Am 22. November 1945 wurde in Apenrade der Bund Deutscher Nordschleswiger gegründet. Damit wagte die deutsche Minderheit nur wenige Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges einen Neuanfang. Seit der nördliche Teil des ehemaligen Herzogtums Schleswig 1920 durch eine Volksabstimmung (Abstimmungsgebiet) ein Teil Dänemarks geworden war, hatte die Volksgruppe in ihrer Mehrheit eine Revision der Grenze gefordert. Zusätzlich war das Verhältnis zur dänischen Mehrheit zerrüttet, weil große Teile der Minderheit sich früh zum deutschen Nationalsozialismus bekannt und während der Besatzungszeit sich in großer Zahl als Kriegsfreiwillige zur Waffen-SS gemeldet hatten. Dieses Verhalten der deutschen Volksgruppe während des Krieges beantwortete die dänische Regierung nach der Befreiung mit der sogenannten Rechtsabrechnung. 3.500 Mitglieder der Minderheit waren 1945 vor allem in Fårhus interniert worden. Gegen sie ergingen Urteile auf Grundlage nachträglich erlassener Gesetze. Die Grundlage für einen Neuanfang im Verhältnis zwischen Dänen und der deutschen Minderheit war noch vor Kriegsende durch eine damals noch weitgehend unbekannte, später als „Haderslebener Kreis“ bezeichnete Gruppe, gelegt worden. Die kleine Gruppe um den deutschen Pastor Friedrich Prahl in Hadersleben und den Fabrikanten Matthias Hansen hatte bereits am 11.November 1943 Grundzüge für ein Zusammenleben nach dem Krieg festgelegt: „Wir erstreben ein gutes Verhältnis zu unseren dänischen Mitbürgern, das nur auf gegenseitigem Vertrauen aufgebaut werden kann und sich auf eine absolute Loyalität gründen muß.“ Mit der Anerkennung der Grenze von 1920 und der Loyalität zum dänischen Staat warfen Prahl und seine Mitstreiter das seit dem 19. Jahrhundert eingeforderte „historische Recht“ auf ein ungeteiltes deutsches Schleswig-Holstein und die bisher grenzrevisionistische Haltung der Minderheit über Bord. Das Verdienst, diese Grundsätze als Kern der BDN-Gründung durchzusetzen, ist vor allem dem Redakteur Ernst Siegfried Hansen zuzuschreiben. Er vermittelte im Dreieck von Haderslebener Kreis, der großen Gruppe derjenigen, die von der Rechtsabrechnung geprägt war, sowie den von den Nationalsozialisten verdrängten gemäßigten Heimdeutschen.
Der Neuanfang gelingt
Die weitgehende Übernahme der Haderslebener Positionen, führte zu durchgehend positiven Reaktionen auf dänischer Seite. Das Bekenntnis zur Demokratie und zur Loyalität gegenüber Dänemark war das eine. Das andere die innere Befindlichkeit in der Volksgruppe. Deshalb setzte sich der BDN insbesondere für die Belange der Fårhus-Gefangenen ein. Bis Anfang des Jahres 1947 wurden 23 Ortsvereine mit rund 3.000 Mitgliedern gegründet. Zu den sicherlich wichtigsten Beschlüssen des jungen BDN gehörte der, sich bereits 1947 wieder an der Folketingwahl zu beteiligen. Als Kandidat konnte Waldemar Reuter aus Gravenstein (Gråsten) gewonnen werden. Er forderte übrigens gleiche Minderheitenrechte nördlich und südlich der Grenze – in einer Zeit als in Landesteil Schleswig ein heftiger Grenzkulturkampf mit der stark angewachsenen dänischen Minderheit (Dänische Minderheit) ausgefochten wurde. Mit 7.611 Stimmen erreichte er ein beachtliches Ergebnis, verfehlte jedoch einen Sitz im Folketing. Nachdem der Besitz der Minderheit nach dem Krieg eingezogen worden war, mussten die im BDN vertretenen neugegründeten Vereine mit einem Neuaufbau der Einrichtungen der deutschen Volksgruppe beginnen. 1946 durften wieder deutsche Schulen gegründet werden, die allerdings kein Examensrecht hatten. Bereits im Februar des gleichen Jahres bekamen die Deutschen im südlichen Dänemark mit ihrer neu gegründeten Zeitung „Der Nordschleswiger“ auch wieder eine eigene Stimme.
Das Kopenhagener Notat
Ein Anlass, seitens der deutschen Volksgruppe mit der dänischen Regierung ins Gespräch zu kommen, bildete die „Kieler Erklärung“ des schleswig-holsteinischen Landtags vom 26. September 1949. In ihr wurden der dänischen Minderheit und der friesischen Volksgruppe zugesichert, sich frei entfalten zu dürfen. Nach einem Gespräch, an dem von Seiten der dänischen Regierung auch Staatsminister Hans Hedtoft und Kirchenminister Frede Nielsen teilnahmen, formulierte Ernst Siegfried Hansen ein Protokoll, das die Haltung der Regierung wiedergab. Demzufolge standen den Angehörigen der deutschen Volksgruppe alle staatsbürgerlichen Möglichkeiten offen. Zwar nicht juristisch, aber praktisch und vor allem emotional war mit diesem „Kopenhagener Notat“ eine Art Gegenstück zur „Kieler Erklärung“ entstanden. Während in Schleswig-Holstein Anfang der 1950er Jahre unter Ministerpräsident Friedrich-Wilhelm Lübke ein strikter Kurs gegen die dänische Minderheit gefahren wurde, konnte die deutsche Minderheit nördlich der Grenze sich politisch frei entwickeln: Am 22. September 1953 wurde Hans Schmidt aus Oxbüll (Oxbøl) mit 9.721 Stimmen ins Folketing gewählt. Das stand im deutlichen Gegensatz zum sogenannten „Grenzkampf“ in Schleswig-Holstein. Obwohl der SSW bei den Wahlen am 12.September 1954 über 42.000 Stimmen (3,5 Prozent) erreichte, verhinderte die Fünf-Prozent-Klausel den Wiedereinzug in den Landtag. Der BDN ergriff in dieser Situation Partei für den SSW und forderte gleiche Rechte für die Minderheiten beiderseits der Grenze.
Die Bonn-Kopenhagener Erklärungen
Die Gründe, die zu den Bonn-Kopenhagener Erklärungen führten, hatten vor allem mit deutscher und dänischer Außenpolitik sowie dem deutschen NATO-Beiritt zu tun. Dänischerseits bestand jedoch auch Interesse, die Situation der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein zu klären. Die Deutschen strebten ein grenzpolitisches Gleichgewicht an und wollten deshalb die deutsche Minderheit mit einbezogen sehen. Dadurch wurden die Erklärungen vom 29. März 1955 zur Grundlage für die weitere Entwicklung der Minderheiten im deutsch-dänischen Grenzland. Der BDN bekam durch sie die Möglichkeit, über die Folgen der Rechtsabrechnung ins Gespräch zu kommen und offene Pensions- und Besitzfragen zu klären. Wichtig war vor allem, dass die deutschen Schulen wieder das Examensrecht bekamen. Damit konnte vor allem der Abwanderung junger Menschen besser begegnet werden. Ungleich wichtiger war jedoch der psychologische Effekt: Der „Gleichlaut“ der Erklärungen signalisierte eine absolut gleiche Ebene, stellte „Der Nordschleswiger“ am 31. März 1955 fest. Der deutschen Volksgruppe in Dänemark – so die heute einhellige Lesart – wurde zehn Jahre nach dem Kriegsende, die ausgesteckte Hand des dänischen Staates entgegengehalten.
Vom Problem- zum Modellfall
Mitgetragen durch die europäische Einigung entwickelten sich nach den Bonn-Kopenhagener Erklärungen die Verhältnisse im Grenzland zwischen Mehr- und Minderheiten immer mehr zum Miteinander und schließlich zu einem Vorbild für Europa. Auch wenn es der deutschen Minderheit nach 1979 nicht mehr gelang, ein Mandat im Folketing zu gewinnen, konnte sie auf regionaler und kommunaler Ebene ihren Einfluss wahren. Seit 1983 gibt es ein Sekretariat der Deutschen Volksgruppe in Kopenhagen. Schon etwa zehn Jahre zuvor hatte ein Generationswechsel begonnen, in dessen Verlauf auch das Problem, das – unter dem Begriff „Fårhus-Mentalität“ zusammen gefasst – das kollektive Verdrängen der in der NS-Zeit entstandenen Schuld beschreibt, überwunden werden konnte. Aktuell wird die Größe der Minderheit mit 15.000 angegeben. Das sind – bezogen auf die etwa dem alten Nordschleswig entsprechende Amtskommune Sønderjylland – etwa sechs Prozent der Wohnbevölkerung. Die Minderheit unterhält über 20 Kindergärten, 15 Volksschulen, eine Mittelschule und ein Gymnasium sowie zahlreiche weitere kulturelle Einrichtungen. Der Etat des BdN als Dachorganisation liegt bei 235 Millionen DKR (gut 30 Millionen EURO) und speist sich zu mehr als der Hälfte aus Zuschüssen des dänischen Staates sowie zu einem Drittel aus Zuweisungen der Bundesrepublik.
Frank Lubowitz (0306)
Tipp: Mehr Informationen gibt es über den BDN <www.bdn.dk>, der auch eine historische Forschungsstelle unterhält. Über das aktuelle Geschehen rund um die Minderheit informiert „Der Nordschleswiger“ www.nordschleswiger.dk.
Quellen: Frank Lubowitz, 60 Jahre Bund Deutscher Nordschleswiger, in: Schriften der Heimatkundlichen Arbeitsgemeinschaft für Nordschleswig, Heft 81, 2006, Apenrade
Bildquellen: Vignette/Wappen/Schule Tingleff: Bund Deutscher Nordschleswiger; Ernst Siegfried Hansen: Archiv „Der Nordschleswiger“