Am 25. Januar 1920 traf die „Commission Internationale de Surveillance“ in Flensburg ein. Der „Flensburger Hof“ wurde für 144 Tage ihr Regierungssitz

Anfang Januar 1920 mussten die Landräte, der Flensburger Oberbürgermeister, Polizei- und Postchefs im Norden die Koffer packen. Im Versailler Vertrag war in den Artikeln 109 bis 114 nicht nur festgelegt, dass gemäß dem Selbstbestimmungsrecht der Völker die Menschen im mittleren und nördlichen Teil des Herzogtums Schleswig per Wahl die Grenze bestimmen sollten. Auch war bestimmt, dass beide Wahlzonen für die Abstimmungszeit einen eigenen unabhängigen Staat bilden sollten. Der Staat „Plebiscit Schleswig“ existierte 144 Tage. Er schaffte es nicht nur die Wahlgänge am 10. Februar 1920 nördlich der heutigen Grenzlinie und am 14. März südlich davon, friedlich zu organisieren (Abstimmungsgebiet), sondern sorgte auch für stabile Preise für Eier und wurde Großverleger für Briefmarken.

Versailles schafft den Rahmen

Schon im Prager Frieden 1866 nach dem Deutsch-dänischen Krieg (Schleswigsche Kriege) gab es einen Passus, dass die Menschen per Wahl sich für Dänemark oder Deutschland entscheiden sollten. Angeregt durch den 14-Punkte-Plan des US-amerikanische Präsidenten Woodrow Wilson (*1856-1924†) wird in Versailles nach dem Ersten Weltkrieg auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker postuliert. Im Artikel 109 heisst es lapidar: „Die Grenze zwischen Deutschland und Dänemark wird in Übereinstimmung mit dem Wunsche der Bevölkerung festgelegt“. Im Friedensvertrag von Versailles stand auch, die Wahlzonen für die Zeit der Abstimmungen zu einem eigenständigen Staat zu machen. Damit sollte vermieden werden, dass der Wille der Menschen durch die preußische Verwaltung unter Druck kommen konnte.

Schiffe brachten wahlberechtigte Dänen nach Flensburg

Die internationale Kommission

Am 19. August 1919 nahm die Kommission in Kopenhagen ihre Arbeit auf. Ihr gehörten ein Engländer und ein Franzose als Vertreter der Alliierten an, je ein Norweger und ein Schwede vertraten neutrale Staaten und es gab dazu je einen deutschen und einen dänischen Berater. Präsident der „Commisssion Internationale de Surveillance“ kurz: CIS – wurde der britische Diplomat Charles Murray Marling (*1862-1933†). Marling beugte sich zusammen mit dem Franzosen Paul Claudel (*1868-1955†), dem Schweden Oscar von Sydow (*1873-1936†) und dem Norweger Thomas Thomassen Heftye (*1860-1921†) über die Karten. Die CIS legte schon in Kopenhagen die Grundlagen für ihre Arbeit im Grenzland fest. Nach fast 23 Wochen kam die CIS am 25. Januar 1920 in Flensburg an. Die Kommission war nun Regierung, Gesetzgeber und oberste Gerichtsinstanz. Rückhalt gaben ihr britische Marine-Infanteristen, die am selben Tag mit dem Zerstörer „B 94“ sowie französische Gebirgsjäger, die mit dem kleinen französischen Kreuzer „La Marseillaise“ in Flensburg einliefen.

Der Staat „Plebiscit“ organisiert sich

Deutsches Fahnenmeer – weil 1920 die Reichsflagge noch nicht ausgedient hatte ist es kein Zufall, das auch Blau-Weis-Rot weht

Die Soldaten waren der Rückhalt für die CIS. Direkt mit den Menschen hatte vor allem die Polizei zu tun. Sie rekrutierte sich einmal aus deutschen Wachtmeistern und zum anderen aus dänischen „Hilfspolizisten“. Eine Binde mit den Lettern „CIS“ war ihr Kennzeichen. Die Hauptaufgabe der Kommission war die Organisation der Wahlen. Daher wurde auf Lokal- du Kreisebene Wahlkommission gebildet. Auch wenn im Grenzland hart um jede Stimme geworben wurde, gab es in der Wahlkampf- und Wahlzeit nur wenige blutige Nasen. Am heftigsten tobte der Wahlkampf in Flensburg. Die Dänen und die Deutschen wollten die zentrale, große Stadt in Schleswig gewinnen. Überall hingen Danebrogs und für die deutsche Seite Reichsflaggen oder Schleswig-Holsteinische. Durch Flaggenzählen ließ sich schon prognostizieren, welcher Stadtteil eher deutsch und welcher eher dänisch stimmen würde. Geführt wurde der Wahlkampf vor allem mit Plakaten. Ganze Häuser wurden beklebt. Die Kommission griff hier ein. Damit es ruhig blieb, wurde verboten, Plakate zu entfernen. Auch wurde beim Notgeld – einem weiteren zentralen Träger des Wahlkampfes – darauf Wert gelegt, dass es jeweils eine deutsche und eine dänische Seite gab. Bei den Wahlversammlungen redete für jede Seite einer. Handlungshinweise für den Wahlkampf etwa von dänischer Seite legten nah, mit der jeweils anderen Seite das Gespräch zu suchen und mit Argumenten zu überzeugen. Dahinter steckte wohl auch die Einsicht (Schürmann) das Dänen und Deutsche auch nach der Wahl weiter Tür an Tür wohnen und leben mussten.

Planwirtschaft und Briefmarken

Die CIS war fleißig. In den 144 Tagen ihrer Regierungszeit wurden 159 Verordnungen erlassen. Übrigens die wenigsten davon hatte mit den Wahlen zu tun. Der Staat „Plebiscit Schleswig“ musste sich selber versorgen. Deshalb wurde ein sogenannter „Volkswirtschaftsrat“ zusammengestellt, der so etwas wie eine Planwirtschaft für den Kleinststaat organisierte. So mussten Lebensmittel exportiert werden, um Geld für Kohle zu erwirtschaften. Damit die Lebensmittelpreise nicht explodierten wurden zum Beispiel für Eier Höchstpreise festgelegt. Sehr klug nutzte die Kommission das Privileg, dass der Staat „Plebiscit Schleswig“ eigene Briefmarken drucken durfte. Philatelisten in aller Welt stürzten sich darauf. Nur jede dritte Briefmarke wurde im Abstimmungsgebiet auf Karten oder Briefe geklebt. Den Rest kauften Sammler in aller Welt, die damit die Kasse des Übergangstaates füllten. Der bestand genau 144 Tage. 

Werner Junge (0921)

Quellen: Vortrag Prof. Dr. Uwe Danker, 20.01.2020, für Deutsche und dänische Journalisten in der Europa Universität Flensburg; Jan Schlürmann, 1920 – eine Grenze für den Frieden, 2019, Kiel/Hamburg, Wachholtz Verlag, ISBN 978-3-529-05036-7; Klaus Alberts, 1920 Volksabstimmung – Als Nordschleswig zu Dänemark kam, 2019, Heide, Boyens Buchverlag, ISBN  978-3-8042-15

Bildquellen: Vignette: Sammlung Pletzing; Kommission: Dansk Centralbibliothek for Sydslesvig/SSF, Foto: A.Frankl, Berlin; Schiff: Dansk Centralbibliothek for Sydslesvig/SSF; Notgeld: Sammlung Pletzing