Friedrich von Esmarchs (*1823-1908†) Ruhm gründet sich auf seine vielseitige Wirksamkeit als Kriegschirurg und innovativer Mediziner. Auf ihn gehen zahlreiche Fortschritte in der Pflege und Betreuung von Verwundeten im Krieg sowie wegweisende Entwicklungen in der Chirurgie zurück. Außerdem gilt Esmarch als Begründer der Ersten Hilfe und der Samariterbewegung, die er in England kennengelernt, dann in Deutschland aufgebaut und von dort in alle Welt hinausgetragen hat. Auch als Fachautor hat sich Esmarch durch über 80 Schriften und Veröffentlichungen hervorgetan.
Eine Jugend in Umbruchzeiten
Esmarch wuchs in Tönning, Rendsburg und Flensburg in einem behüteten Elternhaus auf, das ihn schon früh für die schleswig-holsteinische Bewegung geprägt hat. In Rendsburg lernte er 1830 als Jugendlicher Uwe Jens Lornsen kennen, den er zeitlebens verehrte. Während seines Medizinstudiums, das er von 1843 bis 1847 in Kiel und Göttingen absolvierte, begeisterte er sich zudem für das Turnwesen. In der Zeit der Erhebung und noch lange danach stand Esmarch entschieden für die schleswig-holsteinische Bewegung ein. Er besuchte Turner- und Sängerfeste und verfasste im Juli 1846 in der Weser-Zeitung eine scharfe Entgegnung auf den sogenannten „Offenen Brief“ König Christians VIII. (1786/1839-1848†). Seine politische Haltung und Stimmung schwankte in der Zeit von der Erhebung bis zum Auftreten des Augustenburgers 1863/64 zwischen Enthusiasmus, Zweckoptimismus und Resignation, wie sich aus Briefen und Tagebuchnotizen herauslesen lässt. Danach wird aber auch ein Stimmungsumschwung von anfänglicher Ablehnung der preußischen Obrigkeit hin zu einer nationalen Begeisterung, die nach den Einigungskriegen weite Teile der Bevölkerung erfasste, in seiner Korrespondenz sichtbar.
Esmarch als Feldarzt
Sein Einsatz als Militärarzt während der Erhebung von 1848 bis 1851 führte ihn an nahezu alle Kriegsschauplätze. Trotzdem konnte er in Kampfpausen promovieren. Im Dreijahreskrieg sammelte er bereits Erfahrungen mit Narkose und konservativer Chirurgie, die sich bemühte, Amputationen durch Resektionen nach Schusswunden zu ersetzen. Seine Berichte darüber begeisterten die Fachwelt. In dieser Zeit verwendete Esmarch auch erstmals Eisumschläge, um Entzündungen zu bekämpfen, machte dann 1873 die bahnbrechende Entdeckung des Operierens im blutleeren Raum, verfeinerte Verfahren zur antiseptischen Wundbehandlung und zur Immobilisierung verletzter Glieder. Insbesondere der von ihm entwickelte Irrigator zur Kältebehandlung setzte sich in der Chirurgie schnell durch. In seinem „Handbuch der kriegschirurgischen Technik“ fasste er 1877 seine Erfahrungen und Entdeckungen über Wundbehandlung und Operationen zusammen.
Warten auf die Professur
Die Zeit nach dem Friedensschluss 1851 nutzte Esmarch zu seiner Habilitation und einer ausgiebigen Studienreise. Seine Laufbahn als Hochschullehrer konnte aber erst beginnen, nachdem er zum Wintersemester 1852 aus Kopenhagen die Erlaubnis erhielt, seine akademische Laufbahn wieder aufzunehmen. Seine offizielle Berufung auf den Lehrstuhl für Chirurgie an der Christian-Albrechts-Universität (CAU) zu Kiel erfolgte sogar erst 1857. Der „Schleswig-Holsteiner“ Esmarch erlebte zunächst bange Jahre im Friedrichs-Hospital in der Flämischen Straße in Kiel, bevor er den Weg zu den modernen Akademischen Heilanstalten ebnen konnte.
Als Hochschullehrer war Esmarch vor allem wegen seiner anschaulichen „Vorstellungstage“ zur Untersuchung von Kranken beliebt. Schlechter besucht waren seine theoretischen Vorlesungen, die sein Schüler und Assistent August Bier (*1861-1949†) schlichtweg als langweilig bezeichnete. Esmarch war vor allem ein begnadeter Operateur. Er wurde von berühmten Persönlichkeiten wie Brahms und Clara Schumann konsultiert, wurde aber vor allem wegen seiner Volksnähe verehrt. Seine Klinik stand auch für mittellose Bürger offen. Das hohe Ansehen im Volk spiegelte sich auch darin, dass er den plattdeutschen Spitznahmen „Fiete Isbüdel“ bekam.
Reformer des Sanitätswesens
Während seiner Tätigkeit als Chef der Akademischen Heilanstalten besuchte Esmarch regelmäßig Ärztetagungen und auswärtige Kliniken. In den Kriegen 1864 und 1866 konnte er dann das Sanitätswesen in Preußen neu organisieren. Seine Neuerungen richteten sich vor allem auf die Verbesserung der Verwundetentransporte und der hygienischen Verhältnisse in den Lazaretten, wobei er sich stark an amerikanischen Vorbildern orientierte. Zudem stieß er 1866 in Berlin eine Reform des Militär-Medizinalwesens an, entwickelte 1867 Lazarettzüge und trat erfolgreich für die Vorbereitung von Reserve- und Barackenlazaretten ein. Als wegweisende allgemeinmedizinische Entwicklungen, an denen Esmarch mitarbeitete, sind vor allem die Einführung der Narkose, die antiseptische Wundbehandlung, der „Esmarch-Heiberg-Handgriff“ zur Freilegung der Atemwege, der noch heute in der Anästhesie und Notfallmedizin angewendet wird, sowie die Methode zur Operation im blutleeren Raum zu nennen.
Streit mit Kollegen
Sein Verhältnis zu auswärtigen und befreundeten Kollegen wurde am Ende seiner Zeit als Professor an der CAU vor allem durch heftige Auseinandersetzungen mit seinem Kollegen Heinrich Quincke (*1842-1922†) und seinen Schülern Gustav Neuber (*1850-1932†) und Ernst Kowalzig (*1863-1945†) getrübt. Insbesondere die Konflikte um einen Krankenhausneubau, den Esmarch auf Drängen seiner Frau Henriette von Augustenburg blockierte, indem er auf seinem Wohnrecht in seiner Dienstvilla bestand, schädigten sein Ansehen in der Stadt.
Pionier der Ersten Hilfe
In seinen letzten Lebensjahren setzte sich Esmarch insbesondere für die Etablierung der Ersten Hilfe bei Unglücksfällen und des Samariterwesens ein, obschon es heftige Kritik aus der Ärzteschaft an Esmarchs Eintreten für die Erste Hilfe durch Laien gab. Der Siegeszug seiner Bemühungen ist aber bereits aus der beispiellosen Verbreitung seiner erfolgreichen Schriften „Leitfaden für Samariter-Schulen“ und „Katechismus zur ersten Hülfeleistung in Unglücksfällen“ abzulesen. Natürlich knüpfte er hierbei an seine Erfahrungen in der Verwundetenpflege durch Freiwillige und die Samariter- und Rote-Kreuz-Bewegung an, die er gleichfalls befördert hatte. In seinen letzten Lebensjahren erhielt Esmarch noch zahlreiche Ehrungen, darunter 1905 sogar schon zu Lebzeiten ein Denkmal in seiner Geburtsstadt Tönning. Esmarch hat ohne Zweifel über die wechselvollen Zeiten der Kriege des 19. Jahrhunderts hinweg als Arzt das Militärsanitätswesen und die moderne Chirurgie wie kaum ein Zweiter geprägt. Darüber hinaus hat er das zivile Samariterwesen in Deutschland begründet und damit den Weg zum modernen Rettungswesen bereitet.
Dr. Jens Ahlers (0623*)
Literatur: Christian Zöllner, 1823-1908. Friedrich von Esmarch – eine Biografie. Kiel, 2023, Verlag Ludwig. ISBN 978-3-86935-442-2; Klaus-Joachim Lorenzen-Schmidt, Hartwig Molzow, „Biographisches Lexikon für Schleswig-Holstein und Lübeck“, Band 7, S.56-59, Neumünster, 1985, Wachholz Verlag, ISBN 3 5290 2647 6; Friedrich von Esmarch (1823-1908). Ausstellung anlässlich seines 100. Todestages. Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek 27. Januar – 24. Februar 2008
Abbildungen: Alle Abbildungen Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek (SHLB)