die andere benutzte die Normalspur. Diese Strecken sollten einen einfachen Übergang auf die „Vollbahnstrecken“ ohne Umladen von Gütern oder Umsetzen der Waggons mit Hilfe von Rollböcken ermöglichen. Dazu gehörten unter anderem die Schleswiger Kreisbahnen und die Südstormarnsche Kreisbahn. Das ausgedehnte Meterspurnetz war zu einem großen Teil auf den Einfluss des Ingenieurs Emil Kuhrt (*1848-1909†) zurückzuführen, der in der Anfangszeit an einigen Kleinbahnen mit plante und baute. So war er an den Inselbahn auf Sylt und den Kleinbahnen des Kreises Flensburg beteiligt. In Flensburg war Kuhrt auch lange Zeit Eisenbahndirektor. Weitere Meterspurbahnen gab es in den Kreisen Apenrade, Hadersleben und Norderdithmarschen. Eine Besonderheit war die vier Kilometer lange Kleinbahnstrecke auf der Insel Röm (Rømø), die für den Bäderverkehr in einer Spurweite von 750 Millimeter gebaut wurde. Ein anderer Exot und im ursprünglichen Sinne eine Spezialbahn war die 1868 für den Transport von Kreide erbaute Strecke zwischen Lägerdorf und der Alsenschen Portlandcementfabrik an der Stör in Itzehoe. Als einzige Bahn in Schleswig-Holstein hatte sie die ungewöhnliche Spurweite von 860 Millimetern und wurde noch bis 1877 als Pferdebahn betrieben.
Eisenbahnbau als Kreisangelegenheit
Für den Bau der Kleinbahnstrecken sind einige Gemeinsamkeiten festzuhalten. So ging die Initiative fast immer von privater Seite aus. Das Kapital jedoch brachten die Landkreise auf. Diese banden die Gemeinden ein. Je nach deren Möglichkeiten steuerten sie Grund und Gebäude bei. Der Staat – hier also die Provinz Preußen – hielt sich zurück. Er gewährte nur geringe Zuschüsse oder verbilligte Kredite. Im Gegensatz zu den großen Vollbahnstrecken bestand das wirtschaftliche Ziel der Financiers nicht darin, das Anfangskapital zu verzinsen. Das wurde bei den Kleinbahnen auch kaum jemals erreicht. Ausschlaggebend für den Bau von Klein- oder Kreisbahnen war der Wunsch, die Region wirtschaftlich zu erschließen und den Lebensstandard auf dem flachen Land zu heben. Es wurde angestrebt, den Verkehr zu verbessern, was vielfach gelang. Eingeschränkt passierte das dort, wo – wie im Kreis Flensburg – Kleinbahnen anstatt geplanter Chausseen und nicht zusätzlich zu diesen gebaut wurden.
Ein Weg für Güter und Gewerbe
Alle Kleinbahnstrecken entstanden hauptsächlich für den Verkehr von Gütern für Gewerbe und Landwirtschaft. Die Erleichterung des Personenverkehrs war am Beginn der Kleinbahnzeit ein Nebenaspekt. Ausnahmen bildeten allein die Strecken Altrahlstedt-Volksdorf-Wohldorf sowie die Uetersener Eisenbahn. Güterwagen bestimmten so lange das Bild der Kleinbahnen. Sie brachten zum Beispiel wöchentlich Kohle nach Süderbrarup in Angeln. Auf den Gleisen der Kleinbahnen erreichten auch die neuen Produkte der Industrialisierung – wie Zement, Dachpappe, Handels- und „Kunstdünger“ und „Kolonialwaren“ aller Art – das flache Land. In die Kreisstädte und an die Verladestellen der Vollbahnen wurden Vieh aller Art, Feldfrüchte und Meiereiprodukte geliefert. Fester Bestandteil der Züge war auf einigen Linien auch ein gut gefederter Milchwagen. Dass ein Zug bei jeder Milchkanne anhielt, war deshalb etwa in Angeln über lange Zeit normal.
Die große Zeit der kleinen Bahnen
Zwischen 1880 und 1916 waren alle Kleinbahnstrecken in Schleswig-Holstein erbaut worden, und in diesen Jahren waren sie auch sehr erfolgreich: Jedes Jahr stieg die Menge der beförderten Güter und die Zahl der Passagiere. Der damit verbundene Aufschwung der Landwirtschaft im ganzen Land war ebenfalls immens. Fast alle Strecken fuhren (wenn manchmal auch nur sehr überschaubare) Gewinne ein. Die Folge war, dass die Strecken modernisiert werden konnten, neue Waggons und leistungsfähigere Lokomotiven angeschafft wurden. Man hoffte, die Eisenbahnstrecken blieben auch weiterhin erfolgreich und irgendwann verzinse sich das eingesetzte Kapital.
Während des Ersten Weltkrieges zeigte sich jedoch, wie trügerisch diese Hoffnungen gewesen waren: Der Personen- und der Güterverkehr gingen bald deutlich zurück, Material wurde für den Kriegseinsatz requiriert und Personal eingezogen. Dazu kam eine permanente Knappheit an Kohle. Die Gewinne fast aller Kleinbahnen brachen ein, bei einigen so sehr, daß sie erstmals in die roten Zahlen fahren mussten. Durch die Grenzlandabstimmung von 1920 (Abstimmungsgebiet), in deren Folge Nordschleswig dänisch wurde, schrumpfte auch das schleswig-holsteinische Kleinbahnnetz um 348 Kilometer und damit um rund ein Viertel seiner Gesamtlänge.
Scheinblüte vor dem Niedergang
In der Zeit der Weimarer Republik erlebten die Kleinbahnen noch einmal eine kurze Blüte. Sie endete allerdings schon in den 1930er Jahren und führte dazu, dass erste Strecken stillgelegt wurden. Dazu gehörten unter anderem 1936 die Kreisbahn Flensburg-Rundhof, 1936/37 die Kreisbahn Norderdithmarschen sowie 1939 die Inselbahn auf Amrum. Zu dieser Zeit wurde die Konkurrenz durch Bus und LKW übermächtig (siehe auch ZOB). In der Zeit des „Dritten Reiches“ wurden einige Streckenverläufe geändert, um sie militärischen Erfordernissen anzupassen. Der Zweite Weltkrieg bedeutete für die Kleinbahnstrecken des Landes einen erneuten, diesmal aber wesentlich katastrophaleren Gewinneinbruch als der Erste.
Nicht nur die Knappheit an Betriebsmitteln und die Einberufung von Mitarbeitern zum Kriegsdienst schädigten die Kleinbahnen, zusätzlich zerstörten alliierte Luftangriffe auch Lokomotiven, Wagen und Gleise. Unmittelbar nach dem Krieg wurde im von ehemaligen Wehrmachtsangehörigen und Flüchtlingen völlig überfüllten Schleswig-Holstein alles gebraucht, was rollen konnte. So erlebten auch die Kleinbahnen noch einmal eine kurze Blüte. Doch das Auto hatte seinen Siegeszug schon begonnen, immer weniger Menschen waren auf die Kleinbahn angewiesen. Bereits in den 1950er Jahren begann das Sterben der Kleinbahnen. Sie waren nicht mehr wirtschaftlich und konnten nicht mehr gegen PKW, Omnibus und LKW konkurrieren. In den 1960er und frühen 70er Jahren wurden die letzten Kleinbahnstrecken stillgelegt oder in das staatliche Eisenbahnnetz übernommen.
Was blieb, was wird
Und heute? Heute sind von dem gesamten Streckennetz nur noch drei Museumseisenbahnen übrig geblieben. Eine ist „Hein Lütjenburg“, die Kleinbahn, die noch auf einem Teil der ehemaligen Strecke von Malente nach Lütjenburg zuckelt, die andere die Angelner Museumsbahn, die auf der Strecke Süderbrarup-Kappeln im Sommer unterwegs ist, zwischen der Gemeinde und dem Ostseestrand verkehrt schließlich die Schönberger Museumsbahn. Diese Strecke interessiert momentan wieder die Politik. Im „Landesweiten Nahverkehrsplan 2002“ wird eine Reaktivierung der gesamte Linie Kiel-Schönberg für möglich gehalten. Auch ist angedacht, – zumindest während der Saison im Sommer – diese Strecke über die Museumsstrecke weiter bis an den Schönberger Strand zu befahren. Bis Oppendorf ist die Strecke seit 2017 schon wieder im Betrieb, für den Rest läuft die Planfeststellung. Seit der Bund von 1994 an den Nahverkehr regionalisiert hat und in Schleswig-Holstein mehr Strecken als in jedem anderen Bundesland im Wettbewerb ausgeschrieben werden, hat zumindest der Personenverkehr auf der Schiene – zumindest vor Covid – wieder um ein Fünftel zugenommen. Auch werden stillgelegte Bahnstrecken wieder reaktiviert. Ob damit (zumindest auf der Normalspur) auf Sicht auch eine Renaissance des ehemals großen Kleinbahnnetzes begonnen hat oder doch nur Museumsbahnen an diese Zeit erinnern werden, bleibt abzuwarten.
Sven Bracke (TdM 0402 / 0721)
Bildnachweis: Gemeinsames Archiv des Kreises Schleswig-Flensburg und der Stadt Schleswig, Schleswig; Matthias Schartl (Hrsg.), Schiene/Straße/Schiff – 100 Jahre Verkehrsbetriebe des Kreises Schleswig-Flensburg (1901 – 2001), Kulturstiftung Schleswig-Flensburg, 2001, ISBN 3-935741.00-6; Karte: Gerd Wolff, Deutsche Klein- und Privatbahnen, Teil 1: Schleswig-Holstein, Hamburg. Gifhorn, 1972. S. 3.