Die Herzogtümer nach dem Staatsbankrott

Kieler Notgeld aus dem Dezember 1812. Schon bevor der Staatsbankrott am 5. Januar 1813 amtlich war, lief ohne Ersatzgeld in den Herzogtümern nichts mehr
Kieler Notgeld aus dem Dezember 1812. Schon bevor der Staatsbankrott am 5. Januar 1813 amtlich war, lief ohne Ersatzgeld in den Herzogtümern nichts mehr

Der dänische Gesamtstaat erlebte 1813 den Staatsbankrott. Deshalb verlangte die dänische Regierung in Kopenhagen von jedem Einwohner eine Abgabe auf Immobilienbesitz. Während die Bauern in den Herzogtümern Schleswig und Holstein diese in voller Höhe zahlen mussten, wurde den dänischen ein großer Teil dieser Abgabe erlassen. Zusammen mit den beginnenden nationalstaatlichen Bestrebungen verstärkte sich der Gegensatz zwischen Deutschen und Dänen und förderte so die Fliehkräfte der beiden Herzogtümer.

Hunger und Armengärten

Bereits in den vorangegangenen zwei Jahrhunderten war die Bevölkerung in den beiden Herzogtümern erheblich gewachsen. Zwischen 1803 und 1834 stieg die Zahl weiter von etwa 631.000 auf rund 800.800 an. Die Wirtschaft konnte mit diesem Wachstum nicht mithalten. Auch begann 1819 eine zehnjährige Agrarkrise: Die Ernten fielen schlecht aus, die Preise blieben trotzdem niedrig und die Abgaben hoch. Deshalb ging es den Menschen schlecht und viele waren arm und hungerten. Um der Lage Herr zu werden wurden von 1820 an in Städten wie Kiel sogenannte Armengärten angelegt. Sie hatten eine Größe von rund 400 Quadratmetern und wurden gegen eine geringe Pacht vergeben. In diesen Anlagen konnten die Armen Obst und Gemüse anbauen und sich so selbst ernähren. Neben dem Hunger sollten sie auch gegen die Untätigkeit der Armen helfen. 1826 existierten solche Gärten bereits in 19 Städten.

Große Banken bestanden zwar schon seit einigen Jahrhunderten, doch zwischen 1816 und 1819 gründeten sich überall in Schleswig-Holstein Sparkassen, die nun allen Menschen offen standen. Erstmals konnte damit jeder mit einem Sparbuch Rücklagen schaffen und sich finanziell absichern.

Eine neue Moral

Haushalt und Kinder blieben die Aufgabe der Frau. Da Frauen sich im Verständnis der Zeit grundsätzlich von den Männern unterschieden, schien es „naturgegeben“ ihnen Aufgaben zu übertragen, die ihrem Wesen entsprachen. Dazu gehörte aus dem Verständnis der Zeit heraus auch ein in der Mutterrolle begründeter starker Sexualtrieb. Den zu zügeln, nach Möglichkeit keusch zu leben und Sexualität nur auf Drängen und zum Erhalt der Familie zuzulassen, wurde in den gehobenen Kreisen zum neuen Ideal. Damit schuf das Bürgertum eine neue Moral.

Baumschulen: Natur gestalten

Karte der königlichen Forstbaumschule Düwelsbek bei Kiel
Karte der königlichen Forstbaumschule Düwelsbek bei Kiel

Nach Jahrhunderten des Raubbaues war Schleswig-Holstein am Anfang des 19. Jahrhunderts fast ohne Wald. Ohne die Wälder waren jedoch die lockeren Böden der Geest schutzlos starker Erosion ausgesetzt. Weite Flächen des Landes verödeten deshalb. Mit einem auch durch die Aufklärung veränderten Bewusstsein von Natur, wollte der Mensch nun gestaltend eingreifen, Natur schaffen und erhalten. Bereits am Ende des 18. Jahrhunderts war in Kiel zu diesem Zweck eine „praktische Hilfsanstalt zur näheren Kenntniß der einheimischen und fremden Holzgewächse“ entstanden. In dieser Anlage auf dem Düsternbrook wurden alle Arten von Gewächsen aus dem Raum Schleswig und Holstein angepflanzt und erforscht. Die Zeit der Baumschulen hatte in Schleswig-Holstein mit dem Schotten James Booth begonnen, der 1798 vor den Toren Hamburgs die erste Handelsbaumschule eröffnete. Er schuf den neuen Beruf des „Baumschulers“. Seine Schüler sorgten dafür, dass die Baumschulflächen immer mehr wurden.

„Seebaden“

Sommerbetrieb unterm Danebrog vor dem 1819 entstandenen Seebad Wyk auf Föhr
Sommerbetrieb unterm Danebrog vor dem 1819 entstandenen Seebad Wyk auf Föhr

Zum „zurück zur Natur“ gehörte auch das Entdecken des „Seebadens“. Das erste Seebad an der Nordsee war Wyk auf Föhr, wo 1819 der Bäderbetrieb begann. Drei Jahre später folgte in Kiel das erste Seebad an der Ostsee. Im Vordergrund stand damals nicht der Urlaub und der Spaß, sondern die körperliche und geistige Reinigung – die Kur. Um 1830 war der Besuch eines Seebades den Eliten und dem gehobenen Bürgertum vorbehalten.

Das Volk lernt lesen …

Deutsch oder Dänisch? – Der Konflikt in den Herzogtümern spitzte sich um 1830 immer weiter zu
Deutsch oder Dänisch? – Der Konflikt in den Herzogtümern spitzte sich um 1830 immer weiter zu

1814 wurde in den Herzogtümern die allgemeine Schulpflicht eingeführt. Es entstand das dreigliedrige Schulsystem mit Gelehrten-, Bürger- und Landschulen. Dies war eine kleine Revolution, ermöglichte es doch erstmals einfachen Menschen Lesen und Schreiben zu lernen. Erst dadurch wurde auch die breite Masse durch das geschriebene Wort erreichbar. Damit bekam die überall in Europa brodelnde politische Diskussion eine bis dahin unbekannte Breite. Die Aufklärung hatte bereits von 1800 an auch im Norden das Aufkommen von Zeitungen beflügelt. Die druckten meist nicht Nachrichten im heutigen Sinn, vielmehr wurden vor allem Aufsätze, Gedichte und Geschichten veröffentlicht. Daneben gab es allerdings auch amtliche und private Bekanntmachungen, die schon eher einen nachrichtlichen Charakter hatten.

… und will mehr Rechte

Die neue Zeit kündigt sich an: seit 1819 pendelte der in Schottland gebaute Dampfer „Caledonia“ in nur 16 Stunden von Kiel nach Kopenhagen
Die neue Zeit kündigt sich an: seit 1819 pendelte der in Schottland gebaute Dampfer „Caledonia“ in nur 16 Stunden von Kiel nach Kopenhagen

Im Rahmen der nun zunehmend breiter geführten Diskussion wurden die Rufe nach einer neuen Form des Zusammenlebens immer lauter. Der „aufgeklärte Absolutismus“, der sich auf dem Allmachts- und Allwissenheitsanspruch des Monarchen gründete, sollte durch einen Vertrag zwischen Volk und Herrscher abgelöst werden. Ein Staat sollte nicht länger in seiner Form dadurch bestimmt werden, was ein Herrscher erworben oder erobert hatte. Als neue Klammer wurde vor allem die Sprachfamilie und damit die Nation entdeckt. 1830 erregte so die nur schmale Schrift des Sylter Landvogts Uwe Jens Lornsen mit dem Titel „Ueber das Verfassungswerk in Schleswigholstein“ großes Aufsehen. Lornsen forderte vom dänischen König Reformen der Verwaltung. Er plädierte für die Gewaltenteilung, mehr Mitsprache und vor allem eine neue Verfassung. Der neue deutsche Nationalismus hatte Schleswig-Holstein voll erfasst.

Landwirtschaft im Wandel

Nach der Verkoppelung, die bis dahin gemeinschaftlich bewirtschaftetes Land in Privateigentum wandelte, und als Folge des Endes der Leibeigenschaft im Jahre 1805 wandelte sich seit Beginn des 19. Jahrhunderts das Wirtschaften auf dem Land. Um die Erträge zu steigern wurde die Landwirtschaft intensiviert. Allerdings führte der Preisverfall, wie erwähnt, zu einer Agrarkrise. Die sollte sich für Schleswig-Holstein jedoch zugleich als Chance erweisen. Bedingt durch die vielen Pleiten und Konkurse der Bauern begannen reiche Grundbesitzer das freiwerdende Land zu kaufen und Arbeitskräfte anzuwerben, um es dann zu bewirtschaften. Aus heimeligen kleinen Höfen wurden so nach und nach richtige Unternehmen, die nun klar marktwirtschaftlich ausgerichtet waren.

Vom Walfang zum Robbenschlag

Nach dem Ende der napoleonischen Kriege konnte die Grönlandfahrt (Walfang) wieder aufgenommen werden. Mittlerweile lebten allerdings immer weniger Wale in den arktischen Gewässern, deshalb wurde die Jagd auf Robben intensivert. Dafür mussten die Männer nicht mehr von den Beibooten mit Harpunen nach den Tieren werfen, sondern stiegen von ihren Schiffen aufs Eis. Dort versammelten sich im Spätwinter die Weibchen, um ihre Jungen zu werfen. Die bevorzugte Methode war dabei der sogenannte „Robbenschlag“: Die Männer schlugen mit einem Knüppel, in den ein langer Nagel oder Haken eingeschlagen war, auf die Robben ein. Danach wurden die Tiere noch vor Ort gehäutet, die Kadaver ließen die Männer auf dem Eis liegen. Das Ziel der Jäger war nicht das Fleisch der Robben. Sie hatten es auf die dicke Fettschicht der Tiere abgesehen, die, wie zuvor das Walfett, zu Öl für Lampen verarbeitet wurde. Fast ebenso wichtig wurde bei der Robbenjagd nun jedoch auch das Fell der Tiere, mit dem sich lukrativ handeln ließ.

Jannik Niestroy (1015)

Literatur: Kienitz, Dieter: Der Kosakenwinter in Schleswig-Holstein 1813/14. Studien zu Bernadottes Feldzug in Schleswig und Holstein und zur Besetzung der Herzogtümer durch eine schwedisch-russisch-preußische Armee in den Jahren 1813/14. Heide 2000.

Lorenzen-Schmidt, Klaus-Joachim/Pelc, Ortwin (Hgg.): Schleswig-Holstein Lexikon, Neumünster 2006.

Vosgerau, Heiko/Witt, Jann Markus: Geschichte Schleswig-Holsteins: anschaulich, spannend, verständlich, Heide 2010

Lange, Ulrich (Hg.): Geschichte Schleswig-Holsteins: von den Anfängen bis zur Gegenwart, Neumünster 2003

Geisthövel, Alexa: Eigentümlichkeit und Macht: deutscher Nationalismus 1830–1851.Der Fall Schleswig-Holstein. Stuttgart 2003.

Danker, Uwe/Schlürmann, Jan: Aufhebung der Gutsherrschaft/Freiheit. In: Danker, Uwe/Schliesky, Utz (Hgg.): Schleswig-Holstein 1800 bis heute : eine historische Landeskunde, Husum 2014, S. 10-17.

Schlürmann, Jan/Schwabe, Astrid: Niels Nicolaus Falck/Liberalismus. In: Danker, Uwe/Schliesky, Utz (Hgg.): Schleswig-Holstein 1800 bis heute : eine historische Landeskunde, Husum 2014, S. 18-23.

Lutz, Alexandra: Geschlechterbeziehungen in der Neuzeit. Studien aus dem norddeutschen Raum. Neumünster 2005 (Studien zur Wirtschaft- und Sozialgeschichte Schleswig-Holsteins 40).

Bildquellen: Notgeld /Karikatur / Düwelsbek: Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek; Föhr: Nordfriisk Instituut; Caledonia: Stadtarchiv Kiel