Friesisch ist wie das Nieder- und Hochdeutsche, das Niederländische und das Englische eine eigene westgermanische Sprache. Sprachgeschichtlich ist es am engsten mit dem Englischen verwandt, beide Sprachen bilden gemeinsam das Nordseegermanische (Ingwäonisch). Friesisch ist zwar eine eigenständige, aber keine einheitliche Sprache. Es gilt unter den germanischen Sprachen sogar als die am stärksten aufgegliederte. Man unterscheidet drei Zweige: Westfriesisch, Ostfriesisch – genauer als Saterfriesisch bezeichnet – und Nordfriesisch. Letzteres wird im Bundesland Schleswig-Holstein im Kreises Nordfriesland gesprochen.

Geschichte

Im Mittelalter erlangte das friesische Siedlungs- und Sprachgebiet seine größte Ausdehnung. Es reichte an der südlichen Nordseeküste vom Rheindelta, wo schon römische Geschichtsschreiber die Friesen lokalisierten, bis über die Weser hinweg und im Norden von der Eider bis zur Wiedau. Die Einwanderung nach Nordfriesland erfolgte in zwei Wellen. Das Gebiet um die heutigen Inseln Sylt, Amrum und Föhr, sowie Helgoland – und auch das westliche Eiderstedt – nahmen Friesen bereits um 700 n. Chr. in Besitz. Die weiten Marschgebiete des Festlandes dagegen wurden erst im 11. Jahrhundert in großem Stil besiedelt. Dadurch erklären sich die zwei großen Dialektgruppen des Nordfriesischen, das Inselnordfriesische und das Festlandnordfriesische.

Familien- und Dorfsprache

Durch die Jahrhunderte war Friesisch die allgemein gebräuchliche Sprache in der Familie, im Freundeskreis und im Dorf. Als Amts-, Kirchen- und Schulsprache herrschte spätestens seit der Reformation das Niederdeutsche, seit dem 17. Jahrhundert Hochdeutsch vor (siehe Sprachenland). Die einzelnen Inseln und Harden (Verwaltungs- und Gerichtsbezirke) führten lange ein Eigenleben ohne politisches, wirtschaftliches und kulturelles Zentrum. Eine gemeinnordfriesische Hochsprache konnte sich so nicht entwickeln. Vielmehr entstand eine Reihe von Varietäten. Man unterscheidet heute, jeweils von Nord nach Süd, folgende Dialekte:

Inselnordfriesich                               Festlandnordfriesisch

Syltring (sölring)                                 Wiedingharder (freesk)

Föhring-Amring (fering-öömrang)    Bökingharder (frasch)

Helgoländisch (halunder)                  Karrharder (fräisch)

                                                           Nordergoesharder (fräisch, freesch)

                                                           Halligfriesisch (freesk)

Das „Vaterunser“ auf Friesisch

Um einen ersten Höreindruck zu vermitteln, hier das „Vaterunser“ auf Fering, dem Inselfriesisch von Föhr und auf Bökingharder Frasch, der Festlandsmundart aus der Region um Niebüll:

Das Vaterunser auf Föhringer Friesisch(Antje Arfsten mit dem Üsens Feeder dem Vaterunser auf Föhringer Friesisch)

Antje Arfsten

Vaterunser auf Ferring (Föhrer Inselfriesisch)
Das Vaterunser auf Festland-Friesisch(Karin Haug mit dem Üüsen Taatje auf Bökingharder Friesisch, das in der Gegend um Niebüll gesprochen wird)

Vaterunser auf Mooringer Frasch (Mohringer Festlandsfriesisch)
Dr. Karin Haug

Gegenwart

Nordfriesisch wird von über 8.000 Menschen an der Westküste des Kreises Nordfriesland, auf den Inseln Föhr, Amrum, Sylt, den Halligen sowie auf Helgoland gesprochen. Die Hochburgen finden sich heute auf dem Festland um Niebüll sowie vor allem im Westteil Föhr. Friesisch wird als freiwilliges Lernangebot an Kindergärten und Grundschulen, jedoch kaum an weiterführenden Schulen unterrichtet. Kurse für Erwachsene finden sich im gesamten Sprachgebiet. Die Universitäten Kiel und Flensburg bieten Studiengänge und Seminare zur Sprache an. Zusätzlich sind das Nordfriisk Instituut in Bredstedt und die Ferring-Stiftung in Alkersum/Föhr Ansprechparter für das Friesische. 

Sprache

Typisch für den Klang des Nordfriesischen sind die sogenannten „moullierten Konsonanten“ ,dj‘, ,lj‘, ,nj‘, ,tj‘, eine j-ähnliche Erweichung des vorhergehenden Buchstaben, wie in dem Beispielsatz ,ridj‘ (reiten). Weitere Beispiele sind ,üülj‘ (alt) und ,lönj‘ (Land) auf Frasch (aus der Gegend um Niebüll) und ,djunk‘ (dunkel) und ,letj‘ (klein) auf Halunder (Helgoland). Ein gesamtnordfriesisches Merkmal ist zudem die Entwicklung des germanisch langen -i- zu kurzem -i- (im Deutschen oft ein -ei-), wie in ,dik‘ (Deich), ,is‘ (Eis) und ,swin‘ (Schwein). Und der Wandel vom ursprünglich langen -i- zu kurzem -e- oder -a-, wie etwa in ,brel/bral‘ (Brille), ,ken/kan‘ (Kinn) oder ,techt/tacht‘ (dicht).

Nähe zu Englisch und Dänisch

Die Verwandtschaft mit dem Englischen lässt sich an zahlreichen nordfriesischen Wörtern ablesen. Auf Fering-Öömrang zum Beispiel heißt Träne ,tuar‘ (engl. tear), mahlen ,grinj‘ (engl. grind) und Mittwoch ,weensdai‘ (engl. Wednesday). Im Nordfriesischen finden sich daneben eine Reihe von Lehnwörtern, die schon im Mittelalter aus dem Dänischen übernommen wurden, später auch aus dem Niederdeutschen und dem Niederländischen, wie der folgende Satz auf Fering (Föhrer Friesisch) zeigt:

,Bi daans sted de dring ei lung alian uun a huk.‘

(Beim Tanz stand der Junge nicht lange alleine in der Ecke.)

daans – niederdeutsches Lehnwort

dring – dänisches Lehnwort

ei – dänisches Lehnwort

huk – niederländisches Lehnwort

Ein Beispiel ohne Lehnwörter ist:

,A foomen ridj hal uun a maask.‘

(Die Mädchen reiten gerne in der Marsch.)

Dass für einen Gegenstand in den jeweiligen Dialekten völlig unterschiedliche Wörter benutzt werden, kommt vor, jedoch eher selten. Eine solche Ausnahme bilden die friesischen Entsprechungen für „Tisch“, der in der Bökingharde ,scheew‘, auf Föhr und Amrum ,boosel‘, auf Sylt ,staal‘, auf Helgoland ,taffel‘ genannt wird. In der Regel sind die Unterschiede nicht so gravierend, wie man an den folgenden Beispielsätzen sieht:

,Bi daans sted de dring ei lung alian uun a huk.‘ (Fering)

,Bai doons stöö di dräng ai lung åliine önj e jarn.‘ (Frasch)

,A foomen ridj hal uun a maask.‘ (Fering)

,E foomne ride hål önj e mjarsch.‘ (Frasch)

Manchmal gibt es auch gar keinen Unterschied, wie bei ,hüs‘ (Haus) und ,knif‘ (Messer) und dem Satz ,ik gung‘ (ich gehe).

Friesisch zum Lesen und zum Hören

Einerseits wird Nordfriesisch seinem Charakter nach vor allem als Familien- und Dorfsprache gesprochen, anderseits ist das älteste gedruckte Buch auf Sölring schon über 200 Jahre alt. Seit dieser Zeit wurden viele Texte in dieser Sprache gedruckt, darunter Theaterstücke, Lieder und Gedichte und eine Reihe von Kinderbüchern. Und es gibt eine Vielzahl von nordfriesischen Wörterbüchern, das älteste von 1837. In Kooperation mit dem Nordfriisk Instituut veranstaltet der NDR seit 2001 alle zwei Jahre den Erzählwettbewerb „Ferteel iinjsen“, der inzwischen über 500 neue Kurzgeschichten erbracht hat. Ein großer Teil davon kann in den „Ferteel iinjsen“-Büchern vom Nordfriisk Instituut nachgelesen werden. Jeden Mittwoch sendet der NDR in der Sendung „Von Binnenland und Waterkant“ auf friesisch „Frasch for enarken“. Die Beiträge bietet der NDR auch als Podcast an https://www.ndr.de/wellenord/podcast4978.htmlFunk“.

Seit 2010 gibt es mit dem „Friiskfunk“ ein Angebot des Offenen Kanals auf Friesisch. Jeden Morgen von acht bis zehn Uhr und wird von Alkersum/Föhr aus gesendet. Online ist das Programm auf der Interseite https://www.oksh.de/mitmachen/senden/friiskfunk zugänglich.

Fernsehsendungen auf Nordfriesisch gibt es bisher nicht.

Antje Arfsten (0223*)

Literatur: Franziska Böhmer u.a., Die nordfriesische Literatur. En Uuning fuar di Taachten, Bredstedt 2022; Claas Riecken, Nordfriesische Geschichte in Liedern, Bd. 1, 1945–2020, Bredstedt 2021; Antje Arfsten/Thomas Steensen/Wendy Vanselow, Das kleine Handbuch für Nordfriesland – Die Friesen verstehen, Hamburg 2013; Thomas Steensen, Heimat Nordfriesland – Ein Kanon friesischer Kultur, Bredstedt 2013; Horst Haider Munske (Hg.): Handbuch des Friesischen / Handbook of Frisian Studies, Tübingen 2001

Abbildungen: Vignette: Frasch-Tjüsch-Dånsch – Uurdebök foon V. Tams Jörgensen, NFI, Bräist 1978; Karin Haug: Foto Werner Junge; Antje Arfsten: Foto Ines Teschner

Hörproben: Die Hörproben stellte der NDR zur Verfügung