Alltagstrachten auf Föhr etwa um 1800 – Im Hintergrund eine Frau mit verhülltem Gesicht um damit dem Sandflug zu trotzen

Nach der „Zweiten Mandränke“ 1634 war die wirtschaftliche Not in den nordfriesischen Utlanden groß. Dies traf besonders auf die Geestinseln Sylt, Amrum und Föhr sowie die Halligen zu. Im selben Jahr wurde den Basken verboten, sich auf den niederländischen Walfangschiffen zu verdingen. So ergab sich für die männliche Bevölkerung der Inseln eine große Chance: Das „Goldene Zeitalter“ der Seefahrt begann. Die Folge war, dass die Frauen während der Fangsaison vom Frühjahr bis Spätherbst fast komplett unter sich waren. Viele Seeleute kehrten nicht zurück, deshalb gab es eine große Zahl von Witwen auf Sylt, Föhr und Amrum. Da die oft schwere Arbeit nur gemeinsam zu bewältigen war, bildeten sich unter den Frauen Netzwerke. Für ihre Zeit sollen sie ein außergewöhnliches Selbstbewusstsein entwickelt haben. Leider ist die Quellenlage dürftig und das meiste ist aus männlicher Sicht überliefert.

Männer erzählen Geschichte

Zeugnisse der Frauen zu finden ist nicht einfach. Im Archiv der Ferring Stiftung auf Föhr befinden sich für die Seefahrtszeit kaum Unterlagen, die von Frauen produziert wurden oder die etwas über ihr Leben aussagen. Tagebücher oder Briefe sind dort erst aus dem 19. und 20. Jahrhundert erhalten, zum Beispiel zwischen 1881 und 1905 von Ingke Jensen (*1860-1932†). Sie berichtet über die Fahrten ihres Mannes nach Chile und macht genaue Angaben zur Reiselänge, den Wetterverhältnissen und besonderen Vorkommnissen. Daneben schreibt sie von Familienereignissen auf Föhr. In der Regel aber berichten Männer über die Frauen, oft als Rückblick in die frühere Zeit. Man muss also berücksichtigen, dass diese Berichte eine männliche Perspektive einnehmen. Dadurch können sie die tatsächlichen Ereignisse an das zeitgenössische Gesellschaftsbild angepasst haben. 1949 verfasste mit Wanda Oesau (*1893-1966†) eine Frau die Untersuchung mit dem Titel “Deutsche Grönlandfahrerfrauen”.

(Fast) alle Mann auf See …

Mit der Gliep im Wattenmeer bei Hallig Langeneß

Nachdem sich im 15. und 16. Jahrhundert vor allem Sylter am Heringsfang um Helgoland beteiligt hatten, begann in der Mitte des 17. Jahrhunderts für alle drei Geestinseln und die Halligen die „Grönlandfahrt“. Im 18. Jahrhundert fuhr ein großer Teil der männlichen Bevölkerung Föhrs und Amrums zur See. Im Jahre 1780 waren es auf Amrum und 1787 in Oldsum jeweils fast 80 Prozent der Männer.

Auf die Gesamtbevölkerung des Kirchspiels St. Laurentii mit insgesamt 1544 Einwohnern bezogen, waren 367 Männer – damit fast ein Viertel aller Bewohner – auf den Meeren unterwegs. Aber nicht nur personell war Föhr mit der Seefahrt verbunden. Hier wurden Harpunen „von guter Qualität“ und Oktanten hergestellt. Dass diese Zeit als „Goldenes Zeitalter“ auf den nordfriesischen Inseln und Halligen bezeichnet wird, galt nicht für alle. Es war vor allem der Teil der Seefahrer, der es in der Hierarchie an Bord als Kommandeure, Steuerleute oder Harpuniere nach oben gebracht hatte. Davon gab es auf den Inseln verhältnismäßig viele. Einfache Seeleute verdienten wesentlich weniger. Für alle, die zur See fuhren, war die Arbeit gefährlich und konnte mit dem Tod enden.

… und die Frauen im Stall und auf dem Feld

Wenn im März oder oft erst im April die Nordsee eisfrei war, machten sich die Männer auf den Weg zu den großen Häfen Amsterdam, Kopenhagen, Flensburg und Hamburg. Auf den Inseln und Halligen blieben vor allem die Frauen, Kinder und Alten. Kontakt zu ihren Ehemännern und Söhnen hielten sie nur noch durch Briefe. Lorenz Lorenzen schreibt 1749 in seiner “Genauen Beschreibung der wunderbaren Insel Nordmarsch”, dass es in der Zeit nach dem Aufbruch der Männer sehr still war und so gut wie niemand zu sehen war, bis man sich wieder zur Arbeit aufraffte. Neben der Hausarbeit fielen nun auch die Land- und Viehwirtschaft in die Zuständigkeit der Frauen. Sie säten aus, mähten das Heu und droschen das Korn. Dabei unterstützten sie sich gegenseitig. Sie versorgten das Vieh, stellten Käse und Butter her, schoren die Schafe. Mitunter wurden zwei Arbeiten gleichzeitig erledigt: Während die Frauen und Mädchen das Vieh zur Weide brachten, nahmen sie ihr Strickzeug mit und fertigten auf dem Weg Strümpfe an. Insgesamt hatte auf den Inseln Handarbeit wie Stricken, Weben und Färben einen hohen Stellenwert. Pastor Flor berichtet 1740, dass die von den Sylter Frauen hergestellten Strümpfe exportiert wurden. Frauen waren außerdem in der Küstenfischerei tätig. Sie fischten nach Austern, und schoben die Gliep, um Porren (Krabben) zu fangen. Über die Austernfischerei wird berichtet, dass zwei Frauen mit einem alten Schiffer zusammen im Boot ausfuhren. Die Frauen waren so vergleichsweise unabhängig. Allerdings blieben sie ökonomisch abhängig und waren in juristischer Hinsicht nicht mündig. Auch beim Erbe erhielten sie nur die Hälfte von dem, was Männer bekamen. Abwesenheit oder der Tod des Ehemannes auf See konnten zu wirtschaftlicher Not führen.

Eine Postkarte von 1900: Die Inselfrauen in Arbeitskleidung auf dem Feld

Heiraten im Winter

Wanda Oesau berichtet von Versammlungen, den sogenannten Things. Am 29. Juni fand das Sommer- oder Petri-Pauli-Thing statt. Dieses soll im 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts als “Weiberthing” bezeichnet worden sein. Der Landvogt verhandelte auf diesem Thing nämlich mit den Frauen und schloss Geschäfte ab, da die Männer – abgesehen von ausgedienten Seemännern – nicht da waren. Man sagte den Frauen nach, dass sie gute Kopfrechnerinnen waren. Weil die Männer einen großen Teil des Jahres abwesend waren, fanden Hochzeiten vor allem im Herbst und Winter statt. Von Sylt wird berichtet: „Die meisten Hochzeiten auf Sylt wurden ehemals in der Woche vor dem ersten Advent gefeiert. Dann waren die Seefahrer und Wallfischfänger heimgekehrt und die Weiber hatten die Feldarbeit beendigt. 1690 am 27 Novbr. wurden auf einmal 9 Paare in der Kirche zu Keitum copulirt; am 24 Nov. 1698 gar 12 Paare; am 30 Nov. 1699 wieder 12 Paare und 1700 d. 25 Nov. 13 Paare zugleich.“ (Oesau, S. 23).

Der Tod segelt mit

Immer wieder kam es in der Seefahrt zu Unglücken, wenn die Schiffe in Stürme gerieten oder im Eis eingeschlossen wurden. Das Jahr 1777 war besonders verhängnisvoll. Nicht nur in den Fanggebieten im Eismeer, auch schon auf der Fahrt mit den Schmackschiffen auf dem Weg zu den Walfanghäfen konnte es zu Unglücken kommen. Manchmal kenterten die kleinen hölzernen Segelboote sogar in Sichtweite der Inseln im Sturm und rissen ihre Passagiere in den Tod. Das wirkte sich neben der Trauer um den verlorenen Ehemann oder Sohn auch auf das Heiratsverhalten aus. Es gab auf den Inseln mehr heiratsfähige Frauen als Männer. Manche Frau war nur kurz verheiratet und blieb nach dem Tod des Ehemanns den Rest ihres Lebens Witwe. Andere heirateten ein weiteres Mal und verloren mitunter erneut den Ehemann. Wieder andere heirateten nie. Um den Männermangel auszugleichen, wurden des Öfteren Männer aus Jütland, Husum oder Hamburg in die Familien aufgenommen. Jüten kamen in einer Art Arbeitsmigration auf die Inseln, um in der Landwirtschaft als Tagelöhner zu arbeiten. Aber nicht nur die Männer starben mitunter früh. Im Osten Föhrs, im Kirchspiel Sankt Nicolai mit den Dörfern Wrixum und Boldixum und dem Flecken Wyk, betrug die durchschnittliche Lebenserwartung für Frauen zwischen 1740 und 1749 um 36 Jahre. Grund war, dass jede Geburt zu Komplikationen und zum Tod führen konnte. Auch in der Stadt Hamburg war das im 18. Jahrhundert zum Beispiel bei jeder zehnten Frau der Fall.

Besondere Kleidung

Trachten aus dem 17.-18. Jahrhundert von Amrum, Sylt und Wyk auf Föhr

Im 17. Jahrhundert sahen die Trachten auf den Inseln noch anders aus, als man sie heute kennt. Die Frauenkleider auf Föhr, Amrum und Sylt hatten große Ähnlichkeiten miteinander und bestanden aus stark in Falten gelegten Kleidern aus Wolle und Schafspelz. Mit der Zeit passten sich die Frauen an die städtische Mode an, von der man auch auf den abgelegenen Inseln und Halligen erfuhr. Sie ließen ‘altmodische’ Teile weg und fügten andere hinzu. Dadurch konnte sich das Aussehen der traditionellen Kleidung stark ändern. Teilweise wurde sie auch komplett abgelegt und zur ‘Modetracht’ übergegangen.  Auf den Halligen soll dies schon 1749 der Fall gewesen sein, wohl wegen Kontakten nach Amsterdam und Holland. Das Wissen über die aktuelle Mode kam wahrscheinlich mit den Schifferfrauen auf die Inseln: Sie fuhren mitunter aufs Festland oder besuchten ihre Männer in den großen Häfen. 

Mareike Böhmer (1023*)

Literatur: Esther Deussing, Die Briefe der Inge Christina Petersen (1831–1835), in: Nordfriesisches Jahrbuch 54, Jg. 2019, S. 77–92; Jan I. Faltings, Die Bedeutung der Grönlandfahrt für die Insel Föhr, in: Nordfriesisches Jahrbuch 50, Jg. 2015, S. 79-104; Anna Hoffmann, Die Landestrachten von Nordfriesland, Heide 1980 (2. Aufl.), Westholsteinische Verlagsanstalt Boyens & Co.; Harry Kunz/Thomas Steensen, Föhr Lexikon, Hamburg/Kiel 2013, Wachholtz Verlag, ISBN 978-3-529-05523-2; Wanda Oesau, Deutsche Grönlandfahrerfrauen aus dem 17.-19. Jahrhundert, Wyk/Föhr 1949, Verlag Häberlin-Friesen-Museum; Martin Rheinheimer, Die Insel und das Meer. Seefahrt und Gesellschaft auf Amrum 1700 – 1860, Stuttgart 2016, Franz Steiner Verlag (Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Schleswig-Holsteins 53), ISBN 978-3-515-11144-7; Thomas Steensen, Nordfriesland von einst bis jetzt, Husum 2022, Husum Druck- und Verlagsgesellschaft mbH u. Co. KG, ISBN 978-3-96717-072-6; Jann Markus Witt, Familie, Beruf und Identität am Beispiel nordfriesischer Seeleuteautobiographien, in: Schriftlichkeit und Identität in der Neuzeit, hg. von Martin Rheinheimer, Neumünster 2004, Wachholtz Verlag, S. 87-120, ISBN 3-529-02938-6.

Bildnachweise: Vignette/Frauen in Tracht: Lithographie von Christian Andreas Schleisner, SHLB; Postkarte: aus Föhr Lexikon (siehe oben); Gliep: Sammlung Payns im Nordfriisk Institut; Trachten: Geschichte des Kostüms – Wikimedia Commons