Das längste Projekt der GSHG
Zum hundertsten Jubiläum der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte 1933 entwickelte der damalige Schriftführer der GSHG und Direktor der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek Volquart Pauls (*1884-1954†) den Plan einer schleswig-holsteinischen Landesgeschichte in sechs Bänden. Damals erschien eine erste Probelieferung von seinem Mitherausgeber Otto Scheel (*1876-1954†). Scheel hatte von 1924 bis 1945 den Lehrstuhl für Landesgeschichte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel inne. Bis 1942 erschienen in kurzer Folge vier Lieferungen sowie ein Band zur Vorgeschichte. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges fehlte nicht nur Geld, auch die von der Ideologie der NS-Zeit geprägten Inhalte sprachen dagegen, die Reihe fortzusetzen.
Nach 1945 ein zweiter Start
Zu Beginn der 1950er Jahre konzipierte Volquart Pauls eine neue Landesgeschichte. Sie sollte auf acht Bände ausgeweitet werden, wurde vom Kultusministerium des Landes mitfinanziert und wieder vom Wachholtz-Verlag verlegt. Zwölf Autoren sollten jährlich vier bis sechs Lieferungen ermöglichen, insgesamt waren 33 geplant. Herausgeber der Reihe wurde – da Pauls 1954 verstorben war – der Schriftführer der GSHG und Landesbibliotheksdirektor Olaf Klose (*1903-1987†). Da die Autoren unentgeltlich und neben ihrem Beruf arbeiteten, zog sich das Erscheinen der einzelnen Lieferungen und Bände wesentlich länger hin als vorgesehen. Walther Lammers (*1914-1990†) begann seine Geschichte des Hochmittelalters (Bd. 4,1) 1961. Seine letzte Lieferung kam erst 1981. In diesen 20 Jahren hatte sich der Forschungstand natürlich bereits verändert. Dieses Problem begleitete das gesamte langwierige Projekt.
Die Entdeckung der Gegenwart
Da die Zeitgeschichte immer mehr an Bedeutung gewann, wurde den Herausgebern damals klar, dass das Projekt nicht mit dem Kriegsende 1945 enden konnte. Deshalb erschien als Sonderveröffentlichung 1969 (und in zweiter erweiterter Auflage 1998) ein Beiheft zu Band 8 von Kurt Jürgensen: „Die Gründung des Landes Schleswig-Holstein nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Aufbau der demokratischen Ordnung in Schleswig-Holstein … 1945-1947“. Nachfolger von Christian Degn (*1909-2004†) auf dem Lehrstuhl für Landesgeschichte wurde 1978 Erich Hoffmann (*1926-2005†). Er übernahm nun zusammen mit Olaf Klose die Herausgabe der großen Landesgeschichte. Seit den 1970er Jahren erweiterte sich die Landesgeschichte stark um neue Themen, insbesondere die Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Es wurde nun deutlich, dass ein einziger Autor kaum in der Lage war, einen ganzen Zeitabschnitt komplett zu beschreiben. Erich Hoffmann entwickelte Mitte der 1990er eine neue inhaltliche Gliederung und beauftragte mehrere jüngere Historiker – vor allem aus dem Kreis seiner Doktoranden – damit, einzelne Lieferungen zu Themen der Zeit zwischen 1867 und 1945 zu verfassen.
Das Ende in Raten
Die große Landesgeschichte lag nun seit 1990 bis zum Jahr 1830 vollständig vor, die folgende Zeit nur in einzelnen Lieferungen. Erich Hoffmann behielt sich vor, den fehlenden Teil von Band 7, die Zeit zwischen 1830 und 1867 allein zu verfassen. Hoffmanns umfangreiches handschriftliches Manuskript ließ der Vorstand der GSHG in eine Textdatei umwandeln. Trotzdem scheiterten alle Versuche, daraus eine druckreife Version zu erstellen. Peter Wulf, ehemals Vorstandsmitglied der GSHG und bis 2003 Professor an der Universität Flensburg, und Dieter Lohmeier, bis 2005 Landesbibliotheksdirektor und Professor an der CAU, ergriffen 2003 die Initiative und warben fünf Autoren für eine bisher nicht vorgesehene Kulturgeschichte der Zeit zwischen 1867 und 1918.
Die Zeit ist abgelaufen
Gespräche mit der Geschäftsführerin des Wachholtz Verlages, Gabriele Wachholtz, ergaben noch 2006, dass der Verlag nach wie vor Interesse an der Landesgeschichte hatte, denn es gab immerhin noch etwa 400 Abonnenten. Das Land beteiligte sich finanziell jedoch nicht mehr, die Druckkosten hätten von der GSHG aufgebracht werden müssen. Als 2012 der Verleger Sven Murmann den Wachholtz-Verlag übernahm, wurde die Buchreihe aus dem Verlagsprogramm genommen und das Lager mit den Altbeständen aufgelöst. Nach langer Beratung beschloss der Vorstand in seiner Sitzung am 7. Oktober 2016, das langjährige Projekt einzustellen. Weder das Konzept noch die Form waren noch zeitgemäß. Auch lagen nicht mehr alle Bände vor. Auch wenn die Bände als wichtiger Beitrag zur Geschichtsforschung über Schleswig-Holstein gelten, spiegelten sie bei einem Erscheinungszeitraum von 60 Jahren in großen Teilen nicht mehr den aktuellen Stand der Forschung. Der Vorstand der GSHG tat sich 2016 mit der Entscheidung schwer, denn diese Landesgeschichte war das vielleicht umfangreichste Projekt der Gesellschaft, in das viele Menschen über die Jahre viel Energie und Zeit investiert hatten.
Ortwin Pelc (1221*)
Quellen: Das Stichwort ist eine gekürzte Version des Artikels in den „Mitteilungen der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte“ Heft 92, April 2017, S. 29-33
Bildquelle: Foto Werner Junge