Es begann mit ein paar Marinebaracken: seit 1919 wächst Klappholttal in den Sylter Dünen

Heimvolkshochschule auf Sylt

Das Klappholttal liegt südlich von List auf Sylt. Dort wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kleinwüchsige Krummholzkiefern, das „Klappholz“, angepflanzt. Dieses gab dem Areal in den Dünen seinen Namen. 1919 entstand dort in sechs vormaligen Militärbaracken ein Jugendlager, dann eine Heimvolkshochschule. Das immer wieder erweiterte Gebäudeensemble existiert heute noch. Die lebensreformerische Aufbruchsstimmung der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert und mit ihr die bürgerliche Jugendbewegung gaben Klappholttal über Jahrzehnte hinweg ein besonderes Gesicht. Insbesondere dem Arzt Knud Ahlborn (*1888 –1977†), einem der Initiatoren und langjährigem Leiter dieser Bildungs-, Begegnungs-, und Erholungsstätte, hat Klappholttal seine jugendbewegt inspirierte, alternativbürgerliche Prägung zu verdanken. 

Lebensreform und Jugendbewegung

Als Antwort auf die wachsende Bedrohung von Mensch und Natur infolge von Industrialisierung, Verstädterung und kapitalistischer Wirtschaftsweise entstanden um 1900 eine Fülle lebensreformerischer Initiativen. Ihre Initiatoren und Mitstreiter warben mit Stichworten wie „Licht, Luft und Sonne“ für Breitensport, Freibäder, das Wandern in freier Natur, gesunde Ernährung und anderes mehr. Die Anfänge der bürgerlichen und der proletarischen Jugendbewegung fügen sich in diese Zusammenhänge ein. 1913 trafen sich bürgerlich-jugendbewegte Gruppierungen und ihre Förderer, unter ihnen auch der Arzt Knud Ahlborn, auf einem Bergrücken östlich von Kassel, dem Meißner, zu einem Fest, das ihrer Aufbruchsstimmung Ausdruck verlieh. Am Vorabend dieses Ereignisses hatten die Initiatoren den Kern jugendbewegten Selbstverständnisses in eine Formel gekleidet. Deren entscheidender Satz lautete, die freideutsche Jugend wolle „nach eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung, in innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben gestalten.“ Ahlborn hatte das Fest mit vorbereitet und formulierte die „Meißnerformel“ maßgeblich mit. Zudem hielt er auf dem Meißner eine vielbeachtete Rede. Auch in den folgenden Jahrzehnten bekannten sich Angehörige unterschiedlicher Altersgruppen zum „freideutschen“ Selbstverständnis des Jahres 1913.  

Ein Lernort in den Dünen

Dieses Porträt von Erwin Bowien aus dem Jahr 1957 erinnert noch heute in Klappholttal an Knud Ahlborn

Ahlborn war in Hamburg aufgewachsen, hatte in der Hansestadt 1905 einen Wanderbund für Schüler ins Leben gerufen und sich auch als Student in der Jugendbewegung engagiert. Nach den Erschütterungen des Ersten Weltkriegs war das Bedürfnis unter jugendbewegt „Freideutschen“ groß, sich über ihre Kriegserfahrungen sowie künftige soziale und gesellschaftliche Verantwortung auszutauschen. Wo fanden sie einen geeigneten Ort? 1919 richtete Knud Ahlborn zunächst in Gebäuden einer militärischen Barackensiedlung im Klappholttal ein „Freideutsches Jugendlager“ ein. Er hatte das idyllisch gelegene Gelände in den Dünen während einer Dienstreise als Leiter des Hamburger Landesverbandes für Jugendpflege entdeckt.

Aus diesen Anfängen ging eine Jugend- und Erwachsenenbildungsstätte hervor, die Ahlborn zusammen mit dem ebenfalls jugendbewegten Ferdinand Goebel (*1886 –1977†) leitete. Volkshochschulen hatten in der Weimarer Republik Konjunktur. Heranwachsenden und Erwachsenen boten sich auf Sylt und andernorts vielfältige Möglichkeiten, sich zu bilden und naturnah zu erholen. Manche schätzten, dass es von 1927 an erlaubt war, am Strand vor Klappholttal nackt zu baden. Für Angehörige der bürgerlichen Jugendbewegung mehrerer Generationen wurde Klappholttal ein idealer Ort für regelmäßige Treffen. Das Programm der Kurse und Veranstaltungen umfasste Vorträge, unter anderem zu reformpädagogischen, geschichtlichen oder naturkundlichen Themen. Zusätzlich zu Seminaren mit gesellschaftlichen Themen wurden Gymnastik, Theater, gemeinsames Singen und weiteres angeboten. Nicht zuletzt gab es in den 1920er Jahren Jugendbegegnungen für Heranwachsende unterschiedlicher Nationen in Klappholttal. 

Klappholttal in der NS-Zeit

1933 setzten Ahlborn und etliche seiner freideutschen Freundeeideutschen Freunde Hoffnungen auf einen gesellschaftlichen Wandel unter nationalsozialistischer Regie. Verführungs-potential hatten vor allem auch Volks-gemeinschaftsgedanken, die bereits in der Weimarer Republik an Anziehungskraft gewonnen hatten. Die Heimvolkshoch-schule wurde in „Nordseelager“ umbenannt. Das Mit- und Nebeneinander von „Sonnen-gruß und Fahnenappell unter der Haken-kreuzflagge“ sind kennzeichnend für Klappholttal in den Jahren nach 1933. Von 1934 an lief die Bildungsarbeit des „Nordseelagers“, wie Klappholttal nun hieß, unter dem organisatorischen Dach des nationalsozialistischen Reichsbundes für Volkstum und Heimat.

Entwicklungen nach 1945

Singen am Strand in den 1930er Jahren- typisch für Klappholttal

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs lag das Schwergewicht der Arbeit in der Heimvolkshochschule in den Dünen auf Begegnungen von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Auffassungen, auf europäischer Verständigung, Natur- und Umweltschutz. Jugendbewegt inspirierte Akzente blieben auch über den Tod der Initiatoren hinaus noch eine Zeit lang lebendig. Es ist Ahlborn und auch anderen „Freideutschen“ zeitlebens schwergefallen, sich mit der NS-Zeit kritisch auseinanderzusetzen. Ahlborn starb 1977 in Kampen, sein Grab befindet sich auf dem Friedhof St. Severin in Keitum. Seit 1977 trägt die Jugend- und Erwachsenenbildungseinrichtung am Rand des Nordsylter Naturschutzgebietes den Namen „Akademie am Meer“. In den Dünen des Klappholttals eingebettet bieten heute 80 Häuschen Herberge für maximal 160 Gäste der Akademie. Die Erholungs- und Bildungseinrichtung hat 50 Angestellte, die sich auch um das Schullandheim mit 40 Betten und ein Haus für Mutter-Kind-Kuren kümmern, das 25 Familien Platz bietet. 

Prof. Barbara Stambolis (0523*)

Quellen und Literatur: Umfangreiches Material sowie der Nachlass von Ahlborn im Archiv der deutschen Jugendbewegung auf Burg Ludwigstein; Archiv Klappholttal; Christian Volkholz: Freideutsch. Programm und Praxis einer kulturellen Avantgarde in Deutschland im 20. Jahrhundert, Berlin/Boston 2021; Paul Ciupke: Volkshochschulheime am Meer – Prerow und Klappholttal, in: Franz Josef Jelich (Hg.): Die pädagogische Gestaltung des Raums, Bad Heilbrunn 2003, S. 135-154; Barbara Stambolis/Jürgen Reulecke (Hg.): 100 Jahre Hoher Meißner (1913–2013). Quellen zur Geschichte der Jugendbewegung, Göttingen 2016; Klaus Bacher u.a. (Hg.): 100 Jahre Klappholttal auf Sylt 1919 bis 2019: Natur und Bildung in der Akademie am Meer, Husum 2019.  

Bildnachweis: Fotos: Bildarchiv Klappholttal, hier aus Ciupke, Paul: Stätten jugendbewegter Erwachsenenbildung in der Weimarer Zeit, in: Jugendbewegung und Erwachsenenbildung, Schwalbach, Ts. 2012, S. 228-245.