„Geschichte zum Anfassen ist in Schleswig-Holstein nicht erwünscht“, ärgert sich der Vorsitzende der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte (GSHG), Professor Dr. Thomas Steensen. Er kommentiert damit die Absicht von Kultusministerin Karin Prien (CDU), das seit langem für Schleswig-Holstein geplante „Haus der Geschichte“ nun bis 2024 als „Nebenbeiprojekt“ rein virtuell zu realisieren. Am Donnerstag, 10. Februar 2022, wurde das abgespeckte Projekt im Bildungsausschuss des Landtages vorgestellt. Ein „Haus der Geschichte“ für das Land wird seit Beginn der 2000er diskutiert und von der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte gefordert. Immer wieder ging es dabei auch um eine virtuelle Variante. Dass es nun allein eine virtuelle Form werden soll, enttäuscht die GSHG. Vorsitzender Thomas Steensen weist zum Beispiel auf die großen und großartigen Bestände der Sammlung der Landesbibliothek (SHLB) hin. Er meint: „Sicher wird ein virtuelles Haus der Geschichte mehr als ein buntes Pixie-Buch im Internet, doch bringen vor allem Authentizität, Materialität und der Zauber des realen Objektes Geschichte zum Leben“. Steensen kündigte an, dass die GSHG wie schon in den vergangenen Jahren die Idee eines „Hauses der Geschichte“ kreativ und kritisch begleiten werde. Die Geschichte Schleswig-Holsteins sei spannend und einmalig und dürfe nicht für kleines Geld nur im Netz geparkt werden.
Geschichte nur für Digital Natives?
Julia Buchholz von der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek stellte dem Bildungsausschuss des Landtages das Projekt eines virtuellen Museums vor. Es soll bis 2024 entstehen. Das „Cockpit“ soll in der SHLB angesiedelt sein. Dort soll mit Beteiligung vieler im Lande ein Angebot entstehen, das sich an einem Haus orientiert und Erlebnisräume schaffen soll. 2023 soll an dem virtuellen Haus gebaut, 2024 soll es begehbar sein. Jede Generation – so Buchholz – habe ihren eigenen Zugang zur Geschichte. Das virtuelle „Haus der Geschichte“ sei auch als Angebot an die jüngere Generation zu verstehen, weil die virtuelle Welt inzwischen ein wichtiger Ort der Geschichtsvermittlung sei. Bis das neue Haus im Internet eröffnet wird, sollen 1,4 Millionen € aufgewendet werden. Davon die Hälfte für Inhalte. Auf Nachfrage aus dem Ausschuss vermutete Julia Buchholz, der Betrieb des Hauses werde pro Jahr dann 200.000 € kosten. Sie erinnerte daran, dass dafür einige feste Stellen notwendig seien.
Sparversion oder „mutiger Schritt“?
Julia Buchholz und Dr. Martin Lätzel als neuer Leiter der SHLB betonten, der Aufbau eines virtuellen „Hauses der Geschichte“ sei kein kostengünstiger Kompromiss, sondern ein ganz mutiger Schritt in die Zukunft und Schleswig-Holstein gehe damit im Bund voran. Das teilten zum Beispiel auch Tobias von der Heide CDU und Marlies Fritzen von den Grünen. Anders als sich das in der virtuellen Sitzung des Bildungsausschusses vermittelte, ist der aktuelle Anlauf nicht der erste. Nach der ab 2000 geführten Debatte um ein „Haus der Geschichte“ für das es ein Konzept vom „Institut für regionale Zeitgeschichte“ gab und Rendsburg/Büdelsdorf, Kiel und Schleswig sich schon konkret als Standorte beworben hatten, wurde das reale Haus 2004/05 aus Kostengründen verworfen. An der Stelle trat dann das ViMu (für virtuelles Museum), das von 2005 bis 2008 als grenzüberschreitendes deutsch/dänisches Projekt unter Federführung von Prof. Dr. Uwe Danker aufgebaut wurde. Auch aus EU-Zuschüssen finanziert kostete das Projekt schon 1,6 Millionen €. Es blieb allerdings in den Anfängen stecken und konnte nicht über längere Zeit entwickelt werden.
„Sie sprechen mir aus dem Herzen …“
Bei der Gesellschaft gingen noch vor der Sitzung des Bildungsausschuss des Landtages Reaktionen ein. Zum Beispiel kam von einem GSHG-Mitglied aus Bad Oldesloe postwendend ein erleichtertes „Sie sprechen mir aus dem Herzen, so geht es wirklich nicht“. Professor Dr. Dr. Ludwig Steindorff aus Kiel kommentierte: „Kein Internet-Portal ersetzt den Erlebnisraum Museum, ist verbunden mit einem Ausflugserlebnis, ist sichtbar im Raum einer Stadt oder in der Landschaft, kann zur Begegnung von Menschen führen. Klassenausflug ins Internet?! Das Internet-Portal möge als Begleitprogramm eines Museums dienen. Doch das Ziel soll ein dreidimensionales Museum bleiben!“ In anderen Beiträgen wird darauf hingewiesen, das die politische Geschichte nach 1864 – also die darüber wie unser Land entstand – bisher noch nirgendwo gezeigt wird. Zum Beispiel in der Landesbibliothek gäbe es die Bestände für ein „Haus der Geschichte“, dass ins Heute führt.
-rgsh- (0222)
Bildquelle: Landesdenkmalamt Schleswig-Holstein