Ausbau der Holstenstraße zum Fußgängerbereich
Ausbau der Holstenstraße zum Fußgängerbereich

Mit der Freigabe am 12. Dezember 1953 wurde in Kiel mit dem oberen Teil der Holstenstraße die erste städtische Hauptstraße in Deutschland in eine Fußgängerzone umgewandelt. Gegen den Widerstand des Einzelhandels war im Rahmen des Wiederaufbaus der zu 80 Prozent durch Bomben zerstörten Stadt die Idee einer verkehrsfreien Einkaufsstraße von Stadtbaurat Herbert Jensen (*1900-1968†), propagiert worden. Jensen hatte bereits 1941 beklagt, die Holstenstraße sei mit nur 13 Metern Breite zu eng für Autos, die Straßenbahn und Fußgänger. Die Industrie- und Handelskammer (IHK), unterstützte die Pläne Jensens im Rahmen des Wiederaufbaus. Die Kammer fürchtete vor allem, dass – ähnlich wie in den USA damals schon erkennbar – Einkaufszentren vor der Stadt die Kaufkraft aus dem Zentrum abziehen könnten. Jensen formulierte, es könne nicht allein das Ziel sein, „dem Kraftwagenbenutzer das Leben (zu) erleichtern, sondern besonders auch dem Fußgänger gerecht zu werden“. 1950 begann die Stadt, die Straßenbahn aus dem oberen Teil der Holstenstraße herauszunehmen. Der Einzelhandel fürchtete um seine Umsätze und protestierte gegen die Pläne des Magistrats. Als Ende 1953 der obere Teil der Holstenstraße fußläufig war, warben die Kaufleute im unteren mit ihrem Vorteil, weiterhin mit Tram und Auto erreichbar zu sein. Doch schon nach einem Vierteljahr waren die Umsätze in der Fußgängerzone um 30 bis 50 Prozent gestiegen. Nun protestierten die Geschäftsleute der unteren Holstenstraße, weil sie nun wollten, dass auch ihr Stück fußläufig wurde. Das Ziel konnte erst 1957 erreicht werden, weil es sich als problematisch erwies, den Verkehr umzuleiten. Von einem halben Kilometer verlängerte sich die Fußgängerzone auf über einen. Das Konzept „Mit Ruhe zu Fuß“ fand schnell auch Nachahmer außerhalb Kiels. In der Fördestadt wurden zur Olympiade 1972 der Rathausplatz autofrei und auch der Bereich des Alten Marktes neugestaltet, 1973 folgten die Dänische Straße sowie die Schlossstraße. 1988 wurde der untere Bereich der Holstenstraße weitergeführt in den überdachten Bereich des Einkaufszentrums „Sophienhof“. Damit war der nächste Schritt der Entwicklung erreicht. Inzwischen ist festzustellen, dass sich das wirtschaftliche Gewicht vom Alten Markt mehr und mehr hin zum Sophienhof verlagert. Kiel versucht inzwischen mit der Öffnung des Wasserlaufes vom Bootshafen zum Kleinen Kiel, der die Holstenstraße quert, das Ambiente der Innenstadt „wohnlicher“ zu machen. Dennoch ist gerade in den vergangenen Jahren zu beobachten, wie immer mehr Geschäfte schließen und die fußläufige Innenstadt an Attraktivität für Handel und Käufer verliert.

Die K-Frage: Kiel oder Kassel

Den Anspruch als erste Stadt in Deutschland eine Fußgängerzone eröffnet zu haben erhebt auch Kassel. Dort wurde bereits am 9. November 1953 – also gut einen Monat vor dem Termin in Kiel – mitten durch einen Trümmerberg die sogenannte „Treppenstraße“ eröffnet. Mit 104 Stufen überwindet sie 15 Meter Höhenunterschied zwischen Hauptbahnhof und Zentrum. Auch wenn erst 1955 zur ersten „documenta“ in Kassel an beiden Seiten der Terrassen auch die Geschäfte eingerichtet waren, verweisen die Kassler gerne darauf, dass sie ihre Fußgängerzone einen Monat früher als Kiel offiziell eingeweiht haben. Die Kieler Stadthistoriker unterstreichen dagegen, dass in Kiel kein Weg neu geschaffen wurde und erst noch bebaut werden musste, sondern den Kielern 1953 eine historische Hauptstraße ebenerdig und barrierefrei allein für Fußgänger übergeben wurde, in der bis dahin Autos und Straßenbahnen Vorfahrt hatten. Unstrittig ist: Kassel und Kiel haben 1953 in ihren zerbombten Städten im Rahmen des Wiederaufbaus Mut für neue städtebauliche Konzepte gezeigt. Beide überlegen heute, was zu tun ist, um die Menschen wieder in die Innenstadt zu ziehen. 

-ju- (0202/0721/0223*)

Quelle: IHK zu Kiel, Magazin für Wirtschaft und Politik 1/75; Stadtarchiv Kiel; Bauverwaltungsamt Stadt Kiel; Verwaltungsberichte der Stadt Kiel 1953 ff., Süddeutsche Zeitung 8.11.2013, Anna Günther „Jubiläum der Fußgängerzone – 60 Jahre und ein bisschen öde“; DorisTillmann, Johannes Rosenplänter (Hrsg.), Kiel Lexikon, 2011, Wachholtz Verlag, ISBN  978-3-529-02556-3

Bildquelle: Stadtarchiv Kiel / Magnussen