Die Tram war in den großen Städten scheinbar allgegenwärtig: Ausschnitt aus einer Kieler Postkarte von 1920
Die Tram war in den großen Städten scheinbar allgegenwärtig: Ausschnitt aus einer Kieler Postkarte von 1920

1844 hatte der Siegeszug der Eisenbahn auch in den Herzogtümern Schleswig und Holstein begonnen. Auf dem rasch wachsenden Gleisnetz wurden Güter und Passagiere in bis dahin unvorstellbarem Umfang transportiert. Doch Eisenbahnen verbinden nur Orte. Bis Ende des 19. Jahrhunderts endete die Verkehrsrevolution an den Ausgängen der Bahnhöfe. In den längst über die Stadtmauern hinaus gewachsenen Zentren fehlte ein System, um sich preiswert und schnell innerhalb der Stadt fortzubewegen. 1881 wurde in Schleswig-Holstein zum Jahr der Straßenbahn: in Flensburg, Kiel und Lübeck nahmen Pferdebahnen ihren Betrieb auf. Sie verkehrten nicht nur nach Fahrplan, sondern auch weitaus preiswerter als Fuhrwerke. Aufgrund des im Vergleich weitaus geringeren Rollwiderstandes kann ein Waggon auf Schienen mehr Menschen transportieren als eine Kutsche. 1886 wurde begonnen, die „Hafer-“ durch Elektromotoren zu ersetzen. Mit der seit 1890 ausgebauten Straßenbahn in Schleswig gab es in Schleswig-Holstein vier echte Trams, auf Amrum und Sylt zwei schmalspurige Inselbahnen, die auch zeitweise die im Vergleich zu Eisenbahn preiswerteren Konzessionsbedingungen für Straßenbahnen nutzten, und den Sonderfall Tornesch Uetersen.

Sonderfall: Tornesch-Uetersen

Noch 1963 fuhr die Straßenbahn durch Uetersen
Noch 1963 fuhr die Straßenbahn durch Uetersen

Zwischen dem Bahnhof Tornesch und der Innenstadt von Uetersen entstand 1873 die erste Bahn, deren Gleise in der Straße lagen. Damit war es de facto einen „Straßenbahn“, die jedoch mit einer Konzession für Kleinbahnen betrieben wurde. Täglich zogen Pferde sieben Zugpaare und zwei Güterzüge über die fast fünf Kilometer lange Strecke. Aufgrund des stetig steigenden Bedarfs wurde die Bahn 1908 auf Dampfbetrieb umgestellt. Trotz Abdampfkondensation belasteten Dampf und Ruß die Anwohner jedoch stark. 1912 begann man deshalb, eine elektrischen Bahn zu planen. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges stoppte diese Arbeiten. Sie konnten erst wieder in den 1920er Jahren aufgenommen werden. Die Straßenbahn, die rechtlich keine war, fuhr bis 1965.

Flensburg

Pferdebahnwagen Nummer 6 quält sich am 31.Dezember 1904 in flensburg durch die überfluteten Straßen
Pferdebahnwagen Nummer 6 quält sich am 31.Dezember 1904 in flensburg durch die überfluteten Straßen

Flensburg zogen seit (eben) 1881 die Pferdebahnen auf einer Länge von 2,3 Kilometer von der Neustadt bis zur Rathausstraße. Die Quartiere östlich der Förde mussten zunächst ohne Bahn auskommen. Erst als 1905 bis 1907 die „Elektrische“ eingeführt wurde, wuchs das Streckennetz über den unmittelbaren Innenstadtbereich hinaus. 1912 schon fuhren die Straßenbahnen auf drei Linien auf einem Netz von knapp 15 Kilometern. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die bis dahin von der Flensburger Kreisbahn betriebene Kleinbahn übernommen und elektrifiziert.

Hochbetrieb der "Elektrischen" 1907 in Flensburg
Hochbetrieb der „Elektrischen“ 1907 in Flensburg

Diese Strecke wurden in den 1920er Jahren jährlich von bis zu 180.000 Fahrgästen genutzt. Doch die Zeit arbeitete gegen die Tram. Nach dem Zweiten Weltkrieg stiegen immer weniger Menschen in die „Elektrische“. Zwischen 1957 und 1973 mussten die drei Flensburger Linien eingestellt werden. Das alte Bahndepot an der Apenrader Straße wird seitdem als Omnibushalle genutzt. Dass Busse die Bahn ablösen würden, war in Flensburg früh erkennbar. 1931 entstand – zuerst vor allem noch für den zunehmend motorisierten Überlandverkehr – der erste Zentrale Omnibusbahnhof ( ZOB) in Deutschland. Bereits 1938 nutzten ihn eine dreiviertel Millionen Fahrgäste.

Kiel

Die Kieler "Hafenlinie" im noblen Stadtteil Düsternbrook
Die Kieler „Hafenlinie“ im noblen Stadtteil Düsternbrook

Kiel erlebte durch den Ausbau als Marinestützpunkt seit 1865 einen Boom. Dennoch scheiterten frühe Versuche, Pferdebahnen einzurichten. Erst 1881 verkehrte die erste planmäßige Pferdebahn. Gut sieben Kilometer war das Netz lang, ausgelegt, um Zugreisende vom Bahnhof in das Kerngebiet der Fördestadt zu bringen. 1896 begann die Elektrifizierung. Sie machte die Straßenbahn nicht nur schneller und leistungsfähiger, sondern sparte auch 30 Prozent der Betriebskosten. Zudem sorgte die hohe Zugkraft (Traktion) der Elektrischen dafür, dass nun die durch die Lage im Fördetal zum Teil erheblichen Steigungen wie in der Bergstraße mühelos bewältigt werden konnten.

Die Kieler Straßenbahn 1972 in Ellerbek auf dem Ostufer
Die Kieler Straßenbahn 1972 in Ellerbek auf dem Ostufer

Die elektrische Straßenbahn erwies sich als Erfolgsunternehmen. Bis zum Ersten Weltkrieg wurden stetig neue Strecken gebaut und bestehende verlängert. 1914 war das Liniennetz bereits auf 36,5 Kilometer ausgebaut. Die 1920er und 1930er Jahre waren bewegt. Streiks, Streckenveränderungen sowie der Zusammenschluss mit der Neuen Dampfer-Companie zur Kieler Verkehrs-AG brachten die Straßenbahn immer wieder in die Schlagzeilen. In den Bombennächten des Zweiten Weltkriegs wurden große Teile der Kieler Tram zerstört. Erst 1955 waren die Kriegsschäden behoben. Schon vier Jahre später begann der Rückbau. 1969 gab es in Kiel nur noch eine Strecke. Die Linie 4 verband bis 1985 das Ost- und das Westufer der Fördestadt und führte von Wellingdorf, Ellerbek, Gaarden über den Bahnhof in die Holtenauer Straße.

Lübeck

1896 Lübeck: im Vordergrund die Pferdebahn, rechts am Rand der alte Bahnhof der Lübeck-Büchener-Eisenbahn (LBE)
1896 Lübeck: im Vordergrund die Pferdebahn, rechts am Rand der alte Bahnhof der Lübeck-Büchener-Eisenbahn (LBE)

In Lübeck erteilte der Senat 1880 die erste Konzession für eine Pferdebahn. Bei deren Start 1881 blieb der Erfolg jedoch zunächst aus, weil die beiden Strecken als zu teuer galten. Trotzdem setze sich das neue Verkehrsmittel durch. Schon 1893 konnten die Strecken elektrifiziert werden. Neben der städtischen Straßenbahn entstanden zwei weitere zunächst unabhängige Unternehmen. Für die deutsch-nordischen Industrieausstellung 1895 auf dem Marlier Feld entstand eine „Ausstellungsbahn“. 1905 folgte von der Untertrave nach Marli die “Marlibahn”. Beide Linien wurden schließlich von der Lübecker Straßenbahn übernommen. Das Streckennetz wuchs bis 1914 auf 15 Linien an, die den gesamten Bereich der Altstadt und die erst seit 1874 vor deren Toren wachsenden neuen Stadtteile erschlossen. Bereits in den 1930er Jahren wurden schon sechs Linien vom Schienen- auf Omnibusbetrieb umgestellt. Auch in Lübeck zerstörten im Zweiten Weltkrieg Bomben große Teile der Straßenbahnstruktur. 1950 konnten wieder sechs Linien betrieben werden. Mit der Zunahme des Individualverkehrs verlor die Straßenbahn immer mehr Fahrgäste. Die von ihrer Kapazität kleineren und flexibler einsetzbaren Busse lösten die Tram ab. Im November 1959 rollte die letzte Lübecker Straßenbahn ins Depot.

Schleswig

1907 Schleswig: Die Pferdebahn am Rathausmarkt
1907 Schleswig: Die Pferdebahn am Rathausmarkt

Um den Bahnhof (Eisenbahn) mit der Innenstadt zu verbinden, wurde in Schleswig 1869 eine Pferdeomnibuslinie eingerichtet. Ende der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts wurde eine Pferdebahn geplant und durch den Ingenieur Emil Kuhrt (*1848-1909†)(Kleinbahnen) gebaut. 1890 konnte diese vier Kilometer lange Strecke mit Anschluss an die Kleinbahn Schleswig-Süderbrarup eröffnet werden. Die Linie wurde von der Bevölkerung ausgesprochen gut angenommen. Deshalb wurde sie 1910 elektrifiziert. Während des Ersten Weltkrieges und in der Zeit danach musste der Fahrplan ausgedünnt werden, und die einst wirtschaftlich so erfolgreiche Bahn fuhr in die roten Zahlen. Zudem war der Straßenbahnbetrieb in der engen Schleswiger Altstadt problematisch. Dem späten Start in Schleswig folgte so ein frühes Ende: Schon 1936 wurde der Betrieb eingestellt.

Ausblick

Heute erinnern in Schleswig-Holstein nur noch alte Schienen im Straßenbelag an die Wagen, die mit Pferdekraft, Dampf und schließlich elektrisch die Menschen durch die Städte fuhren. Die Straßenbahnen haben sich durch den zunehmenden Individualverkehr überlebt. Doch der stösst inzwischen an seine Grenzen. Zu viele Autos verstopfen heute die Straßen, die Omnibusse stecken mit im Stau, Parkraum in der Stadt wird immer knapper und teurer. Deshalb wird inzwischen vor allem in Kiel wieder darüber diskutiert, ob es nicht an der Zeit wäre, die „gute alte Tram“ als „Stadtbahn“ wieder aufs Gleis zu setzen.

Sven Bracke (0304/0721)

Quellen: Dieter Höltge, Straßen- und Stadtbahnen in Deutschland, Band 8: Schleswig-Holstein, Freiburg 2002, EK-Verlag GmbH; ISBN 3-88255-339-1

Bildquellen: Vignette/Tram Kiel: Jürgen Jensen, Kieler Stadtporträt 1870/1920 – Der Einzug der Moderne im Spiegel der Bildpostkarte, Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte – Band 42, 2002, Heide, Verlag Boyens & Co, ISBN 3-8042-1109-7; Uetersen/Hochwasser: Dieter Höltge, Straßen- und Stadtbahnen in Deutschland, Band 8: Schleswig-Holstein, Freiburg 2002, EK-Verlag GmbH; ISBN 3-88255-339-1; Südermarkt Flensburg/Düsternbrook/ Pferdebahn Schleswig: Sammlung Günter H. Köhler in Dieter Höltge s.o.