Sønderjysk ist eine alte volkssprachliche Varietät in Schleswig, die ab dem 19. Jahrhundert von sowohl deutscher als auch dänischer Seite unter Druck geriet. Diese Sprache entwickelte sich aus dem Mittelalterdänischen. Die erste Übersetzung des Flensburger Stadtrechts (1300) ist eine der ersten schriftlichen Quellen, die ausgeprägte Merkmale von Sønderjysk aufweist. Es handelt sich um die Sprachvarietät, die in den historischen Quellen gewöhnlich als ‚Dänisch‘ bezeichnet wird, denn bis 1920 spielte das Standarddänische in Schleswig kaum eine Rolle. Sønderjysk wurde bis zur Linie Schleswig-Husum von großen Teilen der Landbevölkerung gesprochen, in Nordschleswig auch in den Städten. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts war Sønderjysk im südlichen Schleswig, in Angeln und in Flensburg fast verschwunden. 

Die heutige Ausbreitung

Heutzutage gibt es nur noch wenige Sønderjysk-Sprecher unmittelbar südlich der Bundesgrenze. In Nordschleswig wird Sønderjysk immer noch auf dem Lande und in kleineren Städten als Umgangssprache benutzt. Sprache der Institutionen und Medien ist jedoch Standarddänisch. Immer weniger Eltern geben Sønderjysk in der Familie an ihre Kinder weiter. In den letzten Jahren scheint es eine Aufwertung von Sønderjysk zu geben. Auch unter den Jugendlichen bildet sich eine größere Bewusstheit dafür heraus, was mit dem Verschwinden der Regionalsprache verloren gehen könnte. Außerdem haben sich Gruppen im Internet gebildet, die auch auf Sønderjysk schreiben. Die größte Internetgruppe ist die Facebook-Gruppe von „Æ synnejysk Forening“ mit rund 19.000 Mitgliedern (2022). Eine landesweit populäre Rocksängerin, Rikke Thomsen, verfasst und singt ihre Lieder auf Sønderjysk. Mitglieder der deutschen Minderheit in Dänemark gelten als besonders kompetente Sprecher des Sønderjysk, da bei der deutschen Volksgruppe der Einfluss des Standarddänischen nicht so massiv ausgebildet ist. Für den Sprachgebrauch der deutschen Minderheit gilt der Spruch: „Wir schnacken Sønderjysk, wenn wir sitzen, und Deutsch, wenn wir stehen.“ Bei der dänischen Minderheit südlich der Grenze gibt es nur noch wenige Sønderjysk-Sprecher, da sich das dänische Schulsystem beiderseits der Grenze seit der Grenzabstimmung 1920 ausschließlich auf Standarddänisch fokussiert hat. 

Sprache oder Dialekt

Eine Sprachvarietät wie das Sønderjysk als Sprache oder Dialekt einzuordnen erweist sich als schwierig: Als Dialekt bezeichnet man in der Linguistik ein Subsystem zu einem übergreifenden Sprachsystem einer Standardvarietät, in diesem Falle dem ‚gebildeten‘ Kopenhagener Dänisch. Die gegenseitige Verstehbarkeit von Dialekt und Standardsprache darf dabei nicht gestört sein. Diese Formulierung ist nicht besonders präzise, weil es subjektiv sein kann, wann eine gestörte gegenseitige Verstehbarkeit tatsächlich vorliegt. Wer von Sønderjysk ins Standarddäniche übergeht, wechselt jedoch bewusst zwischen zwei Sprachmodi. Für die Sprecher gibt es daher kaum Zweifel: Sønderjysk ist ‚æ sproch‘, also die Sprache!

Das „Vaterunser“ auf Sønderjysk

Um einen Höreindruck zu vermitteln, hier das „Vaterunser“ auf Sønderejysk , gesprochen von Elin Fredsted

Das Vaterunser auf Sønderjysk(Elin Fredsted mit dem Vaterunser auf Sønderejysk)
Prof. Elin Fredsted

Charakteristika von Sønderjysk

Aus dialektologischer Sicht ist Sønderjysk ein jütischer Dialekt, der sich von den im Norden benachbarten Dialekten unterscheidet. Unter anderem fehlen im Sønderjysk die für das Standarddänische charakteristischen ‚weichen‘ -d und -g-Laute. Die ursprünglichen Verschlusslaute -p,-t,-k nach Vokalen haben sich im Sønderjysk eigenartig entwickelt: g, b und d (altdänisch -p,-t,-k) werden mit Lauten ausgesprochen, die dem Dänischen zum Teil fremd sind:

g  ich-Laut [ç] nach vorderen Vokalen wie in piich (pige ‚Mädchen‘), ach-Laut [χ] nach hinteren Vokalen wie in baach (bage ‚backen‘). 

b → ‑f nach Vokal wie in piif (pibe ‚Pfeife‘).

Komplizierter ist das Verhältnis zum standarddänischen ‚weichen‘ -d-Laut [ð], der im heutigen Dänisch drei unterschiedliche altdänische Laute vertritt: ‑t, [ð] und ‑dd. Im Sønderjysk haben sich diese Laute unterschiedlich entwickelt. Erstens: Das altdänische –wird zu einem ‑r oder einem unbetonten ‑e: Im westlichen Sønderjylland wird das ‑zu einem ‑r-Laut wie in gar(gade ‚Straße‘), mar (mad ‚Essen‘), kjør (kød ‚Fleisch‘). Im östlichen Sønderjylland ist das ‑r verschwunden und von einem unbetonten ‑e [ə] ersetzt worden wie in foe (fod ‚Fuß‘), grøe (grød ‚Grütze‘) oder erscheint nicht mehr wie in føø (føde ‚Nahrung‘). Zweitens: Wo das Altdänische auf ‑[ð] endete, hat Sønderjysk ‑j wie in blojrøjgoj, blaj (‚Blut, rot, gut, Blatt‘). Drittens: Das altdänische ‑dd wird nördlich der Linie Röm-Haderslev als ‑j ausgesprochen: pajføj (padde, født; Kröte, geboren‘). Südlich davon wird altdänisch ‑dd an manchen Orten als ‑jt ausgesprochen: pajtføjt. An der Westküste ist die Aussprache ‑r: parfør. Auf der Halbinsel Sundewitt und der Insel Alsen kann dieser Laut verschwinden: pa

Ein weiteres Merkmal ist: ein unbetontes -e am Wortende fällt weg. Dies betrifft auch grammatische Endungen auf ein unbetontes ‑e; damit gibt es (wie im Englischen) bei Verben keine Infinitivendungen (spise → spiis). Das gilt auch für die schwache Deklination von Adjektiven auf ‑e (det grønne hus → æ grøøn hus) und die Pluralendungen von Substantiven, die mit ‑Plural bilden (huse → huus). 

Die einzige germanische Tonsprache

Sønderjysk hat zudem eine Reihe tonaler Merkmale entwickelt, die sich auf den Wurzelvokal konzentrieren: Dieser wird zu einem überlangen Vokal gedehnt (huse → huus) und kann – als Besonderheit – in den östlichen Dialekten noch einen tonalen Akzent erhalten, und zwar in den Fällen, wo ursprünglich zweisilbige Wörter (durch das Wegfallen des unbetonten Endvokals) zu Einsilblern verkürzt werden. So können sonst gleichlautende Wörter durch die Länge und Modulation des Vokals unterschieden werden: Dänisch: huse → Sønderjysk: hûûs. Südostsønderjysk ist somit die einzige germanische Tonsprache. Das ist ansonsten ein Merkmal asiatischer Sprachen wie Mandarin. Ein Stoßton wird in den meisten Gegenden verwendet, in denen die Sprache keinen tonalen Akzent einschließt. Nur in wenigen Gegenden (um Tingleff) werden weder Stoßton noch tonaler Akzent verwendet. 

Anleihen aus Hoch- und Niederdeutsch

Durch den jahrhundertlangen Kontakt zum Nieder- und Hochdeutschen hat Sønderjysk viele Wörter übernommen. Übernahmen deutscher Wörter – sogenannte Kodewechsel – kamen häufig vor, besonders bei den Jahrgängen, die zwischen 1888-1920 die Schule besuchten und nur Hochdeutsch als Unterrichtssprache hatten. Nach der Abstimmung 1920 verschwanden nördlich der neuen Grenze viele aus dem Deutschen entlehnte Wörter wieder. (Eine sprachwissenschaftliche Untersuchung hierzu liegt leider noch nicht vor.) Noch heute kommen gerade in der deutschen Minderheit Kodewechsel häufig vor. 

Einheit und Vielfalt

Diese Sprache war ursprünglich mit lokalen Gemeinschaften verknüpft; und vor rund 50 Jahren – als die Menschen weniger mobil waren – konnte der Unterschied zwischen den Dialekten in Nachbardörfern erheblich sein. Obwohl Sønderjysk sich in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr von einer Lokal- zu einer Regionalsprache entwickelt hat, lassen sich noch heute Unterschiede zwischen den Dialekten der verschiedenen Gegenden feststellen. Sønderjysk bleibt eine lebendige Sprache. Sehr grob kann man Sønderjysk in drei Hauptgebiete aufteilen, von denen die ersten zwei genannten eine nördliche und eine südliche Varietät haben: Westsønderjysk, Ostsønderjysk und Alsisch.

Kann man Sønderjysk lernen?

Nirgendwo wird Sønderjysk als Schulfach unterrichtet. Nur an einigen Schulen in Grenznähe sprechen die Lehrkräfte außerhalb des Unterrichts Sønderjysk mit den Schülern. Lehrkräfte weiter nördlich haben mir davon berichtet, dass es ihnen von der Schulleitung verboten worden sei, mit den Schülern Sønderjysk zu sprechen! Tonaufnahmen grenznaher Schulen aus den letzten Jahren zeigten jedoch, dass Schüler untereinander Sønderjysk sprechen. Ein Unterrichtsmaterial für Kinder (6-12 Jahre) gibt es auf der Internetseite www.kulturakademi.de.

Teil der schleswigschen Kultur

Sønderjysk ist Teil des schleswigschen Kulturerbes und gehört zu den Sprachen der kommunikativen Nähe, die für die Sprecher Zugehörigkeit markieren. Heute ist Sønderjysk eine nicht national markierte Sprache: Sie verbindet die dänische Mehrheit in Nordschleswig mit der deutschen Minderheit. Wenn Sønderjysk verloren gehen sollte, löst sich diese Klammer und es entsteht dadurch ein sprachliches Schisma, das sich keiner wünscht!

Prof. Dr. Elin Fredsted (0323*)

Einen Überblick über die Sprachvielfalt mit Nordfriesisch, Niederdeutsch und Sønderjysk und deren Geschichte im ehemaligen Herzogtum Schleswig gibt das Stichwort Sprachenland

Literaturempfehlungen: A. Bjerrum, Om de danske dialekter i Sønderjylland, in: Sønderjyske Årbøger 1953, S. 102-124; E. Fredsted, Sønderjysk – Om æ køen sproch, in: Dialekter i rigt mål. Modersmål-Selskabet 2019, S. 155-183; E. Fredsted, „Æ sproch” können wir noch“, in: Grenzsprachen. Modersmål-Selskabet 2020, S. 151-169; E. Fredsted, Sønderjysk, in: Sønderjysk Almanak. Sønderjysk Skoleforening 2023, S. 68-77; E. Fredsted/A. Westergaard, Æ åe o synnejysk, 2019. www.kulturakademi.de