Heringsschwarm
Heringsschwarm

Als im 10. Jahrhundert der arabische Geograph at-Tartusis Schleswig-Holstein bereiste, berichtete er, dass sich die Bewohner dieses Landes vornehmlich von Fischen ernährten, die es dort reichlich gäbe. Diese – aus arabischer Sicht nicht schmeichelhafte – Beschreibung ist einer der frühesten Belege dafür, wie bedeutend die Fischerei für die Ernährung gewesen ist. Über Jahrhunderte spielte dabei der Hering eine besondere Rolle. Sein deutscher Name leitet sich aus dem Lateinischen von „clupea harengus“ ab. Heringe sind wandernde Schwarmfische, die regelmäßig bestimmte Gebiete in Nord- und Ostsee aufsuchen. In der Ostsee lebt eine bis heute noch nicht vollständig erfasste Vielzahl von Heringsarten. Sie unterscheiden sich vor allem durch ihre Laichzeiten und ihre Laichgebiete. Wichtig für Schleswig-Holstein sind vor allem die Frühlingslaicher des südwestlichen Ostseeraumes. Sie halten sich im Sommer, Herbst und Winter im Kattegatt und Skagerrak auf und ziehen zum Laichen in die nahrungsreichen Förden Jütlands. Diese Heringe sind besonders begehrt, weil sie fett und groß sind. Seit wann Heringe auch im Binnenland auf dem Speisezettel standen, ist ungeklärt. Seit dem 10.Jahrhundert findet sich das Wort „Hering“ auch im Süddeutschen. 1035 taucht der Fisch unter den Speisen auf, die regelmäßig für das Kloster St.Gallen in der Schweiz gekauft wurden. In Haithabu wurden Reste nachgewiesen, die auf das Konservieren von und den Handel mit Heringen hinweisen. Belegt ist auch, dass um 1130 deutsche Kaufleute mit Heringen von Rügen handelten. Spätestens seit dem 12. Jahrhundert wurde regelmäßig gesalzener Hering aus der Ostsee über Schleswig-Holstein nach Süden exportiert.

Wohlstand auf „Heringstonnen gebaut“

Zeichnung vom Hering
Zeichnung vom Hering

Auf Heringstonnen gebaut“ (Fritz Rörig) war der Aufstieg Lübecks am Ausgang des 12.Jahrhunderts. Drei Faktoren trugen dazu bei: Die fortschreitende Christianisierung Europas. Sie verordnete den Gläubigen bis zu 140 Fastentage und erhöhte so die Nachfrage nach Fisch. Hering bot sich besonders an, da er eingesalzen über weite Strecken transportiert werden konnte und über zwei Jahre haltbar war. Konserviert wurde er mit Lüneburger Salz. Die Salinen erzeugten ein fast reines Steinsalz, das besser geeignet war als etwa das nordfriesische Salz, das durch Verbrennen von seewassergetränktem Torf gewonnen, dadurch bitter wurde und wegen der enthaltenden Fremdstoffe schlechter konservierte. Das Lüneburger Salz und die günstige Lage der Stadt für den deutschen Ostseehandel versetzten Lübeck – zweitens – in die Lage, sich eine entscheidende Rolle im Handel zu sichern. Zum dritten besaßen die Lübecker Kaufleute, die zumeist aus Westfalen eingewandert waren, ein gutes Handelsnetz, um die Heringe im Süden abzusetzen. Diese Faktoren waren die Basis der Lübecker Kaufleute für den Aufbau eines internationalen Heringshandels seit dem Ende des 12. Jahrhunderts, der ins 16.Jahrhundert die europäischen Wirtschaftsstrukturen beeinflußte.

Heringe für den lokalen Markt …

Ein "Hief" kommt an Deck. Bild von der Arbeit auf See auf einem Glückstädter Dampflogger
Ein „Hief“ kommt an Deck. Bild von der Arbeit auf See auf einem Glückstädter Dampflogger

Die Heringsfischerei entwickelte sich dabei in zwei Richtungen. An den Küsten Schleswigs und Holsteins wurde für den regionalen Markt gefischt. Wichtige Abnehmer waren die großen Städte, allen voran Lübeck, und die Klöster, die auf eigene Rechnung fischen ließen, um ihren Bedarf zu decken. In Holstein waren die städtischen Fischer fest in Zünften organisiert und arbeiteten vor allem in den durch Privilegien abgesicherten Fanggebieten der jeweiligen Stadt. So hatte sich etwa Lübeck 1188 und 1252 das Recht zum Fischfang von der Trave bis zum offenen Meer gesichert oder die Stadt Kiel die freie Fischerei auf der Förde (siehe Tom Kyle) bis zur Levensau gesichert. Im Landesteil Schleswig dagegen verhinderten skandinavische Einflüsse, dass sich Fischerzünfte bildeten. Allerdings hatten sich auch hier die Städte die Gewässer in ihrer Nähe für sich reserviert, um ihren Markt zu versorgen. So finden sich schon erste Regelungen zur Fischerei im Schleswiger Stadtrecht aus der Zeit um 1200. Ein Jahr vor seinem Tod bestätigte Christian I. (*1426/1448-1481†) das alleinige Anrecht der Stadt auf die Fischerei in der Schlei.

…. und für den Fernhandel

Der internationale Handel bezog seinen Hering vor allem aus zwei Gebieten in der Ostsee: den Gewässern um Rügen und dem Øresund. Vor Rügen gefischter Hering wurde schon in Zeiten vor der Christianisierung der Insel 1169 von deutschen Händlern aufgekauft und ins Reich gebracht. In diesen florierenden und traditionellen Handel klinkten sich die Lübecker Kaufleute bald ein und übernahmen schnell eine führende Rolle. Allerdings blieb Rügen ein Markt, auf dem man nur Salz verkaufen und Fisch erwerben konnte. Für die Lübecker wurde daher der Fischfang am Øresund viel interessanter. Durch die engen Fahrwasser zwischen Seeland und Schonen zwängten sich im Herbst Milliarden von Heringen, um von ihren Sommergebieten in Nordsee und Kattegat ihre Laichgebiete in der südlichen Ostsee zu erreichen. Im engen und flachen Sund standen in manchen Jahren die Schwärme so dicht, dass sich „Heringstime“ bildeten. Das bedeutete, die Masse der Fische drängte bis an die Oberfläche und ließ das Wasser silbern kochend scheinen. Der Øresund war zudem eine Schnittstelle zwischen dem Nordsee- und dem Ostseehandel. Im Herbst trafen sich so die Bewohner Schonens und die der dänischen Inseln, die dort Hering fingen und für den Winter einsalzten. Die Lübecker konnten deshalb dort nicht nur Salz ver- und Hering einkaufen, sondern auch andere Produkte wie Tuche oder Metallwaren an den Mann oder die modebewußte Frau bringen. Auch kamen immer mehr Kaufleute aus dem Nordseeraum an den Sund, die mit ihren Kollegen von der Ostsee handelten. Am Ende des 12.Jahrhunderts entwickelten sich daraus die „Schonischen Messen“. Sie wurden über Jahrhunderte der bedeutendste Platz im Ost-Westhandel Nordeuropas. Die Messen waren gut besucht und so wichtig, dass es dem dänischen König 1201 gelang, dort die gesamte Lübecker Führungselite gefangenzunehmen und damit die Stadt an der Trave unter seine Herrschaft zu bringen.

Die Schonischen Messen

41 Heringszäune gab es einmal in er Schlei. Heute ist noch einer in Betrieb
41 Heringszäune gab es einmal in er Schlei. Heute ist noch einer in Betrieb

Auf den Schonischen Messen, vor allem in Skanør, Falsterbo, Malmö, Landskrona und in Dragør auf der Insel Amager vor Kopenhagen, entwickelte sich ein in Europa einmaliges Handelssystem. Dänische, „niederländische“ und deutsche Städte erwarben an diesen Orten eigene Gebiete, sogenannte Vitten. Zur Messezeit konnten sie dort, ohne dass der Landesherr sie behindern konnte, Handel treiben und Heringe salzen. Die Vitten bildeten dabei Städte en miniature, denen einen „Schonenvogt“ vorstand und in denen alles vom Priester bis zur Hure, vom Schneider bis zum Goldschmied und vom Schlachter bis zum Bäcker vorhanden war. Die Kaufleute konnten auf den Vitten eigene Grundstücke, Spatien, erwerben. Sie wurden mit Hütten in Fertigbauweise bebaut, in denen sich zur Messezeit mehrere Kaufleute samt ihren Jungen und den Waren drängten.

Die Netze werden ans Schleiufer gebracht
Die Netze werden ans Schleiufer gebracht

Ebenso international wie der Handel war auch die Fischerei zur Zeit der Schonischen Messen. Neben den heimischen, dänischen Fischern kamen zur Messezeit viele hundert deutsche und niederländische Fischer an den Sund, um hier ihr Glück zu suchen. Ein französischer Reisender schätzte im 14.Jahrhundert, dass 40.000 Fischerboote mit jeweils fünf Mann Besatzung zur Messezeit den Sund befuhren. Auch wenn die Zahl hoch gegriffen erscheinen muß, so gibt sie doch einen Eindruck vom Umfang der Heringsfängerei. Die Fischer lebten getrennt von den Kaufleuten in eigenen Lagern am Strand. Der Heringsfang war frei und stand jedermann offen, solange er nur regelmäßig seine Steuern zahlte. Da die Preise dem Spiel von Angebot und Nachfrage unterlagen, kam es häufig zu handfesten Streitereien zwischen den Gruppen. Dagegen wurden zahlreiche in „Moten“ zusammengefaßte Gesetze erlassen, die den Frieden durch drakonischen Strafen sichern sollten.

Die Städte Kiel und Lübeck besaßen eigene Vitten in Falsterbo, Flensburg hatte Besitzungen in Dragør. Die Stadt Schleswig wurde 1282 vom auf Schonen erhobenen Zoll befreit, was den Kaufleuten von der Schlei enorme Vorteile verschaffte, auch wenn sie sie aus ökonomischen Gründen nicht mehr recht nutzen konnten. In der Fischerei waren „Schleswig-Holsteiner“ als Spezialisten gefragt und begehrt. So waren im 16. Jahrhundert Fischer aus Flensburg und Sonderburg auf den Heringsfang spezialisiert, waren zu Ostern am Limfjord, im Spätsommer bis in den Herbst auf Schonen und danach bis in den Winter im norwegischen Bohuslen zu finden.

Das Ende der Heringszeit

Heringsfischer an der Schlei
Heringsfischer an der Schlei

Mit Beginn des 17.Jahrhunderts endeten die Schonischen Messen. Der Salzhering bekam zunehmend Konkurrenz durch den holländischen Matjes, der in der Nordsee gefangen wurde. So ging auch die schleswig-holsteinische Heringsfischerei in der Ostsee zurück und beschränkte sich bald auf den Fang vor den eigenen Küsten. Der regionale Markt und später auch das Militär als Kunde rückten in den Vordergrund. Es entwickelten sich eigene, typische Fangmethoden. In der Schlei etwa wurden im 16. und 17. Jahrhundert im großen Stil Heringszäune angelegt. Es sind überdimensionale Reusen. Bis zu 300 Meter lange Flechtzäune bilden dabei einen Trichter, der Heringsschwärme in einen Netzsack leitet, aus dem es für sie kein Entkommen mehr gibt. Die Heringszäune blieben bis ins 18. Jahrhundert in Mode. Erst im 19. Jahrhundert verschwanden sie, weil ihr Unterhalt den Ertrag überstieg. Heute existiert nur noch ein einziger unter der alten Brücke in Kappeln, der seit 1979 durch die Kappelner Heringstage und die Heringswette gefeiert wird und 2021 generalüberholt wurde.

Im 19. Jahrhundert nahm die wirtschaftliche Bedeutung des Heringsfanges in Schleswig-Holstein ab, wobei die Mengen allerdings noch bis ins 20.Jahrhundert stiegen. Wurden 1927 im gesamten Reichsgebiet 3.688 Tonnen Hering angelandet, waren es in der Bundesrepublik zwischen 1994 und 1998 im Schnitt 9.940 Tonnen. Heute gehen die Fänge wieder zurück, 1999 wurden 7.448 Tonnen und im Jahr 2000 nur noch 6.618 Tonnen Hering in den Häfen Schleswig-Holsteins und Mecklenburg-Vorpommerns gelöscht. Die bundesdeutsche Heringsquote  wurde im Fischereijahr 2020 auf 1.730 Tonnen reduziert.

Carsten Jahnke (TdM 0901/0721))

Quellen: Carsten Jahnke, Das Silber des Meeres. Fang und Vertrieb von Ostseehering zwischen Norwegen und Italien (12.-16. Jahrhundert), (Quellen Darstellungen zur hansischen Geschichte, N.F., Bd. 49), Köln, Weimar, Wien, 2000, Böhlau Verlag, ISBN 3-412-10599-6; Carsten Jahnke, „Und ist der fisch- und Heringsfangh das erste beneficium …“ – Städtische und freie Markt-Fischerei im mittelalterlichen Ostseeraum, in: ZSHG 122 (1997), S. 289-321. Arnold Lühning, Heringszäune in der Schlei, in: Heinrich Mehl und Doris Tillmann, Fischer – Boote – Netze, Geschichte der Fischerei in Schleswig-Holstein, Heide 1999, Verlag Boyens, pp. (Nicht unbedingt immer auf dem neuesten Stand)

Die Anlandungszahlen stammen aus dem „Frischfischbericht 2000“, hrsg. v.d. Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, Referat – 521-Fischwirtschaft, Palmaille 9, 2276 Hamburg, und für 1927 aus dem Statistischen Jahrbuch für das Deutsche Reich 1928; Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, Bekanntmachung vom 5. Mai 2020

Bildquellen: Institut für Meeresforschung der Universität Kiel, Aquarium; Welternährungsorganisation (FAO), Oliver Pere; Stadtarchiv Kappeln; Detlefsen-Museum, Glückstadt