Die „Grenzvolkshochule“ in in Leck kurz nach der Fertigstellung 1923

Der erste „Mädellehrgang“ begann im Frühjahr 1923 mit 35 jungen Frauen: Die „Grenzvolkshochschule“ an der Flensburger Straße in Leck hatte ihre Arbeit aufgenommen. Ihre Aufgabe sollte es sein, „die Jugend zu beiden Seiten der Grenze im deutschen Geiste zu sammeln“, sie „zum Träger der deutschen Kultur im Grenzgebiet“ zu machen. Im Verlauf eines Jahrhunderts entwickelte sich aus einer deutschen Gesinnungsschule eine moderne Bildungsstätte. Der Werdegang der „Nordsee Akademie“, wie sie seit 2000 heißt, spiegelt die Geschichte des deutsch-dänischen Grenzlands. Sie ist ein „Kind“ des „Grenzkampfs“, wie bereits ihr erster Name „Grenzvolkshochschule“ verrät. Nach dem Vorbild der dänischen „Folkehøjskoler“ sollte sie dem Volk Bildung vermitteln, jedoch im deutschen Geiste. Nachdem Nordschleswig nach der deutsch-dänischen Volksabstimmung 1920 an Dänemark abgetreten werden musste, wollte man ein deutsches „Bollwerk“ südlich der neuen Grenze errichten. 

Ein Bollwerk an der Grenze

Als Standorte boten sich Glücksburg und Leck an. Namentlich Emilio Böhme (*1877–1921†), Landrat von Südtondern, setzte sich erfolgreich für Leck ein. Die Eröffnung erlebte er nicht mehr. Er verunglückte in einer Pferdekutsche bei einer Deichschau im Gotteskoog. Den Auftrag für das Gebäude hatte er schon an den aus Tondern stammenden Architekt Lauritz Thaysen (*1880–1974†) vergeben. Thaysen gilt als hervortretender Baumeister des Heimatschutz-Stils. Begeistert hieß es im Jahresbericht 1923 des „Wohlfahrts- und Schulvereins“, der die Einrichtung trug: „Wo die Landstraße nach Flensburg Leck verlässt, erhebt sich jetzt in einer kleinen Waldung das fertige Gebäude. Heimatliche Bauart, heimatliche Ausstattung lädt die Jugend ein. Wer hier weilt, muss die Stätte liebgewinnen.“ 

Start der „Grenzvolkshochschule“

„Mädellehrgang“ 1926. In der Mitte vorne Schulleiterehepaar Kruse

Aus Dänemark wurde für die Grenzvolkshochschule auch das Konzept der Langzeitpädagogik übernommen. In jeweils fünf Monate dauernden Lehrgängen erhielten junge Frauen im Sommer und junge Männer im Winter „nachschulischen“ Unterricht. Dabei sollte die ganze Persönlichkeit angesprochen werden. Musik, Sport und zum Beispiel Theaterspiel nahmen großen Raum ein. Die Heimvolkshochschule wende sich „an den Menschen selbst, den wir in den letzten Jahrzehnten, die ganz und gar auf das Wirtschaftliche eingestellt waren, vergessen haben“, schrieb im Gründungsjahr der erste Leiter Christoph Kruse (*1882–1940†). Als er 1930 Schulrat in Niebüll geworden war, setzte Peter Hansen Krüger (1894–1947), Lehrer aus der Gegend um Tondern, die Arbeit fort. Die Stärkung des „Deutschtums“ stand im Vordergrund.

„Heil Hitler“ statt Persönlichkeitsbildung

Die Heimvolkshochschule in Leck betrieb indes keinen aggressiven Nationalismus. Sie wollte Menschen den Raum geben, sich zu entfalten, und nicht indoktrinieren. Das war führenden Nationalsozialisten der Region ein Dorn im Auge. Der NSDAP-Kreisleiter Georg Carstensen (*1892–1949†), Tierarzt in Leck, und der NSDAP-Landrat August Fröbe (*1901–1994†) warfen der Schule vor, nicht „die für die nationalsozialistische Revolution erforderlichen leidenschaftlichen Kämpfer herangebildet“ zu haben. Sie sorgten für die Schließung und die Umformung in eine „Nordmark-Schule“, die vor allem der „Hitler-Jugend“ diente. Die Aufmärsche und gebrüllten Kommandos bildeten einen krassen Gegensatz zum Geist der Heimvolkshochschule.

… wieder „Grenzkampf“

Nach dem Zweiten Weltkrieg erstarkte der Wunsch, den Landesteil Schleswig zu einem Teil Dänemarks zu machen. Dafür sammelten sich Menschen in der sogenannten „neudänischen Bewegung“. Deren Abwehr stand nun in Leck im Vordergrund. Die Heimvolkshochschule in Leck wurde 1948 neu gegründet, nun getragen vom Deutschen Grenzverein. Sie war stark von dem nationalen, konservativ-christlichen Weltbild ihres langjährigen Leiters Jacob Johannsen (*1903–1995†) geprägt. Viele hundert junge Männer und Frauen empfingen in den fünfmonatigen Kursen wichtige Anregungen für ihren Lebensweg. Verursacht durch den gesellschaftlichen Wandel, verloren die mehrmonatigen Lehrgänge an Anziehungskraft. In der Ägide der Direktoren Dr. Alfred Makus (*1918–2008†) und Dr. Erich Rohner (*1938) wurden seit 1970 neue Seminarangebote entwickelt, um weitere Interessierte und alle Altersgruppen anzusprechen. Der „Geist“ einer Heimvolkshochschule, die ganzheitliche Persönlichkeitsbildung durch Begegnungen in der Gruppe, sollte dabei bewahrt werden. Die Heimvolkshochschule wurde seit der Zeit des Direktors Makus durch Kurse für junge Europäer zu einer Stätte internationaler Begegnungen weiterentwickelt.

Nur noch Nostalgie: Eine Inschrift erinnert an den einstigen Namen Heimvolkshochschule.   

Krise der Akademien

Einsparungen durch die öffentlichen Geldgeber und eine Krise des Trägers, des Deutschen Grenzvereins, zwangen die Akademien um die Jahrtausendwende dazu, sich neu zu orientieren. Auch die „Nordsee Akademie“, wie sie jetzt hieß, musste bei ihrer Arbeit nun stets auch den „Markt“ in den Blick nehmen. Das realisierten die Direktorin Brigitte Leitner und ihr Nachfolger Oke Sibbersen (*1954–2021†). Er übergab die Leitung 2016 an Dr. Ariane Huml. Nach einer erneuten Krise wurden Aaron Jessen und Dr. Herle Forbrich 2019 beauftragt, die Nordsee Akademie wieder auf Kurs zu bringen.

Teamwork sichert Fortbestand

Im Zusammenspiel von Deutschem Grenzverein, Kreis Nordfriesland, Land Schleswig-Holstein und einer Fördergemeinschaft in Leck hat sich die heutige Nordsee Akademie zu einer wichtigen kulturellen Einrichtung im Nordwesten Schleswig-Holsteins entwickelt. Menschen aus nah und fern erleben dort zum Beispiel die Besonderheiten der deutsch-dänisch-friesischen Kultur- und Naturlandschaft. Bürgerschaftliches, demokratisches Engagement wird gestärkt. Auch ist Leck für viele öffentliche Träger wie zum Beispiel dem Datenschutz zu einem festen und beliebten Seminarort geworden. 

So präsentiert sich die „Nordsee Akademie“ heute

Lernen im Grünen

Das Haupthaus von 1923, erweitert in den 1950er Jahren, heute „Haus Südtondern“ genannt, und das 1977 errichtete „Haus Nordfriesland“ bilden mit ihrem großen Park eine Bildungsstätte im Grünen. Das Haus Nordfriesland beherbergte von 1978 bis 1999 die „Europäische Akademie Schleswig-Holstein“. Seitdem ist sie ein Teil der Akademie Sankelmark. Auf dem Gelände befindet sich im alten Akademieleiterhaus zudem seit 1994 das „Plattdüütsch-Zentrum“ für den Landesteil Schleswig. Für Leck und seine Umgebung bildet die Nordsee Akademie auch einen ökonomischen Faktor. Ihre zahlreichen Gäste beleben die Kaufkraft für die Geschäfte im Ort. Leck ist durch die Heimvolkshochschule und die Nordsee Akademie weit über die Grenzen Nordfrieslands hinaus bekannt geworden.

Prof. Dr. Thomas Steensen (0723*)

Literatur: Thomas Steensen: Leben und Lernen unter einem Dach. 100 Jahre Nordsee Akademie / Heimvolkshochschule Leck, Husum 2023, Husum Druck- und Verlagsgesellschaft, ISBN 978-3-96717-137-2.

Abbildungen: Vignette/ Ansicht heute: Thomas Steensen, „Grenzvolkshochschule“ 1923: Kreisarchiv Nordfriesland; „Mädellehrgang“: Archiv Nordsee Akademie; Inschrift: Thomas Steensen