Barrikade in Schiffbek während des Hamburger Aufstands, gezeichnet von Willy Colberg um 1953

Am 23. Oktober 1923 brach in Hamburg und im Kreis Stormarn ein kommunistischer Aufstand aus, der auch auf Kiel und Itzehoe ausstrahlte. Er war von der KPD von langer Hand geplant und sollte in ganz Deutschland zu einem Umsturz führen. Doch in letzter Minute wurde der Plan von der KPD-Führung aufgegeben. Trotzdem schlugen die Anhänger der KPD im Norden zu. Warum die dem linksradikalen Flügel der Partei zuzuordnenden Hans Kippenberger (*1898-1937†) und Ernst Thälmann (*1886-1944†) dennoch den Aufstand auslösten, ist bis heute nicht abschließend geklärt. Vom 23. bis 25. November starben in Schleswig-Holstein mehrere und in Hamburg über 100 Menschen.

Die Vorgeschichte

In der jungen Weimarer Republik erreichten die Krisen 1923 einen Höhepunkt: das Ruhrgebiet wurde von französischen und belgischen Truppen besetzt, die Inflation stieg rasant an und brachte immer mehr Menschen in existentielle Not, Arbeitskämpfe nahmen zu und weiterhin bekämpften Gegner von rechts und links die parlamentarische Republik. Im Spätsommer 1923 hielten die Kommunistische Partei Russlands in Moskau sowie die Kommunistische Internationale die Situation für reif für einen politischen Umsturz in Deutschland. Trotz unterschiedlicher Positionen in der KPD, begann sie mit den Vorbereitungen für einen Putsch. Als die Reichsregierung am 20. Oktober 1923 die Koalitionsregierungen aus SPD und KPD in Thüringen und Sachsen für abgesetzt erklärte, versuchte die KPD auf einer Arbeiterkonferenz in Chemnitz einen Generalstreik auszurufen, der ein Signal für Aufstände in ganz Deutschland sein sollte. Dies stieß bei den dortigen Delegierten allerdings auf Ablehnung. Die KPD-Führung blies den Aufstand nun ab und benachrichtigte die bereits in die Länder ausgesandten Kuriere.  Warum in Hamburg und angrenzenden Orten in Schleswig-Holstein dennoch bewaffnete Kämpfe ausbrachen, ist nicht endgültig geklärt. Die Nachricht wird die Genossen vor Ort erreicht haben, vielleicht wollte der linksradikale Flügel unter Hans Kippenberger und Ernst Thälmann aber dennoch einen Funken zünden, mit dem Ziel, Aufstände in ganz Deutschland auszulösen.

Der Aufstand beginnt

Schon einen Tag vor dem Aufstandsbeginn fällten KPD-Mitglieder Bäume, um die Chaussee und die Eisenbahnstrecke bei Bargteheide und Ahrensburg zu sperren. Damit sollte verhindert werden, dass Militär gegen die Aufständischen aus Lübeck herangeführt werden konnte. Diese Sperren wurden jedoch bereits am nächsten Morgen beseitigt. In den frühen Morgenstunden dieses 23. Oktober stürmten KPD-Anhänger 17 Polizeiwachen in Hamburg, Altona, Wandsbek und Schiffbek, um die dortigen Waffen an sich zu bringen. Schon dabei kam es zu Toten und Verletzten.

Panzerwagen und Polizei in Hamburg-Barmbek, wohl am 25. Oktober 1925

Erst Barmbek dann Stormarn

Bis zum 25. Oktober dauerten nun blutige Straßenkämpfe zwischen der Polizei und KPD-Anhängern. Sie konzentrierten sich vor allem auf den Stadtteil Barmbek, und wurden dort auch von der Bevölkerung unterstützt. Die Aufständischen hatten Barrikaden aus Pflastersteinen, gefällten Bäumen und Bauwagen errichtet. Diese Kämpfe verlagerten sich dann am 25. Oktober über die Grenze in die stormarnschen Orte Hellbook und Bramfeld, wohin auch Panzerwagen geschickt wurden.

Altona und Schiffbek.

Ernst Thälmann

Im Laufe des 23. Oktober wurden auch eine Polizeiwache in Altona angegriffen. Dort gab es aber nur wenig Unterstützung seitens der KPD, denn die Polizei verhaftete rund 80 ihrer Mitglieder. In Wandsbek überfielen die Aufständischen eine Polizeiwache, ein geplanter Angriff auf die dortige Polizeikaserne unterblieb mangels Unterstützung durch Waffenlieferungen. Im benachbarten Schiffbek, einem Arbeiterwohnort mit Industrie, begann der Aufstand ebenfalls am 23. Oktober morgens. KPD-Mitglieder unter der Leitung von Fritz „Fiete“ Schulze (*1895-1935†) bemächtigten sich der Waffen der Einwohnerwehr, überwältigten den Polizeiposten, besetzten die Gemeindeverwaltung sowie das Postamt und sperrten die Ausfallstraßen durch Barrikaden. Im Gemeindehaus betrieben unterstützende Frauen eine Volksküche.

Anrückende Sicherheitspolizei musste sich nach einem Feuergefecht zurückziehen; es gab Verletzte und fünf tote Polizisten sowie zwei Männer und zwei Frauen, die durch Querschläger tödlich getroffen wurden. Der „Provisorische Vollzugsausschuß“ ließ in einem Aufruf an die Bevölkerung Sowjetdeutschland und die Weltrevolution hochleben. Ob damals in Bargteheide eine „Sowjetrepublik Stormarn“ ausgerufen wurde – wie gern in den Medien erwähnt wird – ist durch Quellen nicht belegt

Der Aufruf des „Vollzugsausschusses“ in Schiffbek

Die Polizei schlägt zurück

Am 24. Oktober rückten größerer Polizeikräfte mit Panzerwagen gegen Schiffbek vor; sie wurden von Marinesoldaten des Kreuzers „Hamburg“ unterstützt. Nach heftigen Feuergefechten flohen die Aufständischen Richtung Billwerder und Bergedorf. Bei den Verhaftungen und Durchsuchungen in Schiffbek ging die Polizei ausgesprochen hart vor, da die Kommunisten den gefangenen Ortspolizisten auf dem Friedhof erschossen hatten.

Es kriselt auch in Kiel

Auch in Kiel, der größten Stadt der Provinz, war die allgemeine Lage im Herbst 1923 äußerst angespannt. Die Werften hatten im Laufe des Jahres Hunderte von Arbeitern entlassen, so dass 20 bis 30 Prozent der Einwohner von öffentlicher Unterstützung leben mussten. SPD und Gewerkschaften verloren zahlreiche Mitglieder, die KPD konnte Anhänger gewinnen. Der damalige sowjetische Generalkonsul in Hamburg berichtete, dass sich die dortige KPD wegen der unzureichenden Vorbereitung geweigert hätte, sich am Aufstand zu beteiligen, dann am 24. Oktober aber doch den Generalstreik ausrief. Es kam zu Menschenansammlungen und zu Streiks auf den Werften. Polizeipatrouillen wurden überfallen und Plünderungen von Lebensmittelgeschäften nahmen zu. 74 meist junge Männer wurden festgenommen, es gab 20 Verwundete – darunter sechs Polizisten – und einen Toten. Ein Zusammenhang zwischen diesen Unruhen und den Ereignissen in Hamburg ist durchaus möglich.

Tote in Lägerdorf

Im Westen der Provinz war im Herbst 1923 besonders in Itzehoe und Umgebung mit dem relativ hohen Anteil von KPD-Anhängern die Stimmung für einen Generalstreik groß. Drei Versuche der KPD scheiterten jedoch, am 23. Oktober Massen-aktionen in Itzehoe zu bewirken. Dagegen erregten die gleichzeitigen blutigen Ereignisse im benachbarten Industrie-arbeiterort Lägerdorf überregionales Aufsehen. Etwa 200 Erwerbslose versammelte sich dort, um Brot und einen Unterstützungs-vorschuss zu erhalten. In der Parteigaststätte der KPD verhandelten gleichzeitig ein Ausschuss des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Betriebsratsvorsitzende der Alsen-Zementwerke über die Einberufung einer Betriebsratsversammlung. Der KPD-Vorsitzende Max Hoche soll dabei erklärt haben, dass die Gewerkschaften den Erwerbslosen nicht helfen würden, diese also sich selbst helfen müssten.

Oberlandjäger Ingwer Boysen wurde 1923 in Lägerdorf erschossen

Sie sollten einen Umsturz herbeiführen, in Hamburg, Elmshorn und Itzehoe sei die Polizei bereits entwaffnet. Als dann darüber abgestimmt wurde, waren auch einige KPD-Mitglieder dagegen, die Meinungen gingen offensichtlich auseinander. Zu unüblicher Zeit ertönten plötzlich die Sirenen der Zementfabriken und verunsicherten die Bevölkerung. Zwei Landjäger wollten die Demonstranten vor der Gaststätte zerstreuen, da ein Versammlungs-verbot bestand. Da dies keinen Erfolg hatte, riefen sie fünf weitere Landjäger zu Hilfe. Hoche forderte die Demonstranten nun auf, die Landjäger zu entwaffnen, worauf es zu einem Tumult kam. Dabei wurde der Landjäger Ingwer Boysen durch einen Schuss so schwer verwundet, dass er drei Wochen später starb. Zwischen den Landjägern und einem Teil der Demonstranten, die sich aus ihren Wohnungen Waffen besorgt hatten, entstand nun ein Feuergefecht. Aus Itzehoe angefordertes Militär schoss mit einem Maschinen-gewehr in die Menge. Ein Arbeiter und eine Mutter von sieben Kindern wurden getötet. Wie viele Verletzte es gab, ist nicht bekannt. Über 30 Personen wurden verhaftet und das Militär durchsuchte den Ort noch bis in die Abendstunden, um weitere Unruhen zu verhindern.

Gerichtliches Nachspiel

Die ersten Prozesse gegen 26 Angeklagte begannen in Itzehoe im Dezember 1923, es gab Haftstrafen zwischen sechs Wochen und mehreren Jahren. Wie in Hamburg und den angrenzenden preußischen Gemeinden – wo 873 Personen angeklagt wurden – konnten führende Beteiligte an den Unruhen für einige Monate untertauchen und wurden erst viel später belangt. Der Aufstand forderte in Schleswig-Holstein mehrere und in Hamburg über 100 Tote, darunter auch Unbeteiligte. Hinzu kam eine nicht genau bekannte Zahl von Verletzten, in Hamburg mindestens 270. In der KPD begann sofort eine intensive Diskussion über die Ursachen des Scheiterns dieses Putsches. Mit der strikten Ausrichtung auf die sowjetische Politik unter Stalin und unter der KPD-Parteileitung Ernst Thälmanns in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre begann sich in linken Kreisen ein Mythos um diesen Aufstand zu entwickeln, der insbesondere in der DDR bis 1989 fortgeführt wurde. Dazu trugen auch die literarische, filmische und künstlerische Umsetzung dieser Ereignisse seit den 1920er Jahren bei.

Ortwin Pelc (1023*)

Literatur: Ortwin Pelc, Der Traum von der Räterepublik: Schleswig-Holstein und der Hamburger Aufstand 1923, in: ders./Olaf Matthes (Hg.): Die bedrohte Stadtrepublik. Hamburg 1923, Wachholtz Verlag, Kiel/Hamburg 2023 ISBN 978-3-529-05084-8, S. 126-135; Hermann Schwichtenberg, Die Lägerdorfer Arbeiterunruhen vom 23. Oktober 1923, in: Demokratische Geschichte 29, 2018, S. 63-76. 

Abbildungsnachweis: Forschungsstelle für Zeitgeschichte Hamburg (Aufruf); Museum für Hamburgische Geschichte (Colberg); Bundesarchiv (Thälmann); Heimatmuseum Lägerdorf (Boysen); Staatsarchiv Hamburg (Panzerwagen).