Aus der Zunahme der zentralen Wasserversorgung (Trinkwasser) seit den 1880er Jahren ergab sich an der Wende zum 20. Jahrhunderts auch der Zwang, das Abwasser zu beseitigen. Es entstanden zunächst wilde Kanalisationen. Die Abwässer – auch die der neuen WCs (water closet) – wurden durch Rohre schlicht in das nächste offene Gewässer geleitet. Den Anfang machten Kaufhäuser, Hotels, Gaststätten und die Besitzer der „besseren“ Wohnungen in den bürgerlichen Wohnquartieren. Zunächst wurde diese wilde Entsorgung geduldet. Jedoch stanken etwa in Kiel und Flensburg die Binnenhäfen, die als Kloaken fungierten, bald zum Himmel. Die Städte waren deshalb gezwungen, „Vollkanalisationen“ zu schaffen. Ein – wie sich bald zeigte – noch größeres und komplexeres Unternehmen als der Bau von Wassertürmen, Wasserleitungen und Dampfpumpen. Die Innovation der „Schwemmkanalisation“, also das Wegspülen der Schmutzstoffe mit Leitungs-, mit oder ohne Regenwasser (Mischkanalisation oder Trennkanalisation) über ein Kanalsystem mit ausgeklügeltem Gefälle, wurde seit den 1870er Jahren auch in Schleswig-Holstein breit diskutiert. Die Gegner der neuen Technik verfochten das private Recycling von menschlichen Fäkalien („Fäces“, „Abtrittsstoffe“) als Dünger für Kleingarten und Landwirtschaft (Einsatz von Torfkübeln, im Volksmund „Goldeimer“ genannt). Sie räumten zwar ein, dass die Kanalisation wohl erheblich zur sanitären Verbesserung der städtischen Wohnverhältnisse beitrage, aber die Probleme auf die an den Vorflutern wohnenden „Unterlieger“ abwälze. Die Modernisierer verfuhren also nach der Devise: „Aus den Augen, aus dem Sinn“. Schwemmkanalisation war eine Problemlösung auf Kosten der Nachbargemeinden. Das gaben die Befürworter auch zu: Hauptzweck der Kanalisation war für sie, „alle Abgänge möglichst schnell und unschädlich aus dem Weichbild der Stadt zu entfernen“.
Späte Klärung
Um 1900 war die Klärung der Abwässer so ein nachrangiges Problem. Es blieb vielfach eines bis in die 1970er Jahre. Die Anfänge der Vollkanalisation selbst in den Großstädten waren mühsam: Dafür steht als Beispiel Kiel. In den 1880er Jahre begann die Stadt mit der planmäßigen Kanalisation. 1906 wurde genehmigt, die Abwässer bei Bülk am Eingang der Förde in die Ostsee zu leiten. 1925 war erst jeder dritte Kieler Haushalt an die Kanalisation angeschlossen. Erst 1972 begann man, die Abwässer mechanisch zu klären, drei Jahre später folgte eine biologische Stufe. Seit Anfang der 1970er Jahre ging man auch in den Umlandgemeinden und auf dem Land dazu über, Abwässer zentral zu reinigen. Dahinter stand politischer Zwang. Im Sinne des Umweltschutzes sollte die Qualität der bis dahin stark belasteten Gewässer verbessert werden. Erste entsprechende Erlasse des Landwirtschaftsministeriums stammen aus dem Jahre 1974. Ende der 1980er Jahre wurde die Belastung der Gewässer durch Nährstoffe, die zur so genannten Überdüngung (Eutrophierung) führen, erkannt und eine weitere Klärstufe (Denitrifizierung) vorgeschrieben. Folge der immer besseren Klärung ist jedoch auch eine Zunahme der Klärschlämme. Da sie zum Teil mit Schadstoffen belastet sind, ist inzwischen auch strittig, ob es weiter Sinn macht, Klärschlämme weiter durch den Einsatz als Dünger in der Landwirtschaft zu entsorgen. 70.000 Tonnen Klärschlämme von den insgesamt 116.000 Tonnen wurden noch 1998 auf Feldern ausgebracht. In diesen Jahr waren erst 62,9 Prozent der Haushalte eine öffentliche Kanalisation angeschlossen. Inzwischen ( 2020) sind über 95 Prozent aller Haushalte an das fast 27.000 Kilometer lange Netz angeschlossen. Zentrale Entwässerungen haben inzwischen 997 von 1.116 Schleswig-Holsteinischen Gemeinden. Die von der EU geforderte Reduzierung vor allem von Phosphor und Stickstoff um 75 Prozent, wird im Norden bereits seit über 20 Jahren übertroffen.
Nährstoffe bedrohen Grundwasser
Trotz beeindruckender Erfolge bleibt ohnehin die Fracht an Nährstoffen aus der Landwirtschaft ein fortdauerndes Problem für die Gewässer. Die wachsenden Viehbestände sowie die Umstellung von Fest- auf Flüssigmist (Gülle) haben durch die steigenden Mengen dazu geführt, dass der einst begehrte Dünger zu einem Umweltproblem geworden ist. Mit einer Gülleverordnungen versucht man seit den 1990er Jahren des Problems Herr zu werden. Allerdings kamen die Vorschriften zu spät. Inzwischen gilt als sicher, dass ein nicht unerheblicher Teil der Grundwasserreserven bedroht ist. Schuld ist vor allem der über Jahre im besten Glauben betriebene exzessive Einsatz von Gülle für Maisflächen auf den sandigen Böden der Geest. Die nicht verwerteten, wasserschädlichen Nährstoffe, die dadurch in den Boden gelangten, sickern inzwischen durch zu den Grundwasserreservoiren. Bis sie dort ankommen, wird es noch viele Jahre dauern, doch der Prozess ist unumkehrbar.
Prof. Dr. Ulrich Lange (TdM0401 / 0721)
Quellen: „Geschichte Schleswig-Holsteins – Von den Anfängen bis zur Gegenwart“, Herausgeber Ulrich Lange, 719 Seiten, Leinen gebunden, erschienen im Wachholtz Verlag, Neumünster, 1996, ISBN 3-529-0440-6; U.Lange in „Dünger und Dynamit“, herausgegeben von M. Jakubowski-Tiessen, K.J.Lorenzen-Schmidt, 1999, Neumünster; „Frisches Wasser“ Katalog zur Ausstellung „kulturgeschichtliche Aspekte der häuslichen Wasserversorgung in Schleswig-Holstein seit dem Mittelalter“, Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum 1987; Zahlen zur Abwasserbeseitgung 1998 aus: Statistische Kurzinformationen, # 39, 27.3.2001, Statistisches Landesamt SH; Schleswig-Holstein – Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung (MELUND) – Beseitigung von kommunalen Abwässern in Schleswig-Holstein -Lagebericht 2020
Bildquellen: WC: aus einen Katalog der Carlshütte von 1910; Goldeimermänner: Repro. Kieler Stadtarchiv, Vorlage Firma Klöckner; Bülk: Kieler Stadtarchiv