Am 29. März 1955 unterzeichneten der dänische Staatsminister (Ministerpräsident) und Außenminister H. C. Hansen (*1906–1960†) und der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer (*1876-1967†) – jeder für sein Land – in Bonn Erklärungen über die Rechte der Minderheiten im schleswigschen Grenzland, der dänischen in Südschleswig, der deutschen in Nordschleswig. Es waren jeweils eigenständige Erklärungen zu den Minderheitsrechten, die Adenauer und Hansen für die Bundesrepublik und das Königreich unterschrieben. Sie bekräftigten die in den Verfassungen beider Staaten verankerten Grundrechte und deren Anwendung auf die Behandlung der Minderheiten. Zugleich stellte die Bundesregierung – nach entsprechender Unterrichtung durch die schleswig-holsteinische Landesregierung – die Aufhebung der Fünf-Prozent-Sperrklausel im Landeswahlgesetz zugunsten der dänischen Minderheit in Aussicht sowie eine Erhöhung der Zuschüsse für die Minderheitsschulen. Der Minderheit wurde die Möglichkeit eröffnet, weiterführende allgemeinbildende Schulen einzurichten mit dem Recht, dort anerkannte Examina abzulegen. Eben dieses Recht sollten auch die Schulen der deutschen Minderheit in Nordschleswig gemäß der dänischen Erklärung erhalten. Diese und ein Reihe weiterer zugunsten der Minderheiten vorgesehener Maßnahmen entsprangen, wie es hieß, „dem Wunsche, das friedliche Zusammenleben der Bevölkerung beiderseits der dänisch-deutschen Grenze und damit auch die Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen zwischen dem Königreich Dänemark und der Bundesrepublik Deutschland allgemein zu fördern“.
Ein Modellfall?
Die Erwartungen, die mit den Erklärungen verbunden waren, haben sich im Laufe der folgenden Jahre tatsächlich weitgehend erfüllt, und bald sprach man von einem „Modellfall“, der im deutsch-dänischen Grenzraum geschaffen worden sei. Konnten und können tatsächlich die hier getroffenen Regelungen beispielhaft sein für andere von nationalen Konflikten erschütterte Regionen? Der Nationalismus vermag sich mit allen Staats- und Gesellschaftsformen zu verbinden, mit Diktaturen aller Art, mit Demokratien, mit religiösen, konfessionellen und sozialen Bewegungen. Das war und ist andernorts zumeist der Fall, und um so schwieriger ist es, die dort aufgebrochenen Konflikte zu mildern oder gar zu beseitigen. Im Grenzland Schleswig hatte man es mit relativ einfachen Verhältnissen zu tun. Der Gegensatz zwischen der nationalsozialistischen Diktatur und dem demokratischen Dänemark verschwand nach 1945, als auch südlich der Grenze ein demokratisches Land Schleswig-Holstein und die Bundesrepublik entstanden. Religiöse und konfessionelle Gegensätze standen hierzulande nie zwischen den Nationalitäten, soziale hatte es allenfalls nur zeitweise und regional begrenzt gegeben. Gleichwohl hat der Grenz- und Nationalitätenkampf in und um Schleswig länger als hundert Jahre gedauert, allein im 20. Jahrhundert mehr als fünfzig Jahre.
Streit um die Grenze von 1920
Die heutige deutsch-dänische Grenze, die 1920 aufgrund zweier Volksabstimmungen (Abstimmungsgebiet) gezogen wurde, beließ auf beiden Seiten nationale Minderheiten, eine der Zahl nach größere deutsche im nunmehr dänischen Nordschleswig und eine beträchtlich kleinere dänische Minderheit in Südschleswig, dem heutigen Landesteil Schleswig. Die große Mehrheit der Dänen nördlich und südlich der neuen Grenze war mit der 1920 gefundenen Lösung zufrieden. Dagegen hielten die meisten deutschen Schleswig-Holsteiner sowie die deutsche Volksgruppe in Nordschleswig an ihrem Wunsch nach einer Verschiebung oder gar Aufhebung der Grenze fest. Erst recht in den Jahren der nationalsozialistischen Diktatur und noch mehr nach der völkerrechtswidrigen deutschen Besetzung Dänemarks (1940) war die nationalsozialistische Führung der deutschen Volksgruppe bestrebt, Nordschleswig „heim ins Reich“ zu führen – freilich ohne Erfolg.
1945 neue Verhältnisse in Nordschleswig
Mit der deutschen Kapitulation im Mai 1945 verstummten sogleich alle deutschen Forderungen nach einer Grenzrevision. Für die deutsche Minderheit in Nordschleswig konnten ihre Hinwendung zum Nationalsozialismus, ihre Zusammenarbeit mit der deutschen Besatzungsmacht sowie ihre illoyales Verhalten gegenüber Dänemark nicht ohne Folgen bleiben: Etwa 3.500 ihrer Angehörigen wurden interniert, rund 2.900 Personen zu Haftstrafen verurteilt (Rechtsabrechnung). Die Vermögenswerte der Volksgruppe (nicht der einzelnen Mitglieder) wurden eingezogen, die Privatschulen enteignet. Verglichen mit dem Schicksal anderer deutscher Minderheiten, ist mit den Nordschleswigern dennoch milde verfahren worden. Im November 1945 bekannte sich der Bund deutscher Nordschleswiger in seiner Gründungserklärung zur Demokratie, zur Anerkennung der Grenze von 1920 und zur Loyalität gegenüber dem dänischen Staat. Ab 1946 konnte wieder ein deutsches Schulwesen, freilich ohne Examensrecht, aufgebaut werden, und zwar auch mit dänischen Staatszuschüssen. 1953 gelang es der deutschen Volksgruppe, mit 9.721 Stimmen wieder einen Abgeordneten in das dänische Folketing zu wählen.
… und Südschleswig
Auch südlich der Grenze änderten sich die nationalen Verhältnisse mit der deutschen Niederlage und ihren Folgen (Vertriebene und Flüchtlinge, Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot, Mangel an Nahrungsmitteln, Brennstoffe und Kleidung). Düster wie die Zukunft erschien etlichen Südschleswigern nunmehr auch die Vergangenheit: Allein fünf Kriege hatte die Bevölkerung in dem vergangenen Jahrhundert über sich ergehen lassen müssen, und der soeben beendete Zweite Weltkrieg war von dem nationalsozialistischen Deutschland, einem Staat des Terrors und der Verbrechen, vom Zaun gebrochen worden. Vielen Südschleswigern erschien in dieser Situation die Rückkehr in die demokratische, seit hundert Jahren im inneren und äußeren Frieden lebende dänische Gesellschaft als die Lösung aller gegenwärtigen Probleme. Auch Menschen, die sich bis dahin nicht mit Dänemark verbunden fühlten, erkannten das als ihre Chance: Es entstand die südschleswigsche Bewegung, die von ihren deutschen Widersachern gern als „neudänisch“ bezeichnet wurde (siehe Dänische Minderheit). Der Schleswigsche Verein (seit 1946 Südschleswigscher Verein), die Hauptorganisation der dänischen Minderheit, zählte im Mai 1945 etwa 2.700 Mitglieder; im Januar 1946 waren es 11.800, im Oktober dieses Jahres 56.300, und bis Januar 1947 kamen noch ungefähr 10.000 hinzu. 1945 gab es neun Minderheitsschulen mit 450 Schülern, 1948 wurden 14.500 Schüler in 60 dänischen Schulen unterrichtet. Bei der ersten Landtagswahl im April 1947 stimmten 99.500 Wähler für die Kandidaten der dänischen Minderheit. Das allen Aktivitäten übergeordnete Ziel der südschleswigschen Dänen war die Vereinigung mit Dänemark. Vorerst aber sollten die Vertriebenen und Flüchtlinge aus Südschleswig entfernt und der Landesteil administrativ von Holstein getrennt werden.
Grenznationalismus
Mit dem schrittweisen Aufbau des Landes Schleswig-Holstein seit 1946 wurden die Deutschen wieder politisch handlungsfähig. Damit nahmen zugleich die deutsch-dänischen Auseinandersetzungen an Schärfe zu. Sie trugen nahezu alle Merkmale, die einem aggressiven Nationalismus anhaften: die Überschätzung der eigenen und die Geringschätzung der gegnerischen Nation und Kultur; der Gegner ist der Aggressor, man selbst von ihm bedroht, obgleich man nichts weiter als den Frieden wünscht. Wer tatsächlich oder nur vermeintlich nicht am Nationalitätenkampf teilnimmt, wird gesellschaftlich ausgegrenzt und diffamiert: „ Speckdäne“, „slawischer Ostpreuße“ und so weiter. Kundgebungen, Demonstrationen, Flaggen, Lieder, Plakate und Flugschriften sollen die Entschlossenheit und Geschlossenheit jeweils deutlich machen. Das alles war im Grenzland zu hören, zu lesen oder zu sehen. Die Mehrheit der (reichs-)dänischen Bevölkerung unterstützte ideell und materiell die dänische Bewegung in Südschleswig. Jedoch weder die Regierung noch das Parlament verlangte jemals eine Verschiebung der Grenze. Wohl aber befürwortete die Regierung im Herbst 1946 (Oktobernote) die Umsiedlung der Heimatvertriebenen sowie die administrative Sonderstellung Südschleswigs. Im übrigen müsse die Zeit erweisen, ob der nationale Gesinnungswechsel so vieler Südschleswiger von Dauer sein werde.
Das Gesinnungsprinzip
Es war die britische Besatzungsmacht, die den ersten bedeutenden Schritt zur nationalen Entspannung einleitete. Einer vom Außenminister Rasmussen geleiteten dänischen Parlamentsdelegation wurde vom Foreign Office im Oktober 1948 der Rat gegeben, ihre nationale Sicherheit „nicht mehr auf der Basis von Südschleswig“, sondern „in Beziehung zu dem übrigen Europa zu betrachten sowie im Hinblick auf die aus dem Osten drohende Aggressionsgefahr“. Geboten sei nunmehr ein freundschaftliches Arrangement mit der Macht, „die jetzt im Süden emporwachse“, nämlich in Deutschland. Beide, Briten und Dänen, haben sich daraufhin erfolgreich dafür eingesetzt, dass Vertreter der dänischen Minderheit mit der schleswig-holsteinischen Landesregierung Verhandlungen – unter britischem Vorsitz – aufnahmen. Das Ergebnis war die vom Landtag einhellig (zwei Enthaltungen) verabschiedete „Kieler Erklärung“ vom 26. September 1949. Ihre Kernsätze lauten: „Das Bekenntnis zum dänischen Volkstum und zur dänischen Kultur ist frei. Es darf von Amts wegen nicht bestritten oder nachgeprüft werden“. Die Erklärung sollte sinngemäß auch für die friesische Bevölkerung gelten. Damit war das „Gesinnungsprinzip“ anerkannt, nach dem es jedem freisteht, sich unabhängig von seiner Sprache oder Abstammung zu der Nation zu bekennen, für die er sich entschieden hat. Der erste Satz der Erklärung wurde, leicht verändert, in die Landessatzung (Art. 5) vom 13. Dezember 1949 aufgenommen. In Kopenhagen versicherte die dänische Regierung (Notat oder Protokoll vom 27. Oktober 1949), den deutschen Nordschleswigern, dass ihnen die freiheitlichen und demokratischen Rechte zustünden, die in der dänischen Verfassung und Gesetzgebung festgelegt seien. Beide Erklärungen, die Kieler und die Kopenhagener, wiesen in die Zukunft.
Der Konflikt setzt sich fort
Auf den politischen Alltag in Schleswig-Holstein und vor allem in Südschleswig hat sich die Kieler Erklärung freilich kaum ausgewirkt. Der nationale Konflikt ging weiter und verschärfte sich sogar in der Amtszeit des Ministerpräsidenten Lübke(*1951-1954†). Er setzte es durch, dass der Landtag 1951 die im Wahlgesetz fixierte Sperrklausel von fünf Prozent auf 7,5 Prozent erhöhte. Bei der Landtagswahl im Jahr zuvor hatte der SSW, die politische Partei der Minderheit seit 1948, 71.698 (5,4 Prozent) Stimmen erhalten. Nach der Verschärfung der Sperrklausel war – das konnte man mit Sicherheit annehmen – dem SSW jede Aussicht genommen, künftig einen Sitz im Landtag zu erhalten, zumal die Stimmenzahl für die Minderheitspartei entsprechend dem wirtschaftlichen und politischen Aufstieg der Bundesrepublik rückläufig war. Hinzu kamen manche „Nadelstiche“ der Regierung Lübke, so die Kürzung der Zuschüsse für die Schulen der dänischen Minderheit. Auch brachte die Regierung Lübke das Programm Nord auf den Weg, um durch Verbesserung nicht nur der Agrarstruktur dem wirtschaftlich motivierten Zulauf zur Minderheit zu begegnen. Das Bundesverfassungsgericht entschied 1952, dass die verschärfte Sperrklausel nicht zulässig sei. Sie musste also zurückgenommen werden. Die Landtagswahl von 1954 ergab 42.242 Stimmen für den SSW; das waren aber nur 3,5 Prozent, so dass die Minderheit kein Mandat im Landtag erhielt. Dagegen hatte die deutsche Volksgruppe in Nordschleswig im Jahr zuvor mit 9.721 Stimmen einen Abgeordneten ins dänische Folketing entsenden können. Musste man da nicht von einer „Schieflage“ im Grenzland sprechen? War es nicht an der Zeit, die dänische Minderheit von der Sperrklausel auszunehmen? Kai-Uwe von Hassel (*1913-1997†), der Nachfolger Lübkes, war dazu bereit, freilich zu Bedingungen, die die Minderheit nicht akzeptieren konnte. Sie sollte, das wurde immer wieder betont, ihre Loyalität zum Land bekunden. Sodann müssten auch den Deutschen Nordschleswig Konzessionen gemacht werden. Somit biete es sich an, mit Dänemark einen Vertrag über Minderheitenfragen abzuschließen. Mehrfach unterschied der Flensburger CDU-Bundestagsabgeordnete Will Rasner – wie andere seiner Parteifreunde – in seinen öffentlichen Stellungnahmen zwischen „echten“ und „unechten“ Dänen in Südschleswig, als ob es die Kieler Erklärung nie gegeben hätte. Die SPD war dagegen bereit, den SSW von der Fünf-Prozent –Sperrklausel auszunehmen. Das war die Situation im Herbst 1954.
Kiel verliert die Initiative
Sogar die Bundes-SPD nahm sich des Minderheitenproblems in Schleswig an. Am 19. Oktober 1954 brachte die SPD-Fraktion eine Große Anfrage in den Bundestag ein: Ob es der Bundesregierung bekannt sei, dass die Verletzung des Minderheitenrechts und der Kieler Erklärung durch das Wahlrecht in Schleswig-Holstein zu Spannungen mit Dänemark geführt habe. An diesem Tag debattierte auch das dänische Folketing über die bevorstehende Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO. Es herrschte weithin Einigkeit darüber, dass der Außenminister Hans Christian Hansen während der Nato-Konferenz am 22. Oktober in Paris die südschleswigschen Probleme zur Sprache bringen sollte. Ein Junktim zwischen der Zustimmung des Königreichs zum Beitritt der Bundesrepublik in das westliche Bündnis und einer zufrieden stellenden Regelung der Minderheitenfrage wünschte Dänemark auf keinen Fall. Aber es erschien vernünftig, sich vorab mit dem künftigen Bündnispartner über die Situation der Minderheit zu verständigen. Die Große Anfrage in Bonn und die Debatte in Kopenhagen waren untrügliche Zeichen dafür, dass der schleswig-holsteinischen Landesregierung die Initiative nunmehr entglitten war. Sie hatte zu lange an traditionellen Vorstellungen vom Grenz- und Nationalitätenkampf festgehalten und musste sich fortan mit einer nachgeordneten Rolle bei den in Aussicht stehenden deutsch-dänischen Gesprächen begnügen.
Außenminister Hansen übernimmt
Auf der Sitzung des Ministerrates der Nato in Paris am 22. Oktober 1954, zu der auch Bundeskanzler Adenauer geladen war, schloss der dänische Außenminister seine Rede mit „ein paar Bemerkungen über die Probleme im Zusammenhang mit der dänischen Minderheit in Deutschland“. Er sei davon überzeugt, dass die Rechte einer Minderheit „unmittelbar die Ideale berühren, auf denen die Menschenrechte sich gründen. Vor diesem Hintergrund gesehen, kann die Art und Weise, wie eine Minderheit behandelt wird, sehr wohl den Charakter eines Sinnbilds erlangen, nämlich eines Sinnbilds unserer zukünftigen Zusammenarbeit, wie wir sie sehen möchten“. Hätte man geschickter und sensibler das Minderheitenproblem vor der NATO zur Sprache bringen können? Dr. Adenauer gab noch in Paris die Zusage, dass die Bundesregierung sich für eine positive Lösung einsetzen werde. – Es war ja auch noch die Anfrage der SPD-Fraktion zu beantworten.
Zögerlicher Anfang – zügige Lösung
Zunächst geriet die Angelegenheit ins Stocken. Ministerpräsident von Hassel bestand immer noch darauf, dass mit Dänemark ein Minderheitenvertrag abzuschließen sei. Dabei war längst bekannt, dass Dänemark eine solche Bindung traditionell und prinzipiell ablehnte. Es bestand darauf, dass der deutschen Minderheit ihre Rechte allein im Rahmen der dänischen Gesetzgebung gewährt wurden, also ohne Mitwirkung einer deutschen Regierung, die dann im Konfliktsfalle ein Einspruchsrecht in innerdänischen Angelegenheiten hätte geltend machen können. – Der Bundestag verwies nach der Debatte über die Große Anfrage der SPD das Minderheitenproblem im Dezember an die zuständigen Ausschüsse. Da die deutsche Seite sich nicht regte, verschob das Folketing die Beratung über den Beitritt der Bundesrepublik zur NATO. Das war die Situation Anfang Januar 1955. Zu dieser Zeit kam aber langsam Bewegung in die Sache, und zwar auf inoffiziellem Wege. Es waren die deutschen Parlamentarier Kurt Georg Kiesinger (*1904-1988†) der spätere Bundeskanzler, Will Rasner (*1920-1971†) und der dänische Abgeordnete Karl Bøgholm, die die offiziellen Gespräche diskret anbahnten und überdies Hindernisse aus dem Weg räumten. Die deutsche Seite verzichtete nunmehr auf ihre Forderungen nach einem förmlichen Vertrag und nach einer Loyalitätserklärung der dänischen Südschleswiger. Man war bereit, sich mit Erklärungen zufrieden zu geben. Auch deren Inhalt wurde in großen Zügen schon so festgelegt, wie man ihn später vereinbarte. Offiziell Gespräche wurde vom 28. Februar bis zum 5. März in Kopenhagen verhandelt. Die deutsche Delegation wurde geleitet von Botschafter a. D. Wilhelm Nöldeke(*1889-1971†). Für die schleswig-holsteinische Landesregierung nahm Ministerialdirektor Dr. Dr. Ernst Kracht (*1890-1983†) an den Verhandlungen teil. Die dänische Delegation leitete der Direktor im Ministerium des Äußeren Nils Svenningsen (*1894-1985†). Der renommierte Historiker, Prof. Dr. Troels Fink (*1912-1999†), war als Berater des Ministeriums für schleswigsche Angelegenheiten zugegen. Zusammenfassend sei gesagt, dass noch einmal die Form der Vereinbarungen, ihre inhaltliche Substanz sowie deren Umsetzung ausgiebig erörtert wurden. Es galt, das Nötige und das politisch und rechtlich Mögliche in die Erklärungen aufzunehmen, nicht mehr und nicht weniger.
Schlussakt in Bonn
Die Abschlussverhandlungen, so war es abgesprochen, sollten in Bonn stattfinden. Es war indessen keine weitere Erörterung der Probleme nötig. Der Wortlaut der Erklärungen lag bereits fest. Sie brauchten nur noch von H. C. Hansen und Konrad Adenauer unterzeichnet zu werden. Im übrigen wurden die eigenständigen Erklärungen, die einander rechtlich nicht bedingten, keineswegs ausgetauscht, wie es bei Vertragsunterzeichnungen zu geschehen pflegt. Die jeweils andere Seite wurde lediglich anhand einer unbeglaubigten Abschrift offiziell informiert. Die Zusagen in die Tat umzusetzen, war danach die Aufgabe der Parlamente und der Regierungen. So hat der Schleswig-Holsteinische Landtag am 23. Mai 1955 die Änderung des Landeswahlgesetzes, also die Aufhebung der Fünf-Prozent-Klausel für die dänische Minderheit einstimmig gebilligt. Heute mag man sich fragen, ob die zum guten Teil relativ einfachen administrativen Schritte, die in den Erklärungen angekündigt wurden, des Aufhebens wert sind, das um sie gemacht wurde und immer noch gemacht wird. Die Tatsache, dass die Kieler Erklärung von 1949 das alltägliche politische Leben im Grenzland kaum veränderte, zeigt, dass die Proklamation von allgemeinen Minderheitenrechten, mögen sie noch so hohen Ranges sein, wenig hilft, wenn den Minderheiten nicht zugleich die Möglichkeit geboten wird, ihre politische und kulturelle Arbeit im Alltag frei auszuüben und zu gestalten. Das haben die Erklärungen von 1955 weitgehend bewirkt, und sie haben dadurch den Weg frei gemacht von der Konfrontation im Grenzland zur Koexistenz und schließlich zur Kooperation. Noch eine Bemerkung sei angefügt: Man sollte nicht übersehen, dass keiner der bedeutsamen Schritte zur Beilegung des nationalen Konflikts in und um Schleswig von den politischen Kräften im Lande angeregt und durchgesetzt wurde. 1920 waren es die alliierten Kriegsgegner Deutschlands, 1949 die Briten und die dänische Regierung, 1954/55 die Regierungen und Parlamente in Kopenhagen und Bonn. Daher sollte hierzulande neben der Dankbarkeit für die 1955 getroffene Lösung auch die redliche Bescheidenheit ihren ihr zukommenden Platz haben.
Prof. Dr. Manfred Jessen-Klingenberg (TDM 0305/0315/0621)
Quellen und Literatur: Eberhard Jäckel (Hrsg.), Die Schleswig-Frage seit 1945. Dokumente zur Rechtsstellung der Minderheiten beiderseits der deutsch-dänischen Grenze, Frankfurt/M., Berlin 1959; Troels Fink, Forhandlingerne mellem Danmark og Tyskland i 1955 om de slesvigske mindretal, København 2001; Lorenz Rerup, Grænsen. Frau grænsekamp til sameksistens, Albertslund 1969; Alexander Scharff, Der Weg zur deutsch-dänischen Verständigung nach 1945 und zu den Bonn-Kopenhagener Erklärungen von 1955, in: Geschichte und Gegenwart, Festschrift für Karl Dietrich Erdmann, Neumünster 1980, S. 673-687; 25 Jahre Bonn-Kopenhagener Minderheitserklärungen. 1955-1980, Kiel 1980 (=Schriften der Hermann-Ehlers-Akademie 11); Wilfried Lagler, Die Minderheitenpolitik der schleswig-holsteinischen Landesregierung während des Kabinetts v. Hassel (1954-1963), Neumünster 1982 (=Quellen u. Forsch. z. Gesch. Schl.-Holst., Bd. 78); Niels Svenningsen, Dansk-tysk mindretalsordning 1955, in: Festskrift til Troels Fink, Odense 1982; Zur Geschichte und Problematik der deutsch-dänischen Beziehungen von der Wikingerzeit bis zur Gegenwart, Braunschweig 1984 (= Studien z. internat. Schulbuchforschung, Schriftenreihe des Georg-Eckert-Instituts, Bd. 37); Die Bonn-Kopenhagener Erklärungen von 1955. Zur Entstehung eines Modells für nationale Minderheiten, hrsg. v. Deutschen Grenzverein e. V., Flensburg 1985; Anders Ture Lindstrøm, Bonn-København erklæringerne af 1955 i mere præcist lys, in: Sønderjyske Årbøger 1985, S. 157-176; Immo Doege u. Manfred Jessen-Klingenberg, Die nationalen Minderheiten im schleswigschen Grenzland (Begleitheft zur Diareihe Nr. 3), Kiel 1990; Martin Höffken, Die „Kieler Erklärung“ v. 26. September 1949 und die „Bonn-Kopenhagener Erklärungen“ v. 29. März 1955 im Spiegel deutscher und dänischer Zeitungen…, Frankfurt/M. 1994; Johan Peter Noack, Det danske mindretal i Sydslesvig 1948-1955, Bd. 1 u. 2, Aabenraa 1997; En europæisk model? Nationale mindretal i det dansk-tyske grænseland 1945-2000, red. af Jørgen Kühl, Aabenraa 2002. Das Buch erscheint in diesen Tagen auch in deutscher Sprache; Uwe Danker, Minderheitenschutz: Ein Privileg, das nur Deutsche und Dänen verdienen? In: Flensburger Tageblatt v. 25. 01. 05.
Bildquellen: Grafik: Einladungskarte der Landesregierung SH zum 29.März 2005; Vignette/H.C.Hansen und Adenauer/bei Heuß/ Flughafen: Bundesbildstelle Bonn; Nordschleswiger: SHLB; Flensborg Avis: Flensborg Avis; Karikaturen und Plakate: Dansk Centralbibliotek Flensborg
Die beiden Erklärungen im deutschen Original mit den zusätzlichen Protokollnotizen: