Als sich in der Endphase des Zweiten Weltkrieges der Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes abzeichnete, eskalierten Terror und Gewalt in den deutschen Konzentrationslagern ein weiteres Mal. Von Heinrich Himmler (*1900-1945†), Reichsführer der SS und damit oberster Chef aller KZ, stammt der Befehl, dass kein Häftling „in die Hände des Feindes fallen“ dürfe. In Skandinavien wuchs die Sorge um dänische und norwegische KZ-Insassen. Der norwegische Diplomat Niels Christian Ditleff (*1881-1956†), der nach dem deutschen Überfall auf sein Heimatland 1940 nach Schweden geflohen war, entwickelte daraufhin die Idee einer mit der schwedischen Regierung abgestimmten Rettungsmission.
Ein norwegischer Diplomat hat die Idee
Die herausfordernde Aufgabe, diesen Plan umzusetzen, fiel Folke Bernadotte Graf von Wisborg (*1895-1948†) zu, damals Vizepräsident, später Präsident des schwedischen Roten Kreuzes. Dabei kam ihm wesentlich zustatten, dass er, ein Neffe von König Gustaf V. Adolf, über ausgezeichnete Kontakte in die Politik und enge persönliche Verbindungen mit dem Königshaus verfügte.
Am 10. Februar 1945 fasste das Außenministerium in Stockholm einen weitreichenden Beschluss. Darin erklärte es sich bereit, „in Deutschland internierte Juden ohne Beschränkung“ in Schweden aufzunehmen. Gleichzeitung entschied sich das Ministerium, eine Rot-Kreuz-Expedition unter der Leitung von Folke Bernadotte nach Deutschland zu entsenden, um Gefangene aus deutschen Konzentrationslagern zu befreien und in das neutrale Land in Sicherheit zu bringen.
Damit war die schwedische Regierung nach anfänglichem Zögern endlich Niels Christian Ditleff gefolgt, seit Dezember 1943 Stockholmer Repräsentant der Exilregierung Norwegens in London, der am 30. November 1944 beim schwedischen Außenministerium eine derartige Rettungsaktion unter Rotkreuz-Führung angeregt und konkrete Vorschläge unterbreitet hatte.
Bernadotte spricht mit Himmler
Bernadotte, der akzentfrei Deutsch sprach, verhandelte mit hochrangigen NS-Funktionären. An der Spitze der Reichsführer-SS Heinrich Himmler. Dessen Machtfülle erstreckte sich zu diesem Zeitpunkt über das gesamte Konzentrationslagersystem sowie – in seiner Funktion als amtierender Innenminister – die Gefängnisse und Zuchthäuser. Zwar war zunächst nur von dänischen und norwegischen Häftlingen die Rede, die aus Lagern abgeholt und nach Schweden gebracht werden durften, doch bald wurden auch Häftlingsgruppen anderer Nationalitäten mit einbezogen.
Für das Rettungsunternehmen stellte das schwedische Militär Fahrzeuge und Gerätschaften zur Verfügung, darunter 36 Busse, 19 Lastkraftwagen und sieben Personenwagen – allesamt mit weißer Farbe angestrichen sowie mit dem Rot-Kreuz-Emblem auf dem Dach und der schwedischen Landesflagge an der Fahrzeugseite versehen. Das Personal setzte sich laut Bernadotte zusammen „aus Beamten und Wehrpflichtigen, die sich freiwillig gemeldet hatten“.
12. März 1945: Der erste Bus
Am 12. März 1945 passierte der erste schwedische Fahrzeugkonvoi die deutsch-dänische Grenze. Bernadotte: „Die Fahrt ging weiter über Flensburg, Kiel und Lübeck nach Schloss Friedrichsruhe, das zum Hauptquartier der Expedition ausersehen war.“ Das Rettungskorps steuerte unter anderem Neuengamme, Sachsenhausen, Dachau, Buchenwald, Theresienstadt, Mauthausen, Bergen-Belsen und Ravensbrück an, um dort aus den Konzentrationslagern Häftlinge herauszuholen.
Nach knapp einem Monat kehrte etwa die Hälfte des schwedischen Kontingents der Weißen Busse in die Heimat zurück. Vom 7. April 1945 an wurden sie durch dänische Fahrzeuge und Helfer ersetzt. Die dänische Beteiligung an der Rettungsaktion wurde getragen von verschiedenen Behörden, Institutionen und Organisationen, wie dem Sozialministerium, dem Roten Kreuz, der Frauenbereitschaft Danske Kvinders Beredskab (D.K.B.) und dem zivilen Katastrophenschutz Civilbeskyttelsens Udrykningskolonne (CBU).
Dänemark beteiligt sich
In der Erwartung, zum Kriegsende eine größere Zahl von befreiten KZ-Häftlingen in Empfang nehmen zu müssen, hatte Dänemark in Pattburg und Krusau Quarantänestationen errichtet. Insgesamt wurden 16 Holzbaracken errichtet, die meisten davon in Pattburg. Die dortige Quarantänestation befand sich auf dem Gelände der Lokomotivremise der dänischen Staatsbahn und auf einem anliegenden Feld östlich davon; die Quarantänestation Krusau war in der Wassermühle und in einigen Baracken auf Feldern östlich der Zollstelle eingerichtet.
Nur noch Haut und Knochen
Auf einem Areal in der Nähe des Pattburger Bahnhofs wurden die Busse und Rettungsfahrzeuge für ihre Einsätze vorbereitet. Die dänische Flotte bestand aus 123 Bussen, etwa 30 Rettungswagen, 18 Lastkraftwagen, zwölf Personenkraftwagen und sechs Motorrädern. Der dänische Unternehmer Hans Frede Fleggaard (*1933-2019†), dessen Vater in jener Zeit einen Kaufmannsladen in der Nähe des Bahnhofs betrieb, berichtete in einem Gespräch mit dem Verfasser, dass er als Zwölfjähriger statt zur Schule zum Busparkplatz ging, um beim Anstreichen der Fahrzeuge mit weißer Farbe mit anzupacken. „Wir hatten gehört, wofür die Busse eingesetzt werden sollten“, sagte der Zeitzeuge, „aber worum es genau ging, erfuhren wir erst, als die Busse zurückkamen. Die Befreiten waren nur noch Haut und Knochen.“ In der letzten Phase des Zweiten Weltkrieges passierten Tausende von KZ-Überlebenden die Quarantänestationen an der Grenze. Der Geruch von Entlausungspulver mischte sich mit dem Duft aus der Küche, „der die Gefangenen daran erinnerte, dass sie jetzt in Sicherheit waren“.
Es wurde eine Arbeitsteilung verabredet, nach der die größtenteils modernen, benzinbetriebenen schwedischen Fahrzeuge zwischen den einzelnen Lagern und dem KZ-Neuengamme, das als Sammelpunkt für die Rückführung von mehr als 4.000 skandinavischen Häftlingen fungierte, verkehrten und die meist nur mit Holzgas betriebenen dänischen Fahrzeuge im Norden operierten. Mit einem letzten Eisenbahntransport mit ehemaligen KZ-Häftlingen, der am 3. Mai 1945 die Station Pattburg in Richtung Schweden verließ, wurde die Rettungsmission beendet.
Mein Schicksal ist nur eines von Abertausenden
Es waren zigtausende von Einzelschicksalen. Dazu schreibt Hilde Sherman, die mehrere Ghettos und Lager, zuletzt das sogenannte Arbeitserziehungs-lager in Kiel-Hassee, durchlitten hatte, in ihren unter dem Titel „Zwischen Tag und Dunkel“ als Buch erschienenen Erinnerungen: „Mein Schicksal ist nur eines von Abertausenden. Jeder einzelne von uns Überlebenden könnte ein Buch schreiben. Jedes wäre anders und doch ähnlich. Weil ein einziges Leit-Thema alle durchziehen würde: der bis ins kleinste Detail geplante, hochtechnisierte, eiskalte Massenmord, die totale Vernichtung.“
Die aus Mönchengladbach stammende Holocaustüberlebende Hilde Sherman war zusammen mit 152 weiteren jüdischen Häftlingen am 1. Mai 1945 von dänischen Weißen Bussen aus dem KZ-ähnlichen Arbeitserziehungslager bei Kiel befreit worden. Zu verdanken hatten sie ihre Befreiung dem deutsch-schwedischen Kaufmann Norbert Masur (*1901-1971†), der – in Friedrichstadt/Eider geboren und seit 1931 Staatsbürger Schwedens – als Vertreter der schwedischen Sektion des Jüdischen Weltkongresses in der Nacht zum 21. April 1945 auf dem brandenburgischen Gut Hartzwalde Verhandlungen mit Himmler führte, neben Hitler der mächtigste Mann im NS-Staat. Wie Bernadotte zuvor, gelang es auch Masur, Himmler eine Reihe von Zugeständnissen abzutrotzen, wie die Freilassung von jüdischen KZ-Häftlingen in Ravensbrück und in Kiel-Hassee.
15.000 oder 27.000 gerettet?
In der Forschung differieren die Zahlen der durch die schwedisch-dänische Rettungsaktion 1945 aus deutschen Lagern befreiten Häftlinge. Nach Angaben der KZ-Gedenkstätte Neuengamme waren es über 15.000 Personen, die mit Hilfe der Weißen Busse gerettet wurden. Zu einer ähnlichen Einschätzung kam das Schwedische Rote Kreuz. Sune Persson, bis zu seiner Emeritierung Professor am Institut für Staatswissenschaft der Universität Göteborg in Schweden sowie Autor einer Dokumentation über den Einsatz der Weißen Busse, errechnete die Gesamtzahl von 19.000 Häftlingen. Caroline Ditleff, die Tochter des Initiators Niels Christian Ditleff, sprach von 27.000 Männern, Frauen und Kindern.
Bernd Philipsen (1024*)
Literaturhinweise: Hilde Sherman: Zwischen Tag und Dunkel – Mädchenjahre im Ghetto. Frankfurt/Main 1984. – Sune Persson: Rettung im letzten Augenblick – Folke Bernadotte und die Befreiung Tausender KZ-Häftlinge durch die Aktion „Weiße Busse“. Åke Svenson: Die Weißen Busse – Ein Augenzeugenbericht (1945). Berlin 2011. – Henrik Skov Kristensen: Die „Weißen Busse“ aus der Perspektive Nordschleswigs – Die schwedisch-dänische Rettungsaktion für KZ-Häftlinge im Frühjahr 1945, in: Grenzfriedenshefte (Flensburg) 1/2016, S. 23-44. – Bernd Philipsen/Fred Zimmak (Hrsg.): Wir sollen leben – Am 1. Mai 1945 von Kiel mit Weißen Bussen nach Schweden in die Freiheit. Neukirchen/Steinbergkirche 2020. – Jan van Ommen: Richtung Schweden – Die Evakuierung von Frauen aus dem Konzentrationslagern Ravensbrück und Neuengamme. Berlin 2020. – Ulrich Kasten: Mit den Weißen Bussen in die Freiheit – Eine humanitäre Aktion des Schwedischen Roten Kreuzes im März/April 1945 für KZ-Häftlinge. Fürstenberg/Havel 2023.
Bildnachweise: Weisse Busse bei Friedrichsruh: Schwedisches Rotes Kreuz; Weisse Busse Bov: Lokalarkiv Bov; Gerettete Frauen in Kolding: Dansk Sygeplehistorik Museum Kolding; Hilde Shermann: Yad Vaschem; Biefmarke: Post Danmark a/S