Aus einer Rendsburger Verordnung zur Bestattung von Pestopfern wahrscheinlich Ende 18. Jahrhundert
Aus einer Rendsburger Verordnung zur Bestattung von Pestopfern wahrscheinlich Ende 18. Jahrhundert

Weltweite Pestwellen werden wie alle länder- oder kontinentübergreifenden Seuchenwellen „Pandemien“ genannt. Die erste erreichte das heutige Gebiet von Schleswig-Holstein 1350. Bis 1713 kam es – wie in ganz Europa – immer wieder zu begrenzten kleineren Pestzügen. 19 sollen es nördlich der Elbe insgesamt bis zur letzten 1713 gewesen sein. Der „Schwarze Tod“ wird als wesentliche Ursache der Krise des Spätmittelalters angesehen. Ein Drittel bis zur Hälfte der Bevölkerung soll er hingerafft haben. Ob das wirklich so war, muss jedoch bezweifelt werden. Die Seuche hat zwar nachweislich große soziale, geistige und wirtschaftliche Folgen gehabt. Die reichten bis hin zu Judenverfolgungen ohne Juden. Ob jedoch allein die Pest an der Krise Schuld war, muss bezweifelt werden. Schwer zu beurteilen ist das vor allem, weil erst vom 18. Jahrhundert an verlässliche Daten über die Bevölkerung vorliegen. Auch ist unklar, ob alles, was als Pest bezeichnet wurde, auch wirklich eine war. Erst seit Ende des 19. Jahrhunderts ist die Infektionskrankheit sicher zu diagnostizieren.

Probleme der Pestforschung

Aus einer Rendsburger Verordnung zur Bestattung von Pestopfern wahrscheinlich Ende 18. Jahrhundert
Aus einer Rendsburger Verordnung zur Bestattung von Pestopfern wahrscheinlich Ende 18. Jahrhundert

Der „Schwarze Tod“ begann seinen Zug 1342 in Zentralasien, erreichte Genua und breitete sich von dort auf fast alle Regionen Europas aus. Er endete 1353 in Russland. Danach kam es überall in Europa immer wieder in Abständen von wenigen Jahren bis zu mehr als 40 Jahren zu kleineren Epidemien. Da der Pesterreger erst 1894 entdeckt wurde, besteht für Historiker das Problem, nicht eindeutig bestimmen zu können, ob es sich wirklich um eine solche Epidemie handelte. Denn als Pest werden in den Quellen alle möglichen Seuchen, ja sogar Hungersnöte bezeichnet, wenn nur eine auffallende Sterblichkeit vorhanden war. Die Pest wurde häufig als Strafe Gottes für begangene Sünden angesehen. Übertreibungen der Chronisten waren deshalb ein beliebtes Stilmittel, um den Lesern Schrecken einzujagen. Ortsangaben und Datierungen stimmen häufig nicht. So kann oft nur anhand von Quellen, die unbeabsichtigt hohe Todesraten verzeichnen, auf eine Seuche geschlossen werden. Dazu zählen etwa Nekrologien (Totenbücher) oder Steuerlisten. Ob es sich tatsächlich um die Pest gehandelt hat, kann dabei meistens nur angenommen werden. Auch die Bevölkerungsverluste, die mit historischen Methoden ermittelt werden können, helfen nur bedingt weiter. Oft liegen nur Erkenntnisse über die Sterblichkeit sehr kleiner Bevölkerungsgruppen vor, die zur Basis vager Schätzungen wurden. Auf dieser unsicheren Grundlage wurde angenommen, dass bei der Pandemie Mitte des 14. Jahrhunderts der Seuche ein Drittel bis zur Hälfte der Menschen in Europa zum Opfer gefallen sei. Die hohen Todesraten stimmen jedoch nicht mit den medizinischen Erkenntnissen überein, die an modernen Pestepidemien gewonnen wurden. Hier sind die Todesraten deutlich geringer. Für Historiker ergeben sich daraus drei Annahmen: Auch Vorgänge, die nichts mit der Krankheit zu tun hatten, wurden als Pest bezeichnet. Alternative: die Pest ist zusammen mit anderen Erregern aufgetreten oder – die dritte Variante – die Menschenverluste wurden zu hoch angegeben.

Die Krankheit Pest

Die Pest wird, wie auch die Cholera oder die Tuberkulose, als eine auch historisch bedeutende Seuche angesehen. Es handelt sich um eine ansteckende Krankheit, deren Erreger, das Bakterium „Yersenia pestis“, vom Schweizer Arzt Alexandre Yersin (*1863-1943†) entdeckt wurde. Er fand ihn 1894 bei Untersuchungen an Kranken in Hongkong, die bei der letzten weltweiten Pestwelle (Pandemie) infiziert worden waren. Der Erreger kommt heute noch bei Nagetieren in Amerika, Afrika, sowie Asien vor und löst zuweilen lokale Epidemien aus. Er befällt meist Ratten. Flöhe übertragen ihn auf Menschen. Am häufigsten ist die Beulenpest. Bei dieser Form der Pest treten zwei bis sieben Tage nach dem Flohstich beim Menschen Schwellungen der Lymphknoten und Husten, Hautverfärbungen sowie innere Blutungen auf, der Tod tritt innerhalb von sieben Tagen ein. Die Lungenpest, die durch Einatmen des Auswurfs Infizierter übertragen wird (Tröpfcheninfektion), ist seltener, aber heftiger und erreicht die höchste Letalität. Behandelt wird die Pest durch Antibiotika. Vorbeugend hilft die Bekämpfung von Flöhen auf Haustieren sowie von Ratten. Vor der Entdeckung der Antibiotika gab es gegen die Pest keine wirksamen Mittel, um die Krankheit selber zu bekämpfen.

Die erste Epidemie …

Schleswig-Holstein wurde 1350 vom Schwarzen Tod erreicht. Für Lübeck, Krempe und Kiel lassen sich Spuren in den schriftlichen Quellen finden. In Kiel wurde vor den Toren der Stadt ein neuer Friedhof angelegt. In Krempe ließen Bürger ein Vikariat zu Ehren eines Priesters errichten, der nicht vor der Epidemie geflohen war und so den Bürgern weiterhin Beistand geleistet hatte. Ein Hinweis darauf, dass die Flucht vor Seuchen durchaus üblich war. Aus Lübeck berichtet die später entstandene Chronik des Franziskaner-Lesemeisters Detmar von der Pest. Eine Meldung, die durch die sprunghaft angestiegene Zahl von Testamenten in dieser Zeit Wahrscheinlichkeit erhält. Möglicherweise stammt ein Massengrab beim heutigen Heiligen-Geist-Hospitals aus dieser Zeit. Über die Opferzahlen geben nur neuere, recht ungenaue Berechnungen über die gestorbenen Hausbesitzer aus Lübeck Auskunft. Sie deuten auf eine Sterblichkeit um zehn Prozent hin. Aber auch dies ist sicher noch eine erschreckend hohe Todesrate.

… und weitere Pestwellen

Nach 1350 lassen sich die Epidemien nur örtlich nachweisen. So kann 1358 eine ansteckende Krankheit in Lübeck, Cismar und in den Besitzungen des Domkapitels Ratzeburg ihre Spuren hinterlassen, 1367-1369 in Lübeck, Preetz, Mölln, Ratzeburg und möglicherweise in Hadersleben. Weitere Jahre, für die sich lokal Seuchen nachweisen lassen, sind im Mittelalter 1375/76, 1387-89, 1396, 1406, 1420/21, 1439/40, 1448-1451, 1464, 1483, 1506, 1525-1529, 1537, 1537-39, 1548. Von 1350 bis zur letzten Epidemie in Schleswig-Holstein im Jahre 1713 lässt sich durchschnittlich etwa alle 15 Jahre eine Seuche belegen, die mit der Pest in Verbindung gebracht wird. Wenn sich die Sterblichkeit für kleine Gruppen überhaupt errechnen läßt, liegt sie immer weit unter den 30 Prozent, die von vielen Historikern für den Schwarzen Tod angenommen wird. Zu belegen sind nur zwischen drei und zehn Prozent. Über die flächendeckende Sterblichkeit lässt sich überhaupt nichts ermitteln.

Die wirtschaftlichen Folgen

Die hohen Verluste, die dem Schwarzen Tod zugeschrieben werden, ließen manche Historiker umfangreiche Theorien über die wirtschaftlichen und sozialen Folgen aufstellen. So soll es durch Erbschaften zu einer Konzentration von Vermögen in den Händen weniger gekommen sein, durch den Arbeitskräftemangel sollen die Löhne gestiegen sein und die geringe Nachfrage soll zu einem Preisverfall bei Getreide geführt haben. Zudem soll die Pest ganze Orte oder gar Gegenden entvölkert, sie „wüst“ gemacht haben. Solche „Wüstungen“ hat es in großen Zahl im Mittelalter gegeben. Ob sie allein von der Seuche ausgelöst wurden, muss skeptisch bewertet werden. Auch ob die These stimmt, das Händler aus Kiel wegen des pestbedingten Niedergangs des Getreidehandels sich im späten 14. Jahrhundert der Piraterie (Piraten) zuwandten, ist in Frage zu stellen. Die Quellen lassen nur lokal einige Rückschlüsse auf Pestfolgen zu. Einige Klöster oder Priester beklagen Einnahmeverluste aufgrund der Pest, nennen jedoch auch anderer Ursachen wie Fehden, Raub und Unwetter. Auch ist 1464 ein durch die Pest motiviertes Marktverbot in Ostholstein überliefert. Die vielen wiederkehrenden Seuchenzügen trugen jedoch nicht zuletzt wegen ihrer Häufigkeit zur sogenannten „Krise des Spätmittelalters” bei. Für das schwache Bevölkerungswachstum bis zum Ende des Mittelalters war aber wohl die schwache Konjunktur bedeutender als die Seuchenereignisse.

Judenverfolgung ohne Juden

Mehr lässt sich über die kulturellen Folgen der Pest sagen, die im Zusammenhang mit der Furcht vor dem Tod stehen. So beteiligte sich der Lübecker Rat an einer von anderen Städten initiierten Judenverfolgung. Überall im Reich wurden zu dieser Zeit Juden beschuldigt, die Pest verbreitet zu haben. Häufig wurden sie jedoch umgebracht, um sich seiner Schulden bei ihnen zu entledigen oder ihres Vermögens habhaft zu werden. Nie handelte es sich um Pogrome, die von den unteren Schichten aus Angst vor der Pest ausgingen. In der Regel waren vielmehr die führenden Schichten der Gesellschaft bis hinauf zum Kaiser die Initiatoren. In Lübeck gab es im Mittelalter keine Juden, weswegen der Rat der Stadt andere Personen aufgreifen und zum Tode verurteilen ließ, da sie angeblich im Auftrag von Juden die Pest verbreitet hätten. Da dies auf dem Höhepunkt der Seuchenwelle geschah, ist nicht auszuschließen, dass der Rat mit dem Verfolgen von Sündenböcken den Unmut der Einwohner dämpfen wollte. Längerfristige Wirkung dürfte es kaum gehabt haben, da die Krankheit ja weiterhin andauerte. Der Lübecker Rat ließ sich dazu durch Briefe von den Räten anderer Hansestädte über ähnliche Vorgänge bewegen. Er unterließ es nicht, auch andere Räte und Herrscher in Norddeutschland vor den vermeintlichen Machenschaften der Juden und ihrer angeblichen christlichen Helfer zu warnen und dazu aufzurufen sie zu verfolgen. Diese Lübecker “Judenverfolgung ohne Juden” blieb in der Hansestadt jedoch ein Einzelfall.

Mit „Hygiene“ gegen Pest

Pestordnungen, die aus anderen Regionen bekannt sind, sind nördlich der Elbe nur wenige überliefert. Es scheint, es entwickelte sich sich erst allmählich ein Denken und Verhalten, dass nicht nur religiös auf die Pest regierte, sondern auf tatsächlichen Erfahrungen mit der Seuche beruhte. So galten nach einer Quelle von 1484 im Preetzer Kloster besondere Verhaltensregeln in Pestzeiten. Zudem gab es vielleicht in Schleswig des 15. Jahrhunderts eine solche Pestordnung, wie sie in der Frühen Neuzeit etwa aus Rendsburg und auch vom König für die Herzogtümer aus dem Jahr 1713 bekannt ist. Die Anordnungen bestehen meist aus einer Mischung aus wirksamen und unwirksamen Maßnahmen. Zu den wirksamen Mitteln zählen sicherlich Marktverbote, die isolierte Behandlung von Pestkranken und besondere Vorsichtsregeln bei Beerdigungen. Unwirksam waren medizinische Mittel, aber auch das alleinige Verbot des Zuzugs von Fremden, nicht jedoch von Einheimischen, die aus pestverseuchten Gebieten kamen.

Die Furcht um das Seelenheil

Mit jedem Seuchenzug wuchs erneut die allgemeine Furcht um das eigene Seelenheil. Häufig stieg in solchen Zeiten das Spendenaufkommen an Kirchen und Klöster. Die Gaben wurden mit der Pflicht verbunden, um das Seelenheil der Spender zu beten. So ist der Ausbau des Lübecker Franziskanerklosters aus solchen Geldern des Jahres 1350 bestritten worden. Bei anderen geistlichen Institutionen Lübecks lassen sich ansehnliche Grundstückszukäufe verzeichnen. Das Lütjenburger Kirchenbuch dokumentiert eine ganze Reihe von Spenden, die im Pestjahr 1464 getätigt wurden. Ein Teil der Beträge flossen in den 1467 aufgestellten neuen Altar. Auch bestimmte Heilige wurden in Pestzeiten angebetet. Dazu zählt der Heilige Sebastian, der aber auch in anderen Notfällen helfen sollte. Ihm wurde mit anderen Heiligen ein neuer Friedhof der Stadt Kiel geweiht, der 1350 vor den Toren der Stadt entstand, weil der innerhalb der Stadtmauern überfüllt war. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts wurde mit dem Heiligen Rochus ein besonderer Pestheiliger bedeutsam. Der norditalienische Heilige wurde in Deutschland besonders in Wien, Köln und vor allem in Nürnberg verehrt. Lübeck bildete ab 1488 eine weiteres Zentrum des Kults. 1511 gründeten dort Kaufleute eine Bruderschaft zur Verehrung dieses Heiligen. Von Lübeck aus verbreitete sich der Kult in Norddeutschland und nach Skandinavien. In Schlichting (Norderdithmarschen) wurde ihm eine Kapelle geweiht. Verehrt wurde er auch in Schleswig und in Oldenburg. Literarisch hinterließ der Braunschweiger Zollschreiber und Autor Hermann Bote ein Denkmal über die Pest. Er ließ seinen Helden Till Eulenspiegel in Mölln am Schwarzen Tod zu Grunde gehen.

Jürgen Hartwig Ibs (TdM 0805/0721)

Quellen: Jürgen H. Ibs, Die Pest in Schleswig-Holstein von 1350 bis 1547/48. Eine sozialgeschichtliche Studie über eine wiederkehrende Katastrophe, Frankfurt am Main, 1994 (Kieler Werkstücke, R. A, Beiträge zur Schleswig-Holsteinischen und skandinavischen Geschichte, Bd. 12). – Ders., Judenverfolgungen in den Hansestädten des südwestlichen Ostseeraums zur Zeit des Schwarzen Todes, in: Hansische Geschichtsblätter, 113. Jg., 1995, S. 27ff. – Birgit Noodt, Lübecker Material zur Wirkung der Pest im 14. Jahrhundert, in: Gedächtnis der Hansestadt Lübeck, FS A. Graßmann, hrsg. V. R. Hamel-Kiesow u. M. Hundt, Lübeck 2005, S. 55ff. – Heinrich Dormeier, St. Rochus, die Pest und die Imhoffs in Nürnberg vor und während der Reformation. Ein spätgotischer Altar in seinen religiös-liturgischen, wirtschaftlich-rechtlichen und sozialen Umfeld, in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 1985, S, 7ff.

Bildquellen: Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek (SHLB)