Ein Landwirt entdeckt Rungholt

Am Pfingstmontag des Jahres 1921, es war der 16. Mai, herrschte strahlender Sonnenschein. Der Nordstrander Landwirt Andreas Busch (*1883-1972†) unternahm mit seiner Familie und einem Gast einen Pfingstausflug besonderer Art: Mit seiner Pferdekutsche fuhr er durch das Watt hinüber nach Südfall und wollte in der Nähe der Hallig Funde im Watt in Augenschein nehmen. Der Pfingstausflug des Jahres 1921 gilt gemeinhin als Beginn der ernsthaften Rungholt-Forschung. Andreas Busch war zu diesem Zeitpunkt 37 Jahre alt. Als Autodidakt legte Busch die Grundlagen für die Archäologie im Watt. Neben zahlreichen Schriften und einer großen Sammlung wurde Busch 1963 die Universitätsmedaille der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel verliehen. 

Ein pfiffiger Junge

Am 16. Juni 1883 wurde Andreas Busch auf Nordstrand geboren, wo seine Eltern eine Mühle und eine Bäckerei betrieben. Sein Vater stammte aus Epenwöhrden in Dithmarschen, seine Mutter von einem großen Bauernhof in der Trendermarsch auf Nordstrand. Mit fünf Brüdern und einer Schwester wuchs er auf. Obwohl seine späteren Forschungen denen eines universitären Wissenschaftlers in nichts nachstanden, besuchte er doch nur die zuerst einklassige, dann zweiklassige Volksschule im Nordstrander Morsumkoog. Aber schon als Junge tüftelte und experimentierte er gern. So baute er Schiffsmodelle, eine „Camera Obscura“ mit Spiegel und Linse sowie einen verstellbaren Kalender mit Drehscheiben für Jahre, Monate, Tage und Mondwechselzeiten.

Bauer und Tüftler

Andreas Busch wollte Bauer werden. Er ging bei seinem Vater und für vier Monate bei einem Verwandten in Dithmarschen in die Lehre. Eine landwirtschaftliche Schule besuchte er nicht, studierte aber Fachzeitschriften und veröffentlichte schon mit zwanzig Jahren seinen ersten kleinen Artikel in der Illustrierten Landwirtschafts-Zeitung, Thema: Reinhalten der Schweine mit wenig Streu. Auch als Erfinder einer „fahrbaren Erdschaufel“ machte er sich einen Namen. Im Jahr 1909 heiratete er Anna Süsseline Erichsen (*1886-1956†) aus dem Neukoog auf Nordstrand. Im Laufe der Zeit kamen sieben Kinder zur Welt. Das Paar führte neben dem Bauernhof eine Gastwirtschaft am Morsumhafen, für den sich bald der heutige Name Süderhafen einbürgerte. Die Gaststätte lag hinter dem Deich, so konnte man nicht sehen, wann das Fährschiff aus Husum eintraf. Die im Krug Sitzenden versetzte das häufig in Unruhe. Andreas Busch schuf Abhilfe: Auf das Dach seines Hauses montierte er einen großen Spiegel, und über Kristallglasscheiben gelangte ein Bild des Hafens in die Gaststube, sodass sich die Wartenden in Ruhe den Speisen und Getränken widmen konnten. Schon als Junge kam Andreas Busch mit der Heimatgeschichte in Berührung. Seine Großeltern besaßen ein Exemplar der berühmten „Landesbeschreibung“ Schleswig-Holsteins von 1652. Die darin enthaltenden Landkarten Johannes Mejers faszinierten ihn und er versuchte sie möglichst genau nachzuzeichnen. Auf diesen Karten war auch der sagenumwobene Ort Rungholt verzeichnet, der für Busch entscheidende Bedeutung gewinnen sollte. 

Keramik-Funde aus dem „Rungholt-Watt“ 

Der Zufall hilft

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Pohnshalligkoog eingedeicht, beim Süderhafen entstand ein neues Siel. Arbeiter fanden dabei Mauersteine, Dachziegel und menschliche Gebeine – Überbleibsel der bei der zweiten „Mandränke“ 1634 untergegangenen Ortschaft Lith. Als sich Andreas Busch mit diesen Funden befasste, erzählte man ihm, südlich der Hallig Südfall gebe es noch viele mehr von solchen Spuren, er solle sich das einmal ansehen. So kam es zu jenem denkwürdigen Pfingstausflug 1921. Von Fuhlehörn ging es hinüber nach Südfall. Außer der Familie Busch fuhr der Husumer Journalist Felix Schmeißer (*1882–1953†) mit, der schon damals auch als Heimatschriftsteller bekanntgeworden war. „Wir sahen anfangs nichts Besonderes“, berichtete Busch später. „Schließlich sahen wir eine Anzahl von Pfählen aus dem Watt herausragen. Nach näherer Untersuchung und einiger Überlegung konnte ich feststellen, dass es sich um Holzreste einer ehemaligen Entwässerungsschleuse handelte“. Die beiden Männer fanden außerdem mehrere Brunnenringe und Warftreste. „Sehr beeindruckten uns an vielen Stellen im Watt die in schnurgeraden Linien verlaufenden Gräben und bearbeiteten Ackerbeete, wie überhaupt die ganze, planmäßig angelegte Feldeinteilung.“

Andreas Busch (Mitte vorn) mit Weggefährten bei der Rungholt-Forschung im Jahr 1937 auf Hallig Südfall; von links: Ludwig Brauer, der als Arbeiter beim Lithsiel auf Nordstrand Andreas Busch zuerst auf die Kulturspuren bei Südfall hingewiesen hatte, der friesische Forscher Dr. Lorenz Conrad Peters, Studienrat in Husum, der Halligverwalter Hans Mölck, Busch, der Husumer Journalist Felix Schmeißer und Dr. Fritz Tidelski, Leiter des Nissenhauses. 

Rungholt wird kartiert

Busch war geradezu elektrisiert von diesen Funden und erkundete anschließend viele Male das Watt bei Südfall, ausgerüstet mit Fotoapparat, Kompass, Maßband und Skizzenblock. So konnte er nach und nach den vergangenen Warften, Brunnen, Schleusenresten und Keramikscherben ihre Geschichte entlocken. Nun war er überzeugt, dass er das sagenhafte Rungholt gefunden hatte. Sein ausführlicher Bericht im Jahrbuch des Nordfriesischen Vereins von 1923 trug die Überschrift: „Die Entdeckung der letzten Spuren Rungholts“. Um den bei der ersten „Mandränke“ des Jahres 1362 vernichteten Ort hatten sich im Laufe der Jahrhunderte Legenden und Mythen gesponnen. Den Höhepunkt bildete Detlev von Liliencrons 1882/83 geschriebene Ballade „Trutz, blanke Hans“, in der Rungholt als eine sagenhaft reiche Stadt erschien. Die Sänften der Bewohner wurden demnach getragen von „Syrern und Mohren mit Goldblech und Flitter in Nasen und Ohren“. Aber ihr ausschweifendes und gotteslästerliches Leben wurde den Rungholtern zum Verhängnis, so hieß es im Gedicht und zuvor schon in der Sage. Andreas Busch sah die Geschichte nüchterner. „Die Siedelung Rungholt war natürlich keine Stadt, wozu Liliencrons dichterische Phantasie sie gestempelt hat“, schrieb er. „Es erhoben sich dort nicht mächtige Kornspeicher und kein Menschenstrom bewegte sich täglich in den Gassen.“ Rungholt habe ausgesehen wie andere Ortschaften in der Marsch, sei aber mit etwa 1.000 Einwohnern für die damalige Zeit relativ groß gewesen und habe „Handelsbeziehungen mit fernen Ländern“ unterhalten.

Rungholt als Lebensaufgabe

Sein Leben lang forschte Andreas Busch weiter und suchte den Beweis zu erbringen, dass er mit seinen Funden tatsächlich das versunkene Rungholt entdeckt habe. Der Absolvent der Volksschule im Nordstrander Morsumkoog konnte 1963 die Universitätsmedaille der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel entgegennehmen. Weitere Forschungen haben inzwischen viele seiner Erkenntnisse bestätigt. Allerdings fehlt bis heute der letzte und sichere Beweis, dass es sich bei seinen Funden tatsächlich um Rungholt handelt. Sein Werk sei in der Küstenforschung Nordfrieslands zu einem Kristallisationspunkt geworden, sagte Erich Wohlenberg, Direktor des Nissenhauses, am Grab von Andreas Busch, der am 7. Juli 1972 auf Nordstrand starb. 

Auf der Rückseite des Grabsteins von Andreas Busch in Odenbüll wird der Anstieg des Meeresspiegels kenntlich gemacht, wie Busch es sich gewünscht hatte

Prof. Dr. Thomas Steensen (1022*)

Quellen: Thomas Steensen, Nordfriesland – Menschen von A bis Z, hg. vom Nordfriesland Museum, Nissenhaus Husum 2020, Husum Verlag, ISBN 978-3-96717-027-6; Marcus Petersen, Biographisches Lexikon für Schleswig-Holstein und Lübeck, Band 8, S. 50, Neumünster 1987, Wachholtz-Verlag, ISBN 3 529 02648

Bildquellen: Vignette/Titelbild/Keramik Funde: Nordstrander Heimatverein; 1937 mit Weggefährten: Nordfriesland Museum Nissenhaus; Grabstein: Thomas Steensen