Einen Tag vor der Landtagswahl in Schleswig-Holstein am 13. 9.1987 berichtete „Der Spiegel“ über ungesetzliche und unmoralische Machenschaften aus der Staatskanzlei des Ministerpräsidenten Uwe Barschel (*1944 – 1987†) heraus gegen seinen SPD-Herausforderer, den Oppositionsführer im Landtag Björn Engholm. Das Magazin löste damit einen der größten Politskandale der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte aus. Die unmittelbar danach begonnene parlamentarische Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass die Vorgänge sich etwa folgendermaßen entwickelt haben müßten. Die zentrale Rolle spielte danach der vom Springer-Verlag an Barschel vermittelte „Medienreferent“ Reiner Pfeiffer, der am 2.1.1987 offiziell seinen Dienst in der Staatskanzlei aufgenommen hatte. Er inszenierte zunächst die Intrigen gegen Engholm, um ab Juli 1987 die entscheidenden Hinweise zu geben, den auch „Kieler-Affäre“ oder „Waterkantgate“ genannten Skandal aufzudecken. Uwe Barschel war während der laufenden 9. Legislaturperiode am 14.10.1982 als Nachfolger Gerhard Stoltenbergs (*1928 – 2001†)Ministerpräsident geworden. 1983 kam der ehemalige Bundesbildungsminister Björn Engholm nach Kiel. Als Oppositionsführer wurde er Barschel zunehmend gefährlich, ein Regierungswechsel in Kiel bei den Wahlen 1987 schien möglich. In dieser Situation suchte Barschel nach einem „Mann fürs Grobe“, wie die Funktion Pfeiffers später beschrieben wurde. Der Bremer Pfeiffer startete seine Strategie mit einer anonymen Steueranzeige gegen Engholm. Bezahlt vom Geschäftsführer der Firma Schwarzkopf, setzte er auch Detektive an, um das vermeintlich ausschweifende Sexualleben Engholms zu ergründen. Die Detektive wurden entdeckt. Schließlich erhielt Engholm einen Anruf vom einem „Dr. Wagner“, der ihm mitteilte, er habe einen Patienten der an Aids leide, und mit ihm sexuellen Kontakt gehabt hätte. Weitere Aktivitäten folgen. Am 31.5.1987 stürzte Barschel mit dem Flugzeug in Lübeck Blankensee ab. Erst im August nahm er wieder seine Dienstgeschäfte auf. Pfeiffer nahm Mitte Juli Kontakt mit der SPD auf. Am 7.9. erschienen die ersten Hinweise auf eine Affäre im Spiegel. Am Abend des gleichen Tages traf sich Pfeiffer mit dem SPD-Landesvorsitzenden Günther Jansen und einem Hamburger Anwalt im Lübecker Hotel Lysia.
In den letzten Tagen vor der Wahl versuchte Barschel angeblich mit der Hilfe Pfeiffers einen Lauschangriff auf sein Telefon zu fingieren, um sich zu entlasten. Der Plan soll fehlgeschlagen sein, weil es nicht gelang, eine Wanze zu besorgen. Nach dem Spiegel-Bericht versuchte sich Barschel am 18.9.1987 durch die sogenannte „Ehrenwortpressekonferenz“ zu entlasten. Dafür zwang er drei Mitarbeiter zu falschen eidesstattlichen Erklärungen. Eine Woche später mußte Barschel seinen Rücktritt erklären. Am 2.10.1987 setzte der Landtag einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuß ein, Hennig Schwarz (CDU) wurde Ministerpräsident. Sieben Tage danach räumten Jansen und der SPD-Pressesprecher Klaus Nilius ein, schon am 7.September im Lysia von den Machenschaften erfahren zu haben. Barschel war inzwischen in Urlaub gefahren. Er wurde am 11.10.87 tot in einer Badewanne im Hotel Beau Rivage in Genf aufgefunden. Ob der – wie sich herausstellte – tablettenabhängige Barschel Selbstmord begangen hatte oder ermordet wurde, konnte nicht geklärt werden. Um den Tod in Genf ranken sich bis heute die wildesten Gerüchte. Klar schien dagegen im Untersuchungsausschuß die Rolle des ehemaligen Ministerpräsidenten als Strippenzieher der sogenannten „Barscheleien“. Schon im Januar 1988 beendete er seine Arbeit. Eindeutig erschien auch, daß Björn Engholm das Opfer war. Nur die FDP meldete Bedenken an, wollte nicht glauben, daß die SPD so spät wie angegeben von den Aktivitäten gegen ihren Spitzenkandidaten erfahren und keinen Gebrauch von diesem Wissen gemacht hätte. Am 31.5.1988 siegte die SPD bei den Landtagswahlen mit fast 55 Prozent. Björn Engholm wurde Ministerpräsident. Am 1.3.1993 holte die SPD die Barschel-Pfeiffer Affäre mit dem Geständnis von Günther Jansen, Geld an Reiner Pfeiffer gezahlt zu haben wieder ein. Die Kieler Affäre fand ihre Fortsetzung in der Schubladenaffäre.
Michael Legband (1101/0621)
Quellen: DER SPIEGEL, diverse Ausgaben 1987 und später; Schleswig-Holsteinischer Landtag, Der Kieler Untersuchungsausschuß, 1988, Kiel, Verlag und Druckerei Schmidt & Klaunig, ISBN 3 883 12 140 1
Bildquelle: Fotos Degenhard Appenrodt
Hinweis: Über die Affäre und den Tod Uwe Barschels liegen zahlreiche Buchveröffentlichungen vor, die häufig stark vom Blickwinkel der Autoren oder ihrer These zur Affäre geprägt sind. Verläßlichste Quellen zu den Vorgängen sind neben dem Bericht des Ausschusses nach Ansicht der Redaktion immer noch die Berichte des Spiegels.