Wanda Voss 1926 nach ihrer Meisterprüfung in Stettin

Weibliche Selbständigkeit durch Ausbildung

Wanda Olga Voss (*1894–1975†) war Schneidermeisterin, Gewerbelehrerin und viele Jahre – von 1943 bis 1958 – Direktorin der Frauenfachschule für Mädchen in Kiel. Ihre Berufsbiografie gibt Anlass, sich mit weiblichen Lebensentwürfen zwischen „Mütterlichkeit“ und beruflicher Selbständigkeit der Altersgruppe von Frauen zu befassen, die um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert geboren wurden. Etliche von ihnen qualifizierten sich in traditionell weiblichen Berufen im handwerklichen und sozialen Bereich. Trotz professioneller Kompetenzen fanden sie selten angemessene Erwerbsmöglichkeiten. Leitende Positionen erlangten sie zumeist nur auf Umwegen und „mit langem Atem“. 

Eine alleinerziehende Mutter wird berufstätig

Wanda Olga Honig wurde am 28. Januar 1894 im heute ukrainischen Wolhynien geboren. Sie heiratete mit 18 Jahren den Kaufmann Bruno Voss und lebte nach dem Ersten Weltkrieg mit ihrem Mann in Stettin. Nach dessen Tod 1925 war sie alleinerziehende Mutter dreier Töchter. Sie musste fortan die Familie ernähren und den Spagat zwischen Beruf und häuslichem Alltag bewältigen. Da sie praktische Vorkennnisse im Schneidern hatte, lag es nahe, sich mit dem Ziel zu qualifizieren, dieses Handwerk zur Lebensgrundlage zu machen. Im April 1926 schloss Wanda Voss eine Lehre zur Damenschneiderin mit dem Meisterbrief ab. Sie eröffnete eine Schneiderei, sah sich aber auch nach weiteren Perspektiven um: 1928 bis 1930 ließ sie sich in Berlin an der Victoria-Fachschule zur Gewerbelehrerin ausbilden.

Die alleinerziehende Mutter 1926 mit ihren drei Töchtern

Schlechter Lohn für gute Frauenarbeit

Nach erfolgreich bestandenem Examen im März 1930 wurde sie in Stettin an der städtischen gewerblichen Berufsschule angestellt. Sie bekam über Jahre hinweg jedoch nur zeitlich befristete Verträge, obwohl sie sich zusätzlich ehrenamtlich engagierte, beispielsweise Kurse für Erwerbslose gab. Sie nahm sich in ihrer Freizeit außerdem junger Frauen an, für die sie unentgeltlich eine Nähstube einrichtete und eine Wandergruppe organisierte. Trotz ihres beruflichen und ehrenamtlichen Engagements blieben die Lebensverhältnisse von Wanda Voss mehr oder weniger prekär, ihre Perspektiven unsicher. Damit stand sie nicht allein. Zwar erlangten Frauen nach Ende des Ersten Weltkriegs in Deutschland die politische Gleichstellung. Die Weimarer Reichsverfassung des Jahres 1919 versprach ihnen auch Fortschritte in sozialer wie gesellschaftlicher Hinsicht sowie schulische und berufliche Förderung. Bessere Möglichkeiten der Ausbildung für Frauen und deren Professionalisierung waren auch Gegenstand diverser Initiativen. Trotz dieser ermutigenden Ansätze führten die wirtschaftlichen und politischen Krisen der 1920er und beginnenden 1930er Jahre jedoch dazu, dass diese hoffnungsvollen Reformansätze nicht verwirklicht wurden. 

Ein Wagnis: Neuanfang in Kiel

Die Berufsschule für Mädchen/Frauenfachschule war zeitweise auch im Gebäudekomplex der Marineschule in Kiel Wik untergebracht

In Zeugnissen und Befürwortungen wurde vor allem die „Hingabe“, „Opferwilligkeit“ und „Selbstlosigkeit“ der Person und Lehrkraft Wanda Voss hervorgehoben, zudem „die ausgesprochene Mütterlichkeit ihres Wesens“. Letztere sei – so hieß es in Zeugnissen ihrer Arbeitgeber – das Fundament ihres Unterrichtserfolgs und des grundlegenden Vertrauens gewesen, das ihr die Schülerinnen entgegengebracht hätten. Als sie sich zu Beginn des Jahres 1939 auf eine Stelle als Gewerbelehrerin an der Frauenfachschule in Kiel bewarb und diese dann auch im April des Jahres „auf Probe“ antrat, zeichneten sich weitere Belastungen ab: Schon bald wirkte sich der Krieg auf das zunehmend unter Ausnahmebedingungen aufrechterhaltene, nationalsozialistisch kontrollierte Schul- und Ausbildungswesen aus. Im März 1940 wurde Wanda Voss zur Fachvorsteherin ernannt, dann zur Direktorinnenstellvertreterin; 1943 übernahm sie die Leitung der Frauenfachschule und bekleidete dieses Amt bis zum Jahre 1958. In dieser Zeit stieg die Zahl der Schülerinnen auf etwa 1.500 an. Reformansätze der 1920er Jahre wurden wieder aufgegriffen. Staatsbürgerlich demokratische Erziehung und handwerkliche Berufsvorbereitung sollten Hand in Hand gehen. Zu entscheidenden Neuordnungen kam es erst in den 1960er Jahren.

Abschied von „Mutter Voss“

Wanda Voss 1940

Regierungsrätin Waltraut Klinkow (*1908–2009†), Pionierin im Bereich der Professionalisierung der Ausbildung von Frauen und unter anderem auch Frauenreferentin im schleswig-holsteinischen Bildungsministerium, würdigte Wanda Voss 1975 auf der Trauerfeier anlässlich ihres Todes. Sie sprach von „Mutter Voss“, die in den Wiederaufbaujahren vorbildlich gewirkt habe. Von ‚geistiger Mütterlichkeit‘ war ja nicht selten die Rede, wenn es galt, Frauen zu ehren, die sich auf dem weiten Feld der sozialen Arbeit sowie im Bildungswesen Meriten erworben hatten.

Viele von ihnen dürften wie Wanda Voss engagierte Praktikerinnen gewesen sein, die wenig Zeit hatten, sich autobiografisch zu äußern. In einer der wenigen Tagebuchaufzeichnungen, die Wanda Voss hinterließ, erwähnte sie um die Mitte der 1920er Jahre einen für die Geschichte der Frauenemanzipation kanonischen Text, und zwar Friedrich Schleiermachers „Katechismus der Vernunft für edle Frauen“, mit folgenden Zeilen: „Ich glaube, dass ich nicht lebe, um zu gehorchen oder um mich zu zerstreuen, sondern um zu sein und zu werden […]. Ich glaube an Begeisterung und Jugend […]“.

Prof. Dr. Barbara Stambolis (0523*)

Dieses Porträt war Teil einer Serie, die im Vorfeld des 4.“Tages der Schleswig-Holsteinischen Geschichte“ am 2. September 2023 in Reinbek entstanden ist. Wie der Tag ist auch der Tagungsband „(UN)SICHTBAR – Frauen in der Geschichte Schleswig-Holsteins“ überschrieben

Quellen: Dokumente zur Berufsbiografie von Wanda Voss im Besitz der Verfasserin; Weiteres zu Berufsschulen im Stadtarchiv Kiel, Signatur 49268 und 46437. Literatur: Günter Pätzold: Berufsbildung. Handwerkliche, industrielle und schulische Berufserziehung, in: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte Bd. 5, 1918–1945, München 1989, S. 259-288; Elke Kruse: Von der Wohlfahrtspflegerin zum Master of Social Work – ein „Genderblick“ auf 100 Jahre Ausbildungsgeschichte der Sozialen Arbeit“, in: Weibliche und männliche Entwürfe des Sozialen – Wohlfahrtsgeschichte im Spiegel der Genderforschung, Opladen 2007, S. 182-194. 

Bildquellen: Alle Bilder von Wanda Voss aus Privatbesitz; Marineschule Kiel-Wik Foto: Wilhelm Schäfer (Wikimedia commons)