Skizzen der erhaltenen Siegel von Herzogin Richardis

Sie hießen Adelheid, Anastasia, Mechthild oder Kunigunde. Sie waren Herzoginnen von Schleswig und zählten somit im späten Mittelalter zu den mächtigsten Frauen in ganz Nordeuropa. Doch kennt heute kaum noch jemand ihren Namen, denn lange Zeit interessierten sich Historiker nicht sonderlich für diese Fürstinnen. Interessant wurden sie erst mit Dorothea (*1430–1495†), Gattin und Witwe Christians I. (*1426–1481†). Doch auch ihre Ehegatten, angefangen von Herzog Abel (*1218–1252†) bis Heinrich (*um 1342–1375†), zählen nicht unbedingt zur landeshistorischen Prominenz. Eine Ausnahme ist lediglich der Schauenburger Gerhard I. (*um 1293–1340†), den man jedoch bezeichnenderweise vor allem als holsteinischen Grafen Gerhard III. von Holstein-Rendsburg kennt – mitunter ‚der Große‘ genannt. Auch wenn es kaum schriftliche Quellen zu den frühen Fürstinnen von Schleswig gibt, deuten diese doch an, dass sie durchaus politische Macht besaßen. 

Der Mangel an Quellen

Über die Fürstinnen aus dem 13. Und 14. Jahrhundert ist wenig bekannt.  Alle zusammen werden in gerade einmal zwei Dutzend mittelalterlichen Urkunden und Chroniken erwähnt. Über Kunigunde kann heute nicht einmal gesagt werden, aus welchem Adelsgeschlecht sie entstammte. Weil nicht viele Informationen über die Fürstinnen überliefert sind, folgerten viele Historikergenerationen, dass sie auch kaum Macht besaßen. Es wurde angenommen, dass sie vor allem für den fürstlichen Hof und den Nachwuchs zu sorgen hatten. Dieses Bild muss korrigiert werden. 

Regieren aus dem Hinterzimmer

Dass die Fürstinnen so selten in der schriftlichen Überlieferung genannt werden, hat wenig mit ihrer politischen Ohnmacht zu tun. Es ist vor allem Ausdruck ihrer Rolle. Sie wirkten vor allem im Hintergrund – und dies oft mit großem Erfolg. Sie haben einerseits ihre Gatten beraten oder Adligen, die ein wichtiges Anliegen hatten, einen direkten Zugang zum Herzog verschafft. Andererseits verbrachten sie einen Großteil ihrer Zeit mit der Verwaltung der Besitzungen, die ihnen im Ehevertrag zugesichert wurden – die sogenannte Leibgedinge. Im späten Mittelalter war dies in aller Regel eine Burg mit zugehörigen Ländereien. 

Wachte über die Einfahrt zur Flensburger Förde: Burg Sonderburg – Leibgedinge von Herzogin Richardis

Her Home is her Castle

Da keine Eheurkunden für die Herzöge und Herzoginnen von Schleswig überliefert sind, wissen wir heute nur in einem Fall von einem solchen Leibgedinge. Richardis (*um 1320–1386†), eine Tochter der Grafen von Schwerin, heiratete zwischen 1338 und 1340 Herzog Waldemar V. (*1314-1364†). Dieser war von 1326 bis 1330 sogar kurzzeitig dänischer König. Nach der Heirat erhielt Richardis die Burg Sonderburg (dänisch: Sønderborg – die „südliche Burg“) mit der Insel Alsen und der Halbinsel Sundewitt übertragen. Da Waldemar damals vor den Toren Schleswigs auf Gottorf residierte, konnte er seine Nebenresidenz am Ausgang der Flensburger Förde seiner Frau zur Verfügung stellen. Auf der Sonderburg hatte die Herzogin ihren eigenen Hof, das sogenannte „Frauenzimmer“. Es lebten hier jedoch nicht nur Frauen. Sie hatte ihren eigenen Kaplan, den sie vermutlich aus dem heimischen Wittenburg an die Förde mitbrachte. Wie am Hof ihrer Männer konnten auch die Herzoginnen im Umfeld ihres Leibgedinges die Alltagsgeschäfte oft mündlich erledigen. Nur selten wurden Schriftstücke verfasst. Dies, und nicht ihre politische Bedeutungslosigkeit, erklärt die heutige Quellenarmut.

Die Macht der Witwen

Oft betraten die Herzoginnen erst nach dem Tod der Ehegatten das Spielfeld der überregionalen Politik. Zuvor gab es dafür keine große Notwendigkeit. Solange die Ehegatten lebten, garantierten diese den status quo. Doch mit deren Tod, musste der eigene Status und der Besitz gesichert werden – obwohl in aller Regel die Söhne den verstorbenen Vätern folgten. Doch diese hatten oft ihre eigenen Pläne. Nicht wenigen Fürstensöhnen war es daher ein Dorn im Auge, wenn die eigene Mutter weiterhin auf einer ihrer Burgen lebte und diese somit gewissermaßen blockierte. Diese konnte dann nämlich nicht mehr für die eigene Heiratspolitik verwendet werden. Als Witwen mussten die Fürstinnen oft verstärkt als Anwältinnen in eigener Sache auftreten. So auch die Herzoginnen von Schleswig. Die Mehrzahl der Urkunden, in denen sie erwähnt werden, datiert entsprechend in der Zeit ihrer Witwenschaft und behandelt besitzrechtliche Fragen. Zu Lebzeiten ihrer Ehegatten begegnen wir den Herzoginnen hingegen äußerst selten. Es ist daher schon bemerkenswert, dass Adelheid (1350†), die Frau Herzogs Eriks II. (*1288–1325†), 1326 in gleich zwei Urkunden ihres Sohnes Waldemar als Zeugin genannt wird. Das war der bereits genannte Herzog Waldemar V., der in dieser Zeit jedoch dänischer König war. Weil dieser jedoch damals gerade erst zwölf Jahre alt war, bekam er seinen Onkel als Vormund zur Seite gestellt. Der Onkel war der schon erwähnte Herzog Gerhard I. Dieser befand sich damals jedoch in Mecklenburg, sodass seine Schwester Adelheid ihn offenbar vertrat. Es sollte eine Ausnahme bleiben. Sie zeigt jedoch, dass die Fürstinnen durchaus politisch auftreten konnten.

Eine Frau sorgt für sich selbst

Das Dänische Reichsarchiv bewahrt den Vertrag von 1358 zwischen König Waldemar IV. und Herzogin Richardis auf

Das Fürstinnen auch Politik in eigener Sache machen konnten, zeigte sich wie bei keiner zweiten bei Waldemars späterer Ehefrau, Herzogin Richardis. Als einzige der Herzoginnen wird sie schon zu Lebzeiten ihres Gatten in dessen Urkunden erwähnt. Sie stellte aber auch drei Urkunden selber aus und versah diese sogar mit einem eigenen Siegel. Richardis‘ Einfluss bewies sich besonders im Jahr 1358. Der dänische König Waldemar IV. atterdag (*um 1321/1340–1375†) führte damals einen Krieg gegen den Schleswiger Herzog und belagerte dabei auch die Residenz der Herzogin. Da ihr Gatte nicht vor Ort war, nahm Richardis selbst die Zügel in ihre Hände. Sie begann mit dem König zu verhandeln. Ihr Ziel war offenbar nicht ihrem Gatten beizustehen, sondern die eigene Residenz in Sonderburg zu erhalten. Beide Parteien verständigten sich auf ein Bündnis. Richardis stellte nicht nur die Burg sowie ihre Untertanen in königlichen Dienst. Sie verbot ihrem Mann sogar, seine eigene Burg zu betreten. Auch wenn sich Richardis‘ Macht im Prinzip von ihrem Mann ableitete, konnte sie im entscheidenden Moment sogar eine eigenständige Politik gegen ihn führen. Während Herzog Waldemar V. nach 1358 in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwand, konnte Richardis noch bis zu ihrem Tod im Jahr 1386 als Herzogin(-witwe) und Burgherrin von Sonderburg wirken, insgesamt fast 50 Jahre, so lange wie kaum eine weitere Herzogin von Schleswig. Diese Episode öffnet ein kleines Fenster in die ansonsten verschlossene Welt der frühen Herzoginnen von Schleswig; eine Welt, die ihnen mehr Mittel zugestand, als ihnen lange Zeit zugeschrieben wurde.

Dr. Stefan Magnussen (0922*) 

Dieses Porträt war Teil einer Serie, die im Vorfeld des 4.“Tages der Schleswig-Holsteinischen Geschichte“ am 2. September 2023 in Reinbek entstanden ist. Wie der Tag ist auch der Tagungsband „(Un) Sichtbar – Frauen in der Geschichte Schleswig-Holsteins“ überschrieben

Literatur: Dieser Beitrag ist ein umformulierter Auszug aus dem Artikel „Herzogin Richardis von Schleswig und der Angriff König Waldemars IV. auf Sonderburg im Juni 1358. Ein Beitrag zu den Spielräumen der Herzoginnen von Schleswig und zu Burgherrinnen im spätmittelalterlichen Nordeuropa“, der demnächst im Band „Frauen im Fokus der Landesgeschichte. Schleswig-Holstein vom Mittelalter bis heute“ , hg. von Nina Gallion und Caroline E. Weber, im Wachholtz-Verlag erscheinen wird. Eine kurze englische Darstellung der Ereignisse im Jahr 1358 erschien bereits 2021 im Blog des Castle Studies Trust (http://castlestudiestrust.org/blog/2021/06/08/taking-care-of-herself-duchess-richardis-of-schleswig-and-the-siege-of-sonderborg-castle-1358/)

Bildquellen: Skizzen der beiden erhaltenen Siegel von Richardis: neben dem Siegel der Herzöge von Schleswig (zwei Löwen) ist rechts von der weiblichen Figur auch das Wappen der Grafen von Schwerin abgebildet (Thiset, Danmarks Kongelige Sigiller, Tab. 42).; Zeichnung der Burg Sonderburg, wie sie während der Zeit Richardis‘ ausgesehen haben dürfte (Zeichnung von Jens Raben, © Museum Sønderjylland); Die Siegelleiste es Vertrages von 1358: Dansk Rigsarkivet, Nr.832c