Der Eingang zum Friedhof
Der Eingang zum Friedhof in Christiansfeld – die Gräber auf blanker Erde und nach Geschlechtern getrennt

Die Gemeinde Christiansfeld zwischen Kolding und Haderslev (Hadersleben) ist das letzte lebende Denkmal für die Geschichte der pietistischen Herrnhuter Brüdergemeine in den Herzogtümern Schleswig und Holstein. Ihre Wurzeln reichen zurück bis in die Zeit vor der Reformation durch Luther. Als „Mährische Brüder“ hatten sie sich bereits Anfang des 15. Jahrhunderts in den Zeiten von Jan Hus zusammengeschlossen. Nach dem Dreißigjährigen Krieg erstarrten die Konfessionen in einem orthodoxen Dogmatismus. Die Kirchen waren nicht länger allein Religionsgemeinschaften, sondern auch Staatskirchen. Sie waren den weltlichen Herrschern untergeordnet, die streng darüber wachten, dass die offizielle Kirchenlehre eingehalten wurde. 1721 wurde deshalb die Brudergemeine aus Böhmen und Mähren vertrieben. Sie fand Zuflucht in Sachsen auf dem Gut Berthelsdorf am Hutberg, in des „Herrn Hut“, was zum Namen „Herrnhuter“ führte. Aufgenommen hatte sie Nikolaus Ludwig Reichsgraf von Zinzendorf (*1700-1760†). Zinzendorf war ein Anhänger des Pietismus. Die Ideale der evangelischen Erneuerungsbewegung waren eine verinnerlichte Frömmigkeit des Einzelnen, orientiert streng am Wort der Bibel und ausgerichtet auf tätige Nächstenliebe.

Pietismus im Norden

Pietistisches Gedankengut wurde auch am Hof des dänischen Königs Christian VI. (*1699/1730-1746†) gepflegt. 1731 erfuhr von Zinzendorf bei einem Besuch in Kopenhagen vom Kammermohren des Direktors der Dänisch-Westindisch-Guineiischen Handelscompanie (Dreieckshandel) vom Sklavenelend auf den dänischen Plantagen in der Karibik. Er erbat und erhielt die Erlaubnis, Herrnhuter in Westindien missionieren zu lassen. Seit 1736 stellten sich unter Friedrich Martin (*1704 -1750†) die ersten Missionserfolge ein. Die Missionare waren von den Plantagenbesitzern nicht wohlgelitten. Zwar stellten sie das System der Sklaverei nicht in Frage, doch waren sie die ersten, die Sklaven als Menschen und nicht wie tierähnliche Arbeitskräfte behandelten. Auch in ihrer sächsischen Heimat wurde der Stand der Herrnhuter immer schwieriger. Ihr Verständnis als Gemeinde, deren kollektive, ekstatischen Schwärmereien darin gipfelten, sich in einer erotischen Gemeinschaft mit Christus zu wähnen, galten der Staatskirche als „unzüchtig“. 1737 wurde Zinzendorf deshalb aus Sachsen ausgewiesen. Auch der dänische König brach seinen Kontakt zu ihm ab.

„Technologietransfer“

Dass trotzdem im gleichen Jahr nach einem erfolglosen Versuch in Horst (bei Elmshorn) die Herrnhuterkolonie „Pilgerruh“ bei Oldesloe gegründet wurde, hatte allein wirtschaftliche Gründe. Die Herrnhuter galten als ausgezeichnete Handwerker. Christian VI. wollte mit der Brüderkolonie erreichen, was man heute „Technologietransfer“ nennt. Zwar wuchs die Kolonie schnell auf 166 Mitglieder, wurde jedoch schon 1741 wieder aufgelöst, weil die Brüder den Treueid auf den König verweigerten. Erst mehr als zwei Jahrzehnte später kam es zu neuen Initiativen. Mehrfach hatte der gewiefte Kaufmann und dänische Schatzmeister Baron Heinrich Carl Schimmelmann (*1724 -1782†) versucht, die Herrnhuter auf seinen Ländereien anzusiedeln. Dem Geschäftsmann waren die Bedenken der lutherischen Staatskirche egal. Ihm ging es allein um die Kunstfertigkeit der Herrnhuter bei der Produktion von Luxusgütern, die sich gut und teuer verkaufen ließen. Jedoch erst 1768 wurde der seit 1766 regierende König Christian VII. (*1749/1766-1808†) während einer Reise in die Niederlande erneut auf die tüchtigen Handwerker aufmerksam. 1772 verkaufte er der Brüdergemeine seine Domäne Tyrstrup. Anders als Pilgerruh konnte Christiansfeld sich ungestört entwickeln. Weil die wirtschaftliche Motive klar im Vordergrund standen, verzichtete Christian VII. nicht nur für zehn Jahre auf Zolleinnahmen, sondern entband die Herrnhuter auch vom Zwang, den Treueeid auf ihn abzulegen.

Jann Markus Witt (0302/0721)

Literatur: Ulrich Lange (Herausgeber), Geschichte Schleswig-Holsteins – von den Anfängen bis zur Gegenwart, 2. Auflage 2003, Neumünster, Wachholtz-Verlag, ISBN 3-529-02440-6

Bildquelle: Werner Junge