Das "Arbeitserziehungslager Nordmark" der Gestapo war ein Teil des Terrorsystems der Nationalsozialisten in der Provinz Schleswig-Holstein.
Das „Arbeitserziehungslager Nordmark“ der Gestapo war ein Teil des Terrorsystems der Nationalsozialisten in der Provinz Schleswig-Holstein.

Seit Ende 1940 entstanden im Deutschen Reich schätzungsweise rund 200 „Arbeitserziehungslager“ (AEL). Diese unterstanden der von dem Reichsführer-SS Heinrich Himmler geführten Geheimen Staatspolizei (Gestapo) und dienten vor allem dazu, die so genannten „Fremd-“ oder „Ostarbeiter“ zu „disziplinieren“. Die Zahl dieser nur selten freiwillig zur Arbeit ins Reich verbrachten Frauen und Männer wuchs im Laufe des Zweiten Weltkriegs fast kontinuierlich. Was sie leisten mußten, nennt man heute Zwangsarbeit. Allein in der Provinz Schleswig-Holstein gab es 1943 knapp 130.000 Zwangsarbeiter. Das entsprach beinahe einem Viertel der im Lande arbeitenden Menschen. Eingesetzt waren sie vor allem in der Landwirtschaft. Im Juni 1944 begann die Gestapo am Russee im Südwesten Kiels mit dem Aufbau des “Arbeitserziehungslager Nordmark”. Bis zum Einmarsch der britischen Truppen am 4. Mai 1945 wurden dort 4.000 bis 5.000 Menschen inhaftiert, von denen mindestens 578 ums Leben kamen.

Haftstätte der Gestapo

Plan des AEL Nordmark von Frank Thamm.
Plan des AEL Nordmark von Frank Thamm.

Zwei Drittel aller Häftlinge des „AEL Nordmark“ kamen aus der Sowjetunion oder Polen, Deutsche und Österreicher stellten lediglich eine Minderheit unter den Lagerinsassen dar. Ohne daß ein Gericht eingeschaltet wurde, reagierte die Gestapo auf Anzeigen und Denunziationen von Arbeitgebern und Behörden, machte vom Instrument der „vorläufigen Schutzhaft“ Gebrauch und wies in ein Arbeitserziehungslager ein. Die Anlässe waren meist nichtig: “Arbeitsbummelei”, Fernbleiben von der Arbeitsstelle, Streit mit einem Vorgesetzten, versuchte Flucht in das Heimatland oder auch kleinere Diebstähle. Die meisten Taten stellten eine Reaktion auf die menschenunwürdigen Verhältnisse dar, unter denen die Zwangsarbeiter arbeiten und leben mußten. Im NS-Staat galten “Arbeitsvertragsbrüchige” als Saboteure an der “Heimatfront”. Da das Regime aber jede Arbeitskraft brauchte, sollte die Haftzeit auf maximal 56 Tage begrenzt werden, der Häftling danach dem Betrieb wieder zur Verfügung stehen und den anderen als abschreckendes Beispiel dienen. Außer für die große Anzahl von “Arbeitsvertragsbrüchigen” diente das Lager der schleswig-holsteinischen Gestapo auch als Haftstätte für “Schutzhäftlinge” und politische Gefangene: unter ihnen beispielsweise der 67jährige Pastor Ewald Dittmann aus Dithmarschen und der Kieler Kommunist Bernhard Scoor, der mit osteuropäischen Zwangsarbeitern zu einer Widerstandsgruppe gehörte.

Aufbau des Lagers

Johannes Post war der Kommandant des AEL Nordmark
Johannes Post war der Kommandant des AEL Nordmark

Das Lager am östlichen Ufer des Russees wurde unter Aufsicht von zivilen Facharbeitern durch Gestapogefangene der nahegelegenen Polizeibaracke “Drachensee” errichtet. In kurzer Zeit entstanden über 20 Gebäude: Unterkünfte für Häftlinge und Wachmannschaften, Verwaltungsbaracken und Lagerschuppen, eine Küche, zwei Wachtürme und ein Gästehaus für die SS. Das gefürchtetste Gebäude im Lager war ein halb unterirdischer Arrestbunker aus Beton mit 48 völlig dunklen Einzelzellen. Verantwortlich für die Errichtung des Lagers war der im Februar 1944 eingesetzte Leiter der schleswig-holsteinischen Gestapo, Regierungsrat und SS-Sturmbannführer Fritz Schmidt. Als Kommandanten für das Lager setzte Schmidt den Kriminalkommissar und SS-Sturmbannführer Johannes Post ein.

Lageralltag

Ende Juli 1944 waren die ersten Baracken bezugsfertig. Kurz darauf wurden Gefangene ins Lager eingeliefert. In der Kammer mußten sie ihre Wertsachen abgeben und ihre Zivil- gegen Lagerkleidung tauschen. Später wurde darauf verzichtet, die AEL-Häftlinge wurden einfach durch rote Kreuze als solche gekennzeichnet. Sachen zum Wechseln gab es nicht. Aufgrund der überaus harten Arbeit verdreckte und verschliß die Kleidung der Inhaftierten schnell. Ernährt wurden sie mit einem Becher Ersatz-Kaffee, etwas trockenem Brot und einer dünnen Suppe pro Tag. Die ungeheizten Baracken waren für je 200 Insassen ausgelegt. Geschlafen wurde auf nackten Brettern in doppelstöckigen Holzgestellen mit je nur einer Wolldecke pro Person. Die Waschräume wurden nicht mehr fertiggestellt, und als Toiletten dienten offene Kübel in den Baracken und einige Latrinen. Für die medizinische Versorgung war eine Krankenbaracke eingerichtet worden, in der ein zwangsverpflichteter Hasseer Arzt, ein russischer Häftlingsarzt, eine Krankenschwester sowie der dänische Lagersanitäter Jensen Dienst taten. Aufgrund der häufigen Mißhandlungen durch die SS, der mangelhaften Hygiene, des schlechten Essens und der unmenschlichen Härte der Arbeit war die Krankenbaracke häufig überfüllt. Die Häftlinge konnten hier nur völlig unzureichend versorgt werden, und außerdem drohte den Schwerkranken und – verletzten die Ermordung durch den dafür nach 1945 verurteilten Sanitäter Jensen.

Zwangsarbeit der Häftlinge

Dieses Mahnmal erinnert "Appell" erinnert an den Lageralltag
Dieses Mahnmal erinnert „Appell“ erinnert an den Lageralltag

Der Tag im Lager begann jeden Morgen um 5 Uhr. Getrennt nach Deutschen und Ausländern mußten die Häftlinge zum Appell antreten. Der stellvertretende Lagerkommandant teilte die Arbeitskommandos ein. Rund zehn Stunden lang hatten die Häftlinge besonders schmutzige, schwere oder gefährliche Arbeiten zu verrichten: Im Lager bauten sie weitere Baracken, planierten Wege oder schaufelten bis zum Umfallen in der Kiesgrube auf dem Gelände. Außerhalb des Lagers wurden sie beim Bunkerbau in Schulensee und am Schützenwall eingesetzt, räumten Trümmer im zerbombten Kiel oder entschärften und bargen Blindgänger. Auch Kieler Firmen griffen gerne auf die billigen Arbeitskräfte zurück: so die Holsten-Brauerei, die Land- und See-Leichtbau GmbH, die Betonbaufirma Ohle & Lovisa und die Nordland Fisch-Fabrik in Hassee. Wer sich im Lager oder auf den Arbeitskommandos den Befehlen der Wachmannschaften widersetzte, erschöpft zusammenbrach oder anderweitig auffiel, wurde durch die SS willkürlich geschlagen, mißhandelt oder sogar erschossen. Die wenigen Fluchtversuche endeten bis kurz vor Kriegsende immer mit dem Tod des Häftlings; erst Ende April 1945 gelang es einigen Häftlingen während der Arbeit zu fliehen.

Schlußphase und Befreiung

Luftbild des "AEL Normark" aus dem Jahr 1945.
Luftbild des „AEL Normark“ aus dem Jahr 1945.

Mitte April 1945 waren etwa 900 Gefangene im Lager. Durch “Evakuierungstransporte” (Todesmärsche) aus anderen Haftstätten verdoppelte sich die Zahl der Häftlinge innerhalb von zwei Tagen. Unter den Neuzugängen war auch ein Transport deutscher Juden aus dem Rigaer Ghetto und einige Hundert Gefangene des Zuchthauses und Gestapogefängnisses Hamburg-Fuhlsbüttel. Angesichts der herannahenden Front ermordete die Gestapo in den letzten zwei Wochen vor Kriegsende etwa 300 Häftlinge, unter ihnen mehr als 30 Schwerkranke. Am 2. und 3. Mai 1945 flohen die Wachmannschaften und das Verwaltungspersonal der SS aus dem Lager, ein Teil der Häftlinge wurde entlassen, ein anderer in die Baracken und den Arrestbunker eingesperrt. Am 4. Mai befreiten britische Truppen das “Arbeitserziehungslager Nordmark” und fanden dort mehrere Hundert völlig verdreckte, kranke und halb verhungerte Gefangene sowie ein nicht mehr fertiggestelltes Krematorium vor.

Nachkriegszeit

Die Reste des Krematoriums, das nicht mehr fertiggestellt wurde
Die Reste des Krematoriums, das nicht mehr fertiggestellt wurde

Nach Kriegsende dienten die Baracken zuerst als Unterkunft für ehemalige osteuropäische Zwangsarbeiter, die von den Briten sogenannten Displaced Persons (DPs). Seit November 1948 wurden auf dem Gelände Flüchtlinge und Vertriebene untergebracht. Anfang der 1960er Jahre wurde das Flüchtlingslager nicht mehr benötigt, die Holzbaracken wurden abgerissen, Gewerbebetriebe siedelten sich an und Sportplätze wurden angelegt.

Strafverfolgung der Täter

Mit einem Gedenkzug wurde 1995 der ungesühnten Verbrechen im AEL Nordmark gedacht
Mit einem Gedenkzug wurde 1995 der ungesühnten Verbrechen im AEL Nordmark gedacht

Am 3. September 1947 wurde der ehemalige Lagerkommandant Johannes Post vor einem britischen Militärgericht als Mitarbeiter der Gestapo wegen seiner Beteiligung an der Erschießung von britischen Royal-Air-Force-Piloten im März 1944 zum Tode verurteilt und gehängt. Das ehemalige deutsche und ausländische Personal des Lagers stand von Herbst 1947 bis Frühjahr 1948 im Hamburger Curiohaus vor einem britischen Militärgericht (“Kiel-Hassee-Cases”). Von den 24 Personen, die wegen Mordes angeklagt worden waren, sprachen die Richter sieben – zumeist aus Mangel an Beweisen – frei und verurteilten 15 Männer zu Haftstrafen zwischen zwei und 20 Jahren Gefängnis. Der dänische Lagersanitäter Orla Eigil Jensen – dem die Ermordung kranker und schwer verletzter Häftlinge nachgewiesen werden konnten – sowie der einstige stellvertretende Kommandant Otto Baumann wurden zum Tode verurteilt. Jensens Strafe wurde in lebenslange Haft umgewandelt, Baumann 1948 hingerichtet. Alle anderen Verurteilten kamen bis 1956 aus den Gefängnissen frei. Durch die deutsche Justiz wurden die Verbrechen im “Arbeitserziehungslager Nordmark” nicht gesühnt. Zwar ermittelten Staatsanwälte von 1946 bis 1967 mehrfach gegen Täter wegen Mord, Totschlag oder Beteiligung daran, doch wurde nur in wenige Fällen Anklage erhoben, verurteilt wurde niemand. . Das galt auch für den erst 1963 verhafteten Hauptverantwortlichen für das Lager, dem ehemaligen schleswig-holsteinischen Gestapo-Chef Fritz Schmidt. Die Anklagebehörde konnte ihm keinen Mord mehr nachweisen.

Gedenken

Mit diesem Gedenkstein wird heute an die Opfer des AEL Nordmark erinnert
Mit diesem Gedenkstein wird heute an die Opfer des AEL Nordmark erinnert

In Kiel tat man sich schwer, die Geschichte des „AEL Nordmark“ aufzuarbeiten und der Opfer den Nationalsozialismus zu gedenken: Erst am „Tag der deutschen Einheit“ 1971, dem 17.Juni, wurde an der Ecke Rendsburger Landstraße / Seekoppelweg ein Gedenkstein aufgestellt. Anfang der 1980er Jahre entstanden „Geschichtswerkstätten“, die sich mit der NS-Geschichte vor Ort auseinandersetzten. So legte der “Arbeitskreis Asche-Prozeß” im Herbst 1982 die Grundmauern des ehemaligen SS-Gästehauses frei, ein Jahr später erschien eine Broschüre über die Geschichte des Lagers. Darauf beschlossen im März 1983 die Fraktionen in der Ratsversammlung, ein Konzept für eine Dokumentations- und Gedenkstätte in Auftrag zu geben. Da kein Geld bewilligt wurde, konnte die Idee nicht umgesetzt werden. Auf Initiative einer kirchlichen Jugendgruppe aus Kronshagen war die Stadt Kiel 1985 bereit, einen neuen Gedenkstein zu errichten. Seitdem wird dort am Volkstrauertag der Häftlinge des “AEL Nordmark” gedacht. Nachdem im November 2000 auf dem ehemaligen Lagergelände der Überrest eines nach Kriegsende von polnischen Zwangsarbeitern aufgestellten Gedenksteins für die Opfer des Faschismus gefunden worden war, gestaltete der Arbeitskreis zur Erforschung des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein (AKENS) auf Initiative des Kieler Kulturausschusses Anfang 2003 einen “Gedenkort ‚Arbeitserziehungslager Nordmark’”. Seit dem 4. Mai 2003 – dem Tag der Befreiung des Lagers – befinden sich nun ein weiterer Gedenkstein sowie drei Stelltafeln auf dem Gelände und ermöglichen es Besuchern, sich detailliert über die Geschichte des AEL zu informieren.

Frank Omland / Eckhard Colmorgen (TdM 0903)

Tipp: Der Arbeitskreis Asche-Prozeß bietet sowohl Stadtführungen zur Geschichte des Nationalsozialismus in Kiel an, als auch Führungen über das ehemalige Lagergelände (Eckhard Colmorgen, Tel. 04 31 – 739 49 73).
Weiter gehende Informationen zum Gedenkort finden sich auf der Website des Arbeitskreis‘ zur Erforschung des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein e.V. (AKENS) unter www.akens.org

Literatur und Materialien: Dokumentation zum “Gedenkort ‚Arbeitserziehungslager Nordmark’”. Materialien, Fotos und Dokumente zu einer Haftstätte der schleswig-holsteinischen Gestapo in Kiel 1944-1945. Kiel 2003. Herausgegeben vom Arbeitskreis Asche-Prozeß und dem Arbeitskreis zur Erforschung des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein e.V.; Detlef Korte: ‚Erziehung’ ins Massengrab. Die Geschichte des “Arbeitserziehungslagers Nordmark” Kiel-Russee 1944-1945. Kiel 1991. (Vergriffen); “Wiedersehen nach 42 Jahren – Die Geschichte des Arbeitserziehungslagers Nordmark”, Videofilm über das ‚AEL Nordmark’ (1989) von Irene Dittrich, Kai Gerdes und Detlef Korte; Uwe Carstens, Die “Wohnkolonie Rendsburger Landstraße”. Vom Arbeitserziehungslager zum Flüchtlingslager. In: Demokratische Geschichte Band IX. Veröffentlichungen des Beirats für Geschichte der Arbeiterbewegung und Demokratie in Schleswig-Holstein. Malente 1995, S. 259-273.

Bildquellen: Vignette/Luftbild/Johannes Post/Krematorium: Fotosammlung Stadtarchiv Kiel; Graphiken: Frank Thamm; Gedenkstein: Eckhard Colmorgen; Demo: Akens

Das Luftbild des „AEL Nordmark“ kann auch mittels Google Earth betrachtet werden – das Overlay für Google Earth finden Sie hier als Download. Zum Nutzen des Overlays muss vorher auf Ihrem PC Google Earth installiert werden.